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Drittes Kapitel

Droben auf dem Kulm, in halber Höhe des Berges, gerade über dem Dorfe, hatte sich auf der kleinen Ebene vor dem Tannenwald eine bunte, fröhliche Gesellschaft zusammengefunden. In malerischer Unordnung standen, saßen und lagen Männer, Burschen und Knaben umher, machten es sich im weichen Moos bequem und freuten sich des schönen, arbeitsfreien Festmorgens, dem noch ein langer, freudenreicher Tag und Abend folgen sollte, blickten hinein in die grüne Welt und lauschten den lustigen Tanzweisen. Harmlose Heiterkeit belebte die Versammelten, muntere Scherze und Neckereien wurden lebhaft belacht.

Mit aufrichtiger Freude begrüßten besonders die Musikanten den Lehrer Reinhardt, als er mit dem Beckenkarl, vom Steinschrot kommend, den Platz betrat. Der Blümlesschuster, so genannt wegen seiner leidenschaftlichen Blumenliebhaberei, ein noch junger Mann, drückte ihm treuherzig die Hand und sagte: »Das lass' ich mir gefallen, Herr Lehrer, daß Sie Ihre Musikanten auch einmal außer Dienst aufsuchen! Sind schon so lang' in Bergheim und noch fast fremd unter den Nachbarn!«

»Und den Tanzboden kennen Sie noch gar nicht!« fiel der lustige Drechslersludwig ein. »Das ist nichts, Herr Lehrer! Eh' Sie nicht ein Paar Stiefelsohlen bei uns durchgetanzt haben, eh' sind Sie kein rechter Bergheimer!«

»Ja, He' Schulmeiste',« meinte der alte Bergkasper, der das R nicht aussprechen konnte, »und unte' unse'n Mädlen müssen Sie sich auch einmal umgucken! Sind Staatsmädle drunte! Da ist die Dockenline und die He'nbaue'sanne und – –«

»Schon gut, Kasper!« lachte Fritz und schüttelte dem Alten die Hand. »Ich will gleich heute abend den Anfang machen. – Ja, ja, es ist mein Ernst!« rief er, als sich Männer und Bursche um ihn drängten; »laßt mich nur wieder zu Atem kommen!«

»Heda, ist das auch eine Art, daß ihr den Musikanten die Kehlen so austrocknen laßt?« unterbrach ihn Karl und zog ein Geldstück aus der Tasche. »Wer gibt noch was, daß wir einen Gießer Bier holen lassen?«

»Karl, was machst du?« sagte Fritz. »Wenn das der Pfarrer erfährt?«

»Was da Pfarrer!« fiel der Beckenbauer ein. »Der hat uns nichts zu befehlen. Ist ein alter Brauch, daß am zweiten Feiertag die Musik auf dem Berg bläst, daran soll er nicht rütteln.«

Fritz schwieg achselzuckend und blickte bedenklich hinab in das Dorf und nach dem Pfarrhaus, ihm ahnte nichts Gutes. Richtig kam auch soeben die Pfarrmagd aus den Hecken der Gärten hervor und keuchte eilfertig den Berg hinan. Die Musik brach ab, die Männer traten zusammen und erwarteten finster das Mädchen.

»Der Herr Pfarrer verbieten die Musik und den sündlichen Lärm am heiligen Feiertag!« rief sie schon von weitem. »Der Herr Pfarrer befehlen den Musikanten, daß sie sogleich nach Hause gehen; wer nicht im Augenblick den Platz räumt, der wird sehen, was ihm geschieht!«

»Das ist starker Tabak!« meinte der Drechslersludwig. »Sollen wir uns das gefallen lassen?«

»Der Pfarrer hat uns nichts zu befehlen!« schrie der Blümlesschuster, und die Gesellschaft kam in Bewegung. Da drängte sich der Beckenbauer, Karls Bruder, vor, gebot Ruhe und rief der Magd zu: »Sag' deinem Herrn: er wär' der Pfarrer und ich der Beckenjörg von Bergheim! Sag' ihm: Der Beckenjörg ist in seinem Haus immer zu finden, wenn er was mit ihm auszumachen hat, aber heimschicken wie einen dummen Jungen läßt er sich nicht! Ich weiß auch, was sich schickt am Feiertag, ich kann Unfug so wenig leiden als der Pfarrer, drum sag' ich, wir bleiben zusammen! Den will ich sehen, der uns vertreibt! Was auch geschieht, ich verantwort's, ich, der Beckenbauer! Geh, sag' das deinem Herrn! Und nun aufgespielt, ihr Musikanten, auf meine Verantwortung!«

Die schnippische Entgegnung der Magd schnitt die losschmetternde Musik ab; von Hohn- und Scheltreden verfolgt, trat sie den Heimweg an. Vorbei war es mit der harmlosen Festfreude. Die ernsten Männer, der Beckenbauer, Ungerskasper, der Bergjörg schauten finster drein, der Paulesnikel wackelte mit dem Kopf und knurrte unverständliche Worte in sich hinein. Der Veitenbauer schalt schon laut auf den Pfarrer, und der Wagnerspaule, ein schmächtiges Männchen, dessen tiefliegende Augen unter den buschigen Brauen lauernd hervorblitzten und rastlos umherirrten, ließ sein kurzes, spitzes, höhnisches Lachen vernehmen und versicherte: so sei es ganz recht, so müsse es kommen, solle es besser in der Welt werden! Zuletzt würden ja doch auch den Dummen die Augen aufgehen, sie würden die Plackerei satt bekommen und einsehen, daß sich's ohne Pfarrer und Religion viel schöner leben lasse. Das empörte nun wieder den frommen Uhrmacherle. Er schrie Zeter über solche Lästerungen und rief Gottes Fluch und Strafgericht auf die Spötter, Sünder und Ungläubigen herab. Parteien traten zusammen und schalten heftig gegeneinander, das übermütige Jungvolk lärmte und grölte aus Leibeskräften, und die Musik brach fast nicht mehr ab. Fritz war tief verstimmt über diese häßliche Störung; als nun auch noch der Biergießer erschien, wendete er sich still zum Gehen.

»Holla – was soll das heißen?« rief ihm Karl nach. »Niemand darf jetzt den Platz verlassen, du gar nicht!«

»Herr Lehrer, Sie werden mir doch das nicht tun?« fiel der Beckenjörg ein, und der Wagnerspaule lachte: »'s Herz ist ihm in die Hosen g'fallen! Laßt ihn doch, das ist doch auch so ein Pfarrknecht und Heiligenfresser!«

Fritz kehrte um und sagte: »Ich will nicht verhehlen, daß mir die Art und Weise, wie hier dem Pfarrer Trotz geboten wird, durchaus nicht gefallen kann. Das Verlangen des Pfarrers war ungerecht, unser fröhliches Zusammensein entheiligte den Festtag nicht. Darum war es in der Ordnung, sein Begehren abzuweisen. Fahrt ihr aber so fort zu lärmen und zu toben, wie ihr angefangen, dann muß allerdings für die stillen Leute im Dorf, für die fremden Kirchgänger unser Zusammensein ein Ärgernis werden, und der Pfarrer kann sich mit Recht über Störung beklagen. Ich aber will meinem Gegner nicht selbst die Waffen in die Hände drücken – darum entferne ich mich!«

»Das ist 'ne vernünftige Red'!« rief der Beckenbauer. »Ruhe jetzt und Ordnung! wir dürfen dem Pfarrer nicht den Beweis liefern, daß er uns mit Recht für dumme Jungen achte! Ruhe und Ordnung, sag' ich! wer noch einmal juchzt, dem schlage ich alle fünf Finger hinter die Ohren! Und nun bleiben Sie bei uns, Herr Lehrer, nicht wahr?«

»Gerne!« war die freundliche Antwort. »Aber, wie ich sehe, haben die Musikanten ihre Notenhefte mitgebracht – ei, das ist schön! Eure Tänze kennen wir alle auswendig – kommt, spielt uns etwas Ordentliches, ich werde dirigieren! Wer läuft in die Schule und holt unsere Liederbücher? Denkt doch, wie schön ein vierstimmiger Gesang in das Dorf hinabklingen muß!«

Der Vorschlag fand Beifall, die Ruhe und Ordnung kam von selbst, als nun wirklich ein sanftes, getragnes Musikstück begann. Fritz sang mit seinen Musikanten ernste und heitere Lieder, zuletzt: Dies ist der Tag des Herrn.

»So, damit mag es heute genug sein!« sagte er, als nach Schluß des Gesanges vom Turm das zweite Zeichenläuten ertönte. Davon wollte die Versammlung durchaus nichts wissen, aber Fritz blieb fest auf seinem Willen: »Wir dürfen dem Pfarrer nicht Veranlassung zu Beschwerden geben, darum muß wenigstens die Musik den Platz verlassen.« Als die Choradstanten zögerten, fuhr er fort: »Ich habe nie den Vorgesetzten gegen euch herausgekehrt, war euch gefällig, wo ich konnte; darum dürft ihr meine erste Bitte nicht abschlagen. Ihr Musikanten, geht jetzt mit mir still ins Dorf zurück und rüstet euch, in der Kirche einen Choral zu blasen. Ihr geht jetzt mit – soll ich euretwegen Ungelegenheiten haben?« Das wirkte. Der Wagnerspaule schien mit seinem Anhang allerdings den Platz behaupten zu wollen; ohne Musik mochte es aber den Männern doch auch langweilig auf der Höhe werden, in kurzer Zeit war der Berghang leer.

Fritz schritt nachdenklich die Dorfstraße hinab; die Vorgänge dieses Morgens erregten die widersprechendsten Empfindungen in ihm. So hätte er fast den Pfarrer übersehen, der in dem zum Pfarrhaus führenden Baumgang neben der Gartentüre stand und ihn heftig zu sich winkte. Ihm mochte Fritz zu langsam gehen; er stieß hastig die Gittertüre auf, eilte ihm einige Schritte entgegen und rief, ohne seinen Gruß zu beachten: »Was muß ich von Ihnen erleben? Auch Sie, ein christlicher Schullehrer, nehmen teil an dieser gottlosen Sabbatschändung? Statt mit einem guten Beispiel in allen Dingen der Gemeinde voranzugehen, machen Sie diesen sündlichen Unfug durch Ihre Gegenwart erst recht zu einem Ärgernis für alle Gutgesinnten? Herr, ich warne –«

»Herr Pfarrer,« unterbrach Fritz den Eifernden, »wenn Sie mir eine Mitteilung zu machen haben, dürfte die Straße wohl kaum der geeignete Ort sein. Im übrigen feiern wir auch heute den zweiten Pfingsttag! Guten Morgen!« Ohne sich nach dem Überraschten umzusehen, eilte er seiner Wohnstube zu.

In seiner Wohnstube riß Fritz die Fenster auf, bog sich weit hinaus und sog in tiefen Zügen die frische Morgenluft ein.

Leise rauschte und flüsterte das Laub der Kastanie vor dem Haus, im Schloßgarten drüben schlugen Grasmücken und Finken, von den Fliederbüschen und Narzissen im Garten, wehten würzige Düfte herein, fröhlicher Sonnenschein lachte ins Zimmer – Fritz war wieder auf dem Steinschrot, die Vöglein sangen, die Büsche rauschten, ein Paar wunderbar tiefe Augen leuchteten auf ihn nieder, die Maiglöckchen dufteten und läuteten sanft verhallend den Frieden ein. Er betrachtete sinnend das Sträußchen, das ihm Anna gegeben. Als er es in seinem Wasserglas auf seine Kommode stellen wollte, fiel sein Blick auf eine Photographie, von der ihm ein hübsches Mädchengesicht fröhlich entgegenlachte. Fritz strich sich über die Stirn, stellte das Sträußchen auf den Ecktisch und trat an das offene Fenster.

Eben sah er durch die offenen Schallfenster, wie sich droben im Turm die Glocken in Bewegung setzten; einzelne Schläge der Klöppel machten die Glocken erzittern, bald brauste das volle Geläute herab; und die Luft über dem Dorf, der Sonnenschein selbst, der so golden auf Baum und Busch, Haus und Garten glänzte, auf den goldenen Buchstaben der Kreuze droben im Friedhof brannte, schien mitzuschwingen und mitzuklingen.

Droben auf dem Friedhof wandelten Kirchgänger zwischen den Kreuzen und hölzernen Gedenktafeln umher, im Schloßgarten, auf der Dorfgasse, unter der Planlinde standen Gruppen geputzter Menschen. Die seidenen Tücher und Schürzen der Mädchen rauschten und knitterten im Morgenwind, die frischen Farben leuchteten im Sonnenlicht. Wie ward es Fritz so wohl, als er, von feierlichen Glockentönen umwallt, hineinblickte in diese frischen Gesichter, den markigen Gestalten nachsah, die nun langsam den einladend geöffneten Türen des Gotteshauses zuschritten. Er stand ja freilich nicht mehr auf dem Boden ihres Glaubens, aber was wollte dieser Unterschied besagen? Strebten sie nicht im letzten Grund doch dem einen und gleichen Ziele zu? Ja, er war nicht einsam, ihn trennte nichts von den Gläubigen da unten; wenn auch sein Glaubensbekenntnis anders lautete, er war auch ein Glied der großen Gemeinde, die heute auf dem Erdball das Pfingstfest feierte! Ein Schauer überrieselte ihn, er empfand die Herrlichkeit der Gemeinschaft.

Der Schauer überkam ihn stärker, als er das dichtgefüllte Gotteshaus betrat; lebendige Liebe quoll auf in seinem Herzen. Mit freudigem Stolz griff er in die Tasten der Orgel, aus voller Seele konnte er einstimmen in den brausenden Gemeindegesang: Komm, heil'ger Geist, erfüll' die Herzen deiner Gläubigen!

Der letzte Hauch der Orgel verhallte – der Geistliche stand auf der Kanzel. Nach langem Gebet verlas er das Evangelium auf den zweiten Pfingsttag: Ev. Joh. 3, 16–21.

Wie linder Frühlingshauch legten sich diese Worte der ewigen, erbarmenden Liebe in das Herz des Jünglings. Das war keine Verurteilung und Verdammung, keine Trennung und Scheidung. Nicht gerichtet, selig soll die Welt werden! » Wer die Wahrheit tut, der kommt an das Licht, denn seine Werke sind in Gott getan!«

Wie wurde aber dem Lehrer, als der Geistliche an diesen Text eine donnernde Strafrede gegen den einreißenden Unglauben knüpfte!

Fritz wollte sich zwingen, nicht mehr auf den Pfarrer zu hören, allein es gelang ihm nicht, die scharfe Stimme des Predigers übertönte jeden eignen Gedanken. Und während der Prediger immer heftiger eiferte, zürnte und schalt, lag der Sonnenschein golden auf Feld und Flur, Schmetterlinge umgaukelten bunte Blüten, Vögel tummelten sich in den Zweigen, vom Kulm grüßten dunkelgrüne Tannen heran und lockten in ihre stille Schattendämmerung, vom Steinschrot kamen Bursche und Mädchen fröhlichen Herzens herab –

Endlich war der Gottesdienst zu Ende; die Zuhörer verließen aufatmend, wohl auch leise Bemerkungen wechselnd, die Kirche, nur Fritz saß noch auf der Orgelbank. Die erhabenen Akkorde des alten Meisters, die unter seinen Fingern lebendig hervorquollen, hoben seinen Geist in wunderbare Welten voll Licht und Seligkeit.

– – »Sie sollen gleich zum Herrn Pfarrer in die Sakristei!« überschrie der Uhrmacherle, der das Amt eines Klingelmeisters bekleidete, die Orgel. Fritz fuhr zusammen, mit grellen Mißtönen brach das Orgelstück ab. Langsam schob der Lehrer die Registerzüge zurück, verschloß die Orgel und schritt durch die hallende Kirche nach der Sakristei.

Der Pfarrer mußte seinen Eintritt überhört haben, er blieb über den Tisch gebeugt und zählte eifrig die Einlage in den Klingelbeutel. Fritz begann endlich stockend: »Herr Pfarrer, ich habe Ihnen heute morgen vielleicht heftiger als schicklich geantwortet, ich –«

»Schon gut!« unterbrach ihn der Pfarrer. »Schweigen Sie, bis wir allein sind!«

Das höhnische Grinsen des Uhrmacherle trieb dem Lehrer das Blut in die Wangen, unwillkürlich knitterte er seine Hutkrämpe zusammen. Seine Geduld wurde auf harte Probe gestellt, das Geldzählen dehnte sich endlos hinaus, und auch dann schien der Uhrmacherle gar keine Eile zu haben, die Sakristei zu verlassen.

Fritz machte noch einen Versuch, seine Entschuldigung anzubringen, allein der Geistliche, der die Hände in den weiten Ärmeln seines Priesterrockes verbarg und mit gesenktem Haupt vor ihm stand, unterbrach ihn auch jetzt. Mit mühsam erzwungener Sanftmut, ohne aufzublicken, sagte er: »Lassen wir das! Auch ich habe gefehlt, habe mich vom Teufel zu sündlicher Heftigkeit hinreißen lassen. Die Strafe war gerecht, und ich zürne Ihnen nicht, Sie waren nur das Werkzeug in der Hand eines Höheren, das mich züchtigen und demütigen sollte. – Aber nicht deswegen habe ich Sie rufen lassen. Junger Mann, mein Herz ist bekümmert um Ihretwillen. Ich muß Sie auf Wegen wandeln sehen, an deren Ende ich nur mit Zittern und Grauen denken kann; immer mehr sehe ich Sie versinken in die Eitelkeiten und Torheiten menschlichen Dichtens und Trachtens. Zürnen Sie mir nicht, ich darf nicht länger schweigen; nicht allein das Heil Ihrer unsterblichen Seele zwingt mich zu reden, ich bin auch verantwortlich für die unsterblichen Seelen Ihrer Schüler. Weisen Sie das Wort eines aufrichtigen, wahren Freundes nicht ab. Kehren Sie um! Geben Sie die hochmütigen eigenen Gedanken auf, wenden Sie sich ab von der eitel sich blähenden menschlichen Afterweisheit, kehren Sie zurück zur leuchtenden, ewigen Sonne der Wahrheit! Halten Sie fest daran, daß wir aus eigener Kraft nichts vermögen, daß wir ohne die unendliche Liebe unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi in ewiger Verdammnis schmachten müßten!«

»Herr Pfarrer!« unterbrach Fritz den Eifrigen – –

»Gut, gut, reden Sie nicht!« entgegnete ihm Walter mit zuckenden Lippen. »Ich will mich in Geduld fassen, hoffen, daß endlich doch die göttliche Gnade in Ihnen zum Durchbruch kommen werde. Aber Sie stehen mir nicht bloß als Beichtkind gegenüber, sondern auch als Lehrer. Mit Bedauern muß ich Ihnen sagen, daß ich mit der Zucht in Ihrer Schule sehr unzufrieden bin. Eine betrübende Unordnung ist unter der Jugend eingerissen, ein zuchtloses Wesen beginnt Platz zu greifen. Ich warne Sie ernstlich, dieses Übel durch Schlaffheit in der Zucht, durch das moderne spielerische Treiben in der Schule noch zu vergrößern. Im besonderen mache ich Sie dafür verantwortlich, daß heute abend kein Schulkind den Tanzplatz betritt!«

»Wie soll ich dafür stehen?« rief Fritz, dessen Wangen brannten. »Wohl habe ich den Kindern verboten, dahin zu gehen, allein, kann ich erzwingen, daß mein Verbot auch befolgt wird?«

»Machen Sie Übertretungen unmöglich!«

»Ah – ich verstehe! Ich soll ein wenig Polizei spielen! Allein, haben Sie ganz vergessen, Herr Pfarrer, wie Sie selbst mir bei meiner Einführung hier so dringend ans Herz legten, den Tanzboden zu fliehen wie die Pest?«

»Um eitle Vergnügungen zu suchen, ja! Etwas anderes ist es, führt Sie treue Pflichterfüllung auf diesen Tummelplatz des Teufels!«

»Ich aber erkläre Ihnen hiermit, daß ich mich niemals zum Polizeidiener werde herabwürdigen lassen!«

»Herr! Wollen Sie sich gegen Ihren Vorgesetzten auflehnen?«

»Nein, nicht auflehnen, aber unberechtigte Zumutungen abweisen!«

»Herr, Sie zwingen mich, bei der Behörde Klage gegen Sie zu erheben!«

»Tun Sie, was Sie vor Ihrem Gewissen verantworten können! Jetzt hören Sie auch mich! Der Vorwurf über einreißende Zuchtlosigkeit in der Schule trifft mich nicht, solange er als unbewiesene Behauptung in der Luft schwebt. Der Besuch des Tanzbodens von Schulkindern hängt mit der Schulzucht nicht zusammen, diese Unsitte abzustellen, ist Sache der Ortspolizei. Was die übrigen Vorwürfe und Anklagen betrifft, mit denen Sie mich überstürzten, so würden sie beleidigend sein, wären sie irgendwie haltbar. Ich empfehle mich Ihnen!« Damit verließ er die Sakristei.

Um den drängenden Fragen seiner Haushälterin, einer rüstigen Lehrerwitwe, zu entgehen, zwang sich Fritz zur Ruhe und setzte sich mit ihr zu Tisch. Aber der Bissen quoll ihm im Munde, er atmete erst wieder auf, als er ins Freie trat.


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