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Siebzehntes Kapitel

Inhaltsangabe des Herausgebers. (Reinhardt wandert nach der Hauptstadt, um auf die Bitte seines Freundes Braun bei der Taufe von dessen Söhnchen Patenstelle zu vertreten. Seine Mitpatin ist Mathilde Werner. Diese hat sich inzwischen durch ihr würdeloses Kokettieren gesellschaftlich so unmöglich gemacht, daß ihr für die Zukunft keine andere Aussicht mehr bleibt, als sich mit dem Manne, der sich allein noch um ihre Gunst bemüht, mit dem ihr Wesensverwandten Lehrer Reuter zu verbinden. Sobald sich dieser seiner Sache sicher weiß, entpuppt er sich auch ihr gegenüber als kaltherziger und rücksichtsloser Egoist. In der Angst vor dem ihr bevorstehenden Schicksal hat sie den verzweifelten Entschluß gefaßt, den ihr seit der Thüringer Reise durch einen recht unerquicklichen Briefwechsel immer mehr entfremdeten Reinhardt bei Gelegenheit des Tauffestes aufs neue an sich zu fesseln. Das Mittel, das sie dazu wählt, verfehlt aber seinen Zweck völlig: durch die leidenschaftlichen Vorwürfe, mit denen sie ihn unter hysterischen Weinkrämpfen überhäuft, stößt sie ihn nur noch mehr ab: in kühler, überlegner Ruhe erklärt er seine Beziehungen zu ihr für endgültig gelöst. Wenige Tage darauf veröffentlicht sie ihre Verlobung mit Reuter.)


»Anna – was ist das? – Bleib doch! – Was hast du gegen mich? Habe ich dich gekränkt? – Bleib doch!« So rief Reinhardt am Abend eines heißen Sommertags über die Hecke des Herrnbauerngartens dem schlanken Mädchen nach, das hastig dem Hause zufloh.

Hinter den gewaltigen Scheuern und dem Wohnhaus des Herrnhofs zog sich ein rings von dichten Hecken umschlossener Obst- und Grasgarten bis hinaus an die Feldflur, durch welche sich der Sülzdorfer Kirchsteig als schmaler Fußpfad schlängelte, der an der einen Hecke des Gartens entlang in den Herrnhof und das Dorf leitete. In der äußersten Ecke, dort, wo der Kirchsteig sich zwischen die Hausgärten verliert, war in der Hecke eine Linde schlank aufgeschossen und unter ihren weit ausgebreiteten Ästen hatte der Herrnbauer eine Bank errichtet. Anna und Margaret verbrachten hier manchen Abend. Heute war Anna allein zur Linde gekommen, da Margaret noch im Haus schaffen mußte. Müde von des Tages Hitze hatte sie sich an den Stamm der Linde zurückgelehnt, die Hände mit dem Strickzeug ruhten müßig im Schoß, und träumerisch hingen die Blicke in den Baumwipfeln, durch welche das Abendrot herableuchtete.

So versunken war sie, daß sie näher kommende Schritte überhörte; um so heftiger fuhr sie zusammen, als ihr eine wohlklingende Stimme einen guten Abend bot. Nur einen Augenblick blickte sie in das Gesicht Reinhardts, das über der Hecke auftauchte – und wie ein gescheuchtes Reh floh sie dem Hause zu.

Die Worte des Lehrers hemmten ihren eiligen Lauf; wie mit Blut übergossen, kehrte sie langsam zurück. Als sich nun Reinhardt wirklich entfernen wollte, sagte sie leise: »Ach, Herr Lehrer, was werden Sie von mir denken, daß ich wie ein Kind davonlief? Verzeihen Sie meine Unart – ach, es ist dumm, aber ich kann nicht dafür! – wie ich

Sie auf einmal über die Hecke hereinblicken sah, da konnt' ich nicht anders, ich mußte auf und davon!«

»Hm! Du warst doch sonst nie so zaghaft! – Gesteh's nur, du hast einen Widerwillen gegen mich.«

Anna rang heimlich die Hände, wie hilfesuchend blickte sie um sich. Leise zitternd flüsterte sie: »So kommen Sie herein, überzeugen Sie sich, wie unrecht Sie mir tun!«

Fritz kam langsam näher, freundlich lud Anna ihn ein, neben ihr Platz zu nehmen. »Meine Torheit ist mir leid genug! Nicht Ihretwillen lief ich davon! Ach, Herr Lehrer, ich bin so bekümmert – gerade heute lag es mir so schwer auf dem Gemüt, als ich so einsam im stillen Garten saß, ich konnte mir nicht helfen, ich mußte weinen. Meine Tränen zu verbergen, sprang ich auf.«

Reinhardt blickte prüfend auf das Mädchen, die schluchzend das Gesicht in die Schürze verhüllte. Leise den Kopf schüttelnd meinte er: »Dann muß ich die Störung doppelt bedauern. Erlaube, daß ich mich entferne!«

Anna kämpfte sichtlich mit sich. Plötzlich ließ sie die Schürze sinken, trocknete die Augen und sagte hastig: »Nein, bleiben Sie! Es wird mir gut tun, kann ich einmal mein Herz erleichtern, und Ihnen darf ich ja trauen.«

Anna spielte unruhig mit ihrem Strickzeug, zögernd begann sie: »Gar mancherlei ist's, was mich drückt, und ich weiß fast weder wo anfangen noch aufhören. Da ist zuerst der Unfriede, die Zwietracht im Dorf. Die Liederlichen sind obenauf, der Holsteiner führt im Wirtshaus das große Wort, daheim prügelt er Mutter, Frau und Kinder. Auf der andern Seite tun die Frommen, der Vater nicht ausgenommen, schön mit dem Uhrmacherle, da doch vorher niemand mit dem falschen Menschen umgehen mochte. Und wenn es dabei noch bliebe, aber die Zwietracht kommt auch in die Häuser und Familien. Schon sind die Beckenleute, sonst das friedfertigste Ehepaar, gänzlich auseinander, und – o mein Gott! – wie es bei uns steht, davon will ich gar nicht reden! Daneben ist kein Brautpaar seines Glückes nur einen Augenblick sicher; reißen die Eltern das Paar nicht auseinander, machen sie sich selber voneinander los. Und warum das alles? – O Herr Lehrer, ich schaudere, wenn ich täglich hören muß, daß all das Unrecht um des Glaubens willen geschehen soll!« – –

Als Reinhardt nachdenklich auf das Mädchen blickte und schwieg, fuhr sie fort: »Es ist nicht allein der Krieg im Dorf, was mir so schwer auf dem Herzen liegt: Mein Kummer ist, daß die Männer, die allein dem Unfug steuern könnten, stumm und still dem unseligen Treiben zusehen. – Ja, Herr Lehrer,« rief Anna aufspringend, »ich kann und will es nicht leugnen: was mich oft zur Verzweiflung bringt, das ist die Art, wie Sie und der Schulbauer sich zu dem Streit stellen. Antworten Sie mir: wie können Sie und er so gleichmütig mit ansehen, daß das ganze Dorf aus Rand und Band kommt? Mein Gott! mein Gott! Wissen Sie, wie man im Dorf über Sie und den Schulbauer urteilt? – Ach, ich habe mich gewehrt aus allen Kräften, ich habe euch entschuldigt und verteidigt, wie ich wußte und konnte. Wie aber Woche um Woche verging und ihr beide euch nicht rührtet noch regtet, – da quoll es auch mir heiß auf. Wissen Sie, wie man im Dorf über Sie und den Schulbauer redet? – Scheinheilige Duckmäuser werdet ihr genannt, verschlagene Spitzbuben, die den Trubel benützen, um für sich im trüben zu fischen! – O mein Gott, daß ich Ihnen das sagen muß! Aber ich kann es nicht länger zurückhalten! An was soll ich glauben, wenn ich auch am Schulbauer und an Ihnen irre werden sollte? – Reden Sie, Herr Lehrer! Wie soll ich Ihr Stillschweigen deuten?« –

Reinhardt war längst aufgesprungen – antworten konnte er nicht, lautes Schelten und Weinen unterbrach ihn.

Es waren Margaret und Beckenkarl, die soeben unter den Bäumen sichtbar wurden und langsam näher kamen.

»Nein, nein!« weinte Margaret. »Ich kann deinem Treiben nicht länger still mit zusehen! Vor Gott und meinem Gewissen könnt' ich's nicht verantworten, wollt' ich dich in deinen Sünden gewähren lassen. Ich hab' dich lieb, von Herzen lieb, Gott weiß es, drum eben muß ich dir die Wahrheit sagen, so schwer mir's auch wird!«

»Ist mir die rechte Lieb', die den andern umsonst quält und plagt!« lachte Karl rauh auf. »Zum Teufel auch, was hat meine Meinung über Religionssachen mit deiner Lieb' zu tun?«

»Ach um Gottes, Jesu Christi willen! – so weit ist's mit dir? das kannst du sagen! Gott im Himmel! ich trag's nicht! Soll ich dich für einen gänzlich verlornen Menschen achten?«

»Verlornen Menschen – warum sagst nicht gleich verdammten dazu?« brauste Karl auf. »Du bist eine gelehrige Schülerin, an dir muß der Pfaff' seine Freude haben, ist's doch, als hört' ich ihn selber reden! – Aber nun merk' auf, Margaret! Ich hab dich auch gern; deinetwegen könnt' ich Haus und Hof und alles lassen, was mir lieb und teuer ist, – nur eins kann ich nicht, Margaret! Ich kann nimmer glauben, was in der Bibel steht und was uns die Pfaffen vorschwätzen! So ist's und so bleibt's, Margaret; darum, wenn du mich gern hast, laß mich in Frieden! – Gefällt mir dein Glaube? Meinst, es wäre mir nicht auch lieber, du kämst endlich zur Vernunft, würfest endlich den verrückten, abergläubischen Kram von dir? Und mache ich dir deswegen Vorwürfe, dringe ich gewaltsam in dich, daß du meinetwegen deinen Glauben ändern sollst?«

»Daß sich Gott im hohen Himmel erbarm'! Wenn du dich nicht mehr der Sünden fürchtest, schämst du dich wenigstens nicht, mir so was ins Gesicht zu sagen? – Geh, du bist ein verdorbener, verworfener Mensch! Darfst du deinen sündhaften Unglauben an die heilige Religion rechnen? Und ich seh's kommen, wie du mich umgarnen möchtest mit den Praktiken des Jockenhannes, um auch mich mit ins ewige Verderben zu ziehen! – Aber das soll dir nicht gelingen, nie und nimmer!«

»Margaret, Margaret! Sieh dich vor, daß du das Seil nicht zu scharf spannst! Ich lasse mir viel gefallen, allein meine Geduld hat auch ihre Grenzen!«

»Und meine ist zu End', ganz und gar!« weinte Margaret außer sich. »Solch' Wesen kann ich nimmer mit ansehen! Was? Soll ich mein Gewissen beschweren, weil ich einen Menschen gern hab', der die heilige Religion lästert, den schon die Kinder auf der Gasse einen Gottesleugner schelten? – Ich sage dir, ich leid's nimmer, daß du die Kirche und die heiligen Sakramente verachtest; ich leid's nimmer, daß du der ganzen Gemeinde ein Ärgernis gibst durch deine zuchtlosen Reden; ich will's nimmer leiden, daß du dem Jockenhannes anhängst, dem erbärmlichen Menschen, der nicht wert ist, daß ihn Gottes Sonne anscheint, der von jeher unser Feind und Widersacher war.

Und nochmals sag' ich, wenn du nicht sofort umkehrst, so – –«

»Und was dann? Red' aus, was dann?« schrie Karl mit vorgebeugtem Leib und blitzenden Augen, als Margaret, wie erschrocken vor den eignen Worten, stockend schwieg.

»Margaret, Margaret! – was machst?« rief Anna händeringend, die mit Fritz unbemerkt näher gekommen war. Fritz legte seine Hand auf Karls Schulter und sagte besänftigend: »Was ist das? Karl – besinne dich!«

»Ha – du?« rief Karl und fuhr nach dem Lehrer herum. »Du – hier? – du bei der Anna? – Was hast du hier zu suchen? Was sind das für neue Heimlichkeiten?«

»Karl – komm zu dir, werde vernünftig!«

»Vernünftig? – Ho, ho, Schulmeisterle! Die Zeiten, da ich dich für was estimierte, sind vorbei! Ich habe dich hinterkommen, kenne deine Schliche, und vor mir magst du dich in acht nehmen!«

»Ich verstehe dich nicht! – Was soll das heißen?«

»Was das heißen soll? – Das soll heißen: nimm dich in acht! ich kenn' dich, und es kennen dich noch mehr! – Lügner, du! Der du glatte Worte machst nach allen Seiten, daß man wirklich meinen könnte, es wäre dir nur um Wahrheit und Gerechtigkeit zu tun! Geh mir aus dem Weg, nimm dich in acht, ich reiß' dir noch das Lügenmäntele ab, verlaß dich drauf!«

»Du bist sinnlos!« rief Fritz dazwischen. »Weißt in deiner Tollheit nicht, was du redest!«

»Sinnlos! – toll! – ja, ich bin's und ich will's sein! Zum Teufel mit der hinterlistigen, feigen Schleicherei, die sich nirgends ein herzhaft' Wort zu reden getraut, nur im Verborgenen hetzt und schürt, rechtschaffenen Menschen Ehr' und Reputation abschneidet –«

»Karl – halt ein! Vergiß nicht, daß ich mich auch von einem früheren Freund nicht beschimpfen lasse!«

Karl schlug vor Reinhardts Blicken die Augen nieder und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Plötzlich rief er mit rauher Stimme: »Schon gut! was hab' ich heute auch mit dir zu schaffen? Wir treffen uns, und dann wird sich zeigen, was dein Tugendmäntele verbirgt. – Jetzt, Margaret, höre du mich – laß das Heulen und sieh mich an. Potz Himmel und Hölle! ich will das Geflenne, das Geträtsch und das Getue nicht länger ertragen. Ich bin kein Heuchler und Schleicher! Ich glaub' einmal nicht mehr an den Pfaffenbetrug und an die Pfaffenlügen, will nicht länger den Narren und Pudelhund machen – frei will ich sein! Und die Wahrheit will ich bekennen vor allen Leuten! Und wem das nicht recht ist, der sag's – ich werde mich nicht aufdrängen!«

Ein Jammerruf unterbrach ihn. Margaret war auf die Bank gesunken, verbarg das Gesicht in ihre Schürze, ihr Körper zuckte unter den Stößen des wildesten Schmerzes; Annas Tröstungen hörte sie nicht. Jetzt sprang sie auf, stieß heftig die Schwester zurück und rief weinend: »Ich hab's lang geahnt, daß es so kommen würde; seit du dich mit dem Jockenhannes eingelassen, wußt' ich, daß unser Glück vorbei war. Frei willst du sein? – Geh, ich halte dich nicht! Mit einem Gottesleugner habe ich keine Gemeinschaft. Geh, du bist jetzt ein freier Mann, tobe und wüte gegen alles, was dir sonst heilig und teuer war – ich kenne dich nimmer. – Geh, wir sind geschieden!«

Karl erhaschte ihre Hand, allein Margaret riß sich los und eilte ins Haus. Mit weit geöffneten Augen starrte ihr Karl nach. Plötzlich warf er beide Fäuste in die Luft und schrie mit rauhem Gelächter: »Aus ist's! – Um des Pfaffen willen bin ich verstoßen – Pfaffenbetrug gilt ihr mehr als ich! – Aber es ist recht so, ganz recht ist's so! Nun endlich bin ich ein freier Mann. – Und nun soll der Tanz mit den Pfaffen und ihrem Gelichter erst recht angehen!«

Traurig blickte Reinhardt dem Fortstürmenden nach, als seine Schritte verklungen waren, wendete er sich an Anna, die halb von ihm abgewendet heftig weinte: »Bittere Vorwürfe mußte ich heute über mich ergehen lassen!« sagte er leise und trat ihr einen Schritt näher. »Zwar weiß ich längst, daß mich die streitenden Parteien des Dorfes hart anfeinden – aber daß auch ein ehemaliger Freund mich so beschimpfen kann, wie es eben geschehen, daß auch du, Anna, einstimmen kannst in die harten Beschuldigungen meiner Feinde, das tut bitter wehe! – Ich verzichte darauf, mich zu verteidigen. Nur das will ich dir sagen, dein Schulvetter und ich gehen nicht gleichgültig an der Bewegung vorüber. Da wir uns keiner Partei anschließen können, bewahren wir uns unsere Freiheit und Unabhängigkeit und halten unsern eignen Standpunkt fest: da wir jetzt noch schwach sind, stehen wir zurück, um uns nicht nutzlos zu verbrauchen. Vielleicht kommt eine Zeit, da man uns zu finden weiß und unsere anfängliche Zurückhaltung uns dankt. Bis dahin. Anna, müssen wir eben ertragen, verkannt und angefeindet zu werden: was wir vielleicht im stillen vorbereiten, den Sturm zu beschwören, wer achtet darauf? Anna, dein strenges Urteil hat mir sehr wehe getan; grade bei dir glaubte ich eines besseren Verständnisses sicher zu sein. Jetzt bitte ich dich nur, sei vorsichtig, damit du nicht ein vorschnelles Urteil bereuen mußt!« Mit kurzem Gruß verließ er den Garten.

Mit gerungenen Händen blickte Anna dem Lehrer nach: ein Schauer überrieselte sie, es ward ihr unheimlich im dämmernden, totenstillen Garten; langsam ging auch sie ins Haus zurück.

Leise hatte sie auf ihre Kammer schlüpfen wollen, allein die Mutter mußte sich nach ihr umgesehen haben, sie stand in der Hintertür des Hauses und winkte sie heran. »Anna sag', was ist um Gottes willen passiert?« rief sie der Tochter entgegen. »Kommt die Margaret ins Haus gestürmt, weiß wie ein Tuch, rennt am Vater und mir vorbei, als wären wir gar nicht auf der Welt, hört auf keinen Anruf, und jetzt liegt sie in den Kleidern auf dem Bett, redet und deutet nicht und weint, es ist zum Erbarmen. Was soll das bedeuten?«

»Was wird's sein? – Gezankt hat sie sich mit Karl, im völligen Unfrieden sind sie auseinander!« weinte Anna.

»Dacht' ich's doch! – Und was war's? – wieder wegen dem Glauben?« Als Anna nickte, setzte sich die Frau auf das Bänkchen neben der Tür, faltete die Hände und blickte mit feuchten Augen zum Himmel. »Mein Gott! was sind das für Zeiten? Irr und wirr wird man, die ganze Welt ist verdreht, alle Dinge sind auf den Kopf gestellt. Weißt schon, daß unser Hausmann seinen Hansmichel verflucht und verstoßen hat, da er nicht von der Jockenpartei lassen will? – Ach – ich bin noch ganz hin! Mit Not habe ich Vater und Sohn auseinander gehalten, allein was ich gut machte, verdarb dein Vater, der den Hausmann immer von neuem aufhetzte. So warf zuletzt der Hausmann den Hansmichel, den braven, tüchtigen Burschen, vor die Tür, verbot ihm mit harten Flüchen, je wieder vor sein Angesicht zu kommen. – Und das nennen sie Glauben! Anna, mir zittern alle Glieder – dein Vater ist nicht wieder zu erkennen, flucht wie ein Heide, niemand darf ihm nahe kommen! Und weißt du, daß die Beckenbäuerin nun wirklich nach Dammsbrück zu ihren Eltern ist? Weißt du, daß der Holsteiner seine alte Mutter prügelte, weil sie in der Bibel las und vom Beten nicht lassen will? – O Gott! Und so ist's nun wirklich aus zwischen der Margaret und Karl? – Ach, mein armes Kind! Und ich kann ihr nicht helfen.«

Sie zog Anna neben sich nieder, legte ihren Kopf an die Schulter des Mädchens und weinte. »Was werden wir noch erleben? Ach, die Angst will mir fast das Herz zersprengen! Auch der Schulvetter und dein Vater find wegen der Geschichte beim Hausmann hart aneinander geraten – Gott im Himmel, wenn auch da eine Feindschaft losbräche? – Sei still, Anna!« beschwichtigte sie, als das Mädchen zu zittern begann. – »Dich verläßt mein Bruder nicht! – Ja und noch eins muß ich dir sagen, Mädle, daß du dich nicht vergißt, hörst du's, an anderm Ort: mit dem Schulmeister seinem Anhang in der Stadt ist's nichts! Dem Schulbauer erzählt er, er sei mit dem Fräulein in der Stadt uneins 'worden; sie müsse seiner Liebe wohl auch nicht wert gewesen sein, denn noch am selben Tag habe sie sich mit einem Stadtlehrer verlobt!«

Mit einem Schrei fuhr Anna auf; ehe sich die Bäuerin besinnen konnte, war sie im Haus verschwunden.

Droben in der Kammer kniete sie an Margarets Bett nieder, zog die Jammernde an sich und flüsterte ihr schluchzend ins Ohr: »Laß uns zusammen weinen, Margaret, uns hat ein Schicksal betroffen. Ich hab' den Lehrer gern, schon lang' – aber erst seit Pfingsten weiß ich's! Und sein Anhang in der Stadt ist vorbei, und heut' hat er mich im Garten besucht, und ich hab' ihn auf den Tod gekränkt und für immer von mir gestoßen!«

 

Am selben Abend standen bei beginnender Abenddämmerung in dem einsam an der hintersten Ecke des Kirchbauernhausgartens gelegenen Backhaus zwei Männer in eifrigster Unterredung. Das leise Geflüster wurde allmählich lauter, und dem zwischen der Hinterwand des Backhauses und der hohen Fliederhecke verborgenen Lauscher entging kein Wort, ohne daß er nötig gehabt hätte, das Ohr an die weitspaltige Bretterwand zu drücken.

»Deine Unverschämtheit wird unerträglich!« zankte der Jockenhannes. »Meinst du, ich stehl' mein Geld, daß ich's nur so mit vollen Händen wegwerfen kann?«

»Du red'st immer nur von dem elenden Geld – von meinem Gewissen sagst du nichts!« jammerte der Uhrmacherle kläglich. »Ach Gottle, ach Gottle, mein Gewissen!«

»Verdammt auch! Laß endlich einmal das Gewinsel! Ich kann's nicht leiden, und mich betrügst du nicht! – Spar's auf für deinen Pfaffen!«

»Ja, du hast gut reden!« heulte der Uhrmacherle. »Was brauchst du nach dem Gewissen zu fragen? Du hast Geld und Gut die Hüll' und Füll'. – Hätt' ich's so. wollt' ich mich auch den Teufel um das Gewissen scheren. Aber so? Hunger leiden und sich vom Gewissen peinigen lassen! – ich dank' dafür. Und jetzt schaff' nur gleich Geld, daß ich mir auswärts auch einmal wieder 'nen guten Tag mach' und mein Gewissen vergess'. – Ach Gottle, ach Gottle! Ich bin ein räudiges Schaf im Schafstall des Herrn! Wenn der Herr Pfarrer gar so rührsam über die Verworfenheit und die ewigen Strafen redet, da wackelt mir das Herz im Leib, und der Teufel in mir brüllt auf und will 'raus, aber er kann nicht, und wer ihn hindert, das bist du – du verfluchter Mör– –«

»Daß dir der Donner und das Wetter in den Rachen schlage!« brüllte Hannes. »Wie oft habe ich dir verboten, du sollst nicht an das rühren! – Nimm dich in acht, es könnte dir einmal übel ausschlagen. Meinetwegen predige und plappere, soviel du willst, trag' auch dem Pfaffen zu, soviel du magst und kannst – nur reib dich nicht an mir und laß mich in der Pfarr' aus dem Spiel!«

»Du hast gut reden, du! – aber mein Gewissen! ach Gottle, ach Gottle. mein Gewissen!«

»Bleib mir mit deiner Narrheit vom Hals! – Da ist Geld! – Nun halt's Maul, komm mir in drei Tagen nicht wieder unter die Augen, verstanden? – Und merk's, was ich dir gesagt hab'!«

Kaum hatten die beiden das Backhaus verlassen, so rieb der Lauscher, es war der Wagnerspaule, vergnügt die Hände und brummte triumphierend in den Bart: »Endlich! Hab' lang' lauern müssen – nun hab' ich dich, Hannesle, nun bist du mein mit Leib und Seel'!« –

Im weiten Bogen umschlich er das Dorf: anscheinend harmlos kam er dann die Mergelgasse herab und traf den Jockenhannes vor seiner Haustür, da er eben ins Wirtshaus wollte. Ohne weitere Einleitung sagte Paule im Weiterschreiten: »Lärm in allen Ecken – der Rumor wird groß! Der Streit um den Katechismus ist ein erwünschter Anlaß, die Dummheit ins Werk zu setzen, die uns die Brummochsen für immer in die Hände liefern muß. Säume nicht – solche Karten kriegst du nicht wieder in die Hand.«

»Ist gut – ist gut!« nickte Hannes. »Aber wie denn – was denn?«

Ein unbeschreiblich verächtliches Lächeln zuckte über Paules Gesicht. »Du bist mir auch ein Held!« lachte er. »Mach' einen Skandal im Wirtshaus, daraus wird schon was erwachsen. – In der Geschichte wegen dem Herrnbauer habe ich auch festen Boden unter den Füßen. Fand da in der Gemeindelade eine alte Urkunde über den Ankauf der Schäferei vom ehemaligen Grundherrn. Ist freilich längst verjährt und außer Kraft, aber mit ein paar Änderungen, die nicht schwer zu machen sind, und die ich gegen gute Bezahlung auf mich nehme, kann's nicht fehlen, die Habsucht des Herrnbauern – vielleicht sogar auch des Ungersbauern oder Bergjörgs – so zu kitzeln, daß sie trotz ihrer Frömmigkeit sich mit Haut und Haar dir zu eigen geben. Nur pfiffig und klug muß es angefangen werden!«

Entgegenkommende unterbrachen das Gespräch. Leise flüsternd setzte Paule dem begierig Horchenden seine Pläne auseinander; Hannes begann zu glühen, wie Kohlen leuchteten seine Augen. – In herzlichster Freundschaft betraten sie endlich das Wirtshaus.


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