Oscar A. H. Schmitz
Brevier für Weltleute
Oscar A. H. Schmitz

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Eleganz

Eleganz ist, genau genommen, der Gegensatz zur Intimität. Sie will gesellschaftliche Festlichkeit ausdrücken, in der persönliche Verschiedenheiten auf einen allgemeinen Hauptnenner gebracht werden müssen. Natürlich ist Eleganz nicht Uniformierung, und darum bleibt in ihren Formen ein Teil Individualität möglich, eine diskrete Andeutung des Persönlichen innerhalb der allgemeinen Grenzen ist sogar einer ihrer Hauptreize. Ohne diesen wird sie starr und verrät, daß ihr Träger sich etwas angeeignet hat, dessen Sinn er nicht ganz begreift. Aus Angst, einen Fehler zu machen, ahmt er sklavisch nach, was Leute tun, deren Eleganz für ihn über allen Zweifel erhaben ist. Dies ist der bezeichnende Fehler der Provinz und war ein besonders deutscher Fehler, ehe Reichtum und Luxus bei uns eingezogen waren. Heute wird unter dem Einfluß der Künstlerkreise der entgegengesetzte Fehler gemacht: Intimität und Eleganz werden nicht genügend auseinander gehalten. Durch die hastige Verbreiterung unseres gesellschaftlichen Lebens sind manche Menschen, besonders Frauen, die aus enger Umgebung stammen, so berauscht durch die Entdeckung ihrer Individualität und fühlen sich denen gegenüber, die »es noch nicht wissen«, so sehr im Vorsprung, daß sie um keinen Preis der Welt zu überreden sind, dieses neugefundene Juwel ein wenig zu verhüllen. Sie sind es, die gerade in der Betonung der Individualität vorläufig die Eleganz erblicken, und die kühnsten unter ihnen glauben sogar, daß sie eines Tages Monte Carlo und Ascot mit sich reißen werden. Frau Kunstmaler X., Frau Privatdozent Y. und die ledige Buchschmuckzeichnerin Z. glauben, sie müßten die Umrisse ihres Leibes zeigen, nicht etwa, weil diese Umrisse schön, sondern weil sie individuell sind, und sie machen Schule bei allen jenen Frauen, die nicht unter dem beratenden Kennerblick weltlicher Männer leben. Ihre gesellschaftfremde Beweisführung ist: Ich will nicht für schöner gelten, als ich bin; wem ich nicht mit meinen individuellen Abweichungen von der Schönheitsregel gefalle, für den danke ich überhaupt. Nun ist es vollkommen richtig, daß sich Liebe und Neigung mit Vorliebe an individuelle Unvollkommenheiten heften und bisweilen an der Vollendung kühl vorübergehen. Die Unvollkommenheit hat den außerordentlichen Reiz der Intimität, aber darin liegt ein Gegensatz zur Eleganz. Jener Reiz ist ganz persönlicher Art, hat keinerlei allgemeinen Wert und gilt ausschließlich für den Liebhaber. Daraus ergibt sich schon, daß er den Augen der Fremden durch dezente Verhüllung entzogen werden muß.

Über nichts ist man sich unklarer als über die Gründe des Schamgefühls und das Wesen der Keuschheit. Es sind ganz oberflächlich urteilende Menschen, die sich darüber wundern, daß keusche Frauen sich ohne Scham mit halbnacktem Oberkörper im Ballsaal zeigen während selbst etwas vorurteilsfreiere Damen sich nicht ohne weiteres im Schlafzimmer überraschen lassen wollen, obwohl sie vielleicht ganz verhüllt sind. Um Verhüllung und Entblößung handelt es sich nämlich gar nicht, sondern um Öffentlichkeit und Intimität. Ist eine Dame nach der herrschenden Mode gekleidet, und diese erlaubt gewisse Entblößungen, so wirken nackte Schultern nicht mehr intim, sondern festlich, elegant. Dieselbe Kleidung um elf Uhr morgens wäre schamlos, und wenn sie nur halb so viel zeigte. Auch die Beine der Damen sind etwas ganz anderes im Seebad und im Toilettenzimmer. Ein zufälliger kleiner Riß in einer Bluse enthüllt in Wahrheit mehr als manches gewagte Badekostüm; denn er öffnet den Blick in die Intimität, der nur dem Liebhaber gebührt.

Guterzogene Frauen, die gleichzeitig noch natürliches Schamgefühl besitzen, das allein die Koketterie anmutig macht, pflegen für diese Dinge ein sichereres Verständnis zu besitzen als wir Männer, vor deren sinnlicher Neugier sie immer auf der Hut sein müssen. Frauen, auch solche mit großer Garderobe, haben bekanntlich sehr häufig »nichts anzuziehen«. Der Hinweis auf die gefüllten Kleiderschränke wird mit einem Blick der Verachtung bestraft. Darin liegt eine tiefere Berechtigung, als man glaubt. Durch das Tragen geht bekanntlich in die Kleidungsstücke etwas von uns über, was ihnen, ehe sie wirklich schadhaft werden, etwas Alltagshaftes, Abgegriffenes gibt. Wir empfinden das selbst häufig, lange bevor es die Umgebung sieht, und gehen dann vielleicht mit einem schlechten Gewissen herum, das alle unsere Schritte unsicher macht. Trägt nun jemand solch ein Kleidungsstück vollkommen auf, später vielleicht nur noch auf dem Lande oder bei beschmutzenden Verrichtungen, so wird es zum Sinnbild aller seiner kleinen und kleinsten Sorgen und Fehler, zur höhnischen Parodie auf alle seine Eitelkeiten und Ansprüche. Bei der Frau, die viel mehr als wir von ihren Kleidern abhängt, geht dieser Prozeß noch bedeutend schneller vor sich, zumal sie empfindlichere Stoffe trägt, die nur auf kurze Dauer berechnet sind. Es gibt Frauen, die ein Kleid unerträglich finden, nachdem sie es ein paarmal mit ihrer Körperwärme durchdrungen haben. Es ist zu intim geworden und darum nicht mehr elegant. Solchen für den Mann oft rätselhaften Abneigungen liegt in Wahrheit nicht selten ein verfeinertes Schamgefühl zugrunde. Ganz anders steht der Liebhaber solchen Kleidern gegenüber. Er, den anfangs nur die Eleganz bezaubert hat, liebt in Wahrheit nur die Intimität der Frau und wird schließlich sogar eifersüchtig auf die Eleganz, obwohl es doch nur diese ist, die ihm die Intimität durch den Gegensatz immer wieder reizvoll macht, sie nie zum Ekel werden läßt. Der Liebhaber verehrt die Intimität der getragenen Kleider, die aus der Mode gekommene Bluse, die sie an dem oder jenem Tage trug, während ihn die neue Toilette anfangs immer ein wenig verwirrt, indem sie ihn daran erinnert, daß die Geliebte auch der Welt gehört. Wie oft kann man beobachten, daß ein Kleid einer Frau, das die einstimmige Bewunderung ihrer Freunde findet, »ganz alt«, »xmal getragen«, »gar nichts Besonderes« ist, halb schämt sie sich, es anzuhaben, halb kokett nimmt sie den Beifall hin. Eine Frau, die den Sinn für diese Dinge verliert, verliert ihren Hauptreiz, die Scham. Die Intimität gehört ausschließlich der Liebe, in der Öffentlichkeit verhüllt sich die Frau durch Eleganz oder, wenn ihr dazu die Mittel fehlen, durch Nettigkeit. Ein mitleidiges Bedauern, wenn nicht Verachtung zeigt sich in den Gesichtern aller erfahrenen Männer und Frauen, wenn ein schlechtberatenes Hascherl die Intimitäten seines Leibes ahnungslos in die Gesellschaft trägt. Alles Niedliche, was in der Intimität beglücken könnte, wird hier kümmerlich, alle Kraft frech und schamlos. Die Löwinnen, die der letzten Mode folgend keine Hemden mehr tragen, um die ganze Schlankheit der Hüftlinie zu bewahren, wirken durch die Stilisierung der Mode verhältnismäßig keusch gegenüber dem, was das korsettlose »Eigenkleid« enthüllt. Daß sich eine bestimmte Art von Männern mit Vorliebe auf das ihnen so billig Gebotene stürzt, ermutigt diese Frauen in ihrem Ansturm gegen die »heuchlerische« Eleganz. Das Schamlose der sogenannten Reformtracht beruht darauf, daß das in der Intimität reizende Individuelle zur Schau gestellt ist. Dadurch werden die Blicke auf Einzelheiten gelenkt, die wir nicht zu sehen gewohnt sind und Kontrastwirkungen hervorrufen, die, wie wir freundlich annehmen wollen, nicht beabsichtigt sind.

Während die weibliche Eleganz immerhin mit den intimen Reizen insofern rechnet, daß sie sie durch Stilisierung dezent macht (ohne welchen Vorgang sie in der Öffentlichkeit zur Unanständigkeit würden), ist die männliche Eleganz von vorneherein die grundsätzliche Leugnung aller Intimität. Nichts ist für einen Mann uneleganter, als intime, körperliche Vorzüge hervorzuheben. Es ist charakteristisch, daß hier England, das trotz seiner behaglichen Kamine unintimste Land, den Ton angibt. Französischen und italienischen Elegants wird es mitunter schwer, so streng gegen sich selbst zu verfahren. Ebenso ungern entschließt sich mancher deutsche Jüngling, den »Siegfriedsleib« in gutgeschnittenen Kleidern zu verbergen. Dieselbe männliche Nüchternheit, die England in der Herreneleganz so erfolgreich gemacht hat, läßt es vollkommen unbegabt erscheinen in allem, was weibliche Kleidung betrifft, welche die Intimität nicht puritanisch leugnen, sondern elegant stilisieren soll.


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