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Die welschen Priester an der Grenze.

Anknüpfend an die Gestalt des Juden Theodor Kohn auf dem Bischofssitze, die eine verheerende Auswirkung im Völkerleben Österreichs zur Folge gehabt hat, muß ich ein zweites Bild jener Priesterschaft unserer welschen Grenze entwerfen, wie ich es jahrelang vor mir gehabt. Es war angetan, zu denken zu geben.

Klingt es nicht possenhaft, es auszusprechen? Wir hatten nicht einen Gott, wir hatten zwei! Den italienischen Gott und den deutschen. Tatsächlich! So wurde es empfunden, besonders in den Massen des Volkes, und dann noch diesen protestantischen Gott, gegen den der Archiprete, unser Dekan, unausgesetzt predigte; dessen Haus er eigenhändig mit allen Schikanen verflucht hat, als es vollendet dastand; dessen Erbauer und Arbeiter er auf der Kanzel schmetternd der Hölle überantwortete, so daß das ganze, stumpfsinnig dahindämmernde und übel duftende welsche Publikum, seine Gemeinde aus Arco und Umgebung, erwachend aufsah. Der Archiprete! Ich habe ihn beobachtet 14 Jahre lang. Recht genau. Ich habe ihn nie ergründet, das war unmöglich. Er hatte, wie überhaupt die meisten dieser Preti mit wenig Ausnahmen, in der Volkspsyche eine sonderbare Stellung. Man liebte ihn nicht, man respektierte ihn eigentlich nicht. Er war so habig bei jeder Verrichtung, wollte immer gleich das Geld dafür sehen, er liebte außerordentlich den Schnaps. Sogar schon morgens wandelte er in seinem Giardino, Gebete murmelnd mit der Flasche; dem Anblick nach hatte er etwas nichts Sauberes und unendlich Mißtrauisches, besonders gegen alles Deutsche. Das haßte er, ich bin dessen gewiß. Wenn er sein halbgeschlossenes Auge auf mir ruhen ließ, kam ich, um für meinen Vater Messen zu bestellen, dann überschlich mich die Ahnung, daß er mein Geistesleben, wahrscheinlich aus Damenberichten kennend, tief mißbilligte; daß ihm der Gedanke eines brennenden Scheiterhaufens für reflektive Ketzernaturen kam. Er sagte immer »Contessa« zu mir, meinen verheirateten Zustand ignorierend, und war von einer beängstigenden Höflichkeit, während andere Dons im langen Gewande sich bäuerlicher Grobheit befleißigten. Als er meine Tochter taufte, erlebte ich manches mit ihm. Er kam, sah sich unsere großen alten Bilder an und sagte, sie seien heidnisch. Anfechtungen, Versuchungen del diavolo! Er musterte alles, und da viel Schönes da war, wurde er freundlicher. In seinem Auftreten lag etwas Mikadohaftes, das er nicht ahnte. Der welsche Teil der Dienerschaft ließ sich segnen und erstarb vor ihm. Aber das machte mir keinen Eindruck mehr, denn zwei Stunden vorher hatten diese guten Leutchen mir allerlei Witziges, sehr Menschliches, nicht eben Respektvolles von ihm erzählt: Wieviel er verlangte, als er das Gasthaus in Varone ausräucherte, in dem der Teufel gespukt hatte. Den beschwor er überhaupt gern – aber es kostete viel Geld.

Hierauf versuchte dieser merkwürdige Grande, meine Tochter durchaus mit einem anderen Namen zu versehen, als mit dem vorgeschriebenen, Valentine. Es ist ein Wunder, daß sie heute nicht als Juditha herumläuft; ich mußte den Taufenden dreimal deswegen energisch unterbrechen. Da sah er mich wässerig an und blinzelte: Si – ma si – capisco bene, benone, Juditha! Vielleicht war es eine stille Bosheit. Irgend was ärgerte ihn an uns. Das habe ich die dahinrollenden Jahre hindurch immer gespürt. Als endlich mit Mühe und Not die Valentina richtig ging, – ein Blümchen, rosig und frisch, lag sie im Taufkissen unter Schneerosen und brüllte nicht, sondern starrte fasziniert die Reize des Archipreten an – da kam ein lukullisches Mahl nicht ohne Katastrophe. Am Tische saß eine böhmische Gräfin Zedtwitz, die wir sehr liebten, mit ihren Kindern. Sekt wurde gereicht. Der Würdige nahm sich einen beträchtlichen Mund voll davon, plötzlich kam ihm das Niesen, er sprudelte sein Gegenüber an; der Wasserfall von Varone war nichts dagegen. Dann rollte er drohend sein Auge über die vornehme Dame hin, deren Name er vernommen und brüllte sie plötzlich deutsch an: »Ich weiß schon, es geben auch Sorten protestantische Zedtwitzi.« Die kleine Gräfin erschrak entsetzlich, sie duckte sich fast unter den Tisch. »Ich bin katholisch!« »Va bene, lo spero«, sprach er und hielt seinen Kelch zu neuer Füllung hin. Ihn machte der Sekt rabiat.

Dieser Mann also, der irdische Güter nicht verschmähte und mit dem Volke summarisch umsprang, während er den streng kirchlichen Bürgerstand respektierte, der für seine Toten an sechs Altären zugleich Messen und Hochamt lesen ließ, war hier Seelenoberhaupt. Er unterstand nur dem Obersten, dem Bischof in Trient. Auch dieser nun war welsch, unter österreichischer Herrschaft. Welsch, es ist nicht zu glauben, waren alle Geistlichen im Land, welsch die Schulen, die vielen Klöster. Gesund germanisiert, wie es Österreichs Recht war, wurde nicht. Die Regierung fürchtete sich davor.

Alle Beschwerden, Bitten, Aufschreie der vielen Deutschen im Umkreis, haben nie das geringste geholfen. Die deutsche Schule in Arco war miserabel dotiert, ganz schlecht gehalten; unzulänglich waren ihre Lehrkräfte, die sich redlich mühten; sie erschienen höchst beklagenswert in all den Jahren. Der Unterricht lag in Wahrheit in der Hand der welschen Priester, der Landesfeinde und ihrer Vasallen. Gar nicht fern ist übrigens tatsächlich noch die Zeit gewesen, als wir hinunterkamen, wo es in vielen der Ortschaften keine Schulen gab. Wo unter malerischen Torbögen das verwahrloste Kroppzeug wilder Kinder widerwillig ein paar Stunden der Woche um eine alte strickende, immer bisgurnenhaft wirkende Donna, seltener um einen Heldengreis herumsaß und unter einem drohenden Staberl buchstabieren, zählen, singen und sehr viel beten lernte. Ich habe das selbst noch gesehen, die Volksbildung war danach.

Der Bischof von Trient in seinem düsteren, an Schätzen und Geheimnissen reichen Palast – Trient hat viel Blutvergießen und Kämpfe gesehen – hielt im Lande in allen Sprengeln scharfe, aber geheime Zucht. Ihm berichteten seine Emissäre, die Priester; unpolitisch lebte er niemals. Seine Beziehungen zu Reichsitalien und Rom arbeiteten ungehindert, überaus verzweigt. Eine Herrschaft gab es da in ganz indirektem Sinne, begünstigt vom geheim irredentistischen Adel der Stadt und Roveretos, das voll Haß gegen Österreich war. Da arbeiteten dunkeläugige Frauen verschlossen, lautlos, innerlich glimmende Naturen, zu allem bereit. –

Man erzog im Kloster welsche und deutsche Mädchen der guten Häuser miteinander. Mit Wien waren die Verbindungen ergebungsvoll. Den Beamten erwies man einen Respekt, der ihnen wohltat. Das Volk, dieses arge Stadtvolk von Trient aber hetzte man auf; schulte es für eine Schicksalswende jahrzehntelang. Die Garnison wußte das, sie war da hilflos. Nicht zu gewinnen und nicht einzuschüchtern ist Trient gewesen. Hier war in Wirklichkeit die unerbittlich gezogene Jahrhundertgrenze, trotz allen deutschen Grundrechten eines Volkstums. Die Schuld daran, daß es immer so blieb, trug die Regierung der Monarchie.

Der Bischof wurde vom alten Kaiser in einer ungewöhnlichen Weise bei jeder Gelegenheit bevorzugt.

Der Kaiser liebte sehr wie seine Vorfahren romantische Art und umgab sich gern mit ihr. Der Trientiner Kirchenfürst, unter dem der Verrat des italienischen Bundesgenossen erfolgte, war ein schöner geschmeidiger Mann mit südlichen Augen, einnehmendem Wesen, bei den Damen sehr beliebt. Er entstammte, glaube ich, dem Val di Non, und zwar einfachen Volkskreisen; aber die Art der großen Welt wurde ihm durchaus eigen. Und sein Betragen gegen Österreich, das ihn mit Ehren überhäufte, war dann im Kriege so, daß von militärischer Seite haßerfüllt gedrängt wurde, ihn zu erschießen. Aus seinem Palast huschte der Verrat nach Rom. Er ist wohl schwer gestraft, jedoch nicht gerichtet worden. Seinesgleichen in seinem Stande sind ihrer mehr. Der Priester, der im Volksleben eines gläubigen Landes eine solche Rolle spielt, dem man vertraut, der alles weiß, was in Herzen und Familien vorgeht, wird niemals, besonders an exponierten Stellen, der unpolitische Mensch sein, der er eigentlich sein müßte. Die Versuchung ist zu groß, zu groß die Machtgelegenheit und das Machtbedürfnis, denn wie viele wollen ihn politisch haben! Seine eigene oberste Behörde befiehlt ihm, es zu sein; benutzt ihn als Kundschafter. Die Religion tritt weit zurück hinter nationalen und sozialen Fragen. Haß ist da mächtiger als Liebe. So war es in Italien, so war es in Südtirol. Hätten wir von der Regierung deutsche Priester gehabt, so gut wie Lehrer, Priester, die in der Schule eine deutsche Generation heranbildeten, dann wäre das Grenzland andere Wege gegangen. Während alle übrigen Orte ausschließlich welsche Curates ihr Eigen nannten, kam nach Arco – ein Zugeständnis, dem Kurort auf vieles Drängen hin widerwillig gemacht – jährlich etwa sechs Monate lang ein Kaplan aus Innsbruck; schlecht dotiert, unfreundlich empfangen und den Behörden ein Dorn im Auge, dem Archipreten mit seinem Stabe das rote Tuch. Er war nicht zu beneiden. Die Erloschenheit, Bescheidenheit und Enge, in der dieser Vertreter del Iddio tedesco, des deutschen Gottes, leben mußte, hatte etwas Unwürdiges. Niemand tat auch etwas für ihn mit wenigen Ausnahmen; denn in guten Verhältnissen lebten eigentlich nur die evangelischen Deutschen, die sich selbst eine Kirche gebaut hatten, einen wohlbestallten Priester hielten, der ein hübsches Haus bewohnte. Der katholische Priester lebte traurig. Ich konnte die Empörung darüber nicht los werden; aber sprach man den Bezirkshauptmann, sprach man in Innsbruck davon, so wurde man mißliebig. Diese deutsche Seelsorge Österreichs an seiner Grenze, ausgeübt in der verfallenen Sanct-Anna-Kapelle, in einem Winkel hinter dem Dom, hatte etwas nur zu Typisches: Vorsichtige Predigten, Takt, Takt und Schweigen, war ihr als erstes Gebot auferlegt. –

Ich habe wirkliche italienische Priester gekannt, die unter harter Hand schwer an ihrem Schicksal trugen; sie lebten ungewöhnlich bedürfnislos, in einer Armut, die wir unseren Geistlichen niemals zumuten würden. Das Verhältnis zwischen dem so bigotten Volke des Südens und seinen Seelenhirten ist ein durchaus sonderbares; die Geldfrage spielt immer mit hinein. Dadurch wird der einerseits gefürchtete, auch oft beliebte Prete nicht sehr respektiert. Er bleibt ihnen, diesen Lippenfrommen, selber so Gierigen, doch allzu sehr Mensch in gewissen Dingen. Es ist wie mit den Tanz- und Opernweisen, die man bei feierlichen Gottesdiensten im Welschland hören kann, während sich am Altar das Wunder vollzieht. Gegensätze stehen nebeneinander. Im an Schleichwegen und Geheimnissen reichen Leben der entrechteten Frauen, die naturgemäß ihre Gatten und Tyrannen irgendwie betrügen, spielt natürlich der Beichtvater eine Rolle; er ist il terzo, der dritte in diesem Ehebund. Manchmal verrät er sein Beichtkind, manchmal erreicht er durch das Beichtkind seinen Zweck. Jedenfalls ist er, was er bei einer Deutschen nie sein könnte. Wer aber mag es geknechteten weiblichen Naturen verdenken?

Trauriges Land in all deinem Sonnenglanz!



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