Oscar A. H. Schmitz
Brevier für Weltleute
Oscar A. H. Schmitz

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Vorworte

Vorwort zur zehnten Auflage

Nicht ohne Bangen habe ich mich mitten im Krieg daran gemacht, dieses Buch vor der Ausgabe der zu meiner Überraschung gerade jetzt notwendig gewordenen zehnten Auflage noch einmal durchzusehen. Würde ich in dieser Zeit alles aufrechterhalten können, was ich in jenen heute versunkenen, ja gerichteten Jahren vor dem Weltkrieg über Gesellschaft und Lebenskunst gesagt habe? Aus dem Wirrwarr der unzufriedenen Meinungen suchte ich damals ein grünes Eiland heiterer Weltlichkeit zu retten. Zwar will ich bekennen, daß ich mich selbst schon in der letzten Zeit vor dem Krieg nicht mehr zu den Weltleuten rechnete, an die sich die folgenden Ausführungen wenden. Mir ist das Buch so fremd geworden, wie der Baedeker eines vielbereisten Landes, das ich nun nicht mehr besuchen werde. Für die neue Generation von Reisenden aber bleibt er der Baedeker. Ich glaube nicht, daß sich das neue Geschlecht im Hochmut der Unerfahrenheit von Welt und Gesellschaft abwenden wird, ehe es sie kennen gelernt hat. Wem aber die Gesellschaft noch erstrebens- oder erkennenswerte Wirklichkeit ist, für den behält das hier Gesagte seine Gültigkeit.

Einiges wenige habe ich freilich doch gestrichen, und zwar solche Sätze, die in der Relativität aller Lebenswerte eine absolute Weltanschauung sehen wollten. Diese Auffassung, zu der ich hie und da neigte, ohne sie jemals wirklich ganz zu teilen, habe ich als falsch erkannt. Vielmehr gibt es absolute seelische und geistige Werte. Alles aber, was außerhalb ihrer liegt, behält, da wir es nun einmal nicht missen können, nur relativen Wert. Wer überhaupt einwilligt mit der »Gesellschaft« zu leben, der erkenne ihre Gesetze und Spielregeln und übe Lebenskunst. So kann ich den relativen Wert des in diesem Brevier Gepriesenen neben absoluten Werten auch heute noch gelten lassen, ohne länger selbst auf dem Standpunkt dieses Buches zu stehen, noch es widerrufen zu müssen. Freilich habe ich darin manches scharf betont, woran ich heute gleichgültig vorübergehe.

So ist denn das Bangen verschwunden, mit dem ich an die Durchsicht des Buches gegangen bin. Es ist und bleibt, was es war: Ein Brevier für Weltleute.

Berlin, April 1916.

Vorwort zur ersten Auflage (1910)

Die Philosophie unserer Zeit hat aufgehört Weltweisheit zu sein und ist dadurch für weltliche Menschen unfruchtbar, ja bedeutungslos geworden. Die Weltweisheit hat aufgehört philosophisch zu sein und ist dadurch zur flachen Fertigkeit gewöhnlicher Streber hinabgesunken. In diesem Buch soll das leichte Thema der gesellschaftlichen Sitte mit der Philosophie der Form in Verbindung gebracht, bei der Erörterung des Sittengesetzes niemals die Buntheit der Welt und das Fließende der menschlichen Natur aus dem Auge gelassen werden.

Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis wird den Titel des Bandes rechtfertigen, ein Blick auf die eine oder die andere Seite mag vielleicht auf eine Stelle fallen, wo die Weltlichkeit von der Theorie erstickt zu werden droht, aber diese Gefahr ist nur scheinbar. Eine unglückliche Denkrichtung unserer Zeit hat alle Gebiete des weltlichen Lebens – Kunst, Bühne, Gesellschaft, Sitten, die Fragen der Frau – in ein Netz von Abstraktionen verwebt. Um seine Knoten zu entwirren, bedarf es manchmal derselben Werkzeuge, die sie geknüpft haben. Nur mit dem Rüstzeug der Logik bewaffnet kann man Irrtümern der Unlogik erfolgreich entgegentreten. Wenn der Leser an einigen Stellen dieses Buches auf Dialektik oder Analyse zu stoßen meint, so vertraue er dem Versprechen des Verfassers, der ihn nicht in die Wüsten der Abstraktion verlocken, sondern vielmehr aus den ästhetisch und ethisch zerschwatzten Fragen der Zeit in eine heitere Weltlichkeit zurückführen will. Unsere Epoche hat die Insel der Weltlichkeit verlassen. Viele sind des Hinausschwimmens müde und halten sich nun, verzweifelt die Fluten tretend, mühsam über Wasser. Mancher Blick sehnt sich nach dem verlassenen Grün der Weltlichkeit zurück. Die logischen Bemühungen dieses Buches sind nichts anderes, als die paar Schwimmbewegungen, die das verlassene Eiland wieder erreichen wollen.


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