Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel

Durch das Blätterwerk der Monatsrosen- und Veilchenstöcke, die in den Fenstern blühten, fiel der rote Abendschein ins Zimmer und spielte auf dem Gesicht des Mannes, der sinnend vor sich niederblickte und gedankenvoll mit den Fingern auf dem Tisch trommelte.

Die Stube war groß, hell und sauber; die blau gemalten Wände schmückten außer dem Spiegel noch einige schlechte Lithographien und nicht viel bessere Photographien. Um den viereckigen, weit in die Stube vorspringenden, eisernen Ofen liefen, wie auch rings um die Wände, einfache Holzbänke; trotz der Sommerwärme prasselte ein tüchtiges Feuer im Ofen, und aus den beiden dickbauchigen Ofenblasen stieg der Wasserdampf in kleinen Wölkchen empor. Der Raum zwischen Ofen und Wand bis zur Stubentür – die Hell! – war mit alten Jacken, Westen, Röcken, Schürzen und Tüchern vollgehängt, der Boden mit Schuhen und Stiefeln bedeckt. Links neben der Stubentür tickte in einem Holzkasten die alte, verräucherte Schwarzwälder Uhr. Rechts von der Stubentür reichte ein schmaler, geschwärzter Wandschrank von dem Boden bis zur Decke; der offene, von Säulen getragene Zwischenraum in der Mitte zeigte ein glänzendes, zinnernes Waschbecken, darüber in der Rückwand befestigt ein ebenfalls zinnernes Wassergefäß mit zierlichem Hahn. Neben diesem altertümlichen Möbel stand ein modernes, umfängliches Pianoforte an der Wand, mit Büchern und Notenheften bedeckt. Darüber an der Wand hing eine Violine. Der Stubentür gegenüber in der Ecke stand der große Familientisch, von Holzbänken und Schemeln umgeben, die andere Ecke füllten ein neumodisches Sofa, ein lackierter Tisch, gepolsterte Stühle und ein großer, lederbeschlagener Sorgenstuhl mit beweglicher Rücklehne.

Diese wunderlich zwischen Altem und Neuem schwankende Einrichtung kennzeichnet nicht allein den Bewohner, sondern auch die Zeit. Man sieht, der Bauer ist auf dem Weg, sich zum »Ökonomen«, zum »Herrn« heranzubilden; zwar ist noch keine besondere Gesindestube eingerichtet, aber doch schon ein besonderer Raum ausschließlich für die Bequemlichkeit der Herrnfamilie möbliert.

Das Abendessen war vorüber, die Mägde spülten und räumten in der Küche, die Knechte vollendeten die Tagesarbeit in Stall und Scheune, die Kinder waren »ins Dorf« zu ihren Kameraden. Der Jockenhannes saß allein hinter dem Familientisch, vor ihm lag unbeachtet die Dorfzeitung, sinnend blickte er vor sich hin, trommelte mit den Fingern auf dem Tisch und nickte öfter leise mit dem Kopf. Eben tänzelte Lina sauber und nett gekleidet durch die Stube; sie warf ihr Strickzeug auf das Kanapee und kramte in den Büchern und Notenheften. Wohlgefällig ruhten die Blicke des Vaters auf seiner Tochter, und ein leises Lächeln stieg in sein Gesicht. Vergnüglich knurrte er vor sich hin, endlich meinte er: »Doch ein verfluchter Racker!«

»Wen lobt Ihr da wieder?« kicherte Lina.

»Frag' auch!« sagte der Jockenhannes und trommelte stärker. »Die ganze Welt ist von ihm voll!«

»Ja freilich! Die Schelerschristel! – Ihr Maul ist schlimmer wie eine Zeitung!«

»Die soll sich in acht nehmen!«

»Meint Ihr, er zwingt die? – Da seid Ihr garstig auf dem Holzweg!«

»Das Brummen im Loch hat schon manchen zahm gemacht!«

»Wenn das Euer Ernst ist, könnt' ich beinah' selber vor dem Reinhardt Respekt kriegen. – An die Schelerschristel habt nicht einmal Ihr Euch getraut!«

»Nu – nu!« brummte Hannes, dem eine leichte Röte ins Gesicht gestiegen war. »Bin keiner, der ins Feuer schlägt, wenn's nichts zu holen gibt als verbrannte Finger – sonst fürchte ich mich auch grad nicht, solltest das wissen. Aber der Reinhardt hat mehr Schneid, als ich ihm zugetraut. Himmelschwenselens!« rief er, die Hände reibend. »Die Brummochsen, die Jesuiter, wie sie sich krümmen, was sie für Gesichter schneiden! Vergiften, erwürgen möchten sie den Reinhardt, wenn sie nur könnten! Und nun gar erst die Himmelhunde, die Pfaffen! Muß sagen, so hat mich lang' nichts gekitzelt, wie der Streich gegen die Schwarzkittel! Wer weiß, was gäb' ich drum, hätt' ich das Gesicht von unserm Augendreher und Kanzelschreier sehen können, wie ihm der Schulmeister sagt: Halt, Pfarrer, Hand von der Butter, der Stundenplan bleibt an der Tür, bis das Ministerium gesprochen! – Potz Blitz und Hagel und alle Schwerenot! und das Ministerium macht richtig das Kraut fett; wie sich auch das Herrgottsschaf krümmt, er muß selber unter das Papier sein: ›Genehmigt, Walter, Pfarrer!‹ schreiben! – O Tausendmillion, mag das den Pfarrer gewürgt haben, bis er die drei Wörtle fertig bringt! Herrgottsakra! Ich könnt' laut in die Welt hinausschreien: endlich einmal hat der Pfaff' unrechtes Heu erwischt! Solch eine Freud' ist mir lang' nicht passiert!«

»Ihr macht auch das Aufhebens gar zu groß!«

»Du redest, wie du's verstehst! Ich sag' dir, Mädle, das ist ein Schlag für die Pfaffen, den sie lange nicht verwinden werden!«

»Geht mir doch mit Eurem Gerede!« sagte Lina leichtfertig. »Was habt Ihr und der Wagnerspaule und der Simesschuster nicht schon gegen die Pfaffen gestürmt. Und was habt ihr ausgerichtet? – Nichts, weniger wie nichts! Die Pfaffen verlachen euch, unsrer macht euch alle Sonntag auf der Kanzel schlecht, daß kein Hund mehr ein Stück Brot von euch nimmt; und je ärger ihr im Wirtshaus lästert, desto fester knebelt er euch und das ganze Dorf. Geht mir weg mit eurem großartigen Getu', wenn ihr's doch zu nichts bringt! – Sagen muß ich schon, der Reinhardt ist ein ganz andrer Kerl; er allein richtet mehr aus, wie Ihr und Euer ganzer Anhang – hätt' beinah' gesagt – Lumpenanhang! Ein dummer Narr ist er deswegen doch, wie blind und toll rennt er in sein Unglück, wo er es so gut haben könnte. Hat er auch jetzt den Pfarrer aufs Maul geschlagen, wie lang' wird die Herrlichkeit dauern? Ein andermal geht's anders, und kriegt der Pfarrer nur halbweg Oberwasser, darf er sein Bündele packen, dann hat er in Bergheim ausgelehrt!«

»Oha!« knurrte Hannes. »So geschwind geht das nicht, die Zeiten sind vorbei, wo die Pfaffen machen konnten, was sie wollten! Andere Zeiten jetzt – und andere Leute, Line! Der Pfarrer wird sich nicht an den Schulmeister wagen!«

»Werdet Ihr ihn hindern?« spottete das Mädchen. »Geht mir doch! Ja – wenn durch Schimpfen im Wirtshaus die Welt umgekehrt würde, dann wäret Ihr schon lange obendrauf, aber wie's einmal ist, wird's trotz Euch immer gehen, wie's gehen soll. Wundert mich, daß Ihr solchen Sperrangel erhebt über den Schulmeister. Solltet still sein und Euch schämen, daß solch Bürschle Euch übertrifft.«

Hannes lachte und trommelte einen lustigen Marsch. »Hab' dich ausreden lassen, weil mir's spaßig ist, wie du dich da ereiferst. Ist recht so; zeigst's, bist die Jockenline! Hergegen was deine Reden betrifft, sind sie eben ein neuer Beweis: je langer die Haare, desto kürzer der Verstand! Huschelbuschel! – brennt's? – Nur stet, Mädle; bist du die Jockenline, bin ich der Jockenhannes! vergiß das nicht! – Komm jetzt, setz' dich zu mir, hab' mit dir zu reden!«

»So tut's! Ich hör' auch von da aus, meine Ohren sind gut!«

»Deine nicht allein im Haus! Komm – will dir sagen, was dir Freude machen soll!«

Lina warf schmollend die Notenhefte auf das Pianoforte zurück, holte ihr Strickzeug, setzte sich neben den Vater, der sich seine lange Pfeife anbrannte, und fragte: »Was soll's?«

»Sollst einsehen, wie unrecht du deinem Vater getan. – Warum spielst nimmer mit dem Schulmeister? Warst doch sonst wie versessen darauf.«

Lina beugte den Kopf und zählte die Maschen ab, um ihr Erröten zu verbergen; als sie aufblickte, waren ihre Lippen verdrießlich aufgeworfen. Leichtfertig sagte sie: »Was Ihr Euch doch einbildet! – Ist einfach! Ich mag eben nimmer! Was kümmert's Euch?«

»Mehr als du denkst! Ich dachte, du würdest ihn durch das Spiel an dich ziehen.«

»Den?« rief Lina, und ihre Lippen zuckten spöttisch.

»Und warum denn nicht? Brauchst dich seines Umgangs nicht zu schämen.«

»Das ist ein Hochmutsnarr!« platzte Lina zornig heraus. »Die Bauernmädle sind ihm nicht gut genug, braucht eine ›Gebildete‹, eine, die er einmal mit Handschuhen, Hut und Schleier aufs Feld schickt!«

»Muß dich nicht schlecht haben ablaufen lassen, der Schulmeister! Ja, 's ist ein verfluchter Kerl!« sagte Hannes und lachte, daß ihm die Tränen über die Wangen liefen. Lina blitzte ihn zornig an und wollte aufspringen, Hannes hielt sie zurück. »Hab's ich's getroffen? – Nu, nu! tu' nur nicht so wild! Hätt' nicht gedacht, daß du dich vor solch elendem, seidnem Lümple fürchtest! Was? Und wenn er zehnmal nach einer Gebildeten und Fürnehmen trachtet, brauchst du dich deswegen zu verkriechen? Bist du nicht auch gebildet? Kannst du nicht alle Tage Handschuhe, Hut und Schleier tragen, wenn du willst? Vor allem: bist du nicht die Jockenline? Hm! hätt' nicht gedacht, daß du ein begonnen' Spiel so leicht aufgibst – ist nicht meine Art!«

Lina war wie mit Blut übergossen. »Wer sagt, daß ich ernstlich gewollt hab'? – Ich bin nicht auf das Glück versessen, Schulmeisterin zu werden!«

»Ist recht – ist mir aus der Seel' geredet!« nickte Hannes. »Will's ja auch glauben, obgleich du vor Pfingsten anders gedacht hast. – Wunderliches Ding! muß denn auch gleich ans Heiraten gedacht werden?«

Lina blickte überrascht zum Vater auf; Hannes legte ihr die Hand auf die Schulter und fuhr leise fort: »Merk' auf! Du wirst noch einmal einsehen, daß ich in den Lärm mit den Brummochsen nicht vergeblich angefangen habe – dein und deiner Geschwister Schaden soll's nicht sein, damit begnüg' dich einstweilen. Um aber meine Absichten zu erreichen, ist's dringend nötig, den Reinhardt auf meiner Seite zu haben. Drum will ich, daß du ihn an dich ziehst, bis – nu, bis ich ihn in den Händen habe, du verstehst mich schon, dann will ich sorgen, daß du wieder völlig freie Hand kriegst – wenn du eben willst. – Kann ich mich auf dich verlassen?«

Lina hatte längst ihren Unmut vergessen, gespannt sah sie dem Vater ins Auge; plötzlich rief sie: »Vater, es gilt! – Aber,« setzte sie plötzlich wieder nachdenklich hinzu, »wenn ich ihn auf Eure Seite bringe, bleibt's doch dabei, daß ich völlig freie Hand hab', ihn zu behalten oder abzuweisen?«

»Völlig!« rief Hannes erfreut. »Meine Hand darauf! – Abgemacht, nicht? – Nun sollst du auch weiter erfahren, daß dein Vater nicht bloß im Wirtshaus Lärm schlägt, sondern recht gut weiß, was er will. Sieh – der ansehnlichste und reichste Bursch nicht bloß in Bergheim ist der Beckenkarl, hat mich nun lang' gewurmt, daß der Aff' wie toll vernarrt ist in die Herrnbauersmargaret. Freilich, dumm ist der Karl nicht; er rechnet schlau, der Racker! Kriegt er noch den Herrnhof zu seinen Gütern, hat er ein Rittergut beisammen und ist der erste Bauer im Land. Kannst dir denken, wieviel auch dem verdammten Mucker und Pietisten, dem Herrnbauer, daran liegt, daß die Heirat zustande kommt. Hat mich lang' gewurmt, daß der Jesuit dahinten solch unverschämt' Glück haben soll. Drum hab' ich in aller Stille dran gearbeitet, der Herrlichkeit ein Ende zu machen – und ich denk', nicht vergebens!«

»Ist's möglich?« sagte Lina und blickte fast erschrocken zum Vater auf; sogleich erschien wieder der spöttische Zug um ihren Mund, lachend meinte sie: »Müßt Eure Sache allzu fein angefangen haben! Versteh' mich auf derlei Dinge, hab' aber noch nichts gespürt, daß der Karl und die Margaret auseinander kämen!«

»Wart's ab, du Hummel! Bin meiner Sache gewiß. Hab' dem Karl, du weißt, er war von jeher so ein wunderlicher Tiftler, allerlei Zweifel über seinen Glauben in den Kopf gesetzt. Ist er erst gänzlich vom Glauben abgefallen, so ist's von selber aus zwischen ihm und den Herrnbauers. Verstehst du jetzt was von meinen Absichten? – Ja, so meine ich! Ist erst der Beckenkarl gänzlich von seinem alten Umgang losgemacht, so bleibt ihm nichts übrig, er muß sich an uns halten. Und ich meine, als Beckenbäuerin in dem obern Hof zu regieren, wäre so übel nicht! – he, was sagst du?«

Lina glühte; welche Aussichten eröffneten sich ihr! Zwei – drei Fliegen auf einen Schlag! Den verhaßten Lehrer demütigen und die Herrnbauersmädchen unglücklich machen! Ihre Wangen glühten. Dennoch sagte sie mit plötzlich aufsteigender Bedenklichkeit: »Ja, wie soll das fertig werden? Eins steht dem andern im Weg! Tu' ich dem Schulmeister schön, stoß' ich doch den Beckenkarl vor den Kopf?«

Hannes knurrte zufrieden und meinte: »Wird sich machen, nur eben alles sein zu seiner Zeit! Vorläufig geht dich der Beckenkarl gar nichts an, je weniger du dich um ihn bekümmerst, desto besser. Hast Zeit und Gelegenheit genug, den Schulmeister zu leimen. Ist aber erst der Karl, wo ich ihn haben will, so wird er vor Elend und Jammer sich selber nicht kennen; im Taumel haben wir ihn, ehe er sich's versieht; bist du erst Bäuerin oder auch nur seine Braut, ist's deine Sach', ihn zu ziehen, wie du ihn gern hast. – Denke, ist recht so!«

Lina rollte das Schürzenband um die Finger. »Aber«, begann sie leise, »das ist ja doch eigentlich ein sündliches Spiel – das gibt Jammer und Elend, 's ist nicht auszusagen!«

»Ist recht, daß du mich darauf bringst. Merk' auf, Mädle!« nickte Hannes und setzte sich bequemer zurecht. »Merk's: die Welt ist ein großmächtiges Narrenhaus; Narren sind die Menschen, erst auf tausend und mehr kommt ein Kluger. Und die wenigen Klugen, Line, das sind die Herren der Welt, genießen das Leben, nehmen mit, was mitzunehmen ist, und verlachen die Brummochsen. Sind zu bedauern, die Dummen! Schleppt sich jeder mit einer extra Narrheit durchs Leben, ist aber im ganzen immer dasselbe Ding, mag's da heißen: Religion, Glaube, Gewissen, Gesetz, guter Name oder Sitte und Herkommen. Ist alles nichts als ein Stangenzaum, von den Klugen den Brummochsen ins Maul gelegt, daß sie ja niemalen von der Narrenstraße abweichen. – Ja, guck' nur, Mädle! ist alles Schnickschnack, was die Pfaffen und die Großen vormachen, die Pfeife, nach der die Narren tanzen müssen. Nichts ist in der Welt, nichts gilt, nichts besteht außer der Klugheit! Pfiffig muß man sein, Mädle? schlau wie der Fuchs. Lauf mit den Brummochsen, solang' es nicht anders geht; aber greif zu, wenn du was erreichen kannst. – Ist so, Mädle, ist nicht anders! hast nur die Wahl, Tanzbär zu sein oder Bärenführer. Meine, die Wahl ist nicht schwer, was sagst? – Ist gut! Halt nur die Ohren steif, Mädle; laß dich nicht dumm machen, laß dir nicht auch einen Stangenzaum ins Maul legen – denk', bist die Jockenline! – So, mach' deine Sachen gescheit, will keine Schande an dir erleben. Halt, noch eins!« rief er ihr nach, als sie mit klopfenden Pulsen aus dem Zimmer schlüpfte.

Hannes blickte vergnügt schmunzelnd seiner Tochter nach. »Schad', daß 's kein Bub wurde – aber auch so recht; wird niemalen zu den Brummochsen gehören!«

Er trommelte wieder auf dem Tisch, sah aber öfter durchs Fenster, als erwarte er jemand. Es dämmerte stark, als der Wagnerspaule und Simesschuster eintraten und sich nach kurzem Gruß zu Hannes an den Tisch setzten. Die kurzen Pfeifen qualmten, die auf dem Tisch liegende Zeitung gab Veranlassung zu einem Gespräch über die Welthändel; endlich meinte Paule: »Du hast uns bestellt – mach' einen Anfang, daß ein Ende wird; hab' Durst und will in Gesellschaft!«

Hannes knurrte, stand jedoch sogleich auf, entzündete ein Talglicht und forderte durch stummen Wink die Männer auf, ihm zu folgen. In der reichlich ausmöblierten Oberstube stellte er das Licht auf einen polierten runden Tisch, nahm den Männern gegenüber Platz und begann ohne weitere Einleitung: »Ist nun so weit mit unsrer Sach', daß wir entweder Ernst machen müssen mit einer neuen Ordnung oder unterducken und zu Kreuz kriechen. Denk', was das letztere betrifft, 's wird keinem von uns anstehen.«

Ein dumpfes Knurren, das halb wie spöttisches Lachen klang, war die Antwort, und Hannes fuhr fort: »Können auch nicht zurück, wollen wir nicht alle Absichten auf das Gemeindegut aufgeben. Haben freilich so ziemlich das Regiment in den Händen und einen starken Anhang, der Schulz ist ganz in meiner Gewalt und darf nicht mucken; aber ehe wir was wagen, müssen wir die Überzahl der Berechtigten so an uns ketten, daß sie gar nichts gegen uns unternehmen können. Bleiben uns immer noch Gegner genug.«

»Ja, der Herrnbauer, Bergjörg, Ungerskasper, der Schneidersnikel, die Beckenbrüder! – 's ist ein verdammter Kram!« knurrte der Simesschuster kleinlaut.

»Nu – denk', die Beckenbrüder sind so gut wie sicher; dem Schneidersnikel stopfen wir das Maul durch einen tüchtigen Brocken, wird sich nicht besinnen, wenn er sich auf Jahre 'naus umsonst mit Holz versorgen kann. Der Ungerskasper ist ein Polterhans, hat aber noch nicht eine Maus in den Sack gejagt. So blieb der Herrnbauer, der Bergbauer – sind freilich auch die schlimmsten. Könnten wir nur einen noch auf unsre Seite bringen!«

»Daran wird sich's steupern!« klagte Simon.

»Ja, auf die gewöhnliche Art ist da freilich nichts ausgerichtet!« meinte der Wagnerspaule, ohne den tief gesenkten Kopf zu erheben. »Mit unserm gewöhnlichen Speck kommen wir da nicht an. An den Bergbauer möchte ich mich überhaupt nicht getrauen, eher schon an den Herrnbauer. Ist mitsamt seiner Gottesfurcht und seinem Hochmut ein lästerlich dummer Teufel; und ich meine immer, wenn wir in dem die Habsucht erst aufregen könnten, hätten wir ihn mit Leib und Seel'. Die Religion müßt' freilich aus dem Spiel bleiben.«

»Kreuz, Blitz und Hagel!« schrie Hannes aufspringend und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß der Leuchter klirrte. »Paule – wenn du das fertig brächtest – du solltest verlangen, was du wolltest, es wäre dein! Red' – hast du einen Gedanken?«

»Schrei doch nicht so, die Wände haben Ohren. Dachte schon viel darüber, wie die Sach' wohl einzufädeln wär'. Ist ein heikel Ding, muß überaus fein angefangen werden. Nicht wegen dem Herrnbauer, mit dem ist wohl fertig zu werden – aber seine Weiber und der Schulbauer haben feine Nasen. Hm – ist mir doch verwichen so was eingefallen, draus, wenn wir's fein säuberlich zurechtlegten, sich am Ende wohl eine Schlinge drehen ließe.«

»Herrgottsdonner! so red'!« fuhr Hannes auf. »Was ist's?«

»Nichts vorläufig!« entgegnete Paule mit unerschütterlicher Ruhe. »Du weißt, ich red' nicht eher, bis ich mein Garn richtig auf der Weisen hab'. Laß mich dieser Tage einmal Umschau in der Gemeindelade halten, vielleicht findet sich was, das zu brauchen ist, oder es zeigt sich wenigstens eine Spur. Davon ist's für heut' genug. Was hast du weiter vor?«

»Ist mir noch nicht so recht klar. Meine, wir müssen die Brummochsen vorwärts treiben, bis sie eine rechte Dummheit ausüben, daß sie nicht mehr zurück können und sich gänzlich mit dem Pfarrer überwerfen. So eine rechte arge, auffällige, himmelschreiende Dummheit!«

»Was soll werden?«

»Was? – 'raus muß das ganze Gelumpe aus der Kirche, gänzlich losgetrennt werden von allem, was Religion und Glaube heißt. Eine freie Gemeinde müssen wir gründen – so allein werden wir völlig und auf die Dauer Herren. Haben wir sie erst aus der Kirche gestoßen, ihnen Pfarrer, Beichte, Abendmahl, Bibel und Gesangbuch genommen – wirst sehen, wie die Großmäuler zusammenschnappen, wie sie 'rumgehen, als hätten alle die Rückendarre, wie sie in ihrer Verzweiflung immer fester und fester an uns hängen. So weit muß es kommen,« rief er, und ein Blick wie ein Feuerstrahl schoß unter den buschigen Wimpern hervor, »daß wir – wir allein die Pfaffen, ja die Herrgottle selber sind. – Dann erst haben wir gewonnen!«

Der Schuster kraute sich die Haare, Hannes' Augen leuchteten, dennoch sagte er bedenklich: »Ist ein gefährlich' Spiel, ein grausam' Wagnis!«

»Du wirst alt, Hannes!« lachte Paule. »Sonst warst du nicht so bedenklich bei viel gewagteren Dingen.« Als Hannes den Kopf senkte, blitzten seine Augen durch die Brauen. »Was ist zu wagen? Die Red' ist frei, niemand kann mir verwehren, meine Überzeugung zu bekennen – kann ich was dazu, wenn sich Narren, die nichts davon verstehen, betören lassen? Sei nicht dumm, Hannes! frisch vorwärts, solche günstige Gelegenheit wie jetzt findet sich nicht wieder. Unsre Anhänger sind in einer Wut über den Pfarrer, wie nie zuvor: der Pfarrer selbst hat einen Schmiß gekriegt, den er nicht sobald vergißt, und seine Anhänger, so toll und grimmig sie sich stellen, sind ganz verdutzt. Viele sind auch nicht schlecht stutzig geworden und sind sicher zu gewinnen, wenn wir's nur schlau anfangen!«

»Ist ein verfluchter Kerl, der Reinhardt!« sagte Hannes beifällig nickend. »Hätte ihm das nimmer zugetraut!«

»Sagt' ich nicht immer, in dem steckt was?« lachte Paule. »Ja, hättest du mir gefolgt und ihn von Anfang an uns gebunden – jetzt wären wir geborgen!«

»Ist noch nicht zu spät!« fiel Hannes erregt ein. »Muß unser werden, hab' einen Pfiff, den Vogel zu locken!«

»Meinst mit deiner Line?« lachte Paule. »Gib's auf, das ist nichts! – Überhaupt: mach' dir auf den Reinhardt keine Rechnung, so ersparst du dir Verdruß und Schande!«

»Das wäre der Teufel! Meinst, weil er einem Stadtfähnle nachläuft? – O – 's war' nicht das erstemal, daß ich eine Liebschaft zerrissen und doch meinen Willen durchgesetzt habe.«

»Paß auf, der Reinhardt gibt dir noch zu denken. Ist ein Fuchs. Obgleich er lange über den Pfaffenunsinn hinaus ist, läuft er doch mit dem Betbruder, dem Hansnarren, dem Lichtennikele 'rum, sich den Rücken zu decken für Notzeiten. Auf der anderen Seite sucht er aber auch an den Schulbauer zu kommen, und das ist mir bedenklich. Halten erst die zwei zusammen gegen uns, dann dürfen wir uns vorsehen!«

Hannes ging aufgeregt auf und ab. »Und so weit darf's nicht kommen, nie und nimmer, das sag' ich!«

»Und was setzest du dran, ihn zu fangen?«

»Ist meine Line nichts?«

»Pah! An jedem Finger hat er eine, wenn er nur die Hand ausstreckt, reichere und bessere und schönere, als deinen Wildfang. – Ist ein Fuchs, der Reinhardt, ich sag's! Weiß auch schon, daß die Herrnbauersanne das schönste und reichste Mädle ist weit und breit!«

»Gift und Pestilenz 'nein! Kannst's beweisen?«

»Ich denke wohl! Aber was nützt das? Willst du ihn, so tue bald dazu und laß dich nichts reuen, der Reinhardt ist unbezahlbar. Vielleicht ist jetzt grade die rechte Zeit dazu. Mit den Frommen hat er sich durch sein Auftreten völlig überworfen, der Herrnbauer guckt ihn schon gar nimmer an: noch ist er auch mit dem Schulbauer nicht einig! – Probier's – vielleicht gelingt's wider Erwarten! – Aber fein langsam und vorsichtig mußt du an ihn kommen, nicht so ›Pflumpf! da bin ich!‹ wie am zweiten Pfingstabend. Mußt dich stellen, als ob du dich wenig um ihn selber kümmerst, mußt dich bloß an seinen Streit halten. Vor allem aber laß das unsinnige Schimpfen über Religion und Glaube. Am Anfang war das ganz am Platz, jetzt muß es ein Ende haben. Ernst mußt du zeigen in Worten und Taten, auf einen gewissen Punkt losarbeiten. Und je ernsthafter und ordentlicher du dich stellst, desto besser für uns – damit machst du auch unsern übrigen Anhang zuversichtlich, ziehst noch manchen auf unsre Seite, den das unmäßige, nichtsnutzige Schimpfen abhält.«

Eine Weile war es still: Hannes ging noch immer auf und ab; wie es gewaltsam in ihm arbeitete, zeigten seine zuckenden Gesichtsmuskeln. Paule hatte ihn erschreckt; Reinhardt und der Schulbauer zusammen waren ein Schreckbild, das ihn ängstete und quälte; seine Sorge wurde um so größer, als er, von sich selbst ausgehend, an der klug rechnenden Schlauheit Reinhardts nicht mehr zweifelte. Was sollte er ihm bieten, wenn er schon auf die reichste Erbin der Gegend spekulierte? Zugleich erfaßte ihn eine neue Wut über den Herrnbauer. Reinhardt war zwar kein Schwiegersohn, um den er ihn beneidete, aber sein Haß gegen den alten Feind war so groß, daß er ihm überhaupt nichts gönnte. Das Glück eines der verhaßten Mädchen war so gut wie zerstört; wenn Anna den Lehrer liebte, dann mußte er um so mehr an die Line gekettet werden, bis sie ihn verächtlich von sich warf. – Aber wie? hundert Pläne durchkreuzten sich in seinem Hirn, keiner erschien sicher genug.

Der Schuster saß gelangweilt am Tisch und sehnte sich ins Wirtshaus; er wunderte sich oft selber über das Vertrauen, welches er genoß; er ahnte nicht, daß er vom Hannes so gut als vom Paule als eine Art Bürgschaft für die Treue und Aufrichtigkeit des andern gebraucht wurde. Paule hatte den Kopf womöglich noch tiefer gesenkt; ein verächtliches Lächeln zog die dünnen, blutleeren Lippen in die Breite, und seine dunkeln Augen verfolgten lauernd jede Bewegung des Hausherrn. Endlich begann er gähnend: »Zerreiß dich nicht mit Sinnen so auf einmal, mit Gewalt ist dem Lehrer nicht beizukommen. Ist er um keinen Preis zu gewinnen, ei, so gibt es noch andere Wege, ihn unschädlich zu machen. Der Pfarrer sinnt Tag und Nacht auf seinen Untergang, daran ist kein Zweifel; wo ihm die Frommen, der Herrnbauer voran, einen Tritt geben können, werden sie es mit Freuden tun. Schlagen wir uns nun auch noch zu seinen Feinden und helfen nach, zum Kuckuck auch, es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn wir ihn nicht aus dem Dorf brächten. Wär' obendrein ein Hauptspaß, wenn uns die Frommen, vorndran der Pfaff', in die Hände arbeiten und merken's gar nicht!«

»Bist ein Satan, Paule!« lobte der Schuster.

»Ist rechtschaffen wahr!« schrie Hannes. »Kreuz, Blitz und Hagel! warum kam ich nicht selber darauf! Will er nicht nach unsrer Pfeife tanzen – ab mit ihm! Ist ein jung's Bürschle, hat Blut wie einer, so brav er sich stellt, macht zu rechter Zeit einen dummen Streich, Zeugen beweisen's seinem Leugnen zum Trotz, der Pfarrer wird mit zwei Händen solche Gelegenheit festhalten! – Denk', hab's getroffen?«

»Ganz meine Gedanken!« lachte Paule.

»So wird's gehen!« stimmte der Schuster bei.

»Und meinst du ernstlich, daß wir aus der Religion treten, eine freie Gemeinde gründen sollen? Wird uns die Geschichte nicht über den Kopf wachsen?«

»Will dir ehrlich meine Meinung sagen, Hannes«, begann Paule, aufstehend. »Über den Kopf ist uns die Geschichte lange gewachsen. Wir haben die Wahl: entweder mit Schimpf und Schande gänzlich zurück – oder vorwärts zu einer neuen Ordnung, die uns wirklich die Macht und Herrschaft in die Hand gibt, nach der wir so lange trachten. – Besinn' dich nicht, Hannes! Soll ich dir sagen, daß du und wir gar nicht mehr zurück können, wenn wir auch wollen? – Jetzt herzhaft darauflos; je eher wir unsern Zweck erreichen, desto besser!«

Hannes war rot geworden; schnaubend, die Nasenlöcher aufblasend, ging er auf und ab. »Und was soll geschehen?«

»Vorläufig sachte darauf vorbereiten, daß man ohne Religion am glücklichsten lebt, und so erst die Brummochsen an das Wort ›freie Gemeinde‹ gewöhnen: freisinnige Bücher und Zeitungen müssen bei – je gottloser, desto besser! – damit's die Narren auch schwarz und weiß vor sich haben, was sie von uns hören. Und so gehen wir Schritt für Schritt weiter; haben wir sie so recht in Jast und Hitze, nachher mag die Dummheit am Platz sein, von der du geredet.«

»Mag's sein – wüßte selber nichts Besseres!« knurrte Hannes. »Damit wären wir auch heut' fertig, will euch nicht länger vom Wirtshaus abhalten!«

»Noch nicht ganz!« lachte Paule und nickte dem Schuster zu. »Nur noch 'ne Kleinigkeit – wir brauchen Geld!«

Hannes fuhr herum, starrte ihn blinzelnd an, eine dunkle Röte stieg ihm langsam ins Gesicht, verbreitete sich sogar über Nacken und Schläfe. »Geld?« murmelte er endlich tonlos zwischen den Zähnen. »Geld? – Ist's dein Ernst, Paule?«

»Ich denke wohl!« lachte dieser und zeigte die gelben Zähne. »Mach' nur keine Umstände, und greif gleich ordentlich in den Kasten, mit ein paar Kreuzern ist uns nicht gedient!«

»Die Pest in deinen Hals!« schrie Hannes und schlug auf den Tisch. »Noch sind's keine sechs Wochen, daß ich euch fünfundzwanzig bare Gulden auf dem Tisch aufgezählt hab', und heut' schon wieder? Wer hat das halbe Gemeinderecht für euch bezahlt – wer, he? Und was habt ihr mir damals versprochen?«

»Schrei nur nicht so, kommen ohne Lärm auch zum Ziel. Das Gemeinderecht? – Pah! Zu wessen Vorteil ist's, daß wir jetzt auch in der Gemeindestube sitzen? Und mit deinen lumpigen fünfundzwanzig Gulden mach' dich nur ja nicht groß! – Ohne Präambeln! wir brauchen einmal Geld, und du wirst's schaffen!«

»Verdammt will ich sein, wenn ich noch einen roten Heller 'rausrücke! Blutsauger seid ihr, erbärmliche Blutsauger. Zehnmal mehr habt ihr mir schon ausgepreßt, als ihr mir genützt habt! Nichts mehr geb' ich, keinen Pfennig! Will mich von Lumpen, die nichts zu rate zu halten wissen, nicht zum Bettler machen lassen!«

»Besinn' dich, was du tust!«

»Willst mich angeben? – geh hin, tu's! Einen Trost hab' ich, daß ihr mir im Zuchthaus Gesellschaft leistet! Wird euch um nichts besser gefallen dort als mir!«

»Ist doch erst die Frag'! Sei nicht dumm, Hannes! wer wird dabei am meisten verlieren –du oder wir? Mache nur keine Weitläufigkeiten. Mußt uns nicht auch für Brummochsen estimieren. Was? – während du durch unsern Beistand alle Tage reicher wirst, herrlich und in Freuden lebst, sollen wir, deine besten Freunde, die dir aus mancher Patsche geholfen haben, uns kreuzlahm arbeiten und dann noch die Finger nach Erdäpfeln und Salz lecken? Nein, Hannes, so haben wir nicht gewettet! Ans Vermögen geht dir's noch lang' nicht, und die Brummochsen sorgen dafür, daß dein Beutel nicht leer wird. Hast du nicht auch die Aussicht, durch unsern Beistand alles hundertfältig wieder zu ersetzen, was du uns jetzt zukommen läßt, sind wir erst Herren in der Gemeinde? Kriegen wir dann auch einen austräglichen Brocken zusammen, werden wir dich nicht mehr plagen. – Also jetzt nicht weiter gesperrt, zähl' auf, aber mit einer Lumperei fang' nicht erst an!«

Hannes schoß wütende Blicke auf den Wagner, aber der hatte sich wieder gesetzt und den Kopf gesenkt wie gewöhnlich, er schien sie nicht zu bemerken. »Noch einmal mag's sein!« brach Hannes los. »Aber nehmt euch in acht, 's muß alles Maß und Ziel haben, und wenn ihr mich noch lang' so schraubt, weiß ich wahrhaftig nicht, ob ich nicht der ganzen Geschichte auf irgendeine Art ein Ende mache. Nehmt euch in acht, habt ihr mich gleich in Händen, ich bin doch noch der Jockenhannes! – Versprich mir wenigstens zuvor den Herrnbauer in meine Hände zu liefern!«

»Braucht's da erst eines Antriebes? Ist's nicht mein Vorteil so gut wie deiner? – Jetzt vorwärts, hol' das Geld, ich hab' Durst und will ins Wirtshaus!«

Knirschend nahm Hannes das Licht vom Tisch und ging in das Nebenzimmer. »Mach's doch nicht allzu arg!« flüsterte der Schuster ängstlich. »Der Hannes ist ein gefährlicher Mensch, dem ist alles zuzutrauen!«

»Laß mich nur machen! Verlaß dich drauf, der bäumt nicht!« zischte der Wagner durch die Zähne.

Hannes kehrte zurück und warf eine Handvoll Talerscheine auf den Tisch. »Da, nehmt! Laßt mich aber nun in Ruhe: beim Teufel, meine Geduld ist zu Ende!«

Lachend zählte Paule die Scheine, schob dem Schuster die Hälfte zu und meinte: »'s könnte zwar mehr sein, aber man sieht doch den guten Willen! Laß dir die Papierlümple nicht so zu herzen gehen, bist du erst Schulz, kommt alles wieder! Gute Nacht!«

Hannes war allein: gespannt lauschte er auf die verhallenden Schritte seiner Genossen, dann knirschte er mit den Zähnen, greuliche Flüche und Verwünschungen zischte er hervor, heftig ging er auf und ab, wilde Gedanken, finstere Entschlüsse schossen ihm durchs Hirn. Unwillkürlich erwachte die Erinnerung an seine Vergangenheit, Bild auf Bild zog leise an ihm vorüber. Von Jugend auf hatte er sich nach dem Glück gesehnt. Rastlos hatte er gerungen, gearbeitet, gefrevelt, endlich das Glück zu erlangen – und nun? War das der Preis seines Lebens?

In Armut und Elend war er aufgewachsen, schon als Knabe hatte er Unrecht, Spott und manche Mißhandlung seiner glücklicheren Kameraden erdulden müssen. Seine Eltern, arme Tagelöhnersleute, konnten sich wenig um ihn kümmern; in den Häusern, wo sie gerade arbeiteten, trieb er sich den langen Tag zwecklos herum, von den Herrenleuten aus einer Ecke in die andere gejagt, von den Kindern geprügelt und gequält, beschimpft und verhöhnt, von den Dienstboten getreten und geschlagen wie ein Hund. Oft weinte er bitterlich, dann wurde er trotzig, suchte die Unbill zu vergelten, die ihm zugefügt wurde. Dadurch verschlimmerte sich seine Lage, grausame Züchtigungen folgten seinen Rachetaten, er kam in den Ruf eines boshaften, meisterlosen Buben, überall begegnete er mißtrauischen Blicken, jedes glaubte eine gute Tat zu vollbringen, wenn es auf den »wilden Hannes« losschlug. – Auch in der Schule fand Hannes weder Teilnahme noch Gerechtigkeit. Sein aufgeweckter Geist, sein Fleiß, sein Eifer blieb unbeachtet, sein lebendiges Wesen wurde als Leichtsinn, boshafte Unruhe verdächtigt – auch in der Schule mußte er für seine Armut und Niedrigkeit büßen. Wohl klagte Hannes im Anfang den Eltern seine Not; allein der Trost, den er empfing, war gefährlicher als das Unrecht, um das er klagte. »Geschieht dir recht!« »Was bist du so dumm und läßt dich immer erwischen?« – Bald klagte nun auch Hannes nicht mehr, eine so rücksichtslose Kühnheit kam über ihn, die vor nichts mehr zurückschreckte. Was hatte er auch noch zu verlieren? Seine Kameraden schlug er bei jeder Gelegenheit; es kam zu förmlichen Schlachten, aber obgleich er allein der gesamten Dorfjugend entgegenstand, blieb er stets Sieger! Nach kurzer Zeit war der verachtete Sklave und Prügeljunge unbeschränkter Herr über seine Kameraden, jeder Blick von ihm war Befehl. Aber auch mit den Erwachsenen nahm er den Kampf auf, niemand wagte mehr ihn zu züchtigen, das ganze Dorf fürchtete den unbändigen Knaben, Hannes war der Schrecken des Lehrers und des Pfarrers.

Als Sieger ging er aus diesem Kampf hervor, allein teuer bezahlte er ihn. Der letzte Rest von kindlichem Gefühl war ertötet, der vierzehnjährige Knabe glaubte weder an Liebe noch an Gerechtigkeit, die Menschen haßte und verachtete er, sowohl in der Schule als auch später beim Pfarrer verlachte und verspottete er den Religionsunterricht. Hatte sich Gott seiner angenommen? Der Ungerechtigkeit gesteuert? Ihm beigestanden in all seinen Nöten? – Nichts war es mit dieser Hilfe, nur seiner eignen Kraft hatte er es zu danken, daß sich sein Zustand gebessert! Und sah er denn nicht täglich das gleiche sich überall wiederholen? Der Starke war Herr, der Schwache Knecht! Nur der Reichtum machte eine Ausnahme! Auch der Schwache, wenn er Geld hat, kann sich Kräfte kaufen, die für ihn vollbringen, was er selber nicht vermag. Also Stärke – ja! So reifte schon frühe der Vorsatz in ihm: reich muß ich werden, reich um jeden Preis!

Wichtige Veränderungen in den Verhältnissen seiner Eltern vollendeten seinen moralischen Untergang. Der alte Jock errichtete in dem einsamen Häuschen draußen am Lindenberg eine Bierschenke und hatte bald großen Zulauf. Hannes wußte, daß die Männer das heimlich betriebene hohe Spiel anlockte; bald kam er auch dahinter, sein Vater wisse dem Glück beim Spiel geschickt unter die Arme zu greifen. Dem frühreifen Knaben entging ferner nicht, daß auch die Mutter das Ihre beitrug, Gäste anzuziehen. Zwar verachtete er die Eltern, dennoch ließ er nie ein tadelndes Wort laut werden. Das beginnende Wohlleben behagte ihm, seiner stark entwickelten Sinnlichkeit leuchtete die täglich gepredigte Lebensweisheit nur allzugut ein: Genuß ist das Höchste und Beste im Leben! Vor allem aber schloß ihm die Aussicht den Mund, ohne Mühe durch die Eltern reich zu werden. Hannes war schon in seiner Jugend ein vollendeter Egoist: der Egoismus machte ihn schon jetzt zum vollendeten Heuchler. Nie trat er mit seiner wahren Meinung hervor, schlau wußte er die Gesinnung anderer zu erforschen, allen schmeichelte er, jedem schien er zu dienen und nützte alle für sich aus.

Die wachsende Schande der Eltern, die er nicht teilen, deren Preis er aber auch nicht missen mochte, bestimmte den klug Rechnenden, das Elternhaus zu verlassen. Er ging in der Stadt in eine große Brauerei, besuchte fleißig die Sonntagsschule, nahm viele Privatstunden; auch das hatte er eingesehen, daß die Klugheit ohne ein tüchtiges Wissen ein stumpfes Messer ist. Er lernte unermüdet, seine Lehrer staunten über seinen Fleiß. Bei aller Arbeit vergaß er auch den Genuß nicht: es waren wüste Jahre, die er in der Stadt verlebte.

Während Hannes so im Schmutz und in Gemeinheit den letzten Funken edleren Gefühls erstickte, hamsterten daheim die Eltern und scharrten Geld auf Geld zusammen für den Sohn, der sie verachtete. Der alte Jock kaufte der Witwe des Kirchbauern ihren Hof ab. Die Bergheimer wollten wissen, er habe der unglücklichen Frau nur wenig bar auszuzahlen gebraucht. Hannes kehrte nun heim, zeigte aber wenig Freude am Bierschank, beschränkte sich auf die Bewirtschaftung des Gutes: auch duldete er nicht, daß die Mutter die Gäste anlockte.

Ob die Alten merkten, wie wenig Dank ihnen der einzige Sohn wußte? Ziemlich jung starben beide rasch nacheinander, Hannes trug ein Jahr einen Flor am Ärmel, im stillen jubelte er – jetzt war seine Zeit gekommen!

Den Bierschrank gab er auf, das ererbte Wuchergeschäft betrieb er jedoch im stillen noch schwunghafter, härter, schonungsloser als selbst sein Vater. Er war wohl reicher, als er je zu hoffen gewagt, allein der Reichtum war ja Macht, Ehre, Genuß – wie hätte Hannes säumen können, sein Gut zu mehren?

Vier Wochen nach dem Tod der Eltern warb Hannes um die beiden reichsten Erbinnen der Gegend, um die Herrnbauerslisbeth und um das Sülzdorfer Schulbauernmariebärble. Hier wie dort erhielt er einen Korb. Rache, blutig, ingrimmige Rache war sein einziges Denken. Und er rächte sich! Auf den Tod verwundete er den Herrnbauer und Schulbauer. Freilich kostete ihn seine Rache einen Meineid – aber was kümmerte ihn ein Meineid? – Ein Wendepunkt wurde diese Handlung dennoch in seinem Leben, sie brachte ihn mit dem Wagnerspaule und Simesschuster zusammen, in denen er schon lange verwandte Seelen geahnt. Gegen eine ziemliche Summe wurden sie Teilhaber seines Meineids; von der Zeit blieben sie seine Freunde.

Ihres Geldes, ihrer angesehenen Verwandtschaft wegen heiratete er die Beckenmargelies. Die Ehe war ihm nur eine Form, seine Frau achtete er kaum als Haushälterin, er suchte sein Glück auswärts. Er wollte genießen – darüber vergaß er fast seine Klugheit, sein wildes Treiben brachte ihm eine Anklage auf Mord. Zwar bewies er seine Unschuld, allein die Anklage kostete seiner Frau das Leben, ihm selber seinen Ruf. Von da an begann eine neue Wendung seines Lebens. Äußerlich lebte er stiller, eingezogner, im geheimen desto ausschweifender. Wenn möglich waren sein Menschenhaß, seine Verachtung aller sittlichen und bürgerlichen Ordnungen noch größer geworden: es war ihm ein Genuß, die Moral zu verhöhnen, die Gesetze zu übertreten: mit wollüstiger Grausamkeit richtete er durch seinen Geldwucher Familie um Familie zugrunde. Um sein Ansehen herzustellen, verkehrte er in den benachbarten Städten viel mit den Herren von den Ämtern, mit Advokaten, studierten Ökonomen, mit Förstern und ähnlichen Leuten. Er wurde allmählich vornehmer, selbstbewußter in seinem Auftreten den Nachbarn gegenüber; sein Ansehen wuchs.

Aber wunderlich! Je mehr sich seine Stellung befestigte, je mehr ihn das Glück begünstigte, desto unzufriedener wurde er. Eine unruhige Hast trieb ihn umher; eine Glut brannte in ihm, die sich durch nichts löschen ließ. Oft wühlte er mit heißen Händen gierig in seinen Goldstücken und verfluchte doch dabei das Metall, das seine Sehnsucht nicht stillen konnte. Mit einer wahren Wut lehnte er sich dagegen auf und konnte doch das Gefühl nicht bannen: du bist der elendeste Mensch auf der Welt.

Schroffer und härter trat er nach allen Seiten auf, verhöhnte seine Freunde, die er verachtete, und trat rückhaltlos mit seinen religionsfeindlichen Anschauungen hervor.

Er hatte plötzlich gefunden, was ihm fehlte! Herrschen mußte er, herrschen über seine ganze Umgebung. Gefürchtet wollte er sein, gefürchtet und gehaßt. Jetzt glaubte er auch die verzehrende Glut in seinem Innern Zu verstehen – es war der Durst nach Rache an seinem alten Gegner, dem Herrnbauer, der ihm zum Trotz täglich reicher, glücklicher wurde, der nach dem plötzlichen Tod der beiden Kinder des Sülzdorfer Schulbauern auch dessen Vermögen noch erben sollte. Das erschien ihm wie persönliche Beleidigung: fallen mußte der Herrnbauer, sein Glück mußte zerstört werden um jeden Preis! Hannes glaubte weder an Wahrheit noch an Recht, weder an Frömmigkeit noch an Tugend, und dennoch belästigten ihn diese Dinge; durch ein langes Leben hatte er alles Edle unter die Füße getreten: gab es denn kein Mittel, sich diese Wahngebilde für immer vom Halse zu schaffen? – Freilich gab es eines – und jetzt jauchzte der Teufel in ihm auf! Fest stand es in ihm! Niemand mehr dürfe besser sein als er selbst: sittlich mußte er die Nachbarn verderben, nieder mußte er sie ziehen in den Schmutz des Unrechts, der Sünde, um stolz und frei unter ihnen zu stehen.

Bisher hatte ihn ein merkwürdiges Glück begünstigt, allmählich wurde das aber anders. Seine Vergangenheit erwachte. Es kostete ihm schwere Summen, um alte Sünden zu vertuschen, Schmach und Strafe abzuwenden. Sein Geldwucher reichte nicht aus, die Lücken in seiner Kasse zu decken: mit Schrecken sah Hannes jetzt im Alter sein Vermögen schwinden. Als seine schlimmsten Gegner entpuppten sich seine Freunde, der Wagnerspaule und der Simesschuster. Unverschämt beuteten sie ihn aus: mit Schrecken mußte er sich sagen, daß diese allein ihn endlich zum armen Mann machen würden. Oft kam eine entsetzliche Angst über ihn; sollten ihm die Früchte seines Lebens entschwinden? Neue Pläne schmiedete er, die Verluste zu ersetzen. Jetzt handelte es sich nicht mehr bloß darum, seine Nachbarn sittlich zu verderben, er wollte auch Herr werden über sie, Herr über das reiche Gemeindegut. Und das alte Glück schien ihn wieder zu begünstigen, der Erfolg schien gesichert. Das gab ihm zuzeiten seine stolze Sicherheit zurück. Aber es kamen auch Augenblicke, wo ihn eine trostlose Vergangenheit, eine dunkle Zukunft zu erdrücken drohte.

Schon früher waren ihm solche ängstliche Augenblicke nicht gänzlich fremd gewesen. Seit jener fürchterlichen Nacht, da er, den wütenden Stichen des sinnlosen Einzelberger Schäfers zu entgehen, diesem die Gurgel zusammenpreßte – oh! und dabei seine Riesenkraft vergaß und erst bemerkte, was geschehen, als der Mann plötzlich stumm, kalt und schwer in seinen Händen hing und nicht wieder erwachte – seit jener Nacht konnte er Dunkelheit und Einsamkeit nicht ertragen. Aber in jüngster Zeit mehrte sich sein Entsetzen, er zitterte schon am Morgen vor dem Zubettgehen. – Auch jetzt schüttelte ihn ein eisiges, unsagbares Grauen, und während er in wilder Wut über seine falschen Freunde, die ihn schmachvoll ausbeuteten, knirschte und wilde Rachegedanken in seinem Hirn umwälzte, schrak er bei jedem Geräusche zusammen, sträubte sich sein Haar in namenlosem Entsetzen!

Zitternd schlich er zur Tür, verriegelte sie von innen, und so noch zwei Türen: dann erst wagte er sich zu entkleiden. Und dreifach schloß er sich jede Nacht ab, damit niemand seine Angstschreie vernehme, wenn ihn die bösen, fürchterlichen Träume quälten, niemand ihn belausche, wenn er etwa im Schlafe seine Verbrechen ausplaudere.

»Ist das ein Leben?« seufzte er, als er sich ruhelos in den weichen Kissen umherwarf. »Soll es ewig so fortgehen? – und wie wird es enden?« – Plötzlich saß er schweißtriefend im Bett, eisige, erstarrende Todesangst kroch durch sein klapperndes Gebein, seine zitternde Hand langte nach dem scharf geladenen Doppelgewehr neben seinem Bett. – Wie, wenn ihn im Schlafe eine Krankheit überfiel und des Bewußtseins beraubte? Wenn das erhitzte Gehirn, nicht mehr von seinem Willen gebändigt, die Herrschaft über seine Zunge gewann und laut seine Schuld in wilden Phantasien hinausschrie unter die Helfer, die die dreifachen Türen nicht abgehalten? – Wie, wenn er eines Morgens nach schwerem Schlafe im Gefängnis auf feuchtem Stroh erwachte, mit klirrenden Ketten an die Mauer geschmiedet? – – Ein heiserer Schrei entrang sich seiner ausgetrockneten Kehle: »Nein, nein! so weit soll's nicht kommen! Dagegen gibt es ein sicheres Mittel!« Gespenstisch knackten die Hähne. – – – »Noch nicht! Die Angst wird wieder vorübergehen. – Und krank werden will ich nicht – ich will nicht! – Wenn ich was merke, das geringste nur merke, wie Krankheit – dann – dann ist's auch noch Zeit!« – Vorsichtig ließ er die Hähne nieder und lehnte das Gewehr an seinen Platz. Noch lange rang er die Hände: »Wenn nur das eine – das eine nicht wäre!«


 << zurück weiter >>