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Lehren des Lebens.

Lange konnten wir niemals fortbleiben auf solchen herrlichen Streifzügen in eines Landes Tiefen; eine Art zu reisen, die uns die Krone des Erlebens schien. Aber kam man dann heim, war alles des Teufels. Die schnodderige Berliner Patrona krawallierte auf berlinerisch mit der Wiener Dienerschaft und den Oberösterreichern. Wie das war, das zu schildern, fehlt mir die Macht der Sprache. Man mußte es erleben!

Ich sah ein, daß ein Umsturz der Verhältnisse schleunigst am Platz war. Denn es kam an mein Ohr das Gerücht, sobald ich, den Verhältnissen entsprechend, im Januar alle Viere von mir strecken und daliegen würde, – wie die vornehme Köchin es ausdrückte: daliegen würde, wia solchene Damen, aus diese nixwertigen Kreise alleweil monatelang daliegen, während unsereins bei solchen Gelegenheiten allemal wieder gleich zu allem fähig und bereit sein tut, dann also, wenn ich daläge, hingemäht auf Aeonen, durch ein natürliches Ereignis im Frauenleben, dann würde sie erst zeigen, diese Babett, wer sie sei. Es ganz und unbehindert zeigen! Denn dann verbot der Arzt natürlich jede Aufregung für so was Gräflichs; ich durfte die Rechenbücher nicht mehr kontrollieren, die ich eingeführt zu ihrem rasenden Zorne. Z'sammazölen scho gwiß nit wirds därfen, die Noken; sie kann's ja gar nit! Die und z'sammazölen! Derweil denkts an ihre Nerven und solches nobliges Gfrast! –

Das aber war eben nicht ganz so. Es sollte nur so sein; sie wünschte es, aber ich tat es nicht. Ich rechnete alles nach, gab alles vor und wußte Quantitäten. Ferner kämpfte ich jede Schlacht allein, mein Mann erfuhr keinen häuslichen Sturm. Nur einmal später biß ihm eine perfekte Aushilfsköchin, die wir brauchten, weil große Tiere zum Diner erschienen, beinahe den Daumen ab; sie hatte die ganze Flasche Malaga für die Vorspeisen ausgesoffen, und an diesem Vormittag kochte sie nicht mehr, sondern schwang über dem Küchenmädchen, das den Baron dann zur Hilfe rief, ein brennendes Scheit aus dem Herde.

Solche Erlebnisse hatten wir genügend, in allen Formen. Hier im Süden erlaubten sich, da keine Auswahl da war, alle Alles; gute Leute taten nicht mehr gut, woran auch der billige Wein schuld war.

Als ich nun die Äußerung der Kochgewaltigen über meine Zukunft vernommen, expedierte ich sie plötzlich mit großer Fixigkeit, so daß sie ganz verblüfft war. Der Bediente kündigte auch gleich wegen Zahnweh. Er hatte aber gar keine Zähne mehr, denn er war schon 24 und ein Oberösterreicher. Die Rechnungen und sogenannten Bücheln dieser Köchin habe ich mir als menschliche Dokumente im Leben einer jungen Frau aufgehoben; sie interessierten sogar ernste Männer. Da war z. B. das sogenannte fettige Bäknbüachl für uns, vorderhand sechs Personen, pro Tag so und soviel, ganz reichlich war vorgesehen. Da stand zuerst im Allgemeinen: Semmeln – for d'Leit, – Semmeln for d'Herrschaft! Nochamal: for d'Leit, weils no an Hunker g'habt habn. Dann plötzlich hingesät über die ganze Seite, alles auf einen Datum: Semmel, Semmel, Semmel, Semmel, Semmel; wie vom Sturme hingeweht. Unbegrenzt, mit falschem Preis; bei einer Semmel gleich drei Preise auf einmal. Denn welche Gräfin oder Baronin, die eine echte sein tut, schaut überhaupt in so a verfluchtiges Buach? Man verlaßt sich auf die Babett, 's Babettl. Die Rechnunga kommen nacha scho' in Bausch und sie zahlts. So machte es diese Köchin in Allem. Die ungezählten Semmeln hat sie dann hinten herum um einen Kreuzer billiger in freiem Handel bei der Küchentür verkauft. – Ha! Sie flog! Es entstand eine paradiesische Stille. Das Essen war schlecht – das war es früher auch gewesen. Das ist es immer, wenn die Frau nicht selber was kann und sich nicht darum kümmert.

Ich begann das zu tun und wurde ernsthaft meine eigene Haushälterin. Wochenlang kamen anmutige Rechnungen, die die Babett noch hinterlassen; von drei Metzgern, zwei Kaufleuten, verschiedenen Grünzeug-Donnen, die mir schauerliche Sachen von der Abgeblichenen zukreischten. Na! Dann kamen neue, einfachere Leute. Und die Ahnung sagte mir, ich könne die Volkskreise hier nicht übergehen. Ich müsse mich umtun nach bodensässigen Leuten aus dem Orte. Ich begann die Sprache zu verstehen, nahm es ernst, lernte fleißig und nahm nun meine Wirtschaft selbst ganz in die Hand.

Wie leise, von einem inneren Licht durchglänzt, diese Monate gingen, Monate der ersten Erwartung auf das höchste Glück, die Lebenserfüllung der Frau! Mein Mann war ernst. Ich wußte seine Sorge! Er bangte vor sich selbst in einer, durch viel Krankheit und Tod in der Familie entstandenen Angst, es könne, dieses Herzzerquälende, ein kränkelndes oder schwaches Kind geboren werden. Das lag sehr schwer auf ihm. Ich aber! Keine Stunde hab ich an so etwas gedacht; davor gezittert? Niemals! In mir war ein Mutterglaube ohne Gleichen. Ein Frauenmut so voll Trotz, wie jener Menschenmut, der die verwegenen Bücher schrieb. Nicht eine Stunde feiger Furcht vor Schmerzen oder Todesahnung kannte ich. Die feste Überzeugung an einen Menschenfrühling, der für mich kam. Eine Tochter würde es sein! Ich wollte nur eine Tochter. Der Verhältnisse im Vaterhaus eingedenk, wo Mädchen nur eine unnötige Belastung waren, hatten Söhne keine Lockung für mich; man besitzt sie auch nie recht. Sie gehören der Zeit, die Zeit nimmt sie.

Ich aber wollte mein Kind für mich haben, ein glückliches Kind. Ein Mädchen, so geliebt, wie ich es nicht gewesen; als eine Blume in den Liebessonnenschein der Elternherzen gestellt, wirklich einer Mutter Kind, die ganz mit ihm leben würde; die es selber erzog, es nicht ließ; bis seine Stunde kam ins Leben zu gehen. Eine Tochter haben, sie glücklich machen, ihr alle Erfüllungen ihres jungen Lebens geben, zart und doch stark, all ihre Keime pflegen, das wollte ich, das erbat ich mir von Gott in den Dämmerungen dieser großen finsteren, welschen Kirche, in der kleinen deutschen Anna-Kapelle. Und draußen in der Natur, der großen Freundin jener Zeiten. Viel bin ich gewandert; in mir dies werdende Leben, dessen Pulsschlag ich schon empfand mit einer Seligkeit, wie es keine Zweite gibt. Auf dem hohen Berg vor meinem Fenster lag täglich am längsten blutrot die Wintersonne. Da sah ich hinauf, dachte der Heimat-Berge. Sie waren anders, ich hatte immer Heimweh nach ihnen; sogar im Traum. In jenen letzten Winterwochen aber sagte ich mir stille: »Das wird nun bald nicht mehr sein. Dann halt' ich am Herzen, was alles Heimweh tötet. Dann habe ich des Daseins tiefstes Liebesrätsel gelöst. Die eifrigen Verwandtinnen haben uns in jenen Tagen kritisch und neugierig, überaus stark besucht. Jeden Augenblick setzte eine die Bahn in Betrieb und erschien, mich zu beraten. Ich aber besaß eine geniale Begabung zu passivem Widerstand. Das mußte auf manche Naturen empörend wirken. Als die Ratschläge nicht verfingen, weil ich nicht gesonnen war, in einer natürlichen Sache mein natürliches Leben zu ändern, zogen die Guten, besonders diese eine, die sich um viele Dinge gekümmert, zog meine gewichtige Marthschwägerin andere Saiten auf. Sie wollte mich das Gruseln lehren. Sie hat mir mit süßem Lächeln wiederholt mitgeteilt, daß ich Furchtbares auszustehen haben würde, man litte immer schrecklich, und ich sei viel zu schmal gebaut. Vielleicht verbaut. Dann würde es gar nichts. Der arme Franz! Doch! Es wird schon was, sagte ich. Was weißt denn Du? Das erste Mal! Ich sage Dir! Ja, und Du! Du hast doch selber noch gar keine Kinder gehabt, wirst nie welche haben! Einen Augenblick war sie aus der Fassung, dann schnappte sie ein: »Ich weiß es«, sprach sie majestätisch; »Ich war so oft dabei, ich bin gern dabei.«

Das glaubte ich ihr. Ich werde die Sache allein abmachen, nur mit der Weisen Frau sagte ich. Da blickte sie entgeistert: Was, was? Jawohl! Eine berufene deutsche Weiblichkeit, mit Hygiene und Sauberkeit, kommt aus der Heimat und damit Schluß!

Na, und dein Mann natürlich? Das tut doch jede richtiggehende Frau, daß sie verlangt, er soll mitansehen und aushalten, woran er schuld ist. Ich mach das nicht! Er wird nur das fait accompli, das Resultat zu sehen kriegen, rief ich munter. Und das wird allerliebst sein, sag ich dir. Die pompöse Schwägerin wurde säuerlich. Man weiß nie, sprach sie mit einem spitzigen Lächeln; es kommt allerhand vor! Auch Mißgeburten gibt es. Aber geh! Dann besichtigte sie die süßen Winzigkeiten der Aussteuer, bei denen sie nicht gefragt worden war und fand alles unrichtig. Ich sagte friedlich: Du bist zu einer Schwiegermutter genial begabt. Sie wurde etwas schweigsam, musterte mich und aß viel, wie immer. Ich lag vergnügt auf dem Divan in einem allerliebsten Negligee von zartem Blau mit Spitzen.

Plötzlich stand mein Quälgeist auf und holte etwas aus dem Hausflur draußen. Es war der Hut meines Mannes. Sieh dir das amal an, sagte sie düster. Schau es nur an, es ist besser, man weiß alles. Der Hut ist ganz gut, er ist von Habig in Wien. – Ach was! um das handelt sich's doch nicht. – Also um was dann? War er zu teuer? – Unsinn! Schau ihn an, wie der weit ist! Diese große Nummer! – Ja und weiter? Jedes muß doch die Nummer haben, die er braucht.

Das ist's ja eben, das Schreckliche, daß der Franz einen so großen Kopf hat! Den wird natürlich sein Kind dann auch haben, das ist immer so. Da mußt du ganz furchtbar ausstehen. Ich prophezeih dir's, verlass' dich drauf.

Ich war starr. Jetzt hatte sie Oberwasser. Strahlend und zärtlich verabschiedete sie sich dann bald. Sie hatte gesagt, was sie sagen wollte. Ich besah mir den Hut. War er so groß? Ach was! Mochte mein kleines Mädl auch diese Denkerstirne haben, die mir an meinem Gatten so gefiel!

Ich habe ihm diese wirklich eigenartige Szene einer weiblichen Psyche erst viel später erzählt, als alles längst anstandslos und glücklich vorbeigegangen. Er war damals ehrlich empört über diese Martha, die sich um viele Dinge bekümmerte.



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