Oscar A. H. Schmitz
Brevier für Weltleute
Oscar A. H. Schmitz

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»Der enigmatische Mann«

Unter diesem Titel ist ein Roman von Hans von Kahlenberg erschienen, der Name ist ein Pseudonym, hinter dem sich bekanntlich die geistreichste und witzigste unserer schreibenden Frauen verbirgt. Sie zergliedert mit großer Schärfe den Zusammenbruch des intellektuell und ästhetisch überfeinerten bürgerlichen Mannes von heute und stellt ihm als sympathisches Gegenstück den aussterbenden ungebrochenen Mann alter Schule mit ritterlichen Instinkten gegenüber. Wir alle wissen, auf wie verschiedene, teils tragische, teils komische Art die moderne Frau diesem männlichen Zusammenbruch gegenüber antwortet. In dem vorliegenden Buch ist Frau von F. das Opfer eines solchen enigmatischen Mannes geworden. Sie teilt seine Briefe mit, sowie die Ansichten einer Reihe sehr verschiedener Personen, die sie über den Fall befragt hat. Darunter ist am interessantesten die Meinung der Engländerin Lucy Aurelia Pattieson, welche der Frau die bisherige Stelle des Mannes geben und den Knaben eine Erziehung angedeihen lassen will, wie sie vor kurzem bei uns noch die Mädchen erhielten. Ferdinand wird nicht mehr, wie es noch Shakespeare wollte, eine vom Luftzug rauher Wirklichkeit verschonte Miranda, sondern Ferdinande wird sich einen jungfräulichen Mirandus wünschen. Dieser Gedanke ist neu und interessant. Mit uns Männern wird nun gründlich aufgeräumt, die Zeit unserer Herrschaft ist aus. Was bleibt uns da übrig, als nach dem Beispiel gestürzter Geschlechter uns mit dem Sieger gut zu stellen, uns ihm vielleicht nützlich zu machen und bescheiden Anerkennung zu suchen für die 70 Gerechten, die sich vielleicht unter unserer verworfenen Schar finden mögen. Der folgende Brief versucht einen solchen Kompromiß mit dem Sieger. Wird er angenommen, so wären wir Männer wenigstens vorm Versinken in völlige Bcdeutungslosigkeit gerettet.

Offener Brief an Frau von F.

Verehrte gnädige Frau!

Wollen Sie mir erlauben, Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten, der durch die Gedanken des von Ihnen mitgeteilten Fragments »Mirandus, über die Erziehung eines Knaben«Dieses Fragment befindet sich in dem Buch: »Der enigmatische Mann« und enthält die Meinungen der Miß Pattieson über die wünschenswerte Erziehung der ci devant Männer. eingegeben ist? Ich entsinne mich, während des sonst dornenvollen Lesens erzieherischer Schriften nur einmal ein ähnliches Vergnügen wie bei diesem Bruchstück empfunden zu haben, und zwar bei dem Buch »Minehaha« des enigmatischen Herrn Frank Wedekind. Sie werden zuerst über diesen Widerspruch erstaunt sein, denn was Lucy Aurelia Pattieson für die Knaben verlangt, wünscht Herr Wedekind für die Mädchen anzuwenden, nämlich eine blumenreiche poetische Klausur, in der sie, im Hinblick auf ihre künftigen Aufgaben, nichts anderes, als liebenswürdig werden sollen. Während ich Ihnen meine Ansichten entwickle, wird sich dieser scheinbare Widerspruch klären.

Es dürfte Ihnen bekannt sein, daß das menschliche Denken bis jetzt darum so unfruchtbar für die gesellschaftlichen Einrichtungen geblieben ist, weil man sich – sei es aus Bequemlichkeit, sei es aus Entzücken über die Symmetrie – zu sehr auf gewaltsame Einteilungen, wie z. B. Gut und Böse gestützt hat. Nur wenige Köpfe erkannten, daß das Leben solche Gewaltsamkeiten nicht erträgt und sich in seiner Vielfältigkeit der Erkenntnis dessen entzieht, der es nach so willkürlichem Schema ordnen will. Eine der gefährlichsten solcher mythologischen Zweiteilungen ist – wie die Führerinnen der Frauenbewegung längst lückenlos bewiesen haben – die Trennung der Menschen in Männer und Frauen. Männer und Frauen im Sinne des heutigen Sprachgebrauchs gibt es nicht. Soweit der Unterschied männlich und weiblich nur das umfaßt, was innerhalb des Gesichtsfeldes einer gewöhnlichen Hebamme liegt, wollen wir ihn beibehalten. Auch die Beobachtung bleibt unangetastet, daß es selbständige Naturen gibt, die bisweilen von einem guten Intellekt zu hohen Leistungen geführt werden, und daß diesen Charakteren lenksame Naturen gegenüberstehen, die nicht nur widerspruchslos das tun, was man ihnen sagt, sondern bisweilen geradezu Befehle verlangen. Man hat nun den Fehler gemacht, in Gedanken männlich und selbständig, weiblich und lenksam zu verbinden, während doch die Geschichte deutlich zeigt, daß je nach Orten und Zeiten bald die Männer, bald die Frauen die Initiative besaßen. Aus diesem Irrtum sind alle die Ungerechtigkeiten entstanden, welche die heutige Frauenbewegung so klar erkennt, aber aus Mangel an Folgerichtigkeit nicht immer sachgemäß zu bekämpfen sucht. Ich möchte nun versuchen, die letzte Folge dieser Gedanken auszudenken.

Mein Vorschlag geht dahin, statt die Menschen durch einen Querschnitt in Männer und Frauen zu teilen, sie durch einen Längsschnitt in ein selbständiges und ein lenksames Geschlecht zu sondern. Um aber nicht in denselben Fehler willkürlicher Zweiteilung zu verfallen, lasse man die Grenzen unbestimmt. Die Geschlechter sind zunächst gemeinsam in harmlosen Spielen zu erziehen. Die Einbildungskraft, der Körper und ein allgemeines Moralgefühl müssen sorgfältig entwickelt werden. Diejenigen, welche dieses Kinderparadies durch stärkere Willenstriebe zu stören beginnen und dort nicht mehr am Platz sind, werden, ohne Rücksicht auf ihr körperliches Geschlecht, ausgesondert und durch das, was wir heute noch männliche Erziehung nennen, zu Charakteren entwickelt. Sie werden sich später dem Kriegswesen, der Politik, dem Handel, der Wissenschaft, der Kunst widmen. Ich bitte Sie, diese Stufenleiter zu beachten, auf der die Willenskraft im selben Maß abnehmen mag, wie die Intelligenz wächst. Der Künstler ist bereits als Zwitter zu betrachten zwischen den selbständigen Naturen und den Bewohnern des Kindheitsparadieses. In diesem bleiben die initiativelosen, lenksamen Naturen ihr Leben lang, falls sie sich durch Gesundheit und Anmut als reine Geschlechtswesen erweisen. Die Schwächlichen und Reizlosen werden ebenfalls ausgesondert und zu jenem Heer von Mittelmäßigkeiten organisiert, deren im einzelnen bescheidene Arbeit, zusammengeschlossen, die großartige Grundlage jeder Kultur bilden muß.

Aus dem Paradies (wie es sich in der Kinderstube jedes besseren Hauses finden wird) werden sich jene selbständigen Charaktere später den Lebensgefährten suchen. Hier sollen Ferdinand und Ferdinande ihren Mirandus und ihre Miranda finden, jene, wie wir heute noch sagen würden, echt weiblichen Naturen mit träumerischen Augen, schamhaft geröteten Wangen und schmiegsamen Seelen, wie sie nun einmal das Entzücken und die Lebensnotwendigkeit starker Charaktere und hervorragender Intellekte bilden. Nur wo die privaten Mittel zu jener paradiesischen Erziehung nicht ausreichen, mag der Staat sich um die Kleinen kümmern und, so gut er vermag, die Auslese treffen. In den von ihm eingerichteten (sagen wir der Kürze halber: weiblichen) Erziehungsanstalten mögen die Grundsätze der Minehaha befolgt werden, während sich das Buch »Mirandus« in seinen Erziehungsgrundsätzen wohl ausschließlich auf die Kinderstuben der höheren Klassen beziehen dürfte.

Stellen Sie sich vor, gnädige Frau, wie in einer so geordneten Gesellschaft jeder Mensch an seinem Platz stünde. Verschwinden würde dieses törichte Herrchen, das in seinem Beruf untüchtig ist, weil es stets den letzten verliebten Schlager im Kopfe hat und an nichts als seine Schnurrbartspitzen denkt, sich dabei aber für den Herrn der Schöpfung halten darf. Seine Anmaßung würde einer natürlichen, liebenswürdigen Grazie Platz machen, wenn er als bescheidener Günstling einer Amazone wirkte, und er selbst würde größere Genugtuungen finden, als sie ihm heute seine schäbige »bonne fortune« bietet. Verschwinden würde so manches reizlose Reformmädchen, das, weil es nicht begehrt wird, sich zu allerlei intellektuellen Ausschweifungen hingerissen fühlt. Sie würde als untergeordnete Bürgerin eine passende Beschäftigung finden und in ihrer Sphäre leicht heiraten können. Ihr heutiges Unglück besteht darin, daß sie bald als Charakter, bald als Intellekt, bald als Geschlechtswesen gelten möchte, während sie einfach wacker mittelmäßig ist. Verschwinden würde jenes gewissenlose Freibeutertum der selbständigen Männer, die heute, um ihren berechtigtesten Trieben Genüge zu tun, zu Mitteln greifen müssen, die oft die Gemeinheit streifen. Minehaha würde ihnen das bieten, was sie brauchen, bis sie ihre »Miranda« zum Bund fürs Leben gefunden haben. Verschwinden würde – und das wird den kämpfenden Frauen von heute das Wichtigste sein – die von einem Laffen geschändete und um ihr Leben geprellte, wertvolle Frau. Sie wird künftig ihren »Mirandus« fest in der Hand haben, ob er nun ihr Gatte ist, oder nur den »menus plaisirs« ihres Alkovens dient.

Es versteht sich, daß die Selbständige für ihren Mirandus wirtschaftlich aufzukommen hat und absolute Treue von ihm verlangen darf. Die Scheidung kann von beiden Teilen verlangt werden, aber Ehebruch der selbständigen Persönlichkeit gilt, wenn er sich nicht mit besonderer Brutalität und Rücksichtslosigkeit gegen den hilflosen Mirandus oder die schwache Miranda verknüpft, nicht ohne weiteres als Scheidungsgrund. Besonders muß es auch dem selbständigen Geschlecht freistehen, zur Erhaltung der Rasse einen anderen Genossen zu wählen, als zur Erheiterung müßiger Stunden.

Zum Schluß sei noch davor gewarnt, einen törichten Paragraphen einzuführen, der den Selbständigen die Liebe untereinander verbietet. Mirandus und Miranda müssen freilich in dieser Hinsicht ein wenig beaufsichtigt werden, obgleich man Verfehlungen unter ihnen nicht zu schwer, sondern mehr als Kindereien nehmen soll. Aus solchem verbotenen Umgang entstehende »Mirandinen« finden bei Minehaha liebevolle Aufnahme und Pflege. Zwischen den Selbständigen werden trotz dem körperlichen Geschlechtsunterschied Liebesabenteuer ohnehin zu den Ausnahmen gehören. Ehen zwischen ihnen erfordern einen eingehenden Vertrag, in dem sie alle ihrer »Individualität« entsprechenden Vorbehalte festsetzen, besonders inwieweit sie sich gegenseitig den Verkehr mit Miranden gestatten wollen. Im allgemeinen werden sie wohl vorziehen, zusammen in einem strenglinigen Herrenzimmer bei altem schottischem Whisky und Importzigarren die Fragen der Politik und Wissenschaft zu erörtern und sich vielleicht nach Mitternacht in die Ohren zu flüstern, wie sie ihre verlorenen Augenblicke durch einen Mirandus oder eine Miranda beleben.

In einer Gesellschaft, die auf diese Art Harem und Emanzipation vereint, würde kein enigmatischer Mann aufkommen, denn er ist nichts anderes, als ein schlecht erzogener Mirandus. Sind damit nicht alle Fragen der Frauenbewegung gelöst?

Ich küsse Ihnen die Hand, gnädige Frau.

Oscar A. H. Schmitz.


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