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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Reinhardt hatte von jeher mit besonderer Vorliebe in seiner Schule den Gesang gepflegt. Anfangs waren seine Bemühungen wenig glücklich gewesen, jetzt aber konnte er sich an dem reinen dreistimmigen Gesang seiner Schüler erfreuen. Um nun den Kindern nach sauren Wochen eine Freude, den Eltern einen Genuß zu bereiten, faßte Reinhardt den Plan zu einem Schulfest. Noch andere Gründe bestimmten ihn hierzu. Er hoffte durch solch ein Fest Teilnahme für die Schule überhaupt zu erwecken, vielleicht durch seine Kinder die Herzen der Eltern zu rühren; vor allem wollte er die Gelegenheit benützen, eine Christbescherung für arme Kinder anzuregen.

Mit Eifer ging er an die Ausführung, stieß aber auf vielfache Hindernisse. Zunächst gab Walter die Erlaubnis zu dem Fest nur widerstrebend. Von den Bergheimern selbst wurde die Sache mißtrauisch aufgenommen; eine Sammlung zur Bestreitung der unvermeidlichen Ausgaben fiel so kläglich aus, – Pfarrer Walter, der Jockenhannes und der Herrnbauer verweigerten einträchtig jeden Beitrag! – daß Reinhardt sein Vorhaben aufgegeben haben würde, hätte es nicht der Schulbauer durch einen namhaften Beitrag sichergestellt.

Und so saß er nun, arbeitete einen Vortrag aus, schrieb Einladungen, Programme, Textzettel und Singstimmen, hielt Proben ab und nahm sich kaum Zeit zum Essen. Als er nachmittags die Ordnung des Festsaales nochmals in Augenschein nahm, berichtete der Blümlesschuster, das unablässige Hetzen mache die Musikanten kopfscheu, sie weigerten sich, abends mitzuwirken; der Holsteiner schrie ihn an: »He – was ist das wieder für 'ne neue Mode, den Leuten 's Geld aus der Tasche zu locken? Was, sollen unsre Kinder zu Seiltänzern und Spielern gemacht werden? Oha! meine Kinder sollen Sie einmal nicht zu Narren und Affen machen, das sag' ich! Soll sich eines unterstehen und den Tanzboden betreten, alle Knochen schlage ich ihm zusammen, daß Sie's wissen!«

Fritz hielt gewaltsam an sich; den Holsteiner würdigte er keiner Antwort, dem Blümlesschuster entgegnete er: » Sie verlassen mich nicht, das weiß ich; Ihren Kameraden sagen Sie, ich würde mein Fest vollenden ohne ihre Hilfe!«

Wie tapfer er sich auch stellte, in seinem Innern sah es anders aus. Mit Zagen sah er dem Abend entgegen, der ihm so leicht verhängnisvoll werden konnte. Es sollte noch schlimmer kommen. Weinende Kinder schlichen zu ihm auf die Stube und berichteten, daß sie abends nicht mitwirken dürften, trotz ihres früher gegebenen Versprechens hatten es die Eltern verboten. Fritz mußte nun von Haus zu Haus laufen, bitten und schöne Worte geben, damit nur das Fest zustande kommen könne. Müde, an allen Gliedern wie zerschlagen, das Herz voll Unmut und Bitterkeit, kehrte er endlich heim.

Eine Befürchtung erfüllte sich nicht; seine Schüler waren lange vor der festgesetzten Stunde fröhlich geschmückt im Schullokal versammelt und harrten mit Ungeduld der Dinge, die da kommen sollten. Als er so viele glänzende Augen voll Liebe und Erwartung auf sich gerichtet sah, da wurde es ihm weit um das Gemüt; alle Not, alle Sorgen versanken.

Jetzt führte Reinhardt sein Häuflein nach dem zum Festsaal bestimmten Tanzboden. Ja – der halbdunkle, kalte Raum, dessen Wände von Eiskristallen schimmerten, sah freilich einem Festort wenig ähnlich, aber er war gedrückt voll Menschen, und immer neue Besucher drängten herein. Die am meisten gescholten und gespottet, nahmen die ersten Plätze ein, selbst der Hannes und sein Schatten, der Wagnerspaule, fehlten nicht; nur der Herrnbauer war konsequent geblieben, er saß wahrscheinlich im unteren Wirtshaus und würgte an seinem Grimm. Da drängte – Fritz traute seinen Augen kaum – durch die Zuschauer auch Pfarrer Walter und nahm auf der vordersten Sitzreihe – neben dem Jockenhannes Platz. Was führte den hierher? Reinhardt sollte nicht lange in Ungewißheit bleiben; während er noch seine Kinderschar ordnete, sagte Walter laut zu seinem Nachbar, dem Schäfersbauer von Ditterswind: »Ich bin gekommen, um durch meine Gegenwart unchristlichen Unfug unmöglich zu machen und dieses sogenannte ›Schulfest‹ auf angemessene Grenzen zurückzuführen!«

Der Hannes und seine Genossen lachten überlaut, Reinhardt biß die Lippen zusammen. Es sollte noch besser kommen. Walter hatte ein Programm erhalten, überlas es flüchtig, runzelte die Stirn, winkte Reinhardt zu sich und begann heftig: »Sie haben hier einen Vortrag auf das Programm gesetzt; was soll das heißen?«

»Ich glaube, das Programm ist verständlich genug!« entgegnete Reinhardt vor Zorn zitternd. »Ich werde eine Ansprache halten!«

»Bah! – solchen Unsinn kann ich natürlich nicht gestatten! Wenn eine Anrede nötig ist, werde ich sie übernehmen. Verstanden?«

»Jawohl! Dagegen erkläre ich: das Programm bleibt, wie es ist! Sie haben von vornherein jede Mitwirkung abgelehnt. Das Schulfest ist meine Sache, hier habe allein ich zu bestimmen, und heute wenigstens sollen Sie mir die Freude nicht verderben. Verstanden?«

Walter blickte ihm starr in die Augen, seine Lippen zuckten, seine Schläfen pochten, und unwillkürlich schlossen sich seine Hände. Doch Reinhardt hielt unbewegt stand, nach einigen Sekunden zog sich Walter leise murmelnd auf seinen Sitz zurück. Atemloses Schweigen lag über der Menge; selbst der Hannes wagte diesmal keine Bemerkung.

Die Gesänge und Deklamationen nahmen ihren Anfang. Die Deklamationen, frisch und fröhlich vorgetragen, gewannen alle Herzen. Auch die Gesänge für gemischten Chor wurden beifällig aufgenommen; das von der ersten Schülerin vorgetragene Rückertsche Gedicht: Des fremden Kindes heil'ger Christ! lockte vielen Frauen die Tränen in die Augen, und Reinhardt begann seinen Vortrag, ohne daß der Pfarrer Einspruch erhoben hätte.

In schlichten, warmen Worten wies er auf das nahe bevorstehende Weihnachtsfest hin, schilderte dann kurz das Glück der Erwachsenen und verweilte etwas länger bei der Weihnachtsseligkeit der Kinder. Dann, an das eben deklamierte Gedicht anknüpfend, erinnerte er an den Jammer der armen Kinder, denen kein Lichterbaum strahlt und keine Gaben winken, ja, denen oft selbst das höchste Gut des Kindes mangelt, die Elternliebe.

»O, ihr Eltern,« fuhr er fort, »denen ein gütiges Geschick einen gesicherten Wohlstand bereitete, laßt eure Herzen rühren durch das Bild jenes armen, verlassenen Kindes, von dem der Dichter uns erzählt! Gedenket im Glück der Not der Kinder, die, mit den euren vereint, hier um mich versammelt sind! Lasset mich nicht vergebens bitten, helfet mir den armen unter diesen meinen lieben Schülern eine Christbescherung bereiten! Ein böser Geist der Zwietracht und des Zornes ist in unserm Dorfe heimisch geworden. Noch hat er in der Kinderwelt nicht Eingang gefunden; aber es ist höchste Zeit, vorzubauen, daß die Stürme, welche in den Herzen der Eltern wüten, nicht auch die Kinderseelen ergreifen! Was – ich frage euch Väter und Mütter! was soll werden, wenn der Zorn und Haß mit den Kindern groß wächst? Noch ist es nicht so weit, noch ist die Jugend unberührt geblieben von den Leidenschaften der Erwachsenen. Ihr Männer von Bergheim: um eurer Kinder, eurer eigenen Zukunft und der des Dorfes willen, höret auf meine Stimme! Vergesset nur einmal, was euch scheidet; stellt die unschuldigen Kinder zwischen euch und reichet euch über ihnen die Hand zum guten, löblichen Werk! Um der Kinder willen vergesset euren Hader, stehet einträchtig zusammen und helfet auf Weihnachten den armen Kindern eine Christfreude bereiten!«

Tief atmend reichte Reinhardt dem ältesten Sohn des Jockenhannes und der Tochter des Bergbauern bekränzte Teller und sagte, kaum imstande, seine Bewegung zu bemeistern: »Gehet hin, meine lieben Kinder, die ihr reich seid und der Gaben nicht bedürfet – gehet hin und sammelt für die Armen unter euren Mitschülern! Lasset euch die Mühe nicht verdrießen, helft mir bei euren Eltern, Verwandten und Nachbarn bitten und mahnen, damit das Wort erfüllet werde: lasset die Kindlein zu mir kommen!«

Der Eindruck dieser Rede war groß, Totenstille herrschte in dem menschengefüllten Saal, nur unterbrochen durch das Schluchzen der Frauen. Auf den vorderen Bänken entstand eine Bewegung! der Beckenkarl, der während des Vortrags bleicher und bleicher geworden war, drängte nach dem Ausgang und verließ den Saal.

Der Jockenhannes und der Wagnerspaule hingegen lachten, daß sie sich den Bauch hielten. »Verrückter Unsinn!« schrie Hannes und schlug klatschend auf sein Bein. »Über das Schimpfen sag' ich nichts, das macht mich lachen; aber daß der Schulmeister mit anderen Leuten ihrem Geld ein Christkindle machen möcht', das ist doch stark! Hm – na, dumm ist der Schulmeister nicht, und wer ihm glaubt, was kümmert's mich. Ich aber will verdammt sein, wenn ich ihm mit meinem Gelde zu seinen Praktiken helfe!«

»'s Geld – freilich, 's Geld!« kicherte der Wagnerspaule ins Ohr des Veitenbauern. »Er wird's freilich brauchen können, der Schulmeister! Man weiß ja – –« den Schluß bildete ein unverständliches Gemurmel. Der Veitenbauer schickte die Rede sofort weiter, und nun wußten natürlich die Wilden, was sie zu tun hatten.

Der Pfarrer stand heftig auf und fuhr auf Reinhardt ein: »Warum teilen Sie mir nicht mit, daß Sie auf eine Christbescherung hinarbeiteten, die ins Werk zu setzen längst mein Lieblingsgedanke ist? Durch Ihren Vortrag haben Sie meinen Plan vollständig zerstört – und so, wie Sie die Sache anfassen, darf ich es nicht geschehen lassen. Schaffen Sie Ruhe, ich werde sogleich noch einen Vortrag halten, um Ihre Verstöße wieder gutzumachen!«

»Daß Sie mit Ihrem Plan zu spät kommen, ist nicht meine Schuld; Sie hätten eben nicht warten sollen, bis ein anderer den Gedanken zur Tat machte. Wie Sie mein Vorhaben beurteilen, ist mir völlig gleichgültig. Sie verdienten wohl eine andere Antwort, doch ziehe ich vor – um der Kinder und Ihrer Feinde willen! – meine Gedanken über Ihr Benehmen für mich zu behalten. Merken Sie sich aber, Sie sind hier mein und der Kinder Gast, und haben gar nichts zu bestimmen! Merken Sie sich das!«

Der Pfarrer schoß einen finsteren Blick über die Versammlung, als wolle er sich überzeugen, ob er wohl von dort her auf Beistand zu rechnen habe. Das Ergebnis mußte wenig befriedigend ausgefallen sein; ohne Entgegnung, den Kopf tief gesenkt, kehrte er auf seinen Platz zurück und spielte gedankenvoll mit seinem Hut.

Die Sammlung war unterdes beendet worden – ein Blick auf die Teller trieb Reinhardt das Blut ins Gesicht, so lächerlich gering war der Ertrag. Auf seine Bitte übernahmen der Berg- und Beckenbauer das Geld – es betrug wenig über sechs Gulden; sie versprachen auch die Christbescherung mit ins Werk setzen zu wollen, und Reinhardt, der seinen Unmut und Kummer kaum mehr verbergen konnte, beeilte sich, das Programm zu Ende zu bringen.

Der Saal wurde von Tischen und Stühlen geräumt, die Kinder durch Bratwürste und Bier erquickt, dann folgte ein Tanz. Reinhardt vernahm viel Lob über das Fest und den Gesang, allein zu Ruhe und Freude sollte er heute einmal nicht kommen. Dem Wirt und Musikanten stachen die gesammelten sechs Gulden in die Augen; von verschiedenen Seiten wurden Fritz Andeutungen gemacht, das Geld vollends zu Bier und Bratwürsten für die Kinder, Musikanten und sich selber zu verwenden. Als Fritz dergleichen Aufforderungen nicht verstehen wollte, kam der Schulz, zog ihn beiseite, drückte ihm ein Geldstück in die Hand und flüsterte ihm zu: »Haben's fein gemacht, 's ist aus der Weis', was Sie für ein verfluchter Kerl sind! Besonders, daß Sie den Pfarrer so abgeputzt haben, hat mir in die Seel' 'nein wohl getan! Da – 'ne Kleinigkeit für Ihre Müh' – nehmen Sie's nur, es ist für Sie! Das mit der Christbescherung war eine fetzen Red', aber es ist ja doch bloß so gered', hihi – bin ich doch auch nicht vergebens um die Großen 'rum, hihihi! weiß schon, was solches Gered' bedeutet! Und nun sein Sie nicht dumm, Herr Schulmeister, lassen Sie Bier und Bratwürste auffahren, Sie haben ja Geld – was da, Christbescherung! Gescheit muß man sein – hihihi!«

Reinhardt hatte stark Lust, dem Schulzen durch eine Ohrfeige zu antworten, besann sich jedoch eines Besseren, betrachtete das Geldstück und sagte so laut, daß sich eine Anzahl Weiber umdrehten: »Jawohl, Herr Schultheiß! Sie haben ganz recht, man darf sich von gemeinen Schuften durchaus nichts einblasen lassen. Seien Sie nur ganz ruhig, Herr Schultheiß, das Geld bleibt unverkürzt den armen Kindern, und ich werde nicht versäumen, Ihnen noch öffentlich zu danken und Ihr Beispiel zur Nachahmung zu empfehlen. Allen Respekt vor Ihnen, Herr Schultheiß! Es ist schön, daß Sie mir noch besonders fünfunddreißig Kreuzer für die armen Kinder in die Hand drückten; solche Großmut hätte ich von Ihnen nicht erwartet. Nochmals meinen herzlichsten Dank, werde nicht verfehlen, Ihre edle Gesinnung bekanntzumachen. Sonst – wie gesagt – seien Sie ruhig; wer mir noch einmal von Bier und Bratwürsten zu reden beginnt, dem werde ich antworten, wie er's verdient!«

Der Schulz riß Maul und Augen auf und verschwand in aller Stille, als sein Lob in allen Ecken von den Tagelöhnersweibern gesungen wurde. Allein Fritz sollte bald spüren, wie gefährlich es ist, einen »Großen« vor den Kopf zu stoßen. Plötzlich kündigten die Musikanten den Gehorsam, der Wirt schoß wie eine Rakete in den Saal, schimpfte und wetterte über den Unfug, gebot Feierabend und begann die Lichter auszublasen. Der Pfarrer unterstützte natürlich den Wirt; aber auch der Schulbauer, der Berg- und der Beckenjörg legten sich ins Mittel. Nach einem heftigen Zank verließ der Pfarrer den Saal, der Wirt zündete schimpfend die Lichter wieder an, die ihm der Schulbauer bezahlt hatte, und auch die Musikanten schlichen wieder herbei. Aber Reinhardt wies sie barsch ab; er selbst und der Schulbauer griffen auf dem Orchester nach den Geigen und spielten, vom Blümlesschuster unterstützt, lustig auf.

Die Lust des kleinen Völkchens war groß, und Reinhardt schaute mit leuchtenden Augen in das Gewühl. Und doch hoben oft tiefe Seufzer seine Brust. Seine liebsten Hoffnungen waren abermals vereitelt. Die Herzen der Eltern waren ungerührt geblieben; statt zur Brücke zu werden, hatte das Schulfest den Abgrund erweitert. Als ihm die Kinder zum Abschied die Hand drückten, wischte er sich heimlich die Augen. –


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