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Achtundzwanzigstes Kapitel

In Schottendorf war heute außerordentlich reges Treiben; auf dem kleinen Marktplatz vor der Kirche erhoben sich acht bis zehn Bretterbuden, ausgestattet mit all jenen Herrlichkeiten, die das Herz der lieben Jugend, aber auch der Bauernburschen und Bauernmädchen schneller schlagen lassen – buntem Trödelkram und schrecklichem Zuckergebäck. Auch den wirklichen Bedürfnissen des Lebens versuchten einige Buden Rechnung zu tragen, dies gelang aber nur unvollkommen. Eine Leipziger Messe war der Schottendorfer Lichtmeßmarkt nicht; zu haben war da nicht viel, Bier und Prügel etwa abgerechnet, desto bequemere Gelegenheit bot sich dem Jungvolk, seine Ersparnisse in den Trödel- und Zuckerbuden, in Wirtshäusern und Tanzböden loszuwerden. Der Handel lockte wenig Menschen nach Schottendorf, dennoch waren die Märkte zahlreich besucht, sie galten als beliebtes Stelldichein für die ganze Umgegend; alt und jung traf sich hier, Freundschaften wurden erneut, Bekanntschaften gemacht, und manche Ehe war nicht im Himmel, sondern in Schottendorf geschlossen worden. So drängte sich auch heute trotz des schlechten Wetters und des unergründlichen Schmutzes auf Markt und Gassen eine lustige, geputzte Menge um die wenigen Buden, in den Wirtsstuben war fast kein Platz mehr zu bekommen, und von den Tanzböden schmetterte lustige Musik herab.

Es war noch ziemlich früh am Abend, das eigentliche Vergnügen begann erst, viele, besonders jugendliche Marktgänger strömten aus den umliegenden Ortschaften herbei, neben tüchtigen Eichenstöcken vorsorglich auch mit Laternen bewaffnet, als zwei Männer, unbekümmert um das lustige Treiben in Gassen und Häusern, das Städtchen bereits wieder verließen. In dem hohen Kirchhoftor neben dem Gottesackerkirchlein, das einigermaßen Schutz vor dem heulenden Westwind gewährte, versuchte der Jockenhannes – das war der eine der Wanderer – mit Schwefelhölzern eine Zigarre zu entzünden, was ihm trotz aller Mühe nicht gelang. Sein Begleiter, eine erschreckend magere, kleine Gestalt mit einem wahren Totenkopf statt des Gesichtes, der Altenhäuser Fuchsmüller, stand indes auf der Straße, und ein spöttisches Lachen zog seinen zahnlosen Mund fast bis an die Ohren auseinander. Sein altmodischer, mausgrauer Rock mit unvernünftig kurzer Taille und endlosen, bis an die Knöchel reichenden Schößen flatterte im Wind und ließ ein Paar einstmals gelb gewesene, glanzige Lederhosen, darunter schwarze Strümpfe und kurzschäftige, plumpe, arg bespritzte Stiefeln sehen. Auf der Brust wurde der Rock durch den Riemen eines dick vollgestopften Büchsenranzens zusammengehalten, und unter der schäbigen, fast haarlosen Pelzmütze mit weit abstehendem Schild quollen verwirrte weißgraue Haare in langen Strähnen hervor. Als der Hannes fluchend sein Vorhaben aufgab, lachte der Fuchsmüller: »Das kommt von dem vornehmen Wesen, Hannes! Ich bin bei meinem alten Feuerzeug 'blieben und steh' mich gut dabei. Je ärger Wind und Wetter, desto leichter wird's! Sieh!« Dabei strich er mit einem Feuerstahl über einen gewöhnlichen Kieselstein und reichte Hannes ein Stück glimmenden Schwammes.

Hannes setzte seine Zigarre in Brand, dabei musterten seine Augen den Alten von oben bis unten; als er dann den Kieselstein zurückgab, meinte er kopfschüttelnd: »Ja, du bist das leibhaftige Altertum geblieben! Hm – na, ein jeder nach seiner Art, aber alles mit Maß und Ziel. Wer dich so daherkommen sieht, der glaubt's nicht, daß die schönste Mühle im Werthagrund dir schuldenfrei zugehört und obendrein im Sekretär ein ganz Fächle voll Papieren liegt!«

»Wozu auch?« lachte der Müller und verzog den Mund. »Dafür schwört auch jedermann, der dir begegnet, du wärest gewiß ein schwerer Bauer! – wenn er dich nicht kennt. Siehst du, da gleicht sich's aus!«

Hannes hob den Kopf. »Und was soll das heißen?«

»Nichts! Ist eben ein Vergleich!«

»Aber ein dummer, ein erbärmlich dummer!« schrie Hannes. »Habe wahrlich schon gescheitere von dir gehört!«

»Glaub's, glaub's! 's kommt eben drauf an, mit wem man's zu tun hat!«

Hannes zerbiß seine Zigarre; als jedoch der Müller nicht tat, als bemerke er seinen Unmut, begann er, als sei nichts vorgefallen: »Geschäfte?«

»In dem Nest? – Wenn ich Geschäfte machen will, bleibe ich daheim.«

»Wirst doch noch laufen müssen; die Brummochsen wollen dir ihr Getreid' nimmer geben, weil du an nichts glaubst!«

»Hab's gemerkt! Hat heute der Herrnbauer ein ganzes Fuder in die Totenmühle gefahren. Haha – da ist freilich frommes Korn und gottesfürchtiger Weizen am rechten Fleck!«

Hannes wollte sich ausschütten vor Lachen über diesen »Hauptwitz«. Danach brannte er seine Pfeife am Stummel des Alten an und meinte ganz wie zufällig: »Hätt' auch noch einen Vorrat Weizen!«

»Ist brändig und lag im Wetter. Wieviel?«

»Daß dich der Teufel!« fuhr Hannes auf, besann sich jedoch und fuhr fort: »Ein Simmerner fünfundzwanzig, können auch dreißig sein!«

»Wie hoch?«

Hannes kaute an seiner Zigarre und redete mancherlei von schlechten Zeiten, Hauskreuz und Ochsenkauf.

»Mach's kurz!« lachte der Müller. »Dich brennt's auf die Nähte, brauchst bar Geld, und das gleich –«

»Kreuzmillion!« schrie Hannes wieder. »Ich, der Jokkenhannes –«

»Brüll' doch nicht so unvernünftig! Wenn dir meine Art nicht gefällt, was hängst dich an mich? Meinst, der Fuchsmüller ist in Altenhausen von der Welt abgesperrt? So alt ich bin, habe ich noch gute Augen, und wenn ich so nachts wachen muß, hör' ich manchen Hund heulen. Weiß lang, daß deine Geldbrünnle ausgeblieben sind, und daß dir deine Blutigel das Herzblut aussaugen! Dreihalbezwanzig Batzen fürs Viertel – keinen roten Heller mehr. Willst du, liegt das Geld bereit, sobald du die Frucht bringst!«

Hannes wurde rot und bleich und griff mit den Händen in die Luft. Sein Begleiter jedoch qualmte ruhig fort, und so lachte Hannes endlich gezwungen auf: »Was du nicht weißt! bist ein verfluchter Kerl! Aber ist's zu verwundern? Ihr Müller seid ja als Hauptspitzbuben bekannt! Ist schad' drum, daß ich nicht mehr um dich sein konnte, wär' am Ende noch ein andrer Kerl geworden!«

»Was denn? Vielleicht ein ehrlicher? Weil du unter den dummbraven Bergheimer Schöpfen ein Spitzbub' worden bist! – Übrigens, so ganz unrecht hast du nicht, deine grausame Dummheit hat mich schon mehr denn einmal gejammert!«

»Oho – mach' dich nur nicht gar so groß! Ha, Himmelsakrament auch, was ist das für 'ne Art? Geht man so mit seinen Freunden um?«

»Ich wüßt' mich nicht zu erinnern, daß ich dich jemals dazu gerechnet hätte –«

»So?« schrie Hannes im hellen Zorn. »Will's da hinaus? O du neunhäutiger Heimtücker! – Aber lotweise soll mich der Teufel holen, wenn ich dir jemals über den Weg getraut. Bloß und blank auf des Wagnerspaules Zureden hab' ich mich an dich gemacht!«

»Hab' ich's doch gedacht, daß von dir die Geschichte nicht ausging!« rief der Müller und lachte, daß er fast erstickte. »Der Wagnerspaule, ja, der Wagnerspaule, das ist einer – zehnmal steckt er dich in den Sack und tut dich wieder 'raus, und du merkst's gar nicht!«

»Schon gut, ich streite nicht – kein Tag ist vor dem Abend zu loben!« giftete Hannes. »Wer zuletzt lacht –«

»Du,« unterbrach ihn der Müller, »mach' dir keine dummen Gedanken! Dem kommst du nur mit Gewaltstreichen bei, und ich dächte, daran hättest du genug!«

»Was? Wie? Was heißt das? Blitz und Hagel! ich will dir das Lästern vertreiben!«

»Du? Was willst du machen, mich verklagen? hahaha!«

Hannes knirschte mit den Zähnen. »Verdammt! Ist's ein Wunder, wenn die ganze Welt über einen 'reinfällt, da einen auch die verlassen, die zu einem stehen müßten! Verdammt auch!«

»Dein Fluchen ändert gar nichts! Wer hat dich geheißen, an mir einen Rückhalt suchen? Ich nicht!«

»O! Also dachtest du uns zu benützen? Durch uns deine Absichten durchzusetzen?«

»Und wenn, dürftest du mich darum schelten?«

»Schon gut! Gift und Pestilenz auch! Aber es ist gut, daß ich das weiß. Merk's: mit der Schulzenmarie ist es aus, die Gedanken auf das Mädle laß dir vergehen!«

Wieder lachte der Fuchsmüller hell hinaus und brachte dadurch den Hannes völlig aus der Fassung. Als er wieder zu Atem kam, sagte er: »Hannes, du hast wahrlich Unglück! Ja, ja, es gab eine Zeit, da sich der alte Wolf in mir regte, da ich mein Alter vergaß und meinte, solch jung' frisch Mädle wär' kein übler Bissen – pfui Teufel! – Aber eh' mir der Wolf wirklich ins Gehirn stieg, faßte ich ihn ab und legte ihn an die Kette. Ist das nicht mein Verdienst! Im Gegenteil! O, euer Geschwätz hatte mich alten Narren völlig verrückt gemacht, ich war scharf dran, den dümmsten Streich meines Lebens ins Werk zu setzen. Einem einfältigen, blutjungen Ding von Mädle verdanke ich's, daß es so weit doch nicht kam. Ja, ja – reiß nur die Augen auf – es ist so, die Schulzenmarie selber hat eure Praktiken durchkreuzt und groß' Unheil verhütet. Hätte sie sich wild und ungebärdig gestellt, mit Heulen und Schreien meinen Antrag abgewiesen – wer kann sagen, was geschehen wäre? Widerstand erregt mein Geblüt; aber daß sich das arme Wurm von Mädle so still in ihr Unglück fügte, bei aller Traurigkeit mir weder durch ein Wort noch durch einen Blick zürnte – Tausendmillion! – Das verstutzte mich, war das Heuchelei oder sonst was? Grad' auf den Kopf frage ich sie, wie sie den Gedanken ertragen könne, mich zum Manne zu kriegen; darauf sah sie mich groß an, wurde rot und bleich und meinte: ›Warum nicht? Mein Glück ist einmal dahin, und seit mich der Schäfersfrieder so leicht vergessen hat, ist's da drin in meinem Herzen tot. Schlimmer wie daheim kann ich's nirgends kriegen, und daß Ihr alt seid, ist mir noch obendrein ein Trost. Ihr werdet von mir nicht verlangen, was ich nicht geben kann. Ehren und pflegen will ich Euch wie eine Tochter, und wenn Ihr mir dafür manchmal ein gutes Wort gönnt, mehr will ich nicht.‹ – So hatte ich freilich nicht gerechnet. Ich wagte nicht, sie anzublicken; so war ich noch nie geschlagen worden, noch dazu von solch jungem Ding! Nun ging mir ein groß' Licht auf, und zur Strafe für mich selbst legte ich mir auf, nun grade dem Mädle zu ihrem Glück zu verhelfen, aller Welt zum Trotz sie zur Schäferbäuerin zu machen!«

»Ha, Himmelsakrament! So steht's? Also darum dein Hinhalten? Darum dein heimlich' Wesen?« schrie Hannes und schlug mit den Fäusten durch die Luft. »Aber holla, Müller! Magst du zehnmal Fuchsmüller heißen, ein Fuchs bist du nicht! Ein Schleicher und Heimtücker bist du, daneben aber ein dummer Teufel! Meinst du wirklich, wir werden uns von dir mit sichtlichen Augen solche Nase drehen lassen? – Oha! –«

»Man soll auf der Welt nichts verreden, Hannes!« kicherte der Alte. »Grad' weil ich Beistand brauche, redete ich mit dir! Du selber sollst mir helfen, meinen Willen durchzusetzen!«

Hannes sprang unwillkürlich zur Seite und starrte mit solchem Ausdruck des Entsetzens auf den Müller, daß dieser in ein neues Gelächter ausbrach. »Meinst, ich sei verrückt? Beruhige dich, Hannes, meine Gedanken sind so klar wie nur je; und was ich da rede, ist mir bitterer Ernst!«

Hannes hatte sich gefaßt, er ärgerte sich über seinen Schrecken, und nun kam auch seine Wut zum Ausbruch. Unter den greulichsten Flüchen verschwor er sich hoch und teuer, er werde dem Müller seine Schlechtigkeit heimzahlen.

Der Müller ließ ihn austoben, endlich sagte er: »Halte einmal an, Hannes, hören und Sehen vergeht einem bei deinem Gebrüll. Höre mich. Ich habe mir nun einmal in den Kopf gesetzt, die Schulzenmarie soll Schäfersbäuerin werden; und was ich mir vorgenommen, davon laß ich nicht. Dir mag es ungelegen kommen, das ist aber nicht zu ändern. Sieh, Hannes, ich weiß von dir und deinem Leben mehr, als dir lieb sein kann. Wenn ich mich heute zu deinen Feinden schlage, bist du morgen ein toter Mann. Aber es verlangt mir nicht danach, in fremdem Schmutz zu wühlen, überdem bist du von Feinden umstellt und wirst dich nimmer lange wehren.«

Hannes war erdfahl im Gesicht geworden, seine Augen starrten gläsern, ein Zittern ging durch seine Glieder; um nicht zusammenzubrechen, mußte er sich an einen Chausseebaum lehnen. Plötzlich schien er sich zu besinnen, sein Gesicht belebte sich, jede Muskel zuckte und arbeitete, ein wildes Feuer brannte in den Augen auf. In ein helles Gelächter ausbrechend, schrie er: »Ho, ho – Müller, Müller, diesmal bist du doch auf dem Holzweg! Sag' dir, Müller, besser haben meine Sachen nie gestanden, nie war ich mehr obendrauf als eben jetzt. Holla! – was? Hab' ich nicht den Herrnbauer und Ungersbauer niedergelegt? Ist nicht auch der Pfaff morsch entzweigebrochen? Steht nicht auch dem Schulmeister – dem Hund! – das Messer an der Kehle? – Hoho, Müller, ganz so dumm, wie du ihn machst, ist der Jockenhannes doch nicht, und paß nur auf, seine Zeit kommt erst!«

»Seine Zeit! – ja, ich meine, die ist schon da!« sagte der Fuchsmüller und steckte seine Pfeife ein. »Hannes, um dich steht's noch schlimmer, als ich dachte. – Wer fallen soll, wird blind! – Wahr ist's: der Herrnbauer und der Ungerskasper sind in deiner Gewalt; wahr ist's auch, den Pfarrer hast du morsch über den Wurzeln weggebrochen – aber was hast du damit gewonnen? Meinst du nun, die lassen sich nach Gefallen von dir lenken und zu deinem Nutzen mißbrauchen? Laß sie nur erst merken, daß du sie betrogen, und sieh zu, was geschieht! In seiner Wut ist der Herrnbauer zu allem fähig, und in Wahrheit ist seine Grenzsteinverrückung kein so großes Verbrechen, da er sie im guten Glauben an sein Recht ausführte. Willst du aber den Herrnbauer im guten Glauben belassen – wie nun, wenn er sein Recht öffentlich anerkannt wissen will, vielleicht hinter deinem Rücken einmal Schritte tut? Hannes, merkst du nicht, daß dir der Wagnerspaule durch die Grenzverrückung den schlimmsten Dienst erwiesen hat? – Danach hast du ja freilich dem Pfarrer den Boden unter den Füßen genommen, kommt sein heimlicher Verkehr mit dir ans Licht. Aber meinst du, daß er dich deswegen schonen wird, wenn er dich erst ganz kennenlernt? Oh – wenn ich euer Treiben betrachte, weiß ich in Wahrheit nicht, soll ich lachen oder mich ärgern über so viel Dummheit und Schlechtigkeit. Pfui Teufel, ist das ein widerlich' Treiben! Nicht nur, daß ihr euch wechselsweise belügt und betrügt, ein jeder belügt sich selbst noch extra. Da hat der fromme Pfaff' gewiß seine schweren Bedenken, daß er sich mit dir eingelassen; aber er tröstet sich, daß er ja ein gutes Werk vollbringt, wenn er deine Seele dem Teufel aus den Krallen reißt. Und du? O, du wölfisches Schafsgesicht! Während du dem Pfaffen die Zähne ins Genick schlägst, denkst du doch im stillen daran, durch seine Hilfe endlich einmal deinen Frieden mit Gott und der Welt zu machen – mit Gott, den du mit aller Mühe nicht aus der Welt und deiner Hundeseele hinausbeißen konntest!«

»Müller!« schrie Hannes und streckte die Hände wie abwehrend nach ihm aus. »Müller! – Bist du der leibhaftige Teufel – oder was redet sonst aus dir?«

»O – dir habe ich, ohne ein Teufel zu sein, in der Seele gelesen und könnte dir noch ganz andere Dinge berichten. Hannes, die Blutsaat geht auf! Nicht bloß den Uhrmacherle peinigt seine Mitschuld, auch dem Wagnerspaule, dem Simesschuster – obgleich sie davon frei sein mögen – ist der Dunst des Menschenblutes, das einst von deiner Hand triefte, ins Hirn gestiegen! Und wenn sie auch noch schweigen könnten – du bist dennoch verloren; der Sülzdorfer Schulbauer, dein grimmigster Feind, ist dir auf der Spur. Dein sinnloses Vorgehen gegen den Reinhardt, den Herrnbauer und Ungerskasper, dein Anhang mit dem Pfarrer reißt auch den letzten Erdbrocken los, an den du dich geklammert! – Hannes, Hannes! Weißt du, über was der Simesschuster brütet? Kann nicht der Uhrmacherle dein und sein Geheimnis in der Trunkenheit ausplaudern? Wer kann sagen, ob nicht eben jetzt der Wagnerspaule dich an den Schulbauern verkauft?«

Der Wind war stärker geworden, brauste in den Tannen droben auf den Bergen, pfiff durch die Äste der Bäume am Wegrain und drückte schwere Wolkenmassen in das Tal nieder, die den Abend rasch in dunkle Nacht kehrten. Hannes schwankte stöhnend dahin, manchmal schlug er fluchend mit den Fäusten um sich, dann wieder rang er die Hände und murmelte leise. Längst hatte er seinen Stock verloren, jetzt riß ihm ein Windstoß den Hut vom Kopf, ohne daß er es bemerkte. Plötzlich haschte er nach des Müllers Hand, mitten im Straßenschmutz kniete er vor ihm nieder: »Hilf, Müller! Verlaß mich nicht! Rette mich; du kannst, wenn du willst! Du verachtest auch die Menschen, du glaubst auch an nichts im Himmel und auf Erden, du weißt auch, daß man unter die Füße treten muß, was sich in den Weg stellt! Du mußt mir helfen, Müller!« heulte Hannes. »Ich bin deinesgleichen, ich gehöre zu dir! O – steh mir bei, schütze mich vor den Teufeln, die mir nach dem Herzen langen – vertreib – vertreib das Gespenst – da – da! – Siehst du nicht, wie er mit dem Messer nach mir zückt? O – und meine Arme sind lahm – ich kann ihm – nimmer – die Kehle zu – –«

»Kommt die Vergeltung jetzt schon?« schrie der Müller, riß Hannes gewaltsam empor und schleppte ihn weiter. »Rasest du, daß du solche Dinge auf offener Straße in die Welt hinausschreist? Helfen kann ich dir nicht, wenn ich auch wollte – aber durch mich soll das Verhängnis nicht über dich kommen. – Fort, fort!« schrie er Hannes ins Ohr, der stöhnend zusammenknickte. »Bei mir suchst du Hilfe, und doch tust du, als wolltest du um jeden Preis den Marktleuten in die Hände fallen? Auf – auf und fort!« Als Hannes endlich wieder zu sich zu kommen schien, stöhnend neben ihm herwankte, fuhr der Müller fort: Deinesgleichen sei ich, sagtest du? O pfui Teufel! – Jawohl, ich glaube weder an Gott noch an den Teufel, an nichts – nichts im Himmel und auf Erden! Und was die Menschen Gewissen nennen – ha, ha! – davon hab' ich all mein Lebtag nichts gespürt! Die Angst und Furcht vor der Zukunft und ihren Geheimnissen, die alle Menschen, auch dich, du erbärmlicher Jammerlappen! durchs Leben hetzt und quält, die kenne ich nicht! – Du hast nie gewußt, was du bist und was du willst, ich bin seit langem nicht mehr darüber im Zweifel – das ist der Unterschied zwischen uns. Ich, wie ich da in meinen Schuhen stehe, bin ein erbärmliches Geschöpf, um dessen Vorbild ich den Weltenmacher, wenn's einen gäbe, weder loben noch beneiden möchte; ein Tier, dem die Natur, oder wer sonst dafür verantwortlich ist, die Zähne und Krallen, die Hörner und Fänge, den Pelz und die Federn ins Gehirn gelegt hat. Das ist der Unterschied von andern Tieren, und das nennen die Narren, die dem Herrgott ins Konzept geguckt haben wollen, nachher Geist und machen ein Geschrei darüber, als wäre das wunder was! – o pfui Teufel! Und weil ich weiß, worauf der ganze Gram hinauslauft, darum kann ich die ganze Art nur verachten! Daß jedes Tier von seinen Kräften und Gaben Gebrauch macht, ist Natur; aber daß eine Art ihrer Vorzüge wegen über sich selbst hinaus möchte und in abgeschmackte Faseleien verfällt, das ist ein Ekel. All das Geplärr, womit die Pfaffen und andere Spitzköpfe die Leute verdummen, läßt sich zuletzt auf die Lehre zurückführen: friß oder du wirst gefressen. – Das ist dein Glauben auch? Ja freilich, wenn's ans Fressen geht, dann bist du immer vornedran; aber damit ist's doch nicht abgetan, du dummer Hannes! Es hat alles sein Maß und Ziel, und wenn die Menschen sich nicht mit Stumpf und Stiel ausrotten sollen, so muß es auch für das Fressen eine Grenze geben. Mach dich satt, das ist erlaubt; erwischst du einen besonders fetten Brocken, ist's ein Glück; mußt du Hunger leiden – heißt's eben den Gürtel fester schnallen! So ist's! Wer aber das Fleisch ganz allein für sich haben will, der wird zuletzt toll, und in seiner Tollheit richtet er sich selber zugrunde. – So! Tausendmillion, ist das ein wüster Winter, meint man nicht, der Sturm wolle schon wieder die Erde auseinanderreißen? Das wird eine wilde Nacht, wollte, ich wäre daheim. – Du aber, Hannes, mach' keine Dummheiten! Besinn dich, vielleicht findest du doch noch einen Durchschlupf! Nur vor deinen Krallen und Zähnen nimm dich in acht, die müssen im Hirn stecken, merk's! Damit gute Nacht!«


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