Oscar A. H. Schmitz
Brevier für Weltleute
Oscar A. H. Schmitz

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Die männliche Dummheit

Während wir boshaft genug sind, gewisse logische Entgleisungen weiblich zu nennen, sind sich die Frauen untereinander darüber klar, daß es auch eine gewisse Dummheit gibt, deren nur Männer fähig sind. Wer sich dieser Dummheit nicht selbst schuldig machen will, muß den Frauen recht geben. Beruf, Politik, Nationalität vermögen einseitigen Geistern Scheuklappen anzulegen, welche die eigene Dummheit verbergen, oft erst verursachen und die fremde nicht gleich erkennen lassen. Es laufen unter den Gelehrten, den Beamten, den Politikern bekanntlich Gestalten herum, deren von ihrer Umgebung unentdeckte Dummheit kluge Frauen in die äußerste Verwunderung setzt. Jeder Beruf züchtet seine eigene Dummheit: dem Arzt droht die Dummheit des Materialismus, dem Juristen der Formalismus, dem Gelehrten der Dünkel der Autorität, dem Kaufmann die Beschränktheit des Krämergeists, dem Künstler der weltfremde Ästhetismus, dem Schriftsteller die ärgste der Dummheiten, die literarische. Es gibt ferner eine Parteidummheit, die meist Doktrinarismus ist, die sozialistische und die liberale Dummheit, so gut wie die konservative, es gibt nicht zuletzt eine nationale chauvinistische Dummheit, die französische, die deutsche, die großserbische und die venezolanische Dummheit. Daß die Welt dennoch nicht hoffnungslos verdummt ist, liegt daran, daß die eine Hälfte der Menschheit, die weibliche, bisher jenen einengenden Schranken entrückt war. Die Frau hatte keinen Beruf, keine Partei, ihre Nationalität ist die des Mannes. Diese scheinbare Benachteiligung ist ihr unendlicher Vorzug, der ihr – es ist ohne Ironie gemeint – bisher den von Sachkenntnis ungetrübten Blick verlieh. Erst seitdem der Frau Beruf und öffentliche Wirksamkeit offenstehen, läßt sie sich von der männlichen Dummheit anstecken und beginnt Prüfungen, Schulbildung, Lehrmeinungen, Autoritäten, Rassetheorien und die Verba auf mi zu schätzen, anstatt aus ihrem unbefangenen Instinkt die tiefste aller Philosophien zu bekennen, die Philosophie von der Relativität dieser Werte. Es ist geradezu tragisch, daß sie es aufgeben will, fernerhin das unersetzliche Heilmittel für die unerschöpfliche Männerdummheit zu sein. Was soll aus uns werden, wenn übermütige Frauenskepsis aufhören wird, alte Exzellenzen und große Namen durch kecke Unlogik zu entwaffnen, wenn diese unbeirrten, gesunden Kindergemüter nicht mehr den an den Scheidewegen des Lebens zagenden Mann in die Wirklichkeit drängen wollen? Früher hieß es in der Gesellschaft: der große Philologe Soundso kommt, oder der Erste Staatsanwalt oder sonstwer. Alles erstirbt in Ehrfurcht bei seinem Hereintreten. Aber eine 21jährige junge Frau findet, daß er ein Trottel ist, für sie ist er nur der faselnde Greis mit unappetitlichen Gewohnheiten und banalen Späßen, der nicht mit Anstand alt zu werden versteht. Und die 21jährige Frau hat recht im Namen des Lebens gegen Fakultäten und Senate. Während die Frau, wenn sie in unsere Schule geht, wohl unsere Dummheit lernen kann, ist es uns fast unmöglich, die sichere Unbefangenheit eines klugen Frauenurteils zu erreichen.

Eine durch die Männerschule gegangene Frauenrechtlerin hat das verblüffende, für uns Männer so vernichtende Wort ausgesprochen: »Für das Kinderkriegen ist das Weib schlechthin unersetzlich!« Wie recht hat diese Philosophin! Aber nicht nur den fruchtbaren Leib der Frau, auch ihren befruchtenden Geist können wir nicht entbehren. Wir erleben heute, daß die körperliche Jungfräulichkeit der Frau etwas im Kurse sinkt, ihre geistige Jungfräulichkeit aber sollten wir nicht so leichten Herzens schwinden sehen; denn der besondere weibliche Geist verliert jene unbewußt lenkende Überlegenheit in dem Augenblicke, wo er sich den Formalismus des männlichen Denkens auferlegt; dann wird die Frau noch dümmer als der Mann. Sie, die von Haus aus voraussetzungslos Helläugige, wird pedantischer, autoritätsgläubiger, engherziger, als er je werden kann. Die Frauen, die Völkerschicksale lenkten oder geniale Hirne befruchteten, waren vielleicht belesen und beredt, aber niemals gelehrt. Frauen, die es verstanden, in verschlungene, problematische Seelen Festigkeit zu bringen, waren niemals Fanatikerinnen irgendeiner neuen gesellschaftlichen oder sittlichen Doktrin. Und wie mildem Erkennen, so steht es mit dem Handeln: die Frau besitzt oft eine Güte, die der im Kampf ums Dasein gehärtete Mann kaum begreift und die ihn mildert. Nichts aber bekommt der Frau schlechter, als eben dieser Kampf ums Dasein. Die Möglichkeit, ihn durch persönliche Reize zu erleichtern, wird stets ihre Waffenehre zweifelhaft machen. Dazu kommt die schwächere, durch die Pflichten der Gattung beeinträchtigte Leiblichkeit, welche ihr die glänzende Vereinsamung des Mannes unmöglich und für sie gemeine und kleine Mittel im Kampfe fast entschuldbar macht. Unfruchtbare Verbitterung ist stets das Ergebnis eines dauernd kämpfenden Frauenlebens.

Daß den Mann der Beruf oft genug verengt, der Kampf verhärtet, ist nicht so wichtig. Es genügt, daß sich – dank klugen Müttern – einzelne Talente und Charaktere über das Mittelmaß erheben, mögen die andern – falls sie nicht geeigneten, sie erziehenden Frauen unter die Hände kommen – dumpfe Krämer und bärbeißige Büttel bleiben. Daß aber die Frauen in möglichst großer Zahl ihr weibliches Genie entfalten und ihre dann unbedingte Überlegenheit über die Durchschnittsmänner zeigen, ist sehr wichtig, denn abgesehen von ihrer stündlichen Wirkung auf die Umgebung, können nur instinktiv kluge Frauen bedeutende Söhne hervorbringen; aber die Klugheit der Frau Rat Goethe ist eine ganz andere, als die von den heute sich befreien wollenden Frauen erstrebte; sie kann nicht gezüchtet werden und ist den meisten unerreichbar, die heute stolz in männlichen Berufen stehen. Von diesen weiche ich, um es kurz zu sagen, darin ab, daß ich in allen Frauenberufen, mit Ausnahme der auf ganz besonderer Begabung beruhenden Tätigkeiten, denen man sich unabhängig vom materiellen Zwang widmet, nur eine traurige Notwendigkeit erblicke. Man soll um Gottes willen diese Not nicht verschärfen, indem man den Frauen die Zugänge zu den Berufen erschwert; aber man erkenne die verderbliche, die Entfaltung hemmende Fessel, die der Beruf einem menschlichen Wesen anlegt, und man muß der Frau, die geistig, seelisch und leiblich reizvoll ist, wünschen, daß ihr edles und darum gebrechliches Material nicht von solcher Not zersplittert oder entstaltet werde. Es ist bezeichnend, daß die Frau durch die Berufe am wenigsten seelisch und körperlich leidet, die ihr keine fremde Disziplin auferlegen, sondern aus der Qualität ihres eigenen Daseins Kapital schlagen: Musik, Tanz, Mimik.

Der Wert des Mannes liegt in dem, was er aus sich macht. Der Wert der Frau liegt in ihrem Dasein schlechthin. Das zwanzigjährige Mädchen ist etwas Vollkommenes, es ist einfach da, hat nichts geleistet, braucht nichts zu leisten, und ein hochverdienter Mann schätzt sich glücklich, wenn sie nur einwilligt, an seiner Seite da zu sein, so lieblich und klug wie sie ist, das heißt mit all ihrer weiblichen Genialität.

Wenn Eltern an ihren Kindern Freude haben, so ist es bei den Knaben mehr die Hoffnung auf die Zukunft, bei den Mädchen ihre anmutige Gegenwart selbst, was die Familie beglückt. Die Gegenwart eines Knaben in den Entwicklungsjahren ist dagegen oft, je vielversprechender er ist, desto weniger erfreulich.

Die Dummheit des Mannes hat der Frau höhnisch den Sinn für Logik, Ästhetik und Ethik abgesprochen. Die Frau nimmt den Fehdehandschuh auf und weist auf das logische Genie der Sonia Kowalewska, die Kunst Rosa Bonheurs und das Ethos des Muttertums hin. Darauf erwidern die Männer nicht unzutreffend, diese großen Namen seien Ausnahmen, welche die Regel bestätigen, das Muttertum sei nichts Ethisches, sondern etwas triebhaft Animalisches. Dennoch ist nichts törichter, als solcher Streit, der niemals zwei gleichgerüstete Gegner auf freiem Schlachtfeld zur Entscheidung ruft, sondern ein stets unentschiedener, listiger Buschkrieg bleibt, bis die Frau wieder den Mut finden wird, anstatt sich mit der Männerdummheit zu messen, ihr, was sie ja unbewußt stets getan hat, triumphierend die Waffen vor die Füße zu werfen und zu rufen: Ihr habt recht, wir haben keine Logik, keine Ästhetik und keine Ethik, denn wir können ohne Formalismus klug sein, ohne Abstraktionen Geschmack besitzen und ohne Normen uns selber treu bleiben.


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