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Wer bist du, Land?

Bozen war deutsch, atmete deutsches Leben; alles Welsche schien darin durchaus zu Gast. Es gab der alten, prächtigen Stadt nur ihr besonderes Gepräge, es spielte herein in germanisches Aufbauen und Werden. Denn wie in Meran, wo der österreichische Adel seine fest umrissene Vergnügungsinsel besaß, umgab hier die Mauern ein uraltes Tiroler Bauerntum. Wuchsen da helle Geschlechter heran, von denen es wie ein Strom gesunden Lebens ausgeht. Das echte Tirolertum ist so stark, wie im Deutschen Reiche Preußen, die Mark. Hier liegt unser, der Deutschen, Österreichs, Volkskern; hier ist unsere wurzelnde Tiefe.

Diese ganze Gegend zwischen Bozen und Meran, bis tief hinein ins Land, das der Schweiz zustrebt, ist eine Fülle unserer Herrlichkeiten, von uns geschaffen, erhalten, betreut Uns gehört seine Geschichte; in seinen Gräbern liegen unsere Ahnen, die auch gekämpft haben um ihr Urrecht und auch gelitten. Das tröste uns, das mache uns eisern! Ihr Tag kam immer wieder. Auch der unsere kommt. Schützet die Wiegen, in denen die blonden Kinder schlafen, laßt um sie furchtlos klingen das deutsche Lied. Schützet die Herzen der Kleinen, machet sie zu Tempeln deutschen Empfindens. Mag Welsch von den Lippen tönen in der Zeit der Prüfungen, die Seele Tirols redet in ihrer eigenen Sprache. Einst wird es wieder von den Bergen strömen in Tracht und Waffen. Bereitet Euch dafür. –

Weder Bozen noch Meran, die Beide nicht wirklich warme Winterstationen mit gleichmäßigem Klima sind, konnten meinem Manne entsprechen, das stand bald fest. Es war wie Schicksal, daß es ein tieferer Süden sein mußte, was er brauchte. Die Grenze eben. Was das bedeutete in jeder Hinsicht, davon ahnte ich damals noch nichts. Es war ja doch Österreich, dachte ich mir, war noch immer die Heimat. Zerfiel schon der Traum eines geistigen Lebens in Deutschland als Frau eines Hochschulprofessors, so blieben wir doch wenigstens in der Umrahmung des Vaterlandes, wenn auch an seinem äußersten Ende.

Nach Arco also! Und wie wunderlich: mit einem hervorragenden Mangel an Takt ließen die Verwandten meines Mannes ein junges Paar nicht einmal allein auf seiner Hochzeitsreise, bei seinem Suchen auf lebensentscheidendem Wege. Nein, Sie mischten sich gleich da ein. Sie kamen mit. Mit einem dicken Fell, das, wo es nicht wollte, keine Ablehnung bemerkte oder annahm. Anfangs fand ich's unsäglich komisch; später, als es unerträglich ward, wehrte ich mich.

So fuhren wir im Sommer hinein in eine andere Landschaft, mir gänzlich neu; in Jahrhunderten heiß umstrittener Boden lag da vor mir; Benedeks Welt, der Schauplatz seiner Taten. Knapp bis Trient war noch ein Hauch deutschen Wesens fühlbar. Aber es ging die Rede bereits welsch, fast überall. In St. Michele, wo man ins Val di Non abbiegt, war eine gute Schule der Landwirtschaft, von der ein deutscher Einfluß ausströmte, vielfach lebten Deutsche begütert auf den armseligen Ansitzen, die an den kahlen, o so kahlen Höhen klebten. Castelle lagen da mit versunkener Pracht, die Spuren eines einst starken Adels, der längst verarmt, zum Teile ausgewandert, heimat- und gesinnungslos geworden. Österreich hat in Südtirol falsch kolonisiert. Es schuf, als ginge es beim baltischen Adel in die Schule, kein deutsches Volkstum hinter Trient, das selber schon immer vollständig wesensfremd für uns blieb. Trient, wie ich es das erste Mal im Juni 1899 und das letzte Mal zu Weihnachten um 1923 gesehen, war eine welsche, tückisch wirkende, eine immer unvertraut bleibende Stadt, ein Eindruck, der sich in Rovereto noch verschärfte. Da halfen alle deutschen Garnisonen und Beamten nichts. Den Kern zu packen und zu gestalten hat niemand verstanden.

Das Land ist blaß, die kahlen Felsen und Höhen schwimmen in Dunst. Endlose Campagnien und Vignen sieht man, der Wein hat hier schon abgeblüht und ausgeduftet. Viele Flächen sind künstlich überschwemmt; Esel und Maultier ersetzen die Pferde. Träge geht die Arbeit. Ich wundere mich, daß ich hier fast nur einen welschen, vielfach eigentümlich jüdisch wirkenden, kleinen und nicht schönen Menschentypus sehe, oft krummgliederig, frühverwelkt, gelb, von Pellagra gestreift. Deutsch sind seit 1400 Jahren, das steht fest, die Bergtäler vom Brenner bis Salurn. Im Eisack-, Puster- und Etschtal wohnten Franken, Bajuwaren; Gothen im Sarntal, zwischen Bozen und Brixen Hessen, Thüringer. Zweihundertdreißigtausend deutsche Menschen bilden hier ein Ganzes und dennoch: warum wirkt das sichtbare Volkstum nicht deutsch? Schon vor Trient nicht mehr? Unter österreichischer Herrschaft? Es ist die erste Schicksalsfrage, die sich mir auf die Lippen drängt, wie ein Schatten über mich hereindämmert. Wo bin ich eigentlich? Leise gleiten die mir vertrauten Berge zurück, wie Bilder aus vergangener Zeit, und neue Höhen, andere Höhen grüßen im neuen Lande. Reihen von Ruinen – nein es sind Häuser, – liegen da, dort, kleben an den Bergrücken; welsche Dörfer. Verfallen, schmutzig, gänzlich wesensfremd. Anders sind die Kirchen, aus denen der Curate schreitet; keine Rathäuser mehr mit Bürgermeistern, sondern Komunen mit Podestas. Ein unfruchtbares wildes Land von melancholischer Romantik tut sich hinter der endlosen Straße auf, die Mori und Mori Borgata bildet. Eine Gegend, Dantes und Byrons würdig, folgt dann, eine Gegend Böcklins. Eine Felsenwelt, in der Verdammte des Nachts mit Steinblöcken schmeißen mögen. Ein See, dunkelglasgrün, gurgelnd, der Loppiosee. Hier versank ein Kloster in den Wellen; vulkanische Ufer, düster und geheimnisvoll umschließen diesen Smaragd der Natur, an dem sich eine schlechtgebaute Kleinbahn gefährlich hinschlängelt, eine sehr schlechte Straße. Keine Felder hier, keine Fruchtbarkeit. Ein sehr armes Land, dessen Lasten auf Österreich liegen. Es trägt nichts, es erhält sich nicht selbst. Eine kümmerliche Fremdenindustrie ist hier; aber es kommen zumeist nur Deutsche, sparsame Idealisten ohne Ansprüche, das trägt kein Geld. Die Seidenzucht der weiten, maulbeerbestockten Ebenen ging ein. Die Spargelzucht wird träge betrieben. Wein und Olivenöl, Fischerei gibt es. Schon beginnen die Olivenwälder, im Sommer schemenhaft wirkend, an den Felsen zu schweben, unter denen die schmutzigen Schafherden tagelang träge dahinziehen. Einzelne Pinien ragen auf; eine österreichische Festung, Nago, Penede. Eine Wendung des Eisenbahnzuges und jetzt? Aus unsäglich beklemmender Wildnis der plötzliche Blick in blendende Paradiese. Es weitet sich, sonnenüberschüttet, gartengleich, im Rahmen hoher Berge, ein unvergleichliches Tal, festlich anzusehn, von silbernem Wasser durchschlungen, von einem Flüßchen, der Sarcha, die in einen tiefblauen Wunderspiegel läuft, wie das Kind zur herrlichen Mutter: der Gardasee Da ist er nun, tiefblau, grün, manchmal dunkelgrau, wunderschön wie ein Märchen.

Seine Ufer, Gärten, sprossendes Leben, Villenpracht, wieder urwüchsige welsche, ja welsche Stimmung. Torbole, St. Nicolo, in dessen Festungsmauern Italiener verbluteten und Österreicher. Riva, unwahrscheinlich wie ein köstliches Spielzeug von dunklen Bergen der Rochetta überwuchtet. Selber hellwirkend, freudig in südlicher Landschaft, orkanumbraust. Oft eisig kalt. Die große österreichische Grenzgarnison, der heiße Boden. Scheinbar so still, innen so laut. Riva! –

Hinter ihm liegen diese Ufer voller Rätsel, in denen Österreich hinübergleitet nach Italien, in das umstrittene Land, das unser war und das so unverzeihlich, so unbegreiflich, nach all den gebrachten Opfern, nach dem Siege von Custozza, den Benedeks Heer errang, dem Feinde hingeworfen wurde, das Land bis Venedig. Überall floß dort in Strömen unser Blut, erzählen die Schlachtfelder von Mortara und Novarra, Curtatone, Solferino, Santa Lugia von österreichischen Taten und Helden. Liegen die Gräber, die Ossarien, wo Name an Name sich reiht, Schädel an Schädel, Freund und Feind.

Ich wende meinen Blick von dieser weiten Ausschau über den See, an dem Malcesine aufleuchtet, in der Ferne das Cap Manerba dämmert, dem Gesicht meines Gatten zu. Er ist blaß, seine Lippen pressen sich zusammen, in seine Augen tritt die Starrheit eines bitteren Rückwärtsschauens. Es leidet in ihm der Erbe eines Geopferten und der Österreicher. Wer von uns aus dem verlorenen Land hat solch nagendes Leid in seinem Leben nicht empfunden? Voll von Stätten, die es auslösen muß, ist unsere Heimat. Mißbrauchte Treue, unverstandene Größe, zweckloses Sich-Hingeben, ist unserer Geschichte tiefster Sinn. Ich wage es nicht, das zu stören, auch nur zu berühren, was in diesem Augenblick vorgehen muß in Ludwig Benedeks Nachkommen. Ich frage mich nur, und es beschleicht mich ein Bangen, für das es keine Worte gibt: Willst du wirklich hier leben, du, an dieser Grenze, an dieser Grenze? Leben, Jahre um Jahre, da immer hinüber starrend in das verlorene, verbrecherisch aufgegebene Paradies, das dein Vorfahr dem Vaterland angeschmiedet hat durch seine Taten? Kannst du das ertragen? Warum willst du's ertragen? Mußt du vielleicht? Ist es in dir, ist es die Erfüllung deines tiefsten Wesens? Lang grüble ich so. Auf hochgelegener Bergstraße, über dem sonnigen Tal der Sarcha, fahren wir hin; es haucht ein weißer Staub von Höhen, ein wirbelnder, südlicher, aufregender Wind, in dem es zittert wie fremde Stimmen. Gott sei Dank, die beiden verehrten Anhängsel aus der Verwandtschaft schnarchen. Wir sind trotz allem allein. Wir Beide, und ein größerer Dritter sieht uns an. Ohne Wort verstehen wir zu tiefst, was wir empfinden.

Keine Frage störte diese Stunde.

Nur schwer lag das Herz in der Brust. Warum gerade hierher?

*

2.

Am nächsten Tage heizten wir im Hotel in Arco, ein Orkan tobte, die Berge, der Stivo und Altissimo, waren schneebedeckt. Das ungemütliche Haus war zwar deutsch, aber nach der Saison trostlos; trostlos der leere Ort mit seinen kirchhofartig wirkenden Magnolien- und Pinienanlagen. Die alte Stadt war mir zu fremd und ruinenhaft, um ihre Reize zu erkennen. Segantinis, des großen Malers Geburtsort, Arco.

Ein ganz südlich wirkendes Nest, in zwei Teile zerfallend; das Städtchen stockwelsch, der Kurort deutsch übertüncht.

Überragend das Kastell der Grafen von Arco, in scharfen Farben am südlichen Himmel abgegrenzt; Oliven und Pinien, zackige Felsen, eine Welt von Felsen. Im Tale Fruchtbarkeit. Viel Staub, weißer Staub. Das Haus des Erzherzogs Albrecht, des in Italien besonders Verhaßten, in seinem schönen Naturpark nun auch verlassen. Ihm gegenüber das verlotterte Ortsspital voll Schmutz, ruinenhafte Häuser an der Straße nach Straforio und ein Glycinienbaum, wie ich noch keinen gesehen, am herzoglichen Gitter. Kontraste überall! Peitschender Regen. Wohnungssuche.

Mir erschien das alles ganz unwahrscheinlich; erschien es unmöglich, hier zu leben. Das welsche Geschrei, der Schmutz, die energielose Trägheit, die kahlen Berge im weiten Umkreis, die leblos grünen Promenaden, die steinigen Straßen an Olivenwäldern hin, ohne Leben, das waren doch nur Bilder eines fremden Buches, das war nicht Österreich. Ein schauerlicher Grenzdialekt, die Sprache des Trentin erklang, deutsch dazwischen. Verdrossenheit war überall. Nachsaisonstimmung.

Am nächsten Tag wieder Hochsommerwärme, jauchzende Schönheit eines Sonnenlandes in seiner vollen Rosenpracht mit fruchtbedeckten Kirschbäumen, wuchernden Blumen; überall ein Duften. Bald war die erste Wohnung gefunden, die uns hier aufnehmen sollte. Ein schönes Haus mit südlichem Garten, blau und weiß von Iris. Wir fuhren nach Riva und an den Varonefall. In blanken, harten Farben leuchtete eine ganz charakteristisch südliche Landschaft auf. Ich stand ihr ratlos gegenüber.

Ich ließ sie über mich ergehen. Im September sollten wir übersiedeln; eine große Sache. So viel Kostbarkeiten, Bilder waren in eine neue Welt zu transportieren. Es wurde alles wortreich ausgemacht, in zwei Sprachen; ich stand stumm dabei, mich begnügend, die Einmischungen meiner Schwägerin durchaus abzulehnen. Das war auch eine Beschäftigung. Dann verlebten wir allein den letzten Abend, mein Mann und ich, in der Campagna Südtirols. Wir saßen da in einer Loggia aus Rosenzweigen, Blüte an Blüte. Zwischen ihnen Passionsblumen. Überall sangen und schluchzten die Nachtigallen. Ein uraltes Mönchskloster, epheuumwuchert, lag zwischen hohen Pinien und Zedern auf einem nahen Hügel. Irgendwo sangen junge Stimmen:

»Non so resistere, sei troppo bella,
Facesti un Angelo inamorar«

Du bist zu schön, ich kann nicht widerstehen.
In Dich vernarrt wirst Du die Engel sehen.

Das ließ sich in dieser Stunde auch anwenden, auf dieses Land. Nicht des goldhellen Muscatellers bedurfte es im Glase. Hoch stand und groß ein südlich goldener Mond an tiefblauem Himmel vor uns. Scharf zeichneten sich die seltsam geformten Berge ab. Die weite Campagna war ein Fluten von Duft und Grün. Laut schwirrten die Stimmchen von Millionen Cikaden unermüdlich um große Margaretenblumen mit weißen Gesichtern, in denen es golden aufleuchtete; der Mond war unglaublich hell. Purpurrot wie Bäche Blutes flammte der wilde Mohn des Südens wiesenweise, und über ihm in festlicher Fackelbeleuchtung schwirrten die Luccioli, die Leuchtkäfer. Sie fielen auf mein Haar und schimmerten da. Um uns war ein Duft, eine Trunkenheit. Das Land der Grenze war es; es warb herrisch, kindlich überschüttend mit Gaben um unsere deutsche Liebe. In mir zitterten Rausch und Beklommenheit, das Qualvolle des Sich-nicht-geben-Wollens aus einem innersten Widerstand heraus; der Wunsch, sich geben zu können. Es war dämmerig in der Loggia. Da sagte, es redete aus mir ganz plötzlich: Das Land, ja; das Land! Aber ich möchte hier keinen Menschen kennen. Nur das Land! Und meines Mannes Stimme aus dem Dunkel sprach: Was ist ein Land ohne seine Menschen? – Ein sorgloser Wiener Gassenhauer erklang. Österreichische Offiziere traten in die Laube. Das Licht, das wir ausgedreht, leuchtete wieder auf. Säbel klirrten, muntere Stimmen riefen befehlend nach Bedienung. Hurtige Blicke streiften uns musternd. Gelächter, österreichisches Geschwätz, triviales Leben. Es schwieg der Süden. Die Lucciolis verlöschten. Über die Cikaden hinaus aber klang leise die Frage: »Wer bist Du, Land?«



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