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Achtzehntes Kapitel

Dumpfe Schwüle brütete am Morgen über der Erde. Glanzlos stand die Sonne am wolkigen Himmel, welk und verschmachtet lagen die Pflanzen am heißen Boden, die Blumen ließen müde die Köpfe hängen, nur die Nachtviolen dufteten betäubend. Die Schwalben flatterten unruhig über der Erde hin, die Sperlinge selbst hatten ihren ewigen Zank eingestellt, und die Tauben badeten unermüdlich, »'s liegt mir so schwer in den Gliedern!« klagte die Haushälterin. »Wir bekommen ein Gewitter; der Herrgott führe es gnädig vorüber!«

Matt und abgespannt betrat Fritz die Schule, und wie er sich auch mühte, er konnte die Erschlaffung nicht überwinden. Der Unterricht kam nicht recht in Fluß. Trotz der weitgeöffneten Fenster war die Schwüle fast unerträglich, müde und gleichgültig saßen die Kinder auf den Bänken, und verdrießlich irrten ihre Blicke umher.

Nach und nach verschwand die Sonne, immer neue Wolkenschichten zogen sich wie fahlgraue Schleier über den Horizont. Ohne daß man besondere gewitterartige Wolkenbildungen wahrnehmen konnte, zuckten fahle Lichtscheine am Himmel dahin, Totenstille lag auf der unbewegten Welt, nur der Donner grollte ununterbrochen. Die Kinder begannen laut zu weinen, und da es nicht weit mehr von Mittag war, der Himmel immer düsterer sich färbte, die Blitze heller leuchteten, entließ Reinhardt die zagende Jugend.

Laut jammernd empfing ihn seine Haushälterin; die alte Frau war ganz außer sich, lange erhielt er keine verständliche Antwort, endlich erfuhr er, der Jüngste Tag sei vor der Tür, zum mindesten der Untergang Bergheims ganz gewiß. Greuliche Gotteslästerungen hätten die Wilden gestern nachts ins Werk gesetzt, die Haare ständen einem zu Berge, wenn man das nur erzählen höre, und nun sehe man's ja, das Strafgericht Gottes sei im Anzug. Seufzend setzte er sich zu Tisch, allein kein Bissen wollte ihm schmecken. Flackernde Lichter durchkreuzten sich, der ununterbrochene Donner setzte dann und wann mit stärkerem Krach ein, die wachsende, stickende Schwüle waren fast unerträglich. Es ward ihm enge im Zimmer, er griff nach Hut und Schirm und wanderte hinaus ins Freie. Die ängstliche Beklemmung wuchs dort nur. Düstergrau lag der Himmel auf dem fast schwarzen Gebirge und den nächtigenden Bergen jenseits der Wertha, alles Grün verschmolz in ein lichtloses Graudunkel. Desto schroffer hoben sich die weißen Getreidefelder hervor. Fritz konnte sich einer schwermütigen Ahnung nicht erwehren, er war froh, als er einen einsamen Schnitter entdeckte; und eilte rasch auf ihn zu.

Der Lichtennikel war nicht wenig überrascht, als ihn der Lehrer anrief. »Grüß Euch der liebe Gott, Herr Schulmeister!« grüßte er zurück. »Ei, du meine Güte, habt Ihr Euch 'rausgewagt bei dem drohenden Wetter?«

»War mir daheim zu enge. – Und Ihr seid ganz allein auf dem Feld? Fürchtet Ihr Euch nicht?«

»Steh in meines Gottes Hand hier und dort – um was sollte mich's grauen?«

»Und was wird noch werden?« fragte Fritz mit einem Blick nach den Wolken.

»Wer kann das sagen? Ein schwer' Wetter hängt in der Luft – Gott führ' es gnädig vorüber!«

»Wär' ein Unglück fürs Dorf, käm' auf den gestrigen Unfug ein Unwetter!«

»Herr, die Wilden treiben's auch arg!«

Fritz nickte. »Hört,« begann er nach einer Weile, »was gab es gestern im Wirtshaus?«

Der Alte wischte sich mit dem Hemdärmel die Stirn, blickte nachdenklich in die Wolken, zerfetzte mit der Sichel die Blumenranke einer Winde und begann endlich: »Herr, ich bin ein alter Mann, habe gute und böse Tage gesehen, himmelschreiende Greuel erlebt in der Franzosenzeit, zuchtloses Wesen Anno 48 – mit dem, was ich gestern gehört habe, läßt sich nichts vergleichen. – Ja, 's muß eine angelegte Geschichte gewesen sein; als ich mit dem Schulbauer die Stube betrat, war der Lärm schon losgegangen. Ging heiß her und der Schulbauer machte sich bald davon – ich aber blieb, wollte doch sehen, auf was das hinauslaufe. Waren über den Herrnbauershausmann aneinander geraten. Der Herrnbauer schlug auf den Tisch und schrie: recht war's, daß mein Hausmann seinen Hansmichel verstoßen, im gleichen Fall tät' ich grad' so, denn in der Schrift steht: Ärgert dich deine rechte Hand, so haue sie ab und wirf sie von dir! Ein Kind, das vom Glauben abfällt, gehört dem Teufel mit Leib und Seel', da ist's aus mit der Elternlieb'! – Das Toben der Wilden überschrie nun der Beckenjörg: Was? Ihr Frommen stoßt eure Angehörigen aus dem Haus, wenn sie nicht einerlei Glaubens mit euch sind, uns wollt ihr aber das gleiche Recht bestreiten? Da sieht man, was ihr für Freimaurer und Jesuiten seid, was für verdammte Spitzbuben und Heimtücker! Und nun sag' ich: gut ist's, daß meine Alte mein Haus räumte; wäre sie noch da, euretwegen jagte ich sie noch heute auf und davon! Dagegen brüllte der Ungerskasper: Ihr verfluchte Satansbrut, wie wollt ihr euren Unglauben an unsern Glauben rechnen? Aber wartet nur! In der Schrift heißt's: Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten, und was der Mensch säet, das wird er ernten! Wir wollen's noch erleben, daß ihr Gottesleugner miteinander verkommt; nachher wollen wir lachen! – Und er lachte, Herr Schulmeister, daß mir's durch Mark und Bein ging – wurde auch totenstill in der Stube. Nun aber fuhr der Beckenkarl, an allen Gliedern zitternd, auf: ist das die Lehr', die euch der Pfaff' einprägt? Auf unsern Untergang wartet ihr, freut euch darauf? Fluch und Verdammnis über die ganze schwarze Brut! Und sagt's eurem Herrgottsaffen, er soll sich vor meinem Gehöft in acht nehmen, meine Flinte ist nicht umsonst mit Posten geladen!« – Das war nun den Wilden selber zu stark, es gab einen Heidenskandal, endlich gurgelte der Herrnbauer: schießen willst du auf einen geweihten Priester Gottes – du, Karl? Und du wolltest mein Schwiegersohn werden? Meide meinen Hof! mit der Flinte drohe ich nicht, aber vor Hunden und Peitschen nimm dich in acht! – Darauf verließ er mit sämtlichem Anhang das Wirtshaus!«

Als Reinhardt bekümmert den Kopf schüttelte, fuhr der Alte fort: »Gelt, das ist grausig, Herr Schulmeister? Und doch war das ein Kinderspiel im Vergleich zu dem, was jetzt kam. Als die Wilden das Feld frei hatten, kamen sie erst auf den Katechismus, danach auf die Bibel. Kein gutes Haar ließen sie an dem Buch, was da für Geschichten, Vergleiche und Witze an den Tag kamen – und wenn ich hundert Jahre alt werde, das vergesse ich nimmermehr. Wunder nahm mich die Wildheit des Beckenkarl; der Bursch war völlig von Sinnen! Als sie endlich all ihr Gift und ihre Galle ausgelassen hatten, kamen sie auf den Herrgott selber. Mit Lachen bewiesen sie haarscharf, warum es keinen geben könne, und um das ja recht handgreiflich zu machen, verfielen sie gegen Mitternacht unter Fluchen und Lachen darauf, auszurechnen, wieviel Ellen Tuch wohl der Herrgott, wenn es einen gäbe, zu einem Rock brauchen würde. – Aber seht nur, die Finsternis wird immer größer. Herr Schulmeister, das wird ein arges Wetter! Kommt mit – wir wollen heim, können im Dorf nötiger sein! – Ach! war das ein Feuer und ein Schlag! – Ja, einen Rock wollten sie dem Herrgott ausmessen! Das war mir doch zuviel, mit Zittern und Zagen ging ich nach Haus – schlafen konnte ich nicht! – Herr Schulmeister, adjes! – macht, daß Ihr heimkommt, seht nach Eurem Haus, das Wetter bricht los!«

Schon war der Alte in dem niedersinkenden grauen Dunst verschwunden, und auch Fritz eilte dem Dorfe zu. – Eben prasselten die ersten Tropfen nieder, als er das Schulhaus erreichte.

Aber nur ein kurzer Guß rauschte nieder, der kaum den Staub auf der Straße löschte. Die Blitze ermatteten wieder, der Donner rollte nur noch düster in der Ferne, unmerklich erhellte sich der Himmel, doch blieb die erstickende Schwüle. Nun gerieten die Wolkenmassen am Himmel langsam und schwerfällig in Bewegung und ballten sich dichter zusammen.

Stunde auf Stunde ging hin, ohne wesentliche Veränderung. Nur wurden gegen Abend die Blitze wieder lebhafter, der Donner stärker, bestimmt ließen sich drei in voller Entladung begriffene Gewitter unterscheiden. Schon begann Fritz zu hoffen, die Gefahr werde glücklich vorübergehen, als gegen acht Uhr von Westen her eine fahlgraue, verdächtig leuchtende Wolkenwand sich tief unter den donnernden Wetterwolken hereinschob und über das Dorf dahinzog. Ein wütender, brüllender Windstoß fegte die Gassen, warf Schornsteine in die Höfe, deckte Dächer ab, entwurzelte Bäume; ein greller Blitzstrahl zuckte zur Erde, ein betäubender Donnerschlag folgte. Und nun schien ein Weltbrand in das stille Dorf hereinzuleuchten, so ohne Unterbrechung fackelten die Blitze, so sinnverwirrend ward das Gebrüll des Donners. Dazwischen rasselte und knatterte es wie Pistolenschüsse, Fensterscheiben klirrten und klangen, kleine Eisstücke sprühten ins Zimmer, laut weinend sank die Haushälterin in ihren Sessel und jammerte mit gerungenen Händen: »Barmherziger Gott! – ein Hagelschlag!«


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