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Letztes Kapitel.

Wieder lächelte ein Pfingstmorgen auf die grüne Erde. Duft und Glanz überall, nur aus den tiefen Tälern und verstecktesten Waldschluchten stiegen die leichten Morgennebel zum Himmel, um spurlos in der unendlichen Bläue zu zerfließen. Eine Fülle von Licht lag ausgegossen über Millionen kaum geöffneter, fruchtglänzender Blüten und Knospen: noch war der Wald durchsichtig, nur ein zarter, flaumiger, grüner Schleier wob sich über die Ferne. Prachtvoll stiegen die schlanken, zierlichen Birken aus dem Gewirr dichtverschränkter Äste in die blaue Luft; ihr zartgrüner, duftender Blätterschmuck glänzte und flimmerte im Morgenlicht: ließ aber ein Lufthauch diesen Blätterflaum erbeben, dann schien von den Birken ein goldgrüner Funkenregen zu sprühen!

»Grüß dich Gott, du grüner Wald!« erklang jetzt eine fröhliche Stimme aus der Schlucht des Bettelbrünnleins in Steinschrot, und zwei schlanke Männergestalten tauchten zwischen Fels und Gebüsch auf.

»Das Lied hat freilich recht: ja wunderschön ist Gottes Erde und wert, auf ihr vergnügt zu sein!« meinte der zweite, als sie atmend die Kanzel betraten. »Aber, Fritz, die Schönheit der Welt allein tut's doch nicht! Denke doch, als wir voriges Jahr um diese Zeit hier standen, war die Pracht und Herrlichkeit ringsum nicht minder groß – und wie wenig spürte ich davon!«

»Wer uns vor einem Jahr vorhergesagt, was uns erwartete, – wir hätten ihn verlacht! Und wirklich, wenn ich jetzt die Welt im fröhlichen Sonnenschein liegen sehe und der Wald rauscht, der Fluß glitzert, die Wiesen und Felder sind grün, und Sülzdorf und Bergheim verstecken sich gerade so in die Blütenbäume, wie ehedem auch – da möcht' ich fast an die Stirn greifen und fragen: war denn das alles nur ein wilder, wüster Traum? – Ja, ist's denn in Wahrheit möglich, daß ich mich von ihm zum Gottesleugner machen und an die Line schwätzen ließ? – Und gar der Herrnbauer? Ist's wirklich geschehen, daß wir seinet- und des Pfarrers wegen eine wahre Revolution durchmachten? – Und doch, was frage ich? Ist dir's nicht auf die Stirn geschrieben, daß du es warst, der allein feststand als alles zusammenbrach? Daß du uns allen, dem ganzen Dorf zum Frieden verholfen hast? – Ach, Fritz, ich bin so stolz auf deine Freundschaft, sie macht mich so glücklich, eben drum werde ich eine heimliche Sorge nicht los, sie möchte nicht von großer Dauer sein.«

»Karl – was sind das für Gedanken?«

»Weiß wohl – aber sie sind nun einmal da und wollen nicht weichen. Wirst du auch bei uns bleiben?«

»Welche Frage! Warum sollte ich Bergheim verlassen, zumal da Anna mein Weib wird?«

»Anna? – sie wird dich weder halten noch hindern. Doch genügt dein Wort, und nun erst gehe ich mit Freuden in die Kirche.«

Karl sah dabei seinem Freunde fest in die Augen und drückte seine Hand. Zu einer weiteren Antwort hätte er auch kaum Zeit gefunden, denn allmählich war es in den Klippen und Felsen lebendig geworden.

Eben betraten auch der Justizrat und der Schulbauer die Kanzel, der Lichtennikel, der Beckenjörg und Bergbauer folgten ihnen. Der Justizrat hatte die Aussicht genossen, jetzt wendete er sich mit leuchtenden Augen zu den Männern, die ihm alle bekannt waren: »Ein reizendes Plätzchen hier, gewiß; aber erquicklicher als die Naturpracht ringsum ist mir der Anblick der kleinen Gemeinde, die sich so zufällig hier zusammengefunden. Ja, eine Gemeinde! Wie verschieden nach Beruf, Stellung und Denkungsweise, – wahrlich es fehlt nur der Fuchsmüller, dieser Menschenfeind mit einem Herzen voll Liebe, dieser eingefleischte Materialist, der so viele Gläubige beschämen könnte – alle fühlen wir uns einig, fest zusammengehörig, zusammengeschlossen durch das Band reinen ernsten Strebens! Wir sind hier ein kleiner Kreis, der sich um unsern Reinhardt zusammenschließt, allein jeder von uns, ist er nicht in seiner Welt ebenfalls ein Mittelpunkt? Wir sind keine Weltverbesserer, keine Gesellschaftsretter! Die treue, aber unscheinbare Arbeit auf beschränktem Raum ist unsre Losung! – Ich bin freudig bewegt, mich in einem Kreis von Männern zu sehen, die, wie ich, die freie, selbständige, treue Arbeit zu ihrem Lebenszweck machten. Und dieser Arbeit, der wir alles danken, was auf der Welt Schönes und Großes das Herz erfreut und den Geist erhebt, – ihr gelte ein stilles, aber begeistertes Hoch! – Wir haben ein Recht, heute und hier diese Arbeit zu feiern, ist sie es doch allein, der unsere beiden Brautpaare ihre Vereinigung verdanken!«

Eben als vom Kulm die ersten Akkorde der Musik herübertönten, wurde der Heimweg angetreten. Karl machte den Vorschlag, die Musikanten aufzusuchen; die Gesellschaft war damit einverstanden und überraschte wirklich Musikanten und Zuhörer. Ein fröhliches Getümmel entfaltete sich auf der kleinen Hochebene, die Choradstanten, voran der Blümlesschuster, wurden nicht müde, ihrem Herrn Lehrer zu gratulieren, und der Bergkasper nickte wohlgefällig: »Sagt ich's nicht, he' Lehje', wi' haben Pjachtmiidele im Dojf? Ja, ich hab' mi' lang denkt, mit de' Anna wi'ds doch noch authienisch!« Von lustigen Klängen umrauscht, stieg die Gesellschaft heiter nach dem Dorf hinab.

Der Herrnhof war in einen Birkenwald verwandelt, der die improvisierten Tafeln und Bänke fast versteckte. Klopfenden Herzens sprang Reinhardt die hohe Freitreppe empor, aber fast erschrocken prallte er zurück, als ihm in der Stube eine weiße Gestalt entgegenkam. Sprachlos starrte er auf das schöne Mädchen, das in weißem, an der hohen Gestalt in weichen Falten niederfließenden Kleide, von einem kostbaren Schleier umwallt, vor ihm stand. Er konnte den Blick von der wunderbaren Erscheinung nicht wenden.

Die Justizrätin drohte ihm mit dem Finger: »Sie sind ein schlimmer Mensch, was auch mein Mann sagen mag! Freuen wir uns alle monatelang auf die Überraschung, können den Augenblick nicht erwarten, da Sie hereintreten werden und meinen, beim Anblick dieser Fee müßten Sie vor Entzücken außer sich geraten – statt dessen stehen Sie da wie ein Stock! Justizrat, du magst ein ganz passabler Jurist sein, aber was die Männer betrifft, werde ich künftig allein meinen Augen trauen!«

»Also das war der Zweck des geheimnisvollen, wochenlangen Besuches in der Stadt?« rief Fritz, nachdem er Margret, die Herrnbäuerin, Schulzbäuerin und das Lichtendorle begrüßt hatte. »Aber wie, Anna, wenn ich mich nun revanchierte? Du wirst dich, Herzlieb, schon lange nach dem Brautbukett umgesehen haben – erschrick nicht, es kommt keines. Nie mochte ich die unförmlichen Blumenteller in den Händen der Bräute leiden. Denkst du daran, wie du mir heute vor einem Jahre im Steinschrot dein Kirchensträußchen so freundlich darreichtest? Sieh, hier habe ich dir eine Gegengabe bereitet. Es ist freilich nur ein bescheidenes Sträußchen, aber ich selbst habe es für dich gepflückt, und da die Maiglöckchen uns die Liebe ins Herz läuteten, so ist es nicht mehr als billig, daß sie uns auch zum Altar begleiten!«

Mit einem Freudenruf warf sich Anna an seine Brust; ihre Umarmung unterbrach eine allgemeine Bewegung; als sie aufblickten, stand – Lina vor ihnen. Fast war die Arme nicht wieder zu erkennen, so bleich und leidend schaute das schmale Gesicht aus den schwarzen Hüllen hervor. Laut weinend küßte sie Margaret und Anna, Karl gab sie mit abgewandtem Gesicht die Hand, Reinhardt drückte sie zwei Myrtenkränze in die Hand und schluchzte: »Für Sie und Karl! – Ich passe wohl nicht hierher, aber ich mußte kommen. Nehmen Sie die Kränzchen, zum Zeichen, daß Sie mich nicht verachten. Nehmen Sie – es wird mir ein Trost sein in der Stunde, da er und Margaret vor dem Altar stehen. Verzeiht und denkt an mich!« – Damit war sie auch schon wieder verschwunden.

Weinend befestigten die Bräute die Myrtenkränzchen, und Karl sagte, während er sich die Augen wischte: »Margaret – daß du mir das Kränzchen anheften kannst und daß ich es tragen darf, das macht mein Glück voll. Und Lina ist ja schon unsere Schwester, von heute an aber wollen wir sie auf den Händen tragen und unsern Teil dazu tun, daß sie auch noch glücklich wird!«

Der Herrnbauer rief nach dem Ehrenpokal. Er war sehr hager geworden, und sein dünnes Haar silberweiß. Golden glänzte der Sonnenschein herein, lag schimmernd auf Tischen und Fußböden, die Blätter der Birken flüsterten leise: sonst war es tief still in der Stube und im Haus. Der Schulbauer füllte den Pokal bis an den Rand; kaum war er damit zu Ende, so begannen die Glocken zu läuten. Mühsam, von seinem Schwager unterstützt, erhob sich der Hausherr, nahm sein Käppchen ab, faltete die zitternden Hände und sagte: »Das walte Gott! Mit demütigem Herzen bekenne ich: Gott hat alles wohlgemacht! Ohne das Leid und den Jammer hätte ich dich, Fritz, nimmer zum Sohn bekommen, wurdest du gleich mein Tochtermann, und auch dich, Karl, hätte ich niemals geachtet, wie du es verdient. Mit Freuden gebe ich euch meine Töchter, ich weiß, ihr werdet sie in Ehren halten. So segne euch der allmächtige Gott, wende gnädig allzuviel Leid, allzu schwere Prüfungen von euch und verleihe euch Beständigkeit. – Mein Gott! erhöre mich, segne die Kinder! Amen! – Komm, Mutter! Zum letztenmal stehen wir hier als Hausmutter und Hausvater – in wenig Minuten zieht der neue Herrnbauer ein – Gott segne ihn! – Mutter, trinke mir den Ehrenbecher zu – so! Meine Kinder! Ihr lieben Gäste! – der letzte Trunk, den ich als Herrnbauer aus dem Ehrenpokal tue, gilt dem Wohl meiner lieben Kinder! Gebe Gott, daß ihr, Fritz und Karl, dereinst mit gleicher Freudigkeit das Hausregiment euren Kindern übergebt! das walte Gott!«

Die Glocken klangen zu den offenen Fenstern herein, während der Becher stille reihum ging! Als er leer auf den Tisch zurückkam – auch die Dienstboten waren von dem Reihetrunk nicht ausgeschlossen worden – sagte der Herrnbauer: »In Gottes Namen! Der Herr segne euren Ausgang und Eingang!«

Er winkte den Schulbauer neben sich und schritt, wenn auch mühsam, mit ihm voraus; das Käppchen behielt er in der Hand, auf seinem Gesicht lag ein wunderbarer Glanz. Ihm folgten die beiden Brautpaare, dann ordnete sich zwanglos ein langer Zug. Im Hof war es längst lebendig geworden, außer den Zuschauern erwarteten hier die festlich geschmückten, von Robert Schulz geführten Schüler ihren geliebten Lehrer. Alle Kinder trugen Maiblumen und Birkenzweige, die sie dem Brautpaar auf den Weg streuten. Unter den Klängen eines Marsches bewegte sich der Zug durch die über Nacht entstandene Birkenallee nach der Kirche; in das Geläute mischte sich ein ununterbrochenes Gewehrfeuer, das oft zu wahren Salven anschwoll.

Auf der Dorfstraße schloß sich ein zweiter Hochzeitszug an: die Schulzenmarie und der Schäfersfrieder. Unter ihren Begleitern befand sich zum allgemeinen Erstaunen auch der Fuchsmüller. Sauber gekleidet war der wunderliche Alte, rasiert hatte er sich jedoch nicht, und aus der Tasche seines langen Rockes guckten neugierig seine Pfeifenspitze und die Schnüre seines Tabaksbeutels hervor. Das Erstaunen wurde noch größer, als der Justizrat dem Alten die Hand reichte und ihn neben sich zog. Vor der Kirche trat er aus dem Zug, setzte sich gemächlich auf die Kirchhofsmauer und pampelte mit den Beinen. Bald stand sein Stummel in voller Glut, und während er manchmal nach dem »Ja« der Brautleute horchte, konnte er es nicht unterlassen, die ihn umdrängenden Weiber und Kinder durch abscheuliche Fratzen zu erschrecken. Auf der Mauer sitzend, erwartete er die Rückkehr des Hochzeitszuges; ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen oder das Pampeln seiner Beine einzustellen, reichte er von seiner Höhe herab den jungen Ehepaaren die Hand mit der Mahnung, den Unverstand des Lebens so gescheit wie möglich zu tragen.

»Vorwärts, Herr Gleichmann!« rief ihm der Justizrat zu. »Was sitzen Sie auf der Mauer wie ein hungriger Spatz? Vorwärts! – zum Schmaus! Ich werde Sie später aufsuchen, um ein Stündchen mit Ihnen zu verplaudern!«

»Obligiert – aber die Fuchsmühle liegt doch zu weit ab!« nickte der Alte und krabbelte auf die Erde. »Nä – für 'nen alten Spatz wie ich, ist's vorbei mit Lust und Freude. Hab' dem närrischen Ding, der Marie, den Willen getan und bin mit ihr bis an die Kirche; nu' ist's gut, und ich kriech' wieder in mein Nest. Allerseits viel Vergnügen!«

Damit machte der Alte linksum und steuerte durch den dichtesten Menschenschwarm dampfend seinem Altenhause zu. –

Was soll nun noch viel berichtet werden? Die Hochzeit wurde still und einfach gefeiert; nur die vertrautesten Freunde waren geladen. Desto lebhafteres Treiben entfaltete sich unter den Birken im Herrenhof. Dort wurden zuerst die Kinder, dann die Armen gespeist; Tische und Bänke wurden nicht einen Augenblick leer.

Am Abend gab die Gemeinde den Brautpaaren einen Ball, der zugleich als offizielles Friedens- und Versöhnungsfest galt. Solch' fröhliches Fest hatten die Räume wohl noch nie gesehen. Die einzige Störung verursachte das baldige Verschwinden des Lehrerpaares; sobald es bemerkt wurde, machte der Blümlesschuster den Vorschlag, dem jungen Ehepaar eine »Ehre« anzutun, einen Fackelzug und ein Ständchen zu bringen.

»So ist's jeeecht!« schrie der Bergkasper. »Nun wi'd die Sach' uthientisch!«

Schon wurde allgemein zum Aufbruch gerüstet, da stieg der Justizrat im Saal auf einen Stuhl, winkte Schweigen und rief: »Im Namen unseres Freundes Reinhardt und seiner jungen Frau danke ich für die Teilnahme, die ihr ihnen bewiesen. Den Fackelzug und das Ständchen aber laßt sein, das störte den Ball allzusehr, und wir sind ja alle hier, uns recht vergnügt zu machen. Reinhardt nimmt gewiß den Willen für die Tat und ist euch dankbar, wenn ihr euch nicht stören laßt. Ihr wißt, wie es ihm Freude macht, wenn die Leute recht fröhlich sind!«

»Sell ist richtig!« schrie der Mäurerslang. »Der Herr Justizrat hat's getroffen, das weiß ich, denn ich bin mit dem Herrn Schulmeister absonderlich spezial und kenne ihn inwendig und auswendig wie meinen Hosensack, denn ich bin auch ein Mann von Kopf. Drum sag' ich selber: Dageblieben bleiben wir, pumptum! Aufgespielt, Musik! 'nen anmutigen Walzer! Wenn's der Herr Justizrat erlaubt, hol 'ich die Frau Justizräten! – ich weiß auch, was sich schickt, denn ich bin ein Mann von Kopf! Hurra, juhch!«

»Recht so!« lachte der Justizrat. »Ehe ihr aber den Tanz beginnt, stimmt ein: ein Lebehoch dem Lehrer Reinhardt und seiner jungen Frau!«

Und ein »Hoch« brauste auf, das selbst die Trompeten und Posaunen nicht zu übertönen vermochten; es brauste hinaus durch die offenen Fenster in die stille Sommernacht und umflutete das dunkle, schweigende Schulhaus, auf welches die ewigen Sterne niederfunkelten, während verheißungsvoll im fernen Osten der erste Schimmer des Morgenrotes aufglühte.


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