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Deutsches Leben in Südtirol.

Was sind sie gewesen, diese ersten Jahre, wo man nicht im eigenen Hause wohnte, sondern in Wohnungen mit vielen Mängeln, die der Norden nicht kennt, die deutsche Kultur nicht ahnt? Das waren Offenbarungen, dessen was man Alles nicht vorfinden kann an Notwendigem.

Wir waren in einer der größten und teuersten, aber doch noch immer viel zu kleinen Wohnung, auf unerträgliche Weise eingerichtet mit einer Last von in den Süden nicht passenden Möbeln und Bildern, wertvollen Vasen, Antiquitäten, überbürdet mit Riesenteppichen, einhundertsechzig Stück Vorhängen, Karamanien, Überzügen und so weiter, daß Einen wirklich ein Grauen ankommen konnte. Es quoll nur so aus den Kisten. Dabei stand in der nun zum größten Teil verpachteten Benedekvilla in Graz noch Alles voll mit Dingen aus der Palastwohnung des Feldherrn in Verona, wo er mit Ehrengeschenken überhäuft, residirt hatte. Die vielen Bilder, weit mehr als hundert, ein Paar darunter, die eine ganze Wand deckten, Kopien nach Rubens, Makart, Van Dyk. Sie wurden später von den Welschen gestohlen und fortgeschleppt, wie auch die herrlichen Vasen, die Nippes, die große Bibliothek, an die jährlich viel gewendet worden ist. Dieses Einpacken und Auspacken in der prallen Septembersonne Arcos, dieses Hinaufschleppen in den ersten Stock unter der Kontrolle einer schnoddrigen, etwas drachenhaften berliner Hausfrau war furchtbar. Ansammlungen von Menschen halfen dabei, acht Männer allein schleppten an einem großen Teppich. Und ich war nicht mehr so beisammen, daß mir Lasten gut taten. Alles Neue brach über mich herein. Fremdes Land, fremde Verhältnisse, unbekannte Nationalität, ein Deutschtum und Österreichertum der Grenze, das mir als Keines erschien.

Wirtschaftliche Zweifel, wie mach ichs hier?

Dazu die neuen Hoffnungen einer jungen Frau und ihre Verantwortung. Es war viel.

Keinen Freund, keine Vertrauensperson im Orte, nur andrängende Scharen von Existenzen, die an uns verdienen wollten. Und ein glühend heißer, südlicher Herbst; die Luft trunken von dem schwersüßen Duft der Mispelblüte, des reifen Traubenquellens in der Campagnien: É Vendemia. Es ist Erntezeit! Ich habe gesessen zwischen Kisten, aus denen es kampferduftend strömte – noch etwas! – immer noch etwas! Unhygienisch für diese Gegend der Hitze, des Staubes, der Mäuse waren diese herrlichen Dinge. Korb- und Bambusmöbel waren mehr am Platz. Wie hütete man hier solche Pracht?

Unsere Wohnung war schließlich überraschend prächtig, aber so voll, daß man zwischen den Gegenständen durchturnen lernen mußte. Dazu die verständnislosen Hände einer unrichtig gewählten Dienerschaft. Nur Herrschaftsdienstboten, Österreicher, die sich in der Fremde niemals zurecht finden, nie zurecht finden wollen. Das ist ihre Spezialität, das Ratlose, immer Verzweifelte, vorwurfsvoll Ertragende. Es macht einen wild. Es liegt so viel natürliche Bosheit darin.

O, diese perfekte Herrschaftsköchin mit den Prachtzeugnissen, den Ansprüchen, dem fortgesetzten: »Dieses aber mache ich niemals nicht! Das also kann ich nicht, das tu ich nicht, das is' nicht mei' Sach'. A neuchs Recept probier ich nicht, ich koch nach meine Recept, mit meinen Quantitäten!« O, diese ja schon daheim immer so furchtsam behandelte, scheu geachtete Hauptperson des anspruchsvollen, österreichischen Magens, der ohne den warmen Soupetscherln, den vielen Backereien und Mehlspeisen den Entremets und Hors d'œuvres und wie sie anders noch in reinem Deutsch heißen, einfach nicht bestehen kann. Wie leicht hat es doch die norddeutsche Gattin und Hausfrau, die Vielgerühmte, mit ihrem kaltem Aufschnitt, den Salz- und Pellkartoffeln, dem Flammeri, der Kaltschale – brrr und so weiter. Ich aber, die ich pflichtgetreu mich um alles zu kümmern, brav zu sparen gedachte, hatte täglich meine Schlacht. Ein Diener, der keine Türe zumachte, denn er stammte aus meiner engsten Heimat, und was er abstaubte, dabei erschlug, ein sonniges Gemüt, das rasch Anschluß und Weinverständnis lernte, erfreute uns; daneben eine viel zu schöne Zofe, ebenfalls aus Leonstein, unseres übrigens bösartig rot angehauchten Schloßzimmermanns Tochter, die ich einst stricken gelehrt und unterrichtet hatte. Sie liebte mich. Aber! Als ich ihren Lebenswunsch erfüllte: Wann die Gräfin Edith einen Herrn Gemahl finden tut, na geh i mit ihrer, da wurde das verhängnisvoll. Denn sie war wirklich zu schön und in ihrem Gemüt angesichts der Mannsbilder jeder Art butterwoach.

Dieses zeigte sich ebenso rasch als verheerend. Dann hatten wir einen Küchentrabanten, der – ja – der kochte eigentlich für gewöhnlich. Wenn es der Herrschaftsköchin nicht der Mühe wert war, erschien sie nicht, schlief, trank Bier, las aufregende Romane. Dann brüllte sie den Trampel an, was er zusammenpantschen solle für diese Herrschaften, wo ja es jung verheiratet, also nicht hoakl (heiklich) sind; und der Trampl pantschte auf seine Weise. Das ging so; aber nicht lange. Dazu hatte mein Mann einen zu verständnisvollen Magen und ich zuviel Temperament.

Ich stand aber dieser abgebrühten Aristokraten-Kulinarin hilflos gegenüber wie einer Schwiegermutter. Sie ließ mich reden, mich ereifern, nachrechnen in den merkwürdig geführten Bücheln. Sie lächelte milde; sie fragte mich boshaft lächelnd um Sachen, die sie unbedingt besser wußte. Nun rächte sich's, daß ich beim Kochenlernen daheim, das der Papa so streng seinen Komtessen anbefohlen, immer nur die Bäckereien angerührt, den Teig geschleckt und dazu mit einem Auge in den Band Lenau geblinzelt hatte, der neben der Schüssel lockte. Unästhetisches oder Grausames an Tieren wollte ich auch nicht erlernen. Und gerade dieses hat leider die wohlschmeckendsten Folgen.

O, diese erste Hausfrauenzeit in dieser Fremde! Mit dem vorgeschriebenen Monatsgeld und den allgemeinen Betakelungsversuchen und Schwindeleien um mich her, die einer unendlichen Verachtung meiner praktischen Fähigkeiten entsprangen, und die ich meinem Manne ängstlich verbarg. Ich kämpfte allein meine häuslichen Schlachten. Das Furchtbare war, im Orte und weit im Umkreis keinen Ersatz zu finden! Nur Hotelpersonal und Welsche. Sonst gar nichts! Jede Kündigung eine Katastrophe.

Dieser erste Winter, in dem ich keinerlei Wunsch nach Geselligkeit, nicht einmal nach Kunst empfand, war wirklich eine Zeit des Lernens und tragikomischen Leidens. Für die Menschen im Orte hatte ich noch kaum einen Blick. Die Zauber eines grünen, milden Winters erweckten nichts als eine ungestüme Sehnsucht nach verschneiten Buchenwäldern, nach Tannengrün im Rauhreif, Schlittenfahrten. Hier peitschte nur südlicher Regen und Orkan die Bambushecken, beugte die hohen Cypressen. Fuhr hin über die Campagnen, in denen reihenweise der Cavolofiore (Blumenkohl), die blaugrünen Capuchis (Kohlköpfe) den Winter überdauerten. Es blühte nichts bis Februar. Aber Winter war es auch nicht. Doch gab es Wochen reinster Sonnentage mit der klarflüssigsten Luft, die ich je gesehen.

Man saß in leichten Kleidern auf der Olivenpromenade, vor sich eine hartgrüne, blanke Wintervegetation ohne Blüten; schimmernde Lorbeerbäume, Oliven mit kleinen blauen Früchten vollbedeckt, vibrierende Palmen, große, langweilige Agaven. Lazerten schlüpften aus dem Sand und Tuffstein, lagen träge in der Sonne; es kam vor, daß aus den graugrünen Stachelschaften eines Cactus ein Chamäleon glotzte. Die Glocken der Kirchen schwirrten italienisch; in den schmutzigen Gassen brüllte das Völkchen. Dunkeläugige Bürgersleute gingen in trägem, feierlich langsamen Schritt dahin, schlampige Männer, düster blickende Frauen. Was hat die Italienerin für ein Talent, frühe zu altern!

Der Kurbetrieb war schwach, uninteressant. Öde Promenaden mit Magnolien bepflanzt, stillose Hotels, eine von einem Welschen geleitete, mehr als mäßige Musikkapelle. Von der Olivenstraße starrte man hinüber auf den Gardasee, nach Italien. Hohe Gebirge leuchteten schneeweiß herab in das durchsonnte Tal eines idealen Klimas, in dem ich mit wahrer Freude meinen Mann sich erholen und kräftigen sah. Im allgemeinen kamen Lungenkranke hierher, kein erfreulicher Anblick. Wenn Meran zu kalt wurde, flüchteten sie nach Arco, das übrigens in Österreich unbeliebt war und den Ruf großer Langeweile ausströmte. Eine Spanne Zeit lang hatte der Erzherzog Albrecht hier gelebt; jetzt vegetierte auf das Bescheidenste der Erzherzog Ernst in einer Villa. Mit ihm erlebte ich gleich nach unserer Ankunft etwas Unmögliches. Ich ging die Olivenpromenade hinauf. Da kam mir ein alter Invalide entgegen, im schadhaften Rock, mit, was mir besonders auffiel, sehr schlechten Stiefeln und nicht gepflegtem Haar. Er blieb stehen, betrachtete mich mit leeren Augen, und da war ich im Begriff, ihm etwas in die Hand zu stecken, ein Zehnerl. Aber ich vernahm, ehe ich das vollbrachte, ein prononciertes Räuspern und nahm jetzt in der Nähe einen schlanken, alten Offizier wahr, der mich wahrhaft entgeistert anstarrte und das Gewisse an sich hatte: Das ist wer! Da erschrak ich, ließ es sein, und zog ab. Dieser Invalide war der Oheim des Kaisers, der hier mit seinem Kammervorsteher ablebte, armselig, ein Schwacher des Geistes, von der Familie nicht geschätzt. Sein Begleiter erzählte den Vorfall mit Entsetzen bei den paar Familien, die hier ansässig waren. Wie elementar muß doch die Respektlosigkeit in mir sein. Ich begehe automatisch, ohne böse Absicht, Majestätsverbrechen.

Arco hatte nun sein fragendes Auge auf uns. Eine Koterie von Russen, minderen Engländern; ein Paar reiche Juden, die da lebten. Richtige Österreicher gab es wenig. Die einheimischen welschen Familien blieben in einer, man muß es sagen, mittelalterlich finsteren Abgeschlossenheit, der zweifellos Haß zu Grunde lag. Ein junges wohlhabendes Paar aus vornehmer Familie, was wollte es hier? Benedeks Neffe? An der Grenze? Wozu?

Die Irredentisten hoben sachte die fettgelockten Köpfe im zweideutigen Café della città, das an die Metzer Estaminets erinnerte, aber von der österreichischen Polizei taktvoll übersehen und nie kontrolliert wurde: Wozu? »Nur um Gotteswillen die Welschen an der Grenz' nicht ärgern! Nur keine Aufregung!« Dieses Wort war in Wien ausgegeben.

In Riva nun, der wichtigen Stadt mit der schön gelegenen alten Kaserne am See, dem vielen Militär, wohnten unsere Behörden. Es sollte mich ein Schauer der Ehrfurcht und Geborgenheit ergreifen. Er tat es nicht, im Gegenteil! Riva war die Abladestelle für minderbegabte, versorgungsbedürftige Beamte, meist aus der Südtiroler Aristokratie; in vierzehn Jahren habe ich dort nicht einen energischen Vertreter Österreichs mit Rückgrat gesehen. Vor allem keinen Deutschgesinnten, sich seiner ernsten Pflicht Bewußten. Männerchen lavierten da, impertinent gegen Außenstehende, unzugänglich für jedes berechtigte Verlangen, in tiefster Seele gleichgültig für die Interessen der Monarchie. Ein Koteriechen von unsagbarer Enge und Engherzigkeit klebte aneinander wie Fliegen. Sich um diesen Kreis von Gutgesinnten zu bewerben, stand uns frei, wenn ich auch durch meine Bücher schon in üblem Geruch war. Aber vermögende Leute, die vielleicht Haus machen würden – immerhin doch aus der gleichen Welt – konnte man an einer solchen exponierten Stelle nicht gleich beiseite werfen. Sie sollten sich bemühen, dienen, man würde dann sehen. – Nun, wir bemühten uns nicht und dienten nicht. Nach einigen notwendigen Unterredungen auf der Bezirkshauptmannschaft, wo man einer unglaublichen Verständnislosigkeit für die Landesverhältnisse begegnete, sagte mein Mann, es habe keinen Zweck, solche Leute zu kultivieren, die nur eine Angst hatten: nach Wien die Wahrheit über die Grenzverhältnisse zu berichten und dafür die gewissen, landesüblichen Nasen zu bekommen.

Das wirkliche Riva, das hat kein Österreicher jemals gekannt. Das darf sich niemand von uns einbilden. Bei Kriegsbeginn konnte man dann mit einem Male diese Hochflut von Abneigung, Verachtung und geheimen Verrat auflodern sehen, die da seit Jahrzehnten gebraut, unbehindert gearbeitet hatten. Eine Brutstätte des Verrates waren die großen österreichischen Garnisonen Trient, Rovereto, Riva. Bürgermeister und Bischöfe, Priester, adelige Herren, angesehene Bürger, sie alle hatten den Unterbau längst abgegraben, die Bomben gelegt. Verräterisch in ihrem Tiefsten ist und bleibt die welsche Seele.

In jenem ersten Winter des Einlebens, als ich noch fast niemanden kannte, immer herumging mit diesem seltsamen Gefühl, niemand kennen zu wollen, ich, ein Mensch der Lebensfreude, da wußte ich von diesen Dingen noch nichts. Ich schrieb an meinen Büchern, regelte unter Kämpfen meinen Haushalt, las viel, machte weite Wege allein, wie ich es immer getan. Das Land lockte mich. Ich wollte es verstehen lernen. Es war so anders als Alles, was ich je gesehen. Seine Schönheit, bei der meine Seele aufblühte, seine glühenden Sonnentage und peitschenden Regen wirkten auf mich wie haltlose Menschen. Aus seinen Knospen wurden sofort welkende Blüten. Überschwang stand neben Preisgabe. Ich sah mich um. Zwischen hohen Felsen und Mauern, auf schmalen Bergpfaden wanderte ich, die Olivenwälder weit unter mir. Durch die Campagnen mit den Wildrösleinhecken, den Wasserfäden, den Weinlauben, ging ich; die großen Kürbisse lagen golden im falben Grase. Eine träge Fruchtbarkeit. In Fässern stampften bloße Füße unsauber den Wein. Ölziegel, Formajelli, die man bei dem Holz- und Kohlenmangel heizte, wurden gebacken. Auf primitive Weise wurde Öl gepreßt. Wenig und schlechtes Vieh stand großäugig in den Campagnen, geduldige Esel schleppten ihre schweren Lasten. Man riß ungestüm von den Maulbeerbäumen alle Blätter als Streu, und sägte jeden Baum um. Man schoß jeden Vogel, den man erwischen konnte. Unter einer deutschen Regierung in österreichischem Land! Das waren die ersten Al-fresco-Eindrücke noch aus Distanz, die aufblitzten. Ja, das war fremdes Land! Sehr fremd; meine Seele zitterte. – Ich war immer wieder froh, heimzukommen.

Wir fuhren hinüber nach Italien. Ich sah es zum ersten Mal, ein Fest des Lebens. Im wirklichen Italien fiel sofort jeder Zwang ab, und das ist immer so geblieben. Zu Fuß wanderten wir den Gardasee entlang, dessen unkultivierte Seite die herrlichste war. Malcesine, Castelleto, Sirmione; und tief hinein ins Land der Kriege, Solferino zu. Dort, im Totenhaus der Gefallenen erzählte uns der Custode die frechsten Lügen über die Niederlagen Radetzkys, Benedeks, über die nie dagewesenen Siege Vittorio Emanueles. Auf grotesken Bildern sah man die Österreicher dieser ihrer siegreichen Feldzüge immer in wilder Flucht aufgelöst, den immer im Lorbeerkranze. Da lachte mein Mann so herzlich und andauernd, daß dieser historisch gefälschte Führer anfing, ihn für verrückt zu halten. Mà, ehe volete Signore? Ah, Siete Austriacci. Er wurde dann verlegen. Solche ganz grobe Lügen erlebte man in Italien oft.

Gegenüber lag die aufblühende Riviera des Gardasees, damals im Beginn ihres Werdens, auch etwas von Österreich Verschmähtes, leichtsinnig Fortgeworfenes. In Riva und Arco hatten sie die reichen Leute, die ihnen anboten, diese Orte zu einer Blüte zu bringen, skeptisch entmutigt, verspottet, ziehen lassen. Das ist so österreichisch. In Italien nahm man sie begeistert auf, und aus der Fischerküste wurden Kulturstätten von weltberühmter Schönheit. Tausende kamen später jedes Jahr nach Gardone, Fasano, Boliaco, Salo; Orte, deren Schönheit der französischen Riviera mehr als ebenbürtig ist. Arco und Riva aber haben nie recht geblüht unter den bornierten und gewissenlosen Verwaltungen. –

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In Gardone lebte damals Paul Heyse, der Dichter; ein beliebter und liebenswürdiger Mann von feinster Kultur. Bescheiden war sein blumenumsponnenes Haus am See. Die Schiffer erzählten von ihm, il poeta bekäme an seinem Geburtstage Tausende von Telegrammen. Sie waren stolz auf ihn, der Italien immer sehr geliebt hat. – Megedes seltsame Erscheinung, der den Überkater geschrieben, war im Grand Hotel, das schweizerisch geführt wurde, zu sehen. In Salo lebte eine wildgeniale, etwas zügellose Dichter-, Maler- und Künstlersippe mit lockenden Namen, unter ihnen vor allem Hartleben, den zu kennen ich mich mächtig sehnte. Aber es kursierten zu viele starke Geschichten über dieses lustige Völkchen. Mir ward es nicht vergönnt, eine so hoch begabte Boheme zu studieren, die sich hier auslebte unter blauem Himmel.

Als Hartleben dann im Laufe der Jahre in Salo starb, erzählte man bei uns von seinem Ende die seltsamsten Geschichten. Wahrhaft wunderlich! So, daß er seinen Kopf in Spiritus einem Museum vermachte. Dieser besagte Kopf wurde präpariert, vorschriftsmäßig eingepackt, einem landesüblich verläßlichen Fachhino zur Besorgung auf dem Dampfer übergeben. Der Dienstmann versoff sich in einer Osteria, verpaßte den Vaporetto, vergaß seinen Auftrag, ließ Hartlebens Haupt auf irgend einem Schenktisch liegen. Da kugelte es ein paar Tage unter den unsanften Händen der Kellnerin Rosina herum, die über Schlamperei und » questa roba imutile« schimpfte. Erst nach längerer Zeit und Reklamierung von berufenen Stellen ordnete sich dann diese Kopfangelegenheit, die immerhin allerhand ist, selbst für Italien. –

Wie waren sie reich an Stimmungen diese wechselvollen Ufer des Gardasees, die ich dann im Jahreslauf zu allen Zeiten gesehen und durchwandert habe. Bis San Vigiglio, eines Böcklin Gegend, tief hinein hinter Salo, Gardone, ins Landinnere, das noch wild war und gebirgsschön; mit einer Vegetation, der unserer Alpenländer verwandt, wenn auch der Enzian nicht die blauen Augen aufschlug. Aber viel anderes Geliebtes grüßte mich. Nur keine Vögel sangen in diesen Paradieseslanden. Das nicht! Nirgends! Wir hatten in Primolano und der Festung Malcesine dafür die Truppen die Singvögel verspeisen sehen; auf Schnitten einer kalten Polenta, die wöchentlich einmal in harten Ziegeln angefertigt worden waren, kleine Amseln, Meisen, Schwalben, Lerchen, Bachstelzen, Nachtigallen, je ein Bissen. Es schmeckte nicht einmal, es war zu winzig.

Ich bin hoch oben über dem Gardasee in wilder Welt von großer Herrlichkeit gewandert. Stand am Iseosee, sah hinab in den Süden. Hinüber gegen Österreich.

Hier war man schon für ein sonst gleichgültiges Volk der beliebte Fremde; der Fremde, nichts anderes!

Sirmione. Altklassischer Boden, mit seiner starken Schwefelquelle, die im Gardasee siedendheiß entspringt wie ein Wunder der Schöpfung. Träumerisches Sirmione; noch echt und einfach wirkend, wo sie das alte Ritornell von der schönen Angiolina singen. Wo am Ufer die Lorbeerbäume zittern im leisen süßen Wind, die Grotten des Catull den Forscher locken, unvergleichliche Ausblicke sind auf See und Fernen. Hier hatte ein deutscher Staatsmann sein poesievolles Haus. Hier bin ich viel gewesen. Es wimmelte von hübschen Kindern, besonders Murilloknaben, die die silbern schimmernden Fischchen des Sees mit den braunen Händen fingen und so sorglos dahinlebten wie kleine Götter. Ich habe sie furchtbar beneidet; denn sie dachten auch nicht eine Stunde voraus. Es wehte um sie eine wahrhaft klassische Daseinsfreude.

Als ich zum ersten Mal nach Venedig hineinglitt, von Verona und seiner Umgebung, auch von den Reisebildern etwas enttäuscht, da begann die Unwahrscheinlichkeit des Lebens. Alles wurde wunderbar. Zum Glück besteht diese Stimmung nicht. Die Venetianer selbst nehmen sie einem raschest. In jedem Palast voll düsterer Hoheit handelt betrügerisch Israel, erklingt die Disharmonie englischer, amerikanischer Laute. Alles ist Hotel, Geschäft, Geschrei. Nur die verlorenen und nicht ganz heimlichen Viertel haben noch eine Echtheit. Selbst das Kloster, wo Byron träumte, leidet an Entgötterung. Es fehlt jeder Respekt vor den wirklich großen Dingen. Alles ist käuflich geworden.

Der Lido aber war eine Schaubude, nichts weiter. Aufgebaggert zu einem tropischen Garten mit den verpesteten Abfällen der Stadt, trägt er in seinen üppigen Beeten diese unwahrscheinlich blutroten Riesenerdbeeren, vor denen man sich hüten muß. Schamlos ist sein Strandleben.



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