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Vierzehntes Kapitel

Es war am Sonntagnachmittag. Drunten in Bergheim läutete es zum Mittagsgottesdienst, und ein leiser Lufthauch trug die Klänge bald voll anschwellend, bald leise verhallend über die wallenden Saatfelder dahin, bis zu den beiden Mädchen, die von der Höhe des Feuerhügels nach dem Dorf zurückblickten und dem Geläut lauschten.

Glühend brannte die Sonne vom wolkenlosen Himmel, allein ein sanfter Wind milderte die Glut und kühlte die heißen Wangen der Mädchen, die langsam auf schmalem Rainweg durch die sonntagsstillen Felder schritten. Als dieser in ein heiteres Wiesentälchen auslief, ließ die Herrnbauersmargaret die Schwester an die Seite kommen, betrachtete sie forschend, während sie zwischen den Heuhaufen hinschritten, und sagte endlich kopfschüttelnd: »Anna – Mädle! – was ist doch mit dir? Ist dir's angetan oder bist du verliebt? Ich kenn' dich schier nimmer! So warte doch – ganz richtig, so ist's, seit dem zweiten Pfingsttag bist du wie ausgewechselt! Red', was ist mit dir? Meinst, ich merk' nicht, wie du nachts heimlich weinst? Und gehst du nicht auch am Tag 'rum, als warst du auf den Herrgott seine Leiche geladen? Sag's, was ist dir geschehen? Gesteh's nur, du hast dich in den Schulmeister verguckt!«

Anna fuhr zurück: um die Glut zu verbergen, die ihr ins Gesicht schoß, bückte sie sich rasch nach einer Karthäusernelke am Wege und sagte anscheinend ärgerlich: »Geh! wie magst du so dumm schwätzen?«

»Was? Bist du nicht über und über wie mit Blut übergossen? Gelt, ich hab's getroffen? Mach' nur keine Umständ' – gleich gesteh's!«

»Was, willst du mich etwa zwingen?« rief Anna und richtete ihre Augen so fest auf Margaret, daß diese zu Boden blickte. »Doch nein! Komm, sei gut, Margaret, und laß mich in Frieden. Wo hätte ich mich auch in den Schulmeister vergucken sollen, da ich kaum drei-, viermal mit ihm redete? Überdem, hat er nicht einen Anhang in der Stadt?«

Margaret war offenbar nicht überzeugt, doch war nicht Zeit zur Erwiderung, nahebei leuchteten schon die Dächer des Ditterswinder Schäfershofes durch die Büsche; sorgsam strichen die Mädchen Haar und Schürze zurecht, dann schritten sie mit sittsamen Schritten dem Haus zu.

Der weite, im Sonnenbrand glühende Hofraum war wie ausgestorben: die rastlosen Hühner hatten den Mistpfuhl verlassen und sich im heißen Sand eingegraben, sogar der Kettenhund seinen Platz vor der Haustür aufgegeben und sich tief in das Stroh seiner Hütte verkrochen. Tiefe Stille herrschte, nur aus den Ställen tönte zuweilen leises Kettenrasseln und Brummen des Viehes.

Am Brunnen neben der Scheune netzten die Mädchen die Lippen und gingen dann schüchtern ins Haus. Auch hier tiefe Stille. Die helle, große Stube war leer, nur die Fliegen summten im Sonnenschein, und in der Nebenkammer wurde gewaltiges Schnarchen laut. Schüchtern setzten sich die Mädchen auf die Ofenbank gleich neben der Stubentür, verlegen blickten sie sich an, als fast eine Viertelstunde verging und in dem weiten Gebäude – außer dem Sägen und Raspeln in der Kammer – kein Laut sich regte.

Endlich klapperten Pantoffeln auf der Treppe, gleich darauf trat die Bäuerin, eine kleine runde Frau mit einem pockennarbigen, dabei freundlichen roten Gesicht und hellen unruhigen Augen, in die Stube. Beim Anblick der Mädchen hätte sie fast einen Bündel hausgemachter Leinwand zu Boden fallen lassen, doch bezwang sie ihr Staunen, legte ihre Last ab und führte mit vielen Komplimenten die »Bäsle« aufs Kanapee.

»Heiland der Welt! das ist doch drüber 'naus!« rief sie, da dicht nebenan das Schnarchen in Wahrheit fast die Wände zittern machte, und verschwand durch die Türe. Das Schnarchen brach plötzlich ab; nach langem Gähnen, während die Bäuerin eifrig aber leise redete, brummte eine rauhe Stimme: »Ei, so schwätz'! Meint man nicht, der Herrgott in Person wäre einkehrt? 's sind doch auch keine Wundertier', die Mädle?«

»Ob du gleich 'neingehst und manierlich bist, du alter Borstigel, du!« zankte die Bäuerin leise. »Du denkst auch gar nichts! Ist nicht der Frieder wieder ledig? und gibt's eine bessere für ihn wie die Herrnbauersanna?«

Anna, die jedes Wort verstanden, drückte zitternd den Arm der Schwester an sich und flüsterte: »Ach, Margaret, komm, wir wollen fort!«

»Was denn!« lachte diese. »Sei nicht dumm. Laß die Alte immer schwätzen, mit dem Frieder werden wir schon fertig. Wär' mir 'ne schöne Sache: heut' einen Verspruch rückgängig gemacht und morgen neues Handgeld ausgegeben! Nein, Bas'! da müssen wir auch drum gefragt werden! – Sei nur still, Anna, und laß mich machen!«

Bedächtig schob sich der Bauer, eine untersetzte, vierschrötige Gestalt, herein: brummend gab er den Mädchen die Hand, dann ließ er sich schwer in den Sessel fallen. »Hör', Alte,« murrte er, »von deinem Schwätzen werden die Bäsle weder satt noch froh, und mir ist die Zunge auch salztrocken. – Ach, bleib mir bei der Hitz' vom Leib mit deinem Kaffee! – Geh', hol' 'nen Krug Bier und Käs' und Brot, das ist doch ein richtig's Essen!«

Eilfertig watschelte die Bäuerin hinaus, schalt auf die verschlafenen Dienstboten, schickte die Kleinmagd nach dem Frieder aus und klapperte endlich die Kellertreppe hinab. Der Bauer fragte unterdes die Mädchen aus, wie es daheim stehe, und schob sie ohne Umstände an den Tisch, als die Bäuerin Bier und Brot bereitstellte. Heimlich hatte die Alte in der Küche noch eine eifrige Unterredung mit Frieder, ehe sie ihn an den Tisch führte und nötigte, neben Anna Platz zu nehmen. Die Angst des Mädchens gefiel ihr sehr wohl, zufrieden nickend, dachte sie: »Ist kein unebnes Mädle, gut gezogen, weiß, was sich schickt, ziert sich – meiner Treu! – als wär's ihr Ernst mit dem Erschrecken. Na, du sollst erst noch Augen machen!«

Die Mädchen drängten zum Aufbruch, dagegen erhob jedoch die Bäuerin energische Einsprache: sie tat es nicht anders, die Mädchen mußten ihr durchs ganze Haus folgen. Da gab es viel zu bewundern – die Schäfersbäuerin konnte ihren »Haushalt« wohl sehen lassen. Allein Anna gefiel ihr nun doch weniger, sie war gar so »verzagt«, hatte gar kein »Mundwerk«, zeigte gar so wenig Erstaunen und Freude. – Das arme Kind! sie hätte die Hände ringen und laut aufweinen mögen; die aufgetürmten Betten, die endlosen Laden voll Leinen, die Kammern voll Flachs – ach, sie drohten ja ihr Lebensglück vollends zu begraben. Immer ängstlicher zupfte und mahnte sie die Schwester, daß diese endlich Mitleid empfand und in ihrer bestimmten Weise erklärte: »Wir sind der Bas' recht dankbar für die Ehr', aber die Eltern haben uns nach halbflüggen Gänsen ausgeschickt, und da im Schäfershof keine zu haben sind, müssen wir weiter fragen, daß wir zur rechten Zeit heimkommen.« Alle Bitten blieben fruchtlos, nach kurzem Abschied verließen die Schwestern den Hof. Frieder schien sie geleiten zu wollen, allein Margarets spöttische Frage, ob er sich für die Zukunft vielleicht auf den Gänshandel legen wollte, hielt ihn zurück.

Kopfschüttelnd blickte die Bäuerin den Mädchen nach und hatte ihre Gedanken. Die Anne ist doch ein recht zimpferliches Dingle; die Margaret gäb' freilich eine andere Bäuerin! – Ihrem Alten sagte sie davon jedoch nichts; sie sah ihm an, wie er in Gedanken schon rechnete, welches Vermögen durch diese Heirat zusammenkomme; als ihr einfiel, daß die Anne ja auch die Pate des kinderlosen Sülzdorfer Schulbauern sei, wurde sie fast gerührt über ihren klugen Einfall von vorhin. War die Anne auch noch nicht, wie sie sein sollte, was schadete das? Kam sie nur erst in ihre Gewalt, dann lag es ja in ihrer Hand, dem Mädchen das »zimpferliche Getu'« abzugewöhnen. – Der Bauer war unterdes mit seiner Rechnung ebenfalls zu Ende gekommen. Dreimal öffnete und schloß er die rechte Faust, dann ließ er sie schwer auf den Tisch fallen, das hieß: fertig und in Ordnung, punktum! Zur Bäuerin sagte er bloß: »Auf den Herbst wird die rechte Zeit zur Hochzeit sein!«

Anna war trostlos, nur mit Mühe bewahrte sie in den Dörfern ihre Fassung: selbst Margaret schüttelte oft heimlich den Kopf und war entfernt nicht so zuversichtlich, als sie sich stellte. Frieder war als einziger Sohn Erbe eines der schönsten Höfe der Gegend – warb er im Ernst um Anna, so war vorauszusehen, daß der Vater ihn nicht abweisen würde. Zwar wußte sie, der Vater hatte seine Mädchen gern, er war im Ernst darauf bedacht, sie glücklich zu machen. Aber das Glück bemaß er eben nach seinen Ansichten; und glaubte er einmal das Rechte getroffen zu haben, dann brachte ihn keine Macht der Welt von seinem Willen ab. Schlimm war überdies, daß der Schäfersbauer durch die gewaltsame Art, wie er sich vom Schulzen und seinem Anhang losmachte, den Vater für sich eingenommen hatte. – Nachdenklich schritten sie dahin und bemerkten nicht, wie in den Erlenbüschen der Wertha verborgen ein Bursche jeden ihrer Schritte belauschte und ungeduldig ihr Kommen erwartete. Erst als sie von der Landstraße in den Fußpfad, der über die Wiesen nach Altenhausen leitete, einbiegen wollten, bemerkten sie den Lauscher, freilich zu spät, um ihm auszuweichen, denn mit freundlichem Gruß trat ihnen der Schäfersfrieder in den Weg.

Anna prallte erbleichend zurück, Margarets Wangen dagegen färbten sich hochrot, zornig blitzten ihre Augen, als sie Frieders Hand heftig zurückstieß und an ihm vorbeieilen wollte.

»Nu, nu!« machte Frieder verblüfft. »Was ist denn das? Tust ja, als war' ich vergiftet!«

»Ein Juckermännle bist du nicht, sonst warst du mir lieber!« entgegnete Margaret. »Kämst du mir in den Weg, biß ich dir den Kopf ab. So – weißt jetzt, wie du mit uns dran bist – geh aus dem Weg!«

»Ha, potz Schlapperment! Du Maulfixerle, was Hab' ich mit dir zu schaffen? Meinst, ich hätt' mich deinetwegen in die Büsche gestellt?«

»Wollt' dir's auch übel gesegnet haben! Im übrigen ist's Haux wie Maux, ob du mir oder meiner Schwester auflauerst, jedes ehrliche Mädle hat darüber das Recht, dir zu sagen, was du bist. – Pfui Teufel, Frieder! bist mir ein fein's Blümle! Ist das 'ne Manier? Hast's schon vergessen, was du der Schulzenmarie zugeschworen? War dir am Ende gar damit gedient, daß dein Alter den Verspruch rückgängig machte – he? Und nun meinst du wohl, du brauchst nur ein Mädle anzugucken, brauchst dich nur in die Büsche zu stecken, so wär's schon wieder fertig, und die Mädle müßten noch die Finger nach dir lecken, wenn du auch alle Tag' eine sitzen lässest? O du trauriger Kalfakter, du! Mach', daß du uns aus den Augen kommst, und laß dir nicht gelüsten, der Anna nachzugehen – du wirst ihr ansehen, welche Freude sie an dir hat! – laß dir nicht gelüsten, sage ich, es könnt' dir übel ausschlagen. Halte dich an deinesgleichen, so bist du niemand im Weg, und dir schlagt nichts fehl!«

Frieder kraute sich unter der Mütze die Haare und schaute sehr betreten den davoneilenden Mädchen nach. Margaret hatte der Zank gut getan, sie hatte sich den Unmut vom Herzen gesprochen, anders Anna. Auf alle Trostgründe der Schwester schüttelte sie traurig den Kopf. »Ach, ich gehe schweren Zeiten entgegen, ich weiß es. Aber den Frieder nehme ich nicht, und wenn ich darüber zugrund' gehe.«


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