Oscar A. H. Schmitz
Brevier für Weltleute
Oscar A. H. Schmitz

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Herren- und Frauenkleidung

Die englische Kleidung legt sich um die Persönlichkeit wie ein schmuckloser Rahmen um ein gutes Bild, sie ermöglicht gerade durch ihre Nüchternheit die freie Bewegung des Individuums, sie erlaubt ihm, ungestört in der Menge zu leben, weil sie nicht durch ärgerliche Ansprüche zum Widerspruch aufreizt. Ein Mensch, der durch individuelle Kleidung überall die Blicke auf sich zieht, wird jeden Augenblick an sich selbst erinnert, was auf die Dauer zu einer unsäglichen Verflachung seines Gedanken- und Seelenlebens führen muß. Ein ganz ideologischer Einwand gegen die englische, sagen wir ruhig europäisch-amerikanische, Mode ist, sie sei nicht deutsch. Die moderne Technik und Wissenschaft hat europäische Bedürfnisse geschaffen. Es gibt keine Extra-Elektrizität für Südslawen oder Autobusse mit finnländischer Note. Warum sollen nun die Deutschen eine Sondertracht haben, gerade die Deutschen, welche zwar die ganze Welt mit Musik, elektrischen Anlagen und manchem anderen versehen, aber gerade in den, sagen wir: gesellschaftlichen Künsten der Kleidung, der Tafel, des Plauderns, unbegabt sind, wir sollten froh sein, wenn hier Europa für uns arbeitet. Unter »deutscher« Kleidung, »deutscher« Eleganz stellt sich kein Mensch, auch kein Deutscher was Schönes vor. In dieser Verbindung ist das Wort »deutsch« etwa so empfehlend wie das Attribut »berlinisch« für ein Denkmal oder für einen Bordeauxwein.

Deutsch gekleidet sein, heißt schlecht gekleidet sein, übrigens ist französische, italienische, spanische Herrenkleidung nur wenig besser. Die Europäer fügen sich darum der europäisch-amerikanischen Eleganz, nur Deutsche fallen immer noch auf Regentstreet, den Boulevards und dem Ring aus dem Rahmen, und zwar noch weniger wegen mancher Nachlässigkeiten ihrer Kleidung (das wäre ein harmloses Zeichen einer gewissen Gleichgültigkeit gegen Äußeres) als wegen der anspruchsvollen Form dieser Bratenröcke, tief ausgeschnittenen Westen und verfehlten Feierlichkeit. »Wir sind eben zu innerlich, um soviel Wert aufs Äußere zu legen.« Kein Volk legt soviel Wert aufs Äußere wie wir. Alles muß persönlich sein. Auch der Anzug. Wie lächerlich ist das alles! Ein Mensch, der wirklich seinen übertriebenen Wert auf die Außendinge legt, begnügt sich damit, allen geschmacklosen Unrat von seiner Erscheinung fern zu halten und im übrigen die seinen Bedürfnissen entsprechenden Gegenstände bei sich zu tragen. (Es gibt nämlich Menschen, die, ohne Individualität zu erkünsteln, persönliche Bedürfnisse haben und ihnen nachzuleben wagen.) Er wird sich nicht individuell kleiden, sondern zum besten Schneider gehen, den er bezahlen kann oder der ihm pumpt (je nach seinen finanziellen Gewohnheiten) und die neuste und solideste Tracht verlangen. Nur Leute, die den Wert des Äußeren überschätzen, kleiden sich individuell. Eine wachsende Anzahl im Leben stehender Deutscher handelt schon heute so, und ihre Tracht steht tatsächlich auf höherer Stufe als die französische. Es ist ein Kapitel für sich, warum sich die französischen Männer so schlecht anziehen. Diesen Meistern des geistreichen Impromptus fehlt der Sinn für die so nüchterne Angelegenheit der heutigen Herrenmode.

Bei der Frauenkleidung kann oft eine reizende Verwirrung des Zufalls die Künste eines »prima Konfektionshauses« verdunkeln, farbige Launen können manche Sünden der Zuschneiderin verbergen, wenn auch nicht annähernd in dem Maße, wie unsere Maler sich einbilden. Aus diesem Grunde ist auch die Frauenkleidung in allen Übergängen für den Anblick geeignet: Gesellschaftskleid, Unterröcke mit oder ohne Mieder, Hemd mit Strümpfen oder Strümpfe ohne Hemd. Der Mann ist viel engergebunden. Für ihn gibt es eigentlich nur zweierlei: ganz angezogen oder ganz ausgezogen sein. Wessen körperliche Verhältnisse das letzte nicht erlauben, der findet in dem von den Engländern in den Kolonien angenommenen Pyjama, das ja eigentlich auch ein ganzer Anzug ist, eine Möglichkeit des »Deshabillé«. Die männliche Kleidung besteht aus zwei Hüllen von verschiedenem Charakter; verhältnismäßig erträglich zum Anschauen ist ein Mann, wenn wenigstens die untere Hülle (Hemd mit Kragen, Unterhose und Socken) vollständig ist. Nichts ist indezenter als ein Mann im bloßen Hemd oder aber in der unvollkommenen zweiten Hülle, in Hemdärmeln oder gar in Hosenträgern. Im Pyjama mag man morgens das Badezimmer aufsuchen, man zeigt sich aber nie in Hemdsärmeln.

Wir können unsere persönliche Note in der Kleidung nur dadurch zeigen, daß das Hemd rätselhaft gut sitzt, daß der Rock bei jeder Bewegung so faltenlos bleibt, als sei der Teufel im Spiel, Abstufungen, die dem ungeübten Auge entgehen. Diese Mathematik der Herrenkleidung verstehen unter den Frauen fast nur die großen Welt- und Halbweltdamen, und auch unter diesen nur ein Teil. Die Herrenkleidung sei nur Rahmen der Individualität, je diskreter, desto eleganter. Bei der Frau ist die Kleidung mehr als Rahmen, sie gehört ein wenig zum Gegenstand (mehr oder weniger, je nachdem), und darf unter Umständen sogar ein ganz klein wenig indiskret sein. Darum kann die Frau für ihre Kleidung ins ungemessene Geld ausgeben: Fracks zu tausend Mark dagegen sind noch nicht erfunden. Der Frack eines Millionärs und der eines schlecht bezahlten Attachés, der aber gute Figur machen muß, unterscheiden sich nicht, während der Unterschied zwischen dem Wert der Frauenkleider im selben Salon Kapitalien ausmacht. Wenn nun auch der Preis nicht die mindeste Gewähr für Schönheit gibt, so muß doch eines ausgesprochen werden: das Billige ist nie schön, kann nicht schön sein, was auch die Ästhetiker sagen mögen. Die Schönheit ist entweder von Natur da, dann ist sie preislos wie die Natur, oder sie hat einen hohen Preis. Ein Weib ist entweder schön von Gottes Gnaden oder von der Schneiderin Gnaden. Das kostet entweder garnichts oder sehr viel. Die Schönheit ist eine große Kurtisane, manchmal gibt sie sich umsonst, aber nie ist sie billig. Weil die Phantasie umsonst mitarbeitet, ist freilich das für eine leidliche Frauentoilette Unerläßliche billiger, als das, was die englische Herrenkleidung als Mindestes verlangt, weil aber die Phantasie unerschöpflich ist, eröffnet die französische Frauenmode dem Luxus der Frauen ein unabsehbares Feld.

Die beiden Extreme des Typus »Mann« sind vom Toilettenstandpunkt aus der zu farblose Oberlehrer und der zu farbige Konfektionär. Sie gilt es zu vermeiden und ein verhältnismäßig geringer Kostenaufschlag für den Anzug genügt manchmal dazu. Für eine elegante Frauentoilette aber ist ein geringer Aufschlag nur ein Tropfen auf einen heißen Stein.

Absichtlich spreche ich hier nicht von dem Dandysmus, der hohen Magie des guten Geschmacks. Er beruht auf der Zauberkunst, bei genauer Befolgung der Mode durch Abstufungen doch wieder überraschend individuell zu sein, aber die Kenntnis und Ausübung dieser Kunst erfordert die Einsetzung der ganzen Persönlichkeit, des ganzen Lebens. Solcher Heroismus ist selten.


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