Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eine Gerichtsverhandlung.

Sie fand in jenen Tagen in München statt; ich hatte Gelegenheit ihr beizuwohnen; ein Rechtsanwalt hatte mich auf sie aufmerksam gemacht. Und wieder entrollte sich, wie es mir im Leben schon oft begegnet, ein menschliches Dokument. Es war erschütternd.

Die Anklage lautete auf versuchten Selbstmord und Doppelmord, das heißt, auf Beteiligung an Letzterem. Urheberin des Mordgedankens war die Ehefrau gewesen, die mit ihrem Söhnchen an einer Morphiumvergiftung gestorben war. Der Mann, der eine zu geringe Dosis genommen und nur schwer gelitten hatte, stand jetzt, um sich zu verantworten, vor Gericht. Er hatte von der Mordabsicht gewußt, ihr schließlich nachgegeben, seine Gattin nicht gehindert, das Gift aus der Apotheke zu entnehmen, deren Besitzer er war, einer kleinen, nicht sehr gut gehenden Apotheke in der Vorstadt.

Enge Existenzen! Ein noch junges Paar, gut beleumundet, der Mann geachtet, wohl angesehen, etwas weich und charakterschwach, leicht zu beeinflussen. Bis vor kurzem, – das bestätigt Jeder, der ihn kannte, – ein ganz zufriedener, wenn auch recht gerne klagender Mensch. Der Freund, der ihn zu Gericht begleitete, ihn in jeder Weise stützte und aufrecht hielt, war ein derber Bayer, ein Wirt. Er hatte Tränen in den Augen und verlor ein paarmal die Fassung völlig; er war der Herr »Göd«, der Pate des Kindes.

»A so a liaber, netter Kerl und so gut beinand; gesund und gstöllt!« sagte Herr Munzinger. Er zeigte eine große gemalte Photographie des Jungen, aus dessen treuherzigen Kinderaugen die Lebenslust lachte, und brach dabei in Schluchzen aus. Der Vater stand da, ein fahlgrauer Schatten, schmal, – fast ein Skelett; ein gutes Gesicht, jetzt verstört, von Krankheit verwüstet, von Seelennot verwirrt. Er war über Nacht ergraut; ein Anblick, der schauern machte. Er sah das Kinderbild nicht an. Nur das schreckliche Zittern, das über ihn hinlief, wmn man ihn anredete, sprach davon, daß noch Bewußtsein in ihm war. Er kam aus Spitalhaft, die Kerker gewesen. Ein Arzt war da, dem ein quälendes Mitleid aus den Augen blickte, die nicht von dem Delinquenten wichen. Der Saal war überfüllt.

Und nun kam die Geschichte dieser Tragödie, einfach und schrecklich. Außer den Zeugen stand vor Gericht noch das Dienstmädchen der Familie, das über Tag in dem Hause beschäftigt war. Auch dieses Geschöpf machte einen geistesgestörten Eindruck, hielt sich beim Anblick des Kinderbildes die Hände vors Gesicht, wimmerte laut.

Ein Ehepaar aus kleinsten Bürgerkreisen, also mäßiger, manchmal schwankender Verdienst; keine direkte Not. Eine stille junge Frau, ordentlich und häuslich, die man nie klagen gehört. Sie hatte Freude an ihrem Garten, hielt Alles nett, liebte ihr Kind,, kam mit dem Manne gut aus. Keine Schulden – keine Torheiten. Der Apotheker ging selten ins Gasthaus. Seit etwa einem halben Jahr war die Frau oft ins Theater gegangen; sie bekam von einer da beschäftigten Bekannten Freikarten in die Kammerspiele, wo Strindbergs und Anderer seiner Schule große Zeit war. Drückend wehte die Luft herab von dieser Bühne. Auch der Mann ging ab und zu mit, und es ging das kleine Dienstmädchen. Ein Notstandskind, das viel herumgeworfen worden und sich in diesem Hause, bei anständiger Behandlung glücklich fühlte; die Frau war gut zu ihm.

Der Mann konnte es nicht mehr klar sagen, wann es begonnen hatte, daß die Frau die Freude an Haus und Garten, an ihrem Dasein, zuletzt an ihrem Kinde verlor. Es ging langsam damit, zuerst ganz langsam, zuletzt aber sehr rasch. Das Dienstmädchen wurde auch unlustig. Beide wandten sich ab vom Alltagsleben, sprachen stundenlang über diese Dramen der Hoffnungslosigkeit, die sie gesehen.

Sie begannen, um sich selbst her, in ihrem eigenen Dasein eine solche graue Hoffnungslosigkeit wahrzunehmen, wühlten in den Unzulänglichkeiten ihrer Existenz, Wirtschaft, Erziehung, Plage; wozu? Heraus kam ja doch nichts, was der Mühe wert war, nur eben mühsam das nackte Leben. Lächerlich, sich dafür zu mühen. Alles Lastende des Kleinleutetums war der Frau zum Bewußtsein gekommen. Alles war ihr lästig. Jede kleine Geschäftssorge ließ sie vor dem Gatten emporwachsen, bis sie erdrückend wurde. Ihre Lebensmutlosigkeit steckte an. Der Weltenjammer griff nach diesen Menschen, die so viel Freuden besessen; es kam wie eine vollkommene Lähmung in sehr vielen, wechselnden Phasen und Formen. Wollte der Mann sie abschütteln, seine Frau gab es nicht zu. Ganz still sollte es sein; gar nichts sollte sich ereignen. – Sogar die Freude und das Licht, die das Kind um sich verbreitet, wandelten sich in Belastungen. Schwer erkrankte Nerven vibrierten. Eine nagende Unzufriedenheit entwertete Alles. Dem Gatten, der Dienerin sprach die Frau unermüdlich davon, daß es Wahnsinn sei, als Mensch der Enge und Kleinheit sich der Lebensarbeit zu fügen, sie überhaupt zu tun; daß es Verbrechen sei, solcher Enge ein armes Kind zu erziehen. Dieses stille werdende Kind sah sich ratlos um im verwahrlosenden Haus und Garten. Ein grauenvolles Unglück stand an der Pforte: die Lebensfeigheit. Sie ist da, sie lauert in der Zeit, sie bedroht das Volk, wenn es zu grübeln beginnt. Sie ist die Konsequenz der Halbbildung.

Wann war es zum ersten Male geraunt worden an des Mannes Ohr? Mann! Wie dumm sind wir; ist das Leben solch eine Existenz, wie wir sie schleppen? Sterben wir doch! Werfen wirs hin! Machen wir uns fort!

Es ist ja Wahnsinn!

Ein bißchen Morphium, Träume; dann Befreiung. Es wurde schließlich stehendes Abendgespräch. Erst hatte er bitter gelächelt, kaum hingehört. Dann kamen Verdrusse. Dann sah er mancherlei Stücke mit der Frau. Eines Abends brach er los. Es ist ja wahr! Eine unwürdige Schinderei; ein Blödsinn ist unser Dasein! – Aber das Kind? – Wir nehmen es doch mit! Natürlich mit! Wir ersparen ihm das Leben. – Da war er entsetzt zurückgeprallt.

Da hätte er sie fast niedergeschlagen. Und starrte sie doch fasziniert an. Ihre Augen flackerten. Du kommst schon noch so weit.

Sogar die Betti denkt wie ich. Das kleine Dienstmädchen. Blaß und mager wurden sie alle; auch der Junge. Sie schlichen umeinander herum. Haus und Geschäft begannen zu verkommen. – Dann ging es rasch und rascher. Lautlose Abende. Ein bleiernes Auf-die-Bühne-starren im Theater. Ein Sich-Ansehen. Und einmal plötzlich dann, als Verschiedenes zusammenkam, das peinlich war, Kampfkräfte verlangte – ein Aufschrei der Frau: So tun wir es doch. Das ist ja kein Leben, was wir führen; machen wir Schluß!

Dann kam ein Morgen, an dem fand das Mädchen, als es um sieben zur Arbeit kam, im Bette tot, mit dem Ausdruck entsetzlicher Qualen diese Frau von noch nicht dreißig Jahren, und das Kind, das sich schlafen gelegt, den abgegriffenen Teddybären im Arme; – das gestern noch im Garten so hell gesungen und die Pflanzen begossen, die es wurzellos eingesetzt.

Ahnungslos, daß es selber solch eine Pflanze war ohne Wurzel. – Halb bewußtlos, sich krümmend in Schmerzen, lag der Mann. Ein fast leeres Limonadeglas, eine Teeschale standen auf dem Tische. Die Magd alarmierte das Haus.

Die Vernehmung des Apothekers war kaum zu ertragen; man fühlte sich zerquält von Empörung, Mitleid, Kummer und Zorn; hin- und hergerissen. Sehr langsam kam Alles heraus, wie es gewesen. Unter einem Bann hatte der Mann der Frau gehorcht, ihr wenigstens nicht widerstrebt. Sie war die Stärkere gewesen bis zuletzt, als sie so schrecklich leiden mußte; denn sie starb sehr hart. Sie glaubte zu verbrennen. Das Kind hatte einige Male furchtbar gestöhnt, dann war es eingeschlafen. Dann hatten die Schmerzen den Mann fast verrückt gemacht, eine Höllennacht verbrachte er neben den beiden Leichen. Er konnte nicht rufen, nicht trinken, sich nicht bewegen.

Er mag noch eine Zeitlang leben, sagte der Arzt. Gesund wird er nicht mehr. –

Verhandlung, Reden, Beratung und Verdikt waren nicht lang und von einer erschreckenden Einfachheit. Der Angeklagte war geständig, gab Alles zu; er belastete sich noch mehr. Er sprach vor sich hin, ins Leere, hohläugig mit lallender Zunge. Da hat sie immer wieder gesagt: sei doch kein Feigling, ich müßte Dich verachten, mach uns frei, bewahre das Kind vor diesem Entsetzlichem; vor dem Leben, wie wir es führen müssen. Ich habe sie zuerst gar nicht verstanden. Ich war zufrieden und mehr; der Bub – seine Stimme brach. –

Es war niemand im Saal, der nicht schauervoll mit diesem Menschen gelitten hätte. Plötzlich hob er den Kopf, sah auf das Kinderbild hin; seine Augen weiteten, seine Züge verzerrten sich. Er streckte die Arme aus, ein gurgelnder Laut kam aus seiner Kehle, heiser wie der eines Tieres. Er stürzte vor, sackte zusammen. –

Sie trugen ihn hinaus. –



 << zurück weiter >>