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Entscheidungstage.

In Venedig, das wir alljährlich, oft zweimal besuchten, es war so nah, erlebten wir die Zusammenkunft des deutschen Kaisers mit dem König, bei der sehr schwankend gewordene Bande sich wieder festigten. Venedig war damals eitel Lust und Glanz; die kaiserliche Jacht lag schimmernd an der Riva dei Schiavoni, über die Adria hin schmetterte deutsche Musik. Wilhelm der Zweite paßte in diesen Rahmen von Sonnenschein, irdischer Flitterpracht, Aufmachung, Lärm und Überschwang weit besser, als der kleine wirkungslose König. Der Kaiser strahlte. Viel sah man neben ihm eine sehr schöne, nickt mehr ganz junge Frau des welschen Hochadels, der auch die Kaiserin, aber ohne Freude, Aufmerksamkeiten erwies. Die Begegnung des deutschen Kaisers, der in glänzender Stimmung schien und sich großer Popularität erfreute, weil sein temperamentvolles Wesen, das sich für Alles interessierte, den Italienern gefiel, diese Begegnung mit dem erloschen wirkenden, stillen und farblosen hatte politische Hintergründe; sie bedeutete die abermalige Beschwörung einer Gefahr, die in Deutschland durchaus erkannt wurde. Das Bündnis-System Mitteleuropas war mit diesem Staat, der immer verheerungsvoll und ängstlich auf England hinschielte, mehr als gelockert. Nahe Beziehungen knüpften Italien an Rußland, während gegen Frankreich, trotz aller Besuche der Flotten und aller Freundschaftsversicherungen eine unausrottbare Abneigung herrschte, die sich heute, nach dem Kriege vielfach in Haß verwandelt hat. Im August 1919 durfte man in Bologna ungehindert deutsch sprechen, aber jedes französische Wort erweckte Wut. Das innerliche Wesen der Ententebeziehungen hat auch seine Kehrseiten. Österreich hatte Italien immer unterschätzt und oft gereizt; das war Deutschland nicht angenehm. Im Jahre 1908 hatte Österreich-Ungarn Gewinne gehabt, für die der welsche Nachbar keinerlei Kompensationen erhalten; das vergaß er nicht. Indirekt war Deutschland ersucht worden, zu vermitteln, daß die Donaumonarchie, der Italien den Weg nach dem Orient freigegeben hatte, nun den Bundgenossen entschädigte mit den »nichtbefreiten« Gebieten von Trient und Triest. Triest aufzugeben war Österreich ganz unmöglich, Trient hätte es entbehren können; aber Tirol schrie auf gegen eine Verschiebung seiner Grenze; der Welsche saß ihm ohnehin schon überall viel zu nahe. Im Jahre 1911 entschädigte sich hierauf Italien selbst kurzer Hand, indem es die Hand auf Tripolis legte, rücksichtslos für die damit schwer bedrohte, in ihrem Frieden gestörte Türkei.

Die Sache wurde scharf durchgeführt, als Versöhnungsbrocken warf Italien hin, es sei bereit, den Dreibundvertrag ohne Änderungen zu erneuern. Die Militärpartei in Wien stand auf wie ein Mann; sie forderte Protest gegen die auf dem Balkan heraufbeschworenen Gefahren. Anderer Ansicht war der Graf Aehrental. Er bestand durchaus darauf, dem Verbündeten nachzugeben. Der Konflikt wurde sehr scharf. Es war jener Moment, wo Konrad von Hötzendorf rücksichtslos, aus seiner Überzeugung heraus, aufstand und erklärte: Jetzt ist der geschichtliche Augenblick eines Vorgehens gegen Italien da; es muß einmal eine Auseinandersetzung kommen, die da sagt: Schluß mit den Übergriffen; Präzisierung der gegenseitigen Rechte und Pflichten, am Besten durch Gewalt. Wir sind bereit. Italien ist es nicht, Rußland auch nicht. Machen wir Ernst. Zeigen wir einmal die Faust. Diese Überzeugung Conrads erfreute sich vieler Anhänger, sie war durchaus populär. Sie wäre auch durchgedrungen bei einem jüngeren Monarchen, in dem noch Offensivgeist, und in dem vor Allem ein Zeitbegreifen lebte. Das aber fehlte. Dieser versteinerte Hof, aus Petrefacten einer anderen Periode der Weltgeschichte zusammengesetzt, aus Salon- und Bureaugenerälen, aus bequemen, in der Stille dieses Höflingswesens voll innerer Zersetzung lebenden Machthabern, schrak zurück vor jedem Risiko. Nein! nein! nur keinen Krieg! Persönlich beleidigt war von den obersten Kreisen, von den geheiligten Personen ja niemand worden, das natürlich wäre etwas anderes gewesen. Aber hier ging es nur um Reichs- und Volksinteressen, die waren, scheint es, nicht ausschlaggebend. Conrad knirschte. Vergebens setzte er sich ein, der Kaiser wies ihn ab. Er sei zu alt; er wolle keinen Krieg mehr. Als später aber ein Mitglied seines Hauses fiel, war er sofort zum Kriege bereit. Es liegt eine sonderbar tiefgründige, naive Überheblichkeit in solchem Denken und Handeln; staatsmännisch zu nennen ist es nicht.

Das waren ernste Tage. Ganz Österreich horchte auf, hielt den Atem an. Wir an der Grenze waren vor Allem betroffen.

Wir gaben damals einen Ball, der lange vorausgeplant war. Alle italienischen Familien, die dazu eingeladen waren, sagten plötzlich ab. Alle österreichischen Offiziere erschienen marschmäßig adjustiert, um sofort aufbrechen zu können. Man erwartete ein letztes, entscheidendes Telegramm aus Wien. Die Stimmung dieses Abends nach langen Friedenszeiten, den Friedenszeiten mehr als einer ganzen Generation, war eine überaus seltsame. Der Gedanke von Zusammenbruch, Auflösung, von Blut und Entsetzen lag so ferne. In die Tanzmusik mischte sich das Sprechen der älteren Männer, die beisammen standen und auf das konventionelle Lächeln vergaßen, es lag ein schwerer Ernst auf ihren Stirnen. Conrad wurde im Heer fanatisch verehrt. Beck war immer verhaßt gewesen bei allen Denkenden und wirklich patriotischen Österreichern. Die deutschen Herren verhielten sich unbeteiligt. Es wurde getanzt, die Blumen dufteten. Jeder aber von uns spähte horchend hinaus in die Nacht, die eine Botschaft von ungemessener Bedeutung bringen konnte. Ich stand auf der großen Terrasse, in der lauen Luft, unter dem Sternenhimmel; sah die Scheinwerfer aufhuschen auf dem See, ihr Licht schemenhaft, gleich drohenden Schatten hinlaufen an den Felsenwänden, die noch immer, statt einer richtigen kulturellen Verbindungsstraße dahinwuchteten, Italien zu. Aus nie erlöschendem gegenseitigem Mißtrauen wurde diese so wichtige Handelsstraße, für die das Geld bereit lag, nicht gebaut. Von Riva herüber klangen durch das Dunkel die österreichischen Militärsignale aus der Grenz-Kaserne, uns so vertraut und lieb, der Heimatton. Vielleicht marschierten sie morgen schon, alle diese Braven, im schweren Dienst der Küste, angesichts des Feindes. Vielleicht. – Mich überkam zum ersten Mal das schauernde Gefühl von Auflösung und Ende.

Vielleicht waren wir schon morgen – ohne Heim. Hier zog die Kriegsfurie ein, schwang ihre Fackel; Schönheit des Daseins, Kunst, Freude erlosch, zersplitterte. Vielleicht!

Die Rosen, die vor zwei Stunden frisch gepflückten, blätterten herab an meinem Spitzenkleide, wie diese Rose unseres Südens sich für uns entblättern sollte!

Ich stand allein da draußen, hinter mir, in festlich erleuchteten Räumen, schimmerte die Lust des Lebens, seine Sorglosigkeit. Oben schlief mein Kind, das in diesem Boden hier wurzelte, das Italienisch sprach wie deutsch, und der ganzen Bevölkerung blonder Liebling war, la nostra baronessina. Denn wir standen uns jetzt gut mit diesem Volkstum, ohne es wirklich zu kennen. Darunter litt ich besonders schwer. So gewohnt von Kindheit an, die Wurzeln meines Denkens, schöpferischer Kraft vor allem zuerst in echtem Volksleben zu suchen, das mir immer soviel wichtiger als die Kulturkreise war, fehlte mir hier der Unterbau meiner Gedankengänge. Und das änderte sich nicht. Nie. Ich war zu deutsch in meiner ganzen Seele, um diese welschen Rätsel und Mangelhaftigkeiten zusammen mit ihren Stimmungs- und Temperamentsreizen zu erfassen. Mein Mann begnügte sich mit Güte, die immer gab und hie und da mit Strenge, gegenüber dieser Welt; er nahm sie nicht für voll, keinen Welschen hier für voll, es war ihm nach den andauernden Erfahrungen nicht möglich in seiner klaren Ehrenhaftigkeit. Dieses ewige Handeln, Feilschen und Betrügen; dieses tönende Wort, das nur Schall war; die unheilbare Unzuverlässigkeit, das Schwanken und Verschleppen, es blieb ihm fremd. Er sah da nur Kinder, gefährliche, verhängnisvolle Kinder.

Ich aber habe nach einem Schlüssel gesucht, vierzehn Jahre lang; ich wurde andauernd betrogen, ausgenutzt, vielleicht verhöhnt. Meiner lachte die sogenannte Famiglia, die nach dem Brauch jeder Haus- oder Grundbesitzer als nachbarliche Hilfe über sich ergehen lassen und mit durchfüttern mußte, damit man nicht ertrank in einer Flut von Gehässigkeiten, und niemanden hatte für des Tages Notdurft. So andauernd hatten sie jeden deutschen Dienstboten verhetzt und verdorben im Dorfe, bis man gezwungen war, bei ihnen zu kaufen, teuer und minderwertig. Bis man ihre ungezählten Basen, Nichten, Tanten und Ahnfrauen beschäftigte und das Haus voll hatte mit Weibern, die aus- und einliefen, wegtrugen, schwatzten. Sie hatten auch ihre guten Seiten einer gewissen Mütterlichkeit und Hilfsbereitschaft, einer scheinbaren Anspruchslosigkeit, die sich heimlich entschädigte, einer kolossal zur Schau getragenen Anhänglichkeit, gepaart mit einem Stolz auf unser schönes Haus, unsere Stellung. Patriarchalisches mischte sich mit Niederträchtigkeiten in ihnen, sie beteten für uns und bestahlen uns, wo es anging. Ja, diese Famiglia mit dem Faktotum an der Spitze, ich will die Gute, die uns bekochte, so oft es Köchinnenkrach gab, die Rubabene nennen, der Name paßt ausgezeichnet für sie. Stand man schlecht mit den Leutchen seines Sobborgos, dann versiegten sofort alle Quellen, man bekam keine Arbeiter, niemanden. Aber das strahlende Lächeln war immer da. Schmiß man welche hinaus, hatte man mit ihnen Gerichtsverhandlungen, so kamen sie wieder, immer wieder, absolut wieder mit der größten Liebenswürdigkeit. Mit Vorliebe an Festen, wo man etwas geschenkt bekommen konnte. Sie brachten auch was mit: Trauben, Feigen, Blumen, boten es mit natürlichster Grazie an. Man wurde sie also nicht los, niemals. Zu unserem deutschen Christbaum im Bildersalon, auf den die schwirrenden Palmen hereinblickten, kamen sie geströmt und sangen ihre frömmsten Lieder, von der kleinen Valentine, unserem Packetl mit hellklingendem Stimmchen angeführt. In ihr ist etwas, von der inneren Sonne dieses Südens, seinem ewigen Blühen, haften geblieben. Sie nahm es mit in den deutschen Norden, dort leuchtet es als kleine Lampe in der Seele an der stürmenden Ost-See, leuchtet in einem ernsten jungen Leben.

Es war uns nicht gegeben, nicht mit dem Volke zusammenzuleben, das uns umgab, nirgends. Ich suchte, suchte und habe die Tiefe hier nicht gefunden oder vielleicht – es war keine da. Doch mag ich nicht abschließend urteilen. Wir Deutschen im Lande taten für die Bevölkerung, die primitiv und sehr arm war, weit mehr als die welschen begüterten Ansässigen, taten es, jahraus, jahrein, zielbewußt. Immer direkt, damit es an die richtige Adresse kam. Nicht durch Stiftungen, durch alte wohltätige Damen und Mönche, das alles nicht. Unseren Hausmönch, den Frate, hatten wir wohl; einen blutjungen Menschen, der mit dem Sack auf dem Rücken jede Woche an die Küchentüre kam, leise, mit niedergeschlagenen Augen sprach: Gelobt sei Jesus Christus; auf italienisch natürlich. Dann hielt er den Sack hin und die Rubabene sah mich auffordernd an, ihn zu füllen. Es geschah. Eier wollte er haben, Kaffee, Mehl, Zucker, Polenta, Lebensmittel; Geld sollte er nicht nehmen. Aber er nahm es doch immer. Er hatte einen Trick, stehen zu bleiben und zu warten, abgewandt, die leere offene Hand nach rückwärts ausgestreckt, bis ich ebenfalls abgewandten Gesichts etwas Klingendes hineinsteckte, worauf sie sich sofort schloß. Dann sprach er nochmals das Segenswort und ging. In den welschen Häusern hat er bedeutend weniger bekommen; der Geiz da war grenzenlos, die Dienstboten hungerten. Deutsche Behandlung ist anders als welsche. In den höhlenartigen Wohnungen, wo Mensch und Vieh beisammen lebte, war ich oft. Südtirol hat keinen wirklichen Bauernstand und in seinen Landbauern nichts gemein mit deutsch-österreichischen Bauern. Das Meta-Verhältnis der Pächter, die einen Anteil des Erträgnisses erhalten, ist hier noch immer lebendig, die Ausnutzung des Bodens in einer, seine Mißhandlung in anderer Weise sehr groß. Für die Gemüsezucht, die sich hier spielend betreiben ließe, ist kein Verständnis aufzubringen. Die Faulheit wirkt lähmend. Eine nackte Armut lebt stumpf in ruinenhaften Häusern, denen nur die blühende Natur rundumher, das Landschaftsbild einen Reiz geben; innen ist die komfortlose Trostlosigkeit, die ganz tiefstehende Weiber um sich verbreiten. Die Frömmigkeit ist oft Aberglaube, gegen den man vergebens kämpft. Einzelne alte Sitten gibt es noch, die die Weinlese anmutig verschönen, ein Aufleuchten von Gastfreundschaft und Fröhlichkeit im Volke zeigen; aber sich hochwertig entwickeln können wird das Volk einer Grenze nie; Treulosigkeit und Doppelsinn sind ihm natürlich; es bleibt ein Opfer alle Zeit, unter jeder Herrschaft. In Südtirol wurde mit viel Geschrei und unabänderlichen Zeremonien gestorben. Auch der mißhandeltste Mensch, den man hat verkommen lassen, wurde da wichtig, wurde Gegenstand, etwas Interessantes, Beliebtes. Oft sah man an den grauen Steinhäusern einen offenen Sarg aufgerichtet, umstellt von Lichtern und Blumen. Da lag ein Toter, jeder konnte ihn noch einmal sehen. In malerischen Torbögen wurde er aufgebahrt, den ganzen Tag war um ihn ein Gehen und Kommen der Dorfleute, da beteten, schrieen und weinten die Angehörigen. Eines anderen Blutes kurzlebiger Schmerz, laut in der Geste.

Der Tote lag da, vor sich noch einmal das Wunder der Heimat, die Weinblüte der Campagnen, Mandeln und Pfirsiche rosenrot, das Blauen des Sees, den weiten Kranz der Berge. Er sollte Abschied nehmen, ehe die Erde ihn nahm. Um ihn spielten harm- und furchtlos die kleinen Kinder, krabbelten an dem Sarge empor, legten eine blühende Rose hinein: La nona dorme! – Großmutter schläft. –

Schon wieder klang ein Liedchen auf, schmerzlich halb, halb schelmisch – das Leben siegte, bald würden die laut Weinenden wieder bacchantisch tanzen. Auf der Brust einer solchen Verstorbenen in ihrem Sarge habe ich einmal eine Lacerte sich sonnen sehen; lichtgenießend lag sie da, auf diesem erloschenen, verstummten Herzen. Etwas von Erdennähe, Versöhnung wehte mich tiefsinnig an. –

Nun wieder fort von all diesem Unenträtselten? Kam das wirklich, daß wir fort mußten? Ich stand und stand. Es war eine dunkle Nacht. Ich konnte nicht zurück in diese äußerliche Lebenslust, mit der man sich betrog. Längst war mir solche Lust nichts mehr.

Aus dem Tanzsaal trat jetzt ein österreichischer Offizier heraus, aufatmend. Er strich sich über die Stirne, er war blaß. Lehnte sich an die Balustrade, starrte hinüber nach Italien. Es war ein junger Mann, schmuck saß ihm die Uniform. Vielleicht kam bald Gelegenheit zu seiner Feuertaufe. In seine Züge gruben sich Linien, es schien, als ob er älter werde; an der Hand strafften sich die Nervenstränge im Licht, das aus dem Saale fiel. Als er mich wahrnahm, nach einem langen Vorsichhingrübeln, wies er mit dieser Hand, die sich gleichsam zu stählen schien, nach Süden, und sagte leise: »Kommt es heute nicht oder morgen – es kommt doch! Wir alle sind ein verfallenes Geschlecht, es sterben bald Generationen. Mag Österreich sonst nichts können im Weltgetriebe, es versteht zu sterben für seine Ehre.« Ich gab ihm still die Hand.

Am nächsten Morgen kam dann die Nachricht, der Horizont kläre sich gänzlich, Italien und Österreich wären der gegenseitigen Liebe, des Friedenswunsches voll. Es war Conrad von Hötzendorfs, des Sehers unter Blinden große Niederlage, das wieder einmal Im-Stichgelassenwerden, wohlbekannt, geübt im Vaterland durch Jahrhunderte. Man sah in der Armee sehr finstere Gesichter. Italien lächelte. Es war wirklich gar nicht kriegsbereit gewesen. Ein wahrer Alp wälzte sich von seiner Brust.



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