Oscar A. H. Schmitz
Brevier für Weltleute
Oscar A. H. Schmitz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Charakterologie der dummen Gans

Es gibt Schimpfworte, deren Wirkung gewissermaßen tödlich ist, denn sie greifen unmittelbar den Kern der Persönlichkeit an, so wie ein vergifteter Pfeil das Mark des Lebens. Wenn man von allen Individualempfindlichkeiten oder den Voreingenommenheiten bestimmter Moralen absieht, so gibt es nichts, was einen Mann stärker trifft als der Vorwurf, er sei ein »Schwein« (im Sinn von »Schweinehund«), nichts, was eine Frau tiefer berührt als die Bezeichnung einer »dummen Gans«. Das männliche Schimpfwort richtet sich auf den Charakter und die aus ihm entspringende, von keiner Intelligenz völlig zu deckende Gesinnung, das weibliche Wort trifft in erster Linie die Intelligenz, und das scheint zunächst verwirrend, da es doch gerade nicht geistige Qualitäten sind, die wir als wichtigstes von der Frau verlangen. Aber es gibt Dummheit und Dummheit. »Dumme Gans« und »dummes Schaf« treffen ganz verschiedene Eigenschaften. Die Franzosen haben den Begriff der Dummheit in zwei Worte gespalten: bête und sot. »Bêtise« ist die etwas langsam begreifende, harmlose, im Hirn sitzende Dummheit, die man hinnimmt wie ein schwer bewegliches Glied oder einen Schönheitsfehler; die »Sottise« dagegen ist jene anspruchsvolle Dummheit, d. h. eine Dummheit, die Ansprüche macht auf etwas, was ihr nicht zukommt, sie greift auf die ganze Natur eines Menschen über. Für die mit ihr begabten Frauen haben wir im Deutschen den treffenden Vergleich mit der wichtig daherwackelnden Gans gewählt. Natürlich kommt die anspruchsvolle Dummheit ebenso häufig beim Mann vor, sie zeichnet besonders den Typ des verknöcherten Beamten und Schulmeisters aus. Aber der männliche Dummkopf kann, falls er keine zu einflußreiche Stellung erhält, noch ein ganz »nützliches Mitglied der Gesellschaft« sein, die mittelmäßige, ja beschränkte Männer in ungeheuren Massen nötig hat; er ist oft ein braver »Gatte und Papa« und kann von einer instinktiv klugen Frau stark gemildert und erzogen werden. Ja, für manche Frauen gehört eine gewisse Pedanterie zu den sekundären Geschlechtscharakteren des Mannes, es gewährt ihnen Befriedigung, männliche Verbohrtheit zu überwinden. Anders die dumme Gans. Mit ihr wird kein Mann fertig (das hält sie oft für eine Macht), denn bei ihr hat fast immer die Sottise die so überaus empfindliche weibliche Geschlechtsnatur und den Charakter angefressen. Der männliche Dummkopf ist sich stets gleich, ja gerade seine Zähigkeit ist das, was an ihm verzweifeln macht, aber man kann mit ihm rechnen, hie und da äußert sie sich sogar als Charakterfestigkeit. Sie ist oft eine ins Laster übertriebene Tugend, so wie weibliche Güte bisweilen Schwäche wird. Die »femme sotte« aber ist ganz und gar falsch; sie will etwas anderes sein, als sie ist, sei es materiell, sozial oder intellektuell, ihre Triebe und Gefühle sind verrenkt, und darum ist ihr nicht beizukommen. Das »Schwein« und die »Gans« sind Entartungen der innersten Natur der Geschlechter und unverbesserlich, darum trifft kein Vorwurf beleidigender, »Schwein« und »Gans« sind Todesurteile. So wie es männliche Dummheit gibt, kann man natürlich auch »schweinhafte« Veranlagung bei Frauen finden, aber man hat gegenüber ungeliebten Menschen dieselben Frauen das Schwein herauskehren sehen, die, liebend, der Aufopferung und hohen Edelmutes fähig waren. Die »Schweinhaftigkeit« sitzt bei den Frauen nicht so tief, die Geschlechtsnatur ist oft stärker, während einem Manne, wie wir sahen, die Sottise nicht das Mark der Persönlichkeit anzufressen braucht. Kurz, dem »Schwein« fehlt die Haupttugend des Mannes: Zuverlässigkeit des Charakters und der Gesinnung, die beim Weibe durch Liebe und Hingabefähigkeit ersetzt werden kann. Der »Gans« fehlt dagegen die echte Weiblichkeit: die triebsichere Natur, die beim Manne hohe Intelligenz und strenge Offenheit gegen sich selbst aufzuwiegen vermag. Dem »Schwein« und der »Gans« fehlt das Beste.

Von der dummen Gans muß man wohl unterscheiden das »Gänschen« oder »das dumme Mädel« usw. So wie wir Männer alle einmal dumme Jungen waren, so hat jede Frau den Zustand des Gänschens einmal durchgemacht, mit Ausnahme der dummen Gans, der dazu immer die Liebenswürdigkeit gefehlt hat; darum beleidigt es eine Frau nicht – außer wiederum die dumme Gans –, wenn man sie in zärtlichem, ja geärgertem Tone einmal »dummes Mädel« schilt. Einmal aber nur eine Frau als dumme Gans empfinden, das vernichtet alle Liebe, alle Kameradschaft, das kann nie vergessen, nie wieder gut gemacht werden. (Dasselbe geschieht, wenn eine Frau einmal in ihrem Manne das Schwein entdeckt hat.) Dumme Gans ist die einzige Beschimpfung, die jede Frau übel nimmt und übel nehmen muß. Selbst das Wort »Dirne« kann zurückgenommen werden (ebenso wie »Schafskopf«), es enthält sogar heimlich eine tiefe Anerkennung der Geschlechtsnatur, und viele Frauen fühlen diesen Kitzel. Aber »dumme Gans« – alles ist aus.

Wenn das männliche »Schwein« seine weiblichen Korrelateigenschaften hinzunimmt – Prostitution und Kuppelei –, dann entstehen der Einöd und der Zuhälter, höchst gefährliche und antisoziale Typen, die man vielleicht einstecken muß, denen aber etwas vom Pathos der Niedertracht anhaftet. Nimmt dagegen die dumme Gans den Harnisch ihres männlichen Vetters, des pedantischen Dummkopfes, um, so steigert sie sich zu ihrer Höhe, zur gelehrten Gans.

Die dumme Gans ist nämlich nie ganz dumm. Sie ist unter Umständen sogar sehr lernbegierig, sie »begreift« schnell und darin liegt gerade ihre Hauptdummheit, daß sie glaubt, die Dinge, auf die es ankomme, könne man lernen: die Gelehrsamkeit erweitert noch ihre Dummheit. Harmlosen Naturen gilt sie daher oft für eine gescheite Frau. Hätten wir im Deutschen ein Wort für sot, so würden wir solche Minderwertigkeit, für die unser Wort Dummheit nicht eigentlich paßt, kennzeichnen können und wären besser vor ihr gewarnt.

Die »femme bête«, die wohltuend untalentiert und ein bißchen schwerfällig im Denken ist, kann – eine sonst echte Natur vorausgesetzt – ein wertvoller, erfreulicher Mensch sein, die »femme sotte« dagegen ist schlimmer als Heuschrecken und Pestilenz. Die heutige Frauenwelt, die nach neuen Lebensformen sucht, hat in ihrer Hilflosigkeit leider nicht immer das rechte Unterscheidungsvermögen gegenüber der »Sottise« gezeigt, und dem Einfluß einiger geradezu sagenhaft dummer Gänse ist viel von der heutigen Verwirrung des Frauenlebens zuzuschreiben. Denn die dumme Gans macht Propaganda für ihre Dummheit, und hier liegt der Hauptgrund ihrer Gefährlichkeit, während der männliche Dummkopf sich meist im stillen betätigt. Schon seine Eitelkeit hält seine Dummheit zurück, denn nichts fürchtet er mehr, als übers Maul gefahren zu bekommen. Aber Frauen übers Maul zu fahren, das verbietet uns immer noch ein Rest von Erziehung, und diejenigen, die einen vielleicht doch durch ein Übermaß von anspruchsvollem Geschwätz und durch das Fehlen aller Merkmale der Dame dazu herausfordern könnten, erfreuen sich meist einer solchen Hartmäuligkeit, daß sie eine derartige Antwort nicht empfinden würden.

Man wird keine dumme Gans, wenn man es nicht von Geburt war, ebensowenig hört man jemals auf, eine zu sein, wenn man dazu geschaffen ist. Freilich kann in einfachen Verhältnissen, die zu keinerlei Ansprüchen reizen, die Anlage geheim bleiben. Die meisten dummen Gänse brütet das Standesamt aus, wenn es in das Leben eines Mädchens einen zu überraschenden Umschwung bringt. Dann entstehen die Frauen, die in den Boden sinken möchten vor Scham, wenn man sie im Juli noch in der Stadt sieht, die beleidigt sind, wenn man sie nicht mit dem Titel ihres Mannes anredet, oder die literarischen Gänse. Wie gesagt, die dumme Gans erhebt den Anspruch, etwas zu sein, was sie nicht ist, sei es, daß sie als Gattin mit Dirnenneigungen liebäugelt, sei es, daß sie als Dirne kleinbürgerliche Rücksichten verlangt, sei es, daß sie ihre Geschlechtsbedürfnisse ausposaunt oder den geistigen und seelischen Unterschied der Geschlechter leugnet, sei es, daß sie, je nach ihren Einfällen, alle diese Dinge abwechselnd oder auch gleichzeitig betreibt. Immer geschieht es mit unliebenswürdiger Anmaßung und einer dem Manne unfaßbaren Oberflächlichkeit.

Und nun fällt mir ein, warum wir Männer sie im Grunde mehr verachten als die Dirne: weil es auf geistigem Gebiete gerade die Aufgabe der Frau ist, der hoch in die Halme schießenden männlichen Sottise, Beschränktheit, Berufsdummheit, Dünkelhaftigkeit, Autoritätsanbetung durch eine echtere Lebensklugheit entgegenzutreten. Die dumme Gans dagegen beugt sich vor männlicher Pedanterie, prahlt damit, daß sie z. B. gelehrte Arbeiten »über lucanische Prellsteine« würdigt, oder sie tut so, als ob sie den Wert einer politischen Rede übersähe. Sie sieht nicht mehr die Häßlichkeit eines belehrenden Daumens, hört nicht mehr die anspruchsvolle Weitschweifigkeit barbarisch gelehrter Satzgefüge, denn sie weiß selbst, was eine Swastica ist, was man unter Apperzeption versteht, und daß man für Liebe heute besser Erotik und für Seele Psyche sagt.


 << zurück weiter >>