Oscar A. H. Schmitz
Brevier für Weltleute
Oscar A. H. Schmitz

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Das weibliche Genie

Was die Weiber lieben und hassen,
das wollen wir ihnen gelten lassen,
wenn sie aber urteilen und meinen,
da will's oft wunderlich erscheinen.
Goethe, Sprüche.

Wenn es auch kaum jemals weibliche Genies gegeben hat, – die wenigen Frauen, die man so nennt, sind es nicht annähernd so unbestritten, wie etwa Cäsar oder Friedrich der Große, Shakespeare oder Beethoven – so möchte ich doch behaupten, daß es unter den Frauen mehr genialische Naturen gibt als unter uns; ebenso wie sie weniger Poeten, aber mehr poetische Gemüter, weniger Apostel, aber mehr fromme Seelen, weniger Ärzte, aber mehr Pflegerinnen haben. Vielleicht ist das gesamte auf die Frauen verteilte Genie ebenso groß wie das auf die Männer fallende, aber die Verteilung ist bei den Frauen kommunistischer; bei uns steht einer Klasse von geistigen Kapitalisten, die zwar dem geistigen weiblichen Mittelstand überlegen ist, ein ungeheures männliches Proletariat gegenüber, das hinter ihm zurückbleibt. Es kann also durchaus mit rechten Dingen zugehen, wenn kluge Frauen nach langer Erfahrung mit Vätern, Onkeln, Brüdern, Gatten und Freunden schließlich zu der Ansicht kommen, daß die Frauen doch eigentlich gescheiter sind als die Männer, während andererseits nichts wahrscheinlicher ist, als daß männliche »Kapitalisten« ewig an der Unzulänglichkeit der Frau leiden.

Es ist das größte Unrecht, das man den Frauen tun kann, wenn man ihre Genialität an ihren wägbaren geistigen Einzelleistungen messen will; die Frauen selbst sollten sich nicht auf diese berufen, so wie es die tun, welche heute neben die Männerkunst eine Frauenkunst stellen wollen, und die behaupten, ein Fehler der bis her sich geistig betätigenden Frauen sei gewesen, daß sie Männerkunst nachzuahmen versuchte. Die ganze Problemstellung ist falsch. Es gibt nur gute Kunst und schlechte Kunst, Männer- und Frauenkunst gibt es ebensowenig wie Heimatkunst, patriotische Kunst, Volkskunst, und wie alle diese rein äußerlichen Einteilungen heißen. Aus einer bestimmten Landschaft stammen, gibt noch nicht die mindeste Gewähr dafür, daß man diese Landschaft besser malen kann als ein anderer, und es ist erwiesen, daß noch keiner Frau so starke weibliche Gestalten wie Anna Karenina oder Hedda Gabler gelungen sind. Manche Frauen behaupten, es sei eine primitive Zurückgebliebenheit der männlichen Instinkte, daß wir das sich selbst formulierende Weib nicht lieben und uns mehr durch eine Art Sphinxrätsel reizen lassen. Nun, die Frauen hätten recht, wenn ihre Formulierungen bisher irgend etwas Wertvolles hervorgebracht hätten, aber leider sind sie fast sämtlich durch falsche Betonung der Werte ungenau. Was mich betrifft, so gebe ich offen zu, daß ich das Beste, was ich vom Leben weiß, von Frauen erfahren habe, aber niemals aus ihren Büchern. Die Frauenliteratur hat dem Manne nichts Neues über das Weib gesagt. Sie hat vielmehr etwas Unkünstlerisches in das Schrifttum gebracht, indem sie den Wert des Bekenntnisses so maßlos überschätzte. Das Bekenntnis ist nur wertvoll, wenn in dem Bekenntnisakt selbst eine überzeugende Gebärde liegt; seine Privatnöte mitteilen, hat nicht einmal den Wert eines menschlichen Dokuments. Die Gebärde erhebt das Bekenntnis bereits in die Nähe des Kunstwerks, und damit wird unmöglich, daß ein Roman zwar künstlerisch wertlos, aber als Bekenntnis irgendwie wichtig sei. Die Gebärde der sich literarisch formulierenden Frau überzeugt aber fast niemals; so hübsch auch hie und da ein weibliches Buch anmutet, noch besser wäre immer gewesen, die Verfasserin hätte einem klugen Knaben oder liebenswerten Mädchen das Leben geschenkt.

Das Verhältnis der Geschlechter ist die Grundlage des Lebens; jedes Opfer, das zu seiner glücklichen Gestaltung beitragen kann, muß von Mann oder Weib gleichermaßen gebracht werden. Je weiter sich nun der Mann als Persönlichkeit entwickelt, es kommt der Frau zugute, selbst wenn diese Weiterentwicklung ihr den Mann zeitweise entzieht, und damit gewinnt die Ehe bald materiell, bald geistig. Ja, man möchte fast sagen, jede Ehe, die seine Weiterentwicklung nicht hindert, ist für den Mann erträglich. Aber nicht jede persönliche Weiterentwicklung des Weibes nützt dem Zusammenleben. Hier gibt es ziemlich enge Grenzen, viele weibliche Entwicklungsbahnen verhalten sich zur Ehe und Liebe exzentrisch, sie entfernen sich vom Lebensmittelpunkt. Daß sie bald unfruchtbar werden, beweist, wie verkehrt sie sind, auch wenn sie dem Manne weniger unbequem wären. Die objektive Einzelleistung der Frau hat bis heute noch nicht die Berechtigung erwiesen, um ihretwillen Liebe, Haus und Familie zu zerstören, was die Leistungen manches Mannes bisweilen vom Standpunkt einer höheren Ethik aus geradezu verlangen, falls Ausgleiche unmöglich sind.

Die einzelne Frau trifft hier kein Vorwurf. Nur zu oft ist sie das Opfer sozialer Verhältnisse, die meisten wären glücklich, ihren Beruf mit der Ehe vertauschen zu können.

Es ist unbedingt zuzugeben, daß die Frau zu gewissen geistigen Höherleistungen, die heute noch häufiger vom Manne verrichtet werden, gezüchtet werden kann. Es ist schließlich auch möglich, einen Stuhl als Tisch oder ein Billard als Bett zu benutzen, aber es ist fraglich, ob das der Ökonomie der Lebenskräfte entspricht. Daß die Frauen den Männern Gleiches leisten, behaupten meines Wissens nicht einmal die äußersten Frauenrechtlerinnen. Behauptet wird nur, und das muß zugegeben werden, daß viele Frauen mehr leisten und als Individuen mehr sind als der Durchschnitt der Männer. Um bei dem Gebiet zu verweilen, auf dem sich schon seit Jahrhunderten viele Frauen betätigen: der Reihe lebender europäischer Schriftsteller wie George, Hofmannsthal, Schnitzler, Mann, Shaw, Wells, Remy de Gourmont, Gide usw. (ich stelle absichtlich möglichst ungleiches zusammen) läßt sich nicht nur keine gleiche weibliche Reihe entgegenstellen, es läßt sich nicht einmal ein einziger gleichwertiger weiblicher Name im heutigen Europa diesen angliedern. Und dabei habe ich nur die Namen einer literarisch schwachen Epoche genannt, keinen Shakespeare, keinen Goethe, nicht einmal Ibsen, Strindberg oder Verlaine. Aber natürlich schreiben Frau Ricarda Huch und Madame de Roailles besser als die meisten männlichen lebenden Autoren.

Worin nun die weibliche Genialität eigentlich besteht, möchte ich durch einige kluge Sätze der Frau Lilli Braun beantworten, die ich in ihrem Kapitel »Das geistige Leben der Frau« in dem Sammelwerke »Mann und Weib« finde: »Von altersher sind zwei Tatsachen in den unveräußerlichen Grundstock der auf Jahrhunderten beruhenden langen Erfahrungen übergegangen: daß hervorragende Männer stets bedeutende Mütter gehabt haben – bedeutend durch ihre Persönlichkeit mehr als durch ihre selbständigen Geistesleistungen, und daß in fast jeden großen Mannes Leben ein Weib die Rolle der Egeria gespielt hat ... Beides kennzeichnet die Bedeutung der Frau als Inspiratorin ... Derselbe Instinkt der Mütterlichkeit, der sich auch als geistige Hingabe bezeichnen läßt, – eine Hingabe, die die Kraft besitzt, das Beste aus dem eigenen Innern auszulösen, nur um es hinzugeben – ist es auch, der sich in den Frauen abspiegelt, die das Leben der Führer der Menschheit mit Glück erfüllten, ihrem Schaffen Schwungkraft verliehen... Es sind vielfach von der gebildeten Welt verachtete Hetären gewesen, aber auch an denen, die es nicht waren, hat die bürgerliche Welt fast immer Anstoß genommen. Erst die Nachwelt hat ihnen Altäre gebaut ... Goethes Briefe an sie (Frau v. Stein) sind die Blätter des schönsten Unsterblichkeitskranzes, den je eine Frau getragen hat ... So überragt ihr eigentliches Lebenswerk (Rahel Varnhagens und M. von Meysenbugs), das sich nicht wägen und messen läßt, doch turmhoch ihren literarischen Nachlaß. Die größten Geister ihrer Zeit sind, angezogen wie von einem Magnet, mit diesen Frauen in Verbindung getreten und wurden durch sie untereinander verbunden. In ihren stillen Stuben fanden sie Teilnahme, Freundschaft, Hilfe, Lebenskraft... Solche Frauen sind wie ein Jungbrunnen der Seele, sie besitzen den Stab Moses, der aus dem toten Felsen noch lebendige Quellen zaubert.«

– Aber man muß diese Zeilen selber nachlesen.

Es ist ein Irrtum zu glauben, daß nur sehr bedeutende Frauen diese erleuchtende, befruchtende Wirkung besitzen. Auch von der einfacheren, ja mittelmäßigen Frau kann sie in geringerem Grade ausgehen, und jeder Mann wird sie dankbar spüren, wenn eine solche Frau einwilligt, ganz sie selbst zu bleiben. Es ist sehr die Frage, wem Goethe mehr verdankt, der Stein oder der Vulpius. Schlimm ist es nur, wenn eine Vulpius durchaus eine Stein sein will, und dies sehen wir heute so oft infolge des ungebundenen Durcheinanderheiratens, das in das einfache Leben eines Mädchens häufig zu überraschende materielle, soziale oder intellektuelle Umschwünge bringt, wodurch nur zu leicht der das weibliche Geschlecht so stark bloßstellende Typus entsteht: die anspruchsvolle dumme Gans. Es ist wirklich nicht bloß jene geheimnisvolle Kontrastsinnlichkeit oder gar Bequemlichkeit, die dem gebildeten Manne manchmal gestattet, sich mit dem ungebildeten Weibe zu »begnügen«, denn das ungebildete Weib kann himmlisch sein, während der ungebildete Mann meist ein Tölpel ist. Ein Mann in subalternem Beruf ist fast immer subaltern, eine Frau bleibt zunächst immer Frau, das heißt Natur, auch wenn sie Gouvernante werden oder in ein Geschäft gehen muß. Darum gestattet man dem Mann leicht Liebe und Heirat mit tieferstehenden Frauen. Die Frau, die einen tieferstehenden Mann heiratet, verfällt der Verachtung. Dennoch ist es ein Irrtum, wenn Frauenrechtlerinnen sagen, die Männer verlangten ihre Vorrechte wegen der paar Genies, die freilich unter ihnen waren, aber ihre große Mehrheit sei doch recht mittelmäßig. Allerdings, nicht weil Goethe ein Mann war, soll alles, was männlich ist, herrschen, sondern weil irgendwie in Betracht kommende männliche Arbeit jede Frauenarbeit durch eine gewisse Selbständigkeit schlägt, die in guten Stunden Originalität wird, mag sie sich in der Fabrik, im Kontor, am Schreibtisch, an der Staffelei, ja am Herd und an der Nähmaschine betätigen. Die Frau leistet selten mehr – aber nach ihren Leistungen sollen wir sie nicht werten – als fleißige Schüler- und zuverlässige Helferarbeit. Manche macht den Doktor magna cum laude und versagt völlig bei selbständiger Forscherarbeit.

Alle bewußte Kultur ist bisher, falls sie was getaugt hat, männlich gewesen; das hindert nicht, daß einzelne Frauen in den Blütenkranz manche duftende Blume, manchen frischen Zweig hineingeflochten haben. Aber nicht darin liegt der Wert der weiblichen Kulturarbeit. Diese ist mindestens so wichtig wie die männliche. Aber sie ist unwägbarer und anonym. Die Frau ist die geborene Hüterin des Poetischen im Leben, wir können ihr Leichtfertigkeit und Unwissenheit eher verzeihen als eine nüchterne Seele, denn dann kann sie nur trockene Früchte hervorbringen. Wer seinen Kindern Lieder singen und Märchen erzählen kann, hat schon eine Spur Genialität. Wessen geistiger Sohn ist Goethe? Des alten Philisters aus dem Frankfurter Bürgerrat oder der lustig fabulierenden Frau Aja, deren Orthographie nicht immer über allem Zweifel erhaben war?


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