Oscar A. H. Schmitz
Brevier für Weltleute
Oscar A. H. Schmitz

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Die junge und die alte Dame

Das Wort: die Frau gehört ins Haus, hat für viele, sonst ganz zahme Frauen wohl darum einen so aufreizenden Beigeschmack, weil unter Haus gewöhnlich Küche, Speicher, Wohn- und Schlafzimmer, selten der Salon erstanden wird. Deutsche Salons, das heißt neutrale Gebiete, auf denen sich traf, was an Geburt, Schönheit, Geist und Reichtum hervorragte, hat es nur wenige gegeben. Wenn man von einigen Aristokratinnen und einigen geistreichen Frauen absieht, muß man wohl den übereinstimmenden Berichten fremder Reisender vor 1880 Glauben schenken, die in Deutschland stets lebhafte Schwärme junger Mädchen, aber nur wenig bemerkenswerte Frauen wahrgenommen haben. Schon im Anfang seiner zwanziger Jahre wird Gretchen für ein alterndes Mädchen gehalten, und es ist nur zu begreiflich, daß es sich erregt in den Strudel stürzt, der seine Jugend möglichst schnell in den Schlund der Ehe hinabspülen soll. Dann aber ist ihre Rolle nach außen zu Ende.

Daß das junge Mädchen bei uns eine so ausschließliche gesellschaftliche Schätzung besaß, hat die Stellung der Frau bei uns oft wirklich dürftig gemacht. Worin besteht der Reiz der Jugend? In dem Entzücken darüber, daß die ganze Welt offen vor ihr liegt, daß sie noch nicht gewählt hat, von nichts enttäuscht ist, daß noch alles möglich ist. Aber man vergißt, daß diese Möglichkeit doch nur in der Theorie besteht, solange noch keine tatsächliche Wahl getroffen wurde. Jedes Mädchen träumt in irgendeiner Form von dem Märchenprinzen, der eines Tages kommen wird. Gewiß ist es theoretisch nicht ganz unmöglich, daß er kommt. Nun erscheint aber in Wahrheit bloß ein prosaischer Beamter oder Kaufmann. Indem er das Mädchen heiratet, »raubt« er ihm die Möglichkeit des Märchenprinzen. Wird sie nicht glücklich mit ihm, so heißt es: sie hat ihm alles geopfert, er hat ihr alles genommen. Dies »Alles« ist der Märchenprinz, dies Alles, das eigentlich nichts ist wie die Perlen des Champagners, dieser holde Traum, der eben nur darum möglich ist, weil ihn noch keine Wirklichkeit stört, macht die Jugend so anmutig und so reich.

Nach den ersten bestimmten Entscheidungen, die alle anderen Möglichkeiten ausschließen, geht dieser Reiz verloren und nun fragt es sich, ob eine Frau stark genug ist, den Märchenprinzen zu verschmerzen. Wenn sie es kann, so beginnt ihr Leben erst, wenn nicht, so wird sie je nach ihrer Natur, entweder im Kleinbetrieb des Haushaltes ihre Seele zum Schweigen bringen oder aber eine schlechte, sentimentale Frau werden, die ihrem Gatten das Leben schwer macht.

Es ist ja sehr nett, wenn jemand siebzehn bis neunzehn Jahre alt, rotbäckig und etwas töricht ist, dieser Spannungszustand der ersten Jugend kann ein paar Jahre lang dauern und hübsch anzusehen sein, aber darin den Haupt-, ja einzigen Reiz der Frau suchen, heißt sie unterschätzen, da sie doch erst gegen das Alter von 25 Jahren in die glänzende Zeit der Reife eintritt, falls sie mehr in sich trägt als jenen Duft der Jugendlichkeit, der jeder, die nicht allzu blutarm ist und einigermaßen gerade Glieder hat, für einige Jahre anfliegt.

Man hat nach verschiedenen Merkmalen gesucht, die auf einen Blick die Kulturhöhe eines Volkes zeigen sollen: die Zahl der Analphabeten, das Durchschnittseinkommen des einzelnen, der Verbrauch an Seife usw. Mir scheint als wichtigstes Merkmal, das das ganze Geistes- und Empfindungsleben eines Volkes verrät, die Länge der weiblichen Jugend. Bei den Wilden ist die Frau oft schon vor dem zwanzigsten Jahre nur noch als Arbeitstier brauchbar. Auf der Höhe der Kultur – hier geht Frankreich voran – vermag die Vergeistigung Frauen bis in ihre vierziger Jahre begehrenswert, bis ins unbegrenzte anmutig zu erhalten. Wenn es auch schwer ist, sich in eine alternde Frau zu verlieben, so ist es leicht zu ihr zurückzukehren oder bei ihr zu verharren. Wir Deutsche standen bisher in dieser Hinsicht den Wilden näher, als wir zugeben möchten. Ein fünfundzwanzigjähriges Mädchen hält sich in der Provinz wohl noch heute für alt, und infolge der allgemeinen Suggestion, unter der sie steht, ist es eine Frau von dreißig in der Regel wirklich. Nichts macht schneller alt, als der Glaube, es bald zu werden.

Im Gegensatz zum Manne, der bis in seine vierziger Jahre hinein Umwälzungen erlebt, die ihn erst zu dem machen, was er ist und vielleicht der Nachwelt sein wird, muß die Grundlage für ein reiches Alter bei der Frau während ihrer Geschlechtsblüte gelegt werden. Eine alternde Frau kann wohl plötzlich erkennen, was sie versäumt, daß sie ihren Weg verfehlt hat; sie kann noch lernen und fleißig sein, aber ihr wird das Fehlende nicht mehr Fleisch und Blut, denn eine Frau verarbeitet nur, was ihr auf den Flügeln der Sehnsucht, der Liebe, der Begierden, der Gefühle zugebracht wird. So wie Blumen von Insekten, die Blütenstaub an sich tragen, befruchtet werden, während diese nur den Honig trinken wollen, so wird der Frau das Geistige oft absichtslos von den Männern gebracht, die sich ihr, nur weil sie ein anmutiges Weib ist, nahen. Darin liegt gar nichts Tadelnswertes oder Minderwertiges, es ist gleich, auf welche Art der Blütenstaub den Fruchtboden erreicht. Hat aber eine Frau während ihrer Blüte diese Berührung mit der geistigen Welt der Männer gefunden, so ist es meist leicht, sie auch nach der Blüte bis ins Greisenalter zu erhalten, das heißt solange nur der Geist, in Erinnerungen täglich erfrischt, jung bleibt. Spätestens Ende ihrer dreißiger Jahre entscheidet sich daher, ob eine Frau, wenn sie einst der letzte Schimmer der Jugend verlassen hat, eine alte Dame oder ein altes Weib werden wird.

Über die gesellschaftliche Sendung der alten Dame ist bei uns noch wenig gesprochen worden. Man fängt zwar in Deutschland an, darüber zu lachen, daß sich in der Provinz in Gesellschaften nach dem Essen Männer und Frauen noch immer streng getrennt halten wie in der Kirche auf dem Lande. Viel ernster und folgenschwerer ist unsere Trennung in Junge und Alte. Das macht unser geistiges Leben so uneinheitlich und stellenweise so unfruchtbar. Auch der alte Herr und der junge Mann sind bei uns himmelweit getrennt und verstehen einander nicht. Suchte das Alter mehr die Neigung der Jugend und wäre die Jugend weniger durch die Erinnerung an Schule, Prüfungen und den dummen Vorgesetztendünkel verdrossen oder eingeschüchtert, so würde unser Leben weniger zwischen greisenhafter Verknöcherung und ungestümem Übermaß schwanken, und spielte die alte Dame bei uns eine größere Rolle, so würde der Deutsche im Auslande seltener durch seine ärgerlichen Erziehungsfehler auffallen. Es ist unmöglich, daß die Welterziehung eines jungen Mannes, wenn er mit sechzehn bis zwanzig Jahren das Elternhaus verläßt, vollendet ist. Was er bis dahin nicht gelernt hat, lernt der Deutsche selten noch später, denn diese strenge und doch auch gütige Instanz, deren Rat und Vorwurf ein Mann, ohne sich etwas zu vergeben, stets annehmen kann, die ihn ein wenig begönnernde alte Dame fehlt in unserer Gesellschaft fast gänzlich. Er trifft nur zu oft mißgünstige, verärgerte alte Weiber, die sich vorübergehend mit einer falschen Liebenswürdigkeit schminken, weil sie Töchter an den Mann zu bringen haben. Und damit kommen wir wieder zu den jungen Mädchen zurück.

Die französische Gesellschaft konnte darum eine solche Blüte erreichen, weil das junge Mädchen ausgeschlossen war. Das junge Mädchen hat den natürlichen Wunsch, zu heiraten, und ehe diese Sehnsucht erfüllt wird, ist es nicht reif für den Reiz einer uninteressierten und darum interessanten Geselligkeit. Ferner legt ihre Anwesenheit oft eine lästige Schranke auf, sie ist sein Kind mehr, aber auch noch kein vollständiger Mensch. Der Zwang, die Unterhaltung stets so zu führen, daß junge Mädchen zuhören können, bringt diesen Gartenlaubenton hervor, von dem sich die Männer später im Wirtshaus erholen müssen; denn dieser Zwang, den die Anwesenheit sehr junger Mädchen ausübt, ist nicht befruchtend und bereichernd wie der einer geistreichen Frau oder welterfahrenen alten Dame, in deren Gegenwart kein Thema verpönt ist, wenn es gelingt, ihm eine würdige Form zu geben. Unter einem solchen Zwange pflegen sich die Gedanken selbst zu läutern, ja bisweilen zu vertiefen.

Die Flachheit und Geistlosigkeit der englischen Gesellschaft kommt daher, daß alles auf die dauernde Anwesenheit einer unnatürlich großen Zahl unverheirateter Mädchen zugeschnitten ist. Aber noch lieber diese Flachheit als das, was neuerdings bei uns versucht wird, nämlich die jungen Mädchen »aufzuklären« und vor ihnen zu reden, als wären sie erfahrene Frauen. Dadurch wird die Halbjungfrau gezüchtet. Ob sie eine Übergangserscheinung ist oder durch ihre verblüffende Vorurteilslosigkeit jede edlere Form der Gesellschaft dauernd zerstören wird, steht dahin.


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