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Vaterland – Fremde?

Auf jener langen, wechselreichen Reise, wo eine Fülle neuer Eindrücke, fremder Menschen mich umgab, ist mir oft zumute gewesen, als hält' ich keinen Boden unter den Füßen mehr. Es lockte so vieles schmeichlerisch: Hier bleibt, hier ist es schön! Da war die welsche und die französische Schweiz, in der man frei leben konnte, hieß es, als ein Weltbürger. Solches Weltbürgertum aber ahnte ich als eine seelische Entwurzelung. Es war wie Arrivée und Départ, etwas aus Episoden Zusammengesetztes. Man litt um kein Land und Volk mehr, man liebte keines, man kämpfte für keines mehr. Der deutsche Grundton zerbrach in den Tiefen des Wesens, man wurde Gast auf Erden, statt eines Landes ihm verpflichtetes Kind. So verschloß ich mich, wie aus innerem Selbsterhaltungstrieb, den Reizen des Genfer Sees; dieser Welt von Zierlichkeiten, Bergschönheiten; den lockenden Schlößchen, die man kaufen konnte; der Gärten, die sirenenhaft blühten; den Matten, die im Mai weiß sind von Narzissen; dieser ganzen Welt in internationaler Aufmachung, die mir nur ein buntes Bilderbuch blieb, wo andere hingerissen waren. Mein Österreichertum, das Selbstgefühl der eigenen, wunderschönen, heißgeliebten Heimat erwachte, und in jeder dieser strahlenden Sommernächte, wenn im Mondlicht Berge und See hereinschimmerten, war ich weit fort, daheim in Leonstein am Ufer der wilden Steier, wo das Flößholz trieb, die Nebel zogen, das alte Schloß stille lag am grün aufstrebenden Naturpark, in dem meiner Kindheit Träume gingen. Keinen Tag auf all den Reisen, wo mir das Schönste der Welt gezeigt wurde, bin ich ohne Heimweh gewesen, ohne Heimweh nach deutschem Wort, nach Heimatklang, einfachen Sitten, gesund quellendem Humor, nach deutscher Landschaft. Ich gab mir darüber nicht Rechenschaft. Es ist beleidigend, wenn man auf der Hochzeitsreise Heimweh hat. So trug ich's, die ich nie sentimental empfand, in mir herum wie eine innere, leise anklingende Not, dieses Letzte, das man für sich behalten muß aus Stolz und Scham. Wer in sich nicht etwas zu verschweigen weiß in der Ehe, der wird auf die Dauer niemals eine glückliche Ehe führen können. Die weise Zurückhaltung der Seele wie die des Leibes fehlt vielen Menschen im engsten Zusammenleben, vor allem vielen Frauen; fehlt stark der unkomplizierten, sich ganz gebenden deutschen Frau. Es ist dies vielleicht in ihr eine moralische Höhe gegenüber der spielerischen Art des weiblichen Franzosentums. Aber es bleibt doch ein Fehler, eine Gefahr. Eine Frau muß sich immer wieder suchen lassen, immer wieder gewonnen werden, wenn auch die Türe offen steht.

So weit war ich nun, Wertvolles von Sensationellem zu unterscheiden; ich fing an, mich vor dem Mißbrauch meines Talentes zu hüten, ja zu fürchten. Ein glühender Arbeitseifer verließ mich auch auf dieser Reise keinen Tag. In Graz war mir vielfach in eigener Familie, die so gern verletzte, die hämische Äußerung zu Ohren gekommen: Na, jetzt hat sie's nimmer nötig, daß sie sich interessant macht. Jetzt hat sie Geld und schreibt nix mehr. So dumm wird sie doch nicht sein und sich weiter Unannehmlichkeiten machen Das dachten meine eigenen Lehrer, und die Verwandten, die mich ein Stück Weges begleitet; mich dann zu tyrannisieren versuchten, als ich meine Ideen aussprach, und mich allein ließen inmitten der Gefahren, die hereinbrachen.

Ich stand am Anfang meiner Selbstbefreiung in jenen Tagen; die subjektiven Menschen-Beurteilungen, die gesellschaftlichen Anschauungen, die den ersten drei Büchern das Gepräge, vielleicht auch den Sensationserfolg gebracht, fielen von mir ab, ich verurteilte diese ersten Arbeiten. Ich wußte mich schon zu Besserem bestimmt. Meine innere Stellung zur Zeit, zum sozialen Weltgedanken, der Drang, meine Heimat und mein Volk vor allen. Auswüchsen und Vergewaltigungen zu schützen, es deutsch zu erhalten, bewußt deutsch zu machen, Helle in sein geistiges Dunkel zu bringen, erfüllten mich ganz, wuchsen empor über mein persönliches Dasein, sogar in jenen ersten glücklichen Tagen meines Lebens. Vor allem die Vergewaltigungen des gesunden Denkens und Fühlens in Österreich, seine Enge, sein ungerechtes Kastenwesen taten mir weh wie persönliches Leid. Ich sah ein liebenswertes Volk voll Möglichkeiten verkümmern, verkommen an lichtloser Mauer. In mir war ein Mut, den Mächtigen der Welt gegenüber, der Knechtung, dem Lügensystem, das jede Gerechtigkeit untergrub. Ich sah die jammervolle Jugenderziehung in den Schulen, das Martyrium der denkenden Lehrer, die lastende Faust auf unruhig strebenden Geschöpfen; ich sah das Elend der Beamtenkarrieren, ihre Ungerechtigkeit, die Verhältnisse des Kirchenstaates in den einzelnen Ländern, an die zu rühren in katholischem Land kaum einmal jemand wagte; oder es geschah sensationell, klatschhaft auf eine niedrige, persönlich gehässige Weise. Das Alles verdarb nur, zog herab.

Einen würdigen Weg der Bekämpfung unzeitgemäß gewordener Mißbräuche hatte ich zu finden. Ich wußte ihn mir. Ich hatte zu Priestern aufgesehen in Jahren des Werdens, mich auch gefürchtet vor Priestern. Ich hatte die unheimlichen Grenzen zwischen Priester- und Menschentum wohl empfunden, sogar das Leid schwerer Zwiespalte früh geahnt, daß diese Menschen erschüttern mußte. Der Geistliche war die mächtigste Gestalt in meinem Denken und Werden, dieser Staat im Staat mit der Autorität jenseits der Landes-Grenzen, dieser Mensch in gräßlicher Einsamkeit, ohne Liebe und natürliche Freuden, ohne Erfüllungen. Die geknebelte Natur, die sich einmal rächen mußte, sich aufbäumte, stumpf und grausam werden konnte oder in inneren Konflikten verkommen; die geknebelte Natur, die eigentlich alle hasten mußte, denen das Leben blühte, auch die Kinder in der Schule, in deren Augen ich zugleich Angst und Mißtrauen las vor dem geistigen Tyrannen. Der Schulkonflikt hat unsere beste Jugend zermürbt, der geheime würgende Kampf zwischen geistlichen und weltlich-wissenschaftlich positivem Unterricht. Widerspruch in der Erziehung eines jungen Geschöpfes! Was Alles liegt in diesen paar Worten. Dieser Widerspruch, grell, oft lächerlich aufreizend, war immer da. –

Ich denke zurück an die Werdejahre zwischen zwölf und achtzehn, die bei begabten Kindern die schwersten ihres Lebens sind. Ich denke an meinen Bruder im Gymnasium, an die verbitterte, finstere Glaubenslosigkeit der Obergymnasiasten, die sie mit hinübernehmen auf die Hochschule, die ihnen später ein roher Scherz werden kann, eine Verschanzung, hinter der Wunden bluten. Wir haben glauben wollen, wir haben es nicht gekonnt; man forderte zu Unmögliches von uns, jenseits aller gesunden Vernunft.

Seit ich kurz vor der Aufführung meines ersten geschichtlichen Dramas »Der Hochmeister von Marienburg« auf der Grazer Landesbühne einmal den geistigen Autoritäten, die noch Macht über mich haben wollten, auftrotzend sagte: »Ich lasse mich nicht tragen, ich will schreiten,« war hie Ungnade da, sie wuchs. Das Stück, ein deutsches Ordensritterdrama mit Sittenschilderungen dieser wilden Ritter, ihres berühmten Hochmeisters Werner von Orselen, den sein natürlicher Sohn aus einem Ehebruch erschlug, war für ein junges Mädchen aus bestimmten Kreisen eine seltsame Arbeit; aber es interessierte sehr. In der katholischen Welt galt ich als nicht mehr katholisch. Rückhaltlose Geschichtsforschung, religiöses Weltbürgertum sind Todsünden. Rasch erwuchs mir eine Legion von Feinden, die mich leiden machen konnte. Wäre ich atheistisch veranlagt gewesen, dann hatte ich bessere innere Freiheit. Aber ich war fromm, gläubig will ich es nennen. In großen Zügen. Alles Reine und Hohe des Katholizismus zog mich an, auch ausübend zog es mich in meine Kirche. Das Recht dazu gestand man mir bald nicht mehr zu. Daß Milde und Begreifen nicht die Wegweiser einer Konfession zu den Menschen waren, die die Inquisition, die Hexenprozesse zu ihren Machtmitteln gemacht, wußte ich. Daß Priester nicht die sind, die in ihrer Maaßlosigkeit den wahren Glauben in denkenden Menschen erhalten und pflegen, sah ich immer wieder. Mein Mann war christlich aber nicht kirchlich. Wer an Hochschulen im Dienste der Wissenschaft ist das überhaupt noch? Über diese bedeutsamen, inneren Dinge schwiegen wir aus gegenseitiger Schonung. Und das war traurig, blieb es immer.

Ich hatte fester denn je vor, Partei zu ergreifen für alles Entrechtete, ehe ich mich an das Lebensbuch über Benedek wagte. Es lagen vor mir Entwürfe zu dem » Priesterstrafhaus«, einem finsteren Dokument aus der inneren Landesgeschichte Oberösterreichs, nach Quellen, die ich aus Priesterhand selbst empfangen. Ferner zu » Humanitas« ein später vielfach übersetztes, mit überraschender Beachtung aufgenommenes Werk über Unfug und Verbrechen im ärztlichen Wirken. Der Inhalt dieses Werkes wurde in der Öffentlichkeit, besonders durch die in Wien erscheinende »Fackel«, als berechtigt nachgewiesen. Das ärmste Volk war medizinisch vielfach schaudererregend preisgegeben. Das wagte ich an Hand von Tatsachen zu schildern.

Hinter diesen Arbeiten, deren Material dalag, dämmerte der schon fest umrissene Gedanke einer Anderen auf. Die Geschichte jenes Judas im Priestergewand, den Österreich besessen hat, des Fürstbischofs Theodor Kohn, eines Juden; der Erste, der jemals Inful und Mitra getragen; der verheerend eingriff in die Politik, in das seelische und leibliche Dasein eines Volkes, der fromme Katholiken irre machte.

*

2.

Seltsam genug war es, auf dieser Reise, von Luxus umgeben, von Liebe verwöhnt, die Blätter solcher Manuskripte in die Hand zu nehmen. Auf blumengeschmückter Terrasse in Montreux, angesichts prachtvoller Berge, im Ohre die Vielsprachigkeit eleganter Menschen, von Elend zu reden. Unter duftenden Oleandern und Rosen, am saphirblauen Genfer See saß ich Vormittage lang, und vor mir stieg meine Heimat auf. Ich wollte es doch in jenen Tagen nicht. Ich rief sie nicht, aber sie kam, im grauen Sorgenkleide, werktäglich angetan, unter Lasten gebeugt, von denen die Stummen die Unerträglichsten waren; die schweigenden Sünden an ihrem Menschentum. Ich mußte ihre Befreiung fordern. Es verblaßten Sonnenschein, seichte Daseinsfreude; aus dunkelnden Tiefen schrie es auf: Du mußt! Du mußt, weil Du kannst! Es ist Dir gegeben. Wehe dem, der eine Kraft, die von innen kommt, nicht nützt.

In meine Augen traten jene Tränen, die wie Feuer brennen; ich wollte nicht kämpfen, nicht jetzt. Ich war, auch ein Mensch, hin- und hergerissen; das Dasein lockte mit neuen Stimmen; der erste Muttertraum, die Höhe allen Frauenlebens, zog schon leise vorüber. – Paradiesesahnen. In Harmonien sollte sich das Höchste erfüllen, das war doch Frauen-, Mutterrecht und -Pflicht! Grübelnd starrte ich auf wartende Blätter. Unerbittlich griff nach mir mein Land.

Das »Priesterstrafhaus!« Da lag sein Plan vor mir, das Manuskript eines Toten, der die Weihen getragen unter menschenunwürdigen Qualen. Das Attest des Arztes, seines Schulkollegen, der ihn am Besten gekannt und mir begleitende Worte geschrieben: Wagen Sie es! Tun Sie diese Tat, junge Gräfin. Sprechen Sie einer tiefsten Erniedrigung, einem Leben, das zerschmettert worden ist, das Wort.

Der Stiftsbrief hat später einmal vor Gericht gelegen, als das »Priesterstrafhaus« bereits seine gewaltige Wirkung getan hatte und durch die liberalen Kreise eine Interpellation im Landtag zur Folge hatte. Es war diese milde Stiftung zweier frommer alter Jungfern, ich muß wohl sagen, die größte Grausamkeit böser Weibsnaturen, die ich je erlebt.

In mitten der blühenden Harmonie um mich her, in meinem neuen Glück und Frieden lege ich die Hand auf das Dokument. Ja, ich werde für diese Bauernsöhne schreiben, die Kinder meines Volks, die schon versklavt in den Seminaren unter der Bischöfe Druck die Arme ihrer Seele voll verzweifelter Sehnsucht ausstrecken nach Erlösung, nach einem freieren Wirkungskreis, nach schaffenden Mannesrechten, die der Volkströster und Erzieher haben muß. Priestertum, das zum Volke redet, muß lebendig sein, immer erneut in der Zeit, nicht in Traditionen vereist und Satzungen unbegreiflicher Epochen.

Vor mir entsteht in meinem geistig engen Land ein Haus, darein sperrt man junge, heiße Menschen, Geweihte des Herren, die einmal gefehlt, einmal widersprochen, einmal selbständig gedacht haben. Sie werden Abgestrafte. Aber sie bleiben Seelsorger ohne Laufbahn, für Strafstationen, wo das Leben zur Hölle wird. Monatelang entzieht man ihnen die Messe. Renitente Kapläne heißt es, die Gefahr der Zeit. Man muß sie niederwerfen, mit Kasteiungen und Gewissensqualen; mit dem Makel an der Stirn. Gezeichnet fürs Dasein!

Wer in seines Lebens Wechselzeiten, wer von uns ersehnt den Aufblick zu einem wirklichen Priester nicht? Das Volk vor allem in seinen vielen Leiden kann ohne ihn gar nicht bestehen. Das aber dürfte nicht mißbraucht werden. Und das vor Allem wird mißbraucht. Aus dem Schoße ihrer Kirche kommen die Abtrünnigen, die aus der Bahn Geschleuderten.

Als das Manuskript meinem Manne vorlag, las er es zweimal aufmerksam durch mit besonderem Ernst. Dann sagte er: Du wirst zu leiden haben, wenn du das herausgibst. Du kannst deinen katholischen Glauben nicht entbehren. Man wird dich zu steinigen versuchen, dich vielleicht verfolgen in deinen Kindern. Kinder machen immer unfrei. Von mir aus kannst Du es tun, denn die Sache ist gerecht. Mir machen Angriffe nichts aus. Du aber mußt dir klar werden, daß es Kampf werden kann bis aufs Messer. Überleg dir das. Deshalb ja bin ich mit dir in die Fremde gegangen, hierher gekommen, an Stätten, wo man in vollkommenster geistiger Freiheit leben kann. Ich zeige sie dir. Ich biete dir an, hier unsere Zelte aufzuschlagen, wo du persönlich unbedroht leben kannst. – Das wäre Feigheit, entfuhr es mir ungestüm. – Oder Lebensklugheit. Viele Kämpfer gibt es, die retten ihre persönliche Existenz in die internationale Fremde. Aus deren schützenden Mauern versenden sie ihre Pfeile in die Heimat. – Ich sah plötzlich auf, dem Sprecher ins Gesicht. Ich fühlte einen Unterton in diesem Gespräche, ein Forschen in dem Blick, der prüfend auf mir lag. Ich fühlte es, wie ein Stehen am Scheidewege. Ein großer Kampf, der muß würdig sein, offen und kühn. Auslöschen als Mensch? Verschmelzen in einer Fremde, die Jeden annimmt, der bezahlen kann und sich zu nichts ihr Feindlichem bekennt? Den Kampf der Nationalität, der Überzeugungen aus dem gesicherten Hinterhalt führen? Saisongast bleiben auf Erden, nirgends mehr daheim? Seine Person nicht einsetzen zugleich mit seinem gewappneten Worte? – Nein! – Den persönlichen Mut ausschalten? Niemals! Man kann es auch so auffassen, sagte die geliebte Stimme neben mir in die sinkende weiche Dämmerung des schönen, von Franzosentum durchsetzten Landes hinein. Man kann sagen: Wer angreift, der muß zur Stelle sein, des Widerstandes gewärtig. Mann oder Frau. Dieses Ehr- und Wehrgesetz gilt für alle. –

Beide dachten wir in diesem Augenblick an Ludwig Benedek, seine Gestalt glitt an uns vorbei. Ich sagte fest: Wir wollen nach Österreich zurückgehen. Ehrlich muß ein Ringen sein. Er widersprach mir nicht. –



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