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Affari! – Affari!

Wenn man im Süden von einem Italiener ein Haus kauft, muß man nicht glauben, daß dies ein Vorgang ist, der sich erledigt, sobald das Geld bezahlt, der Kontrakt unterschrieben, das Haus bezogen ist. Nein! Dann geht es erst los und zieht sich durch das ganze Leben hin. Der Verkäufer kommt nach wie vor angeschwirrt und summt. Eine Bremse ist nichts dagegen. Wir hatten von einem ehrenwerten, im übrigen gänzlich verpleiteten Signore Pietro den Besitz erworben, den mein Mann mir schenkte, um das Heimatgefühl in mir stärker zu machen. Ein großes Haus einfachen Stils, das ausgebaut, renoviert, mit einem Worte germanisiert wurde. Ein Bildersalon schloß sich daran mit weiter Glasveranda, aus der man in den neu angelegten Garten und die Campagna trat. Ein Anblick voll Poesie.

Der Kontrakt, der nach vielem Geschrei wilder Art endlich zustande kam, war ein Dokument, natürlich italienisch; der Notar behauptete, das müßte so sein. Er kostete viel; es kamen immer noch Paragraphen. Als er bereits perfekt war, geschah es, daß der Cavalliere Pietro, der sich durch außerordentliche Ungewaschenheit auszeichnete, nachts noch schnell ein Stück der verkauften Campagna, des Weingartens, da und dort mit frischem Stacheldraht wieder abtrennte. Er tat es kühn und fix. Dabei gingen gleich die besseren Obstbäume wieder mit: Feigen, Pfirsiche, Kirschen, Mispeln und Maulbeeren. Die Tedeschi, welche noch dazu Barone waren, würden das gar nicht bemerken! Doch, sie bemerkten es wohl. Da kam der erste Krawall. Der Stacheldraht mußte wieder verschwinden; und als das nicht geschah, schnitt ihn mein Mann selber durch, eine durchaus unadlige Handlung, der der Gentiluomo drüben mit schwerem Kopfschütteln zusah. Dann sagte er, das würde Unglück bringen; man müsse nicht so sein, er sei auch nicht so.

Es war Herbst, das reife Obst der betreffenden Bäume hatte er nachts auch gleich abgeerntet. Wenn sie wollen, diese Guten, sind sie gar nicht faul. Wir schrieen nach diesem unserem Obst, aber das half nichts, gar nichts. Eher hätten seine acht Kinder, seine Sippe, die er sonst haßte, und seine drei Schweine daran futtern müssen, bis sie barsten; dieses Obst sah einen deutschen Magen nicht. Jedoch brachte er uns noch am selben Tage, auf einer künstlerischen Schüssel, die ihm irgendwie zugekollert sein mußte, Prachtstücke seiner blauen und weißen Trauben mit großem Anstand, fein gekleidet. (Gewaschen ja nicht, auch nicht gekämmt.) Aber er trug einen einzelnen gelben Handschuh, der nach einem Gentleman aussah, obwohl er geplatzt war; ein schwarzes Röckchen und eine mehlfarbene Hose mit Flecken. Seine Besuchsmanieren waren grandios. Er verbeugte sich, wir verbeugten uns. Vormittag war noch von der Polizei die Rede gewesen in starken Tönen. Das macht in Italien gar nichts.

Don Pietro ignorierte den Stacheldraht, den er hatte hüpfen lassen, und wir das Obst, an dessen Folgen sich jetzt wohl die kleinen Pietrinis krümmten. Darin lag Großzügigkeit und Benehmen. Wir müßten uns vertragen, sagte er, und einander vertrauen. Der Gute! Pleite wie er durchaus war, hatte er sich dennoch wieder ein Haus errichtet, und zwar hart an unserem Garten mit dem Blick herein; und mit einem geheimen Pförtchen unter wilden Rosen versteckt, das wir dann höflich aber fest kassierten. Ja, er besaß wieder ein Haus, d. h. er hatte Mauern und ein Dach auf Schulden. Das war er durchaus gewohnt! Es behagte ihm, wie auch anderen.

Diese Häuser, die immer in Erwartung fremder, selten erscheinender Logiergäste in den weiten Campagnen, Weinanlagen emporschossen wie Spargel, leuchteten über das Land, knallgelb, himmelblau, rosen-, auch purpurrot; stillos, mit ungestrichenen oder giftgrünen Läden; miserabel gebaut, die Wände papierdünn. Meistens wurden sie überhaupt nicht fertig. Das machte gar nichts. Das störte nicht. Ich kenne solche, von Lehrern, ansehnlichen Personen bewohnte Casas, in denen es nur eine halbe Stiege gab oder kein Geländer, worin die Böden noch fehlten, an vielen Fenstern die Scheiben. Dio mio, man lebte doch, war Hausbesitzer.

Es freute uns nicht, daß der Signore Pietro also unser ganz nächster Nachbar war, an dessen Herzen wir sozusagen lagen, denn wir kannten dieses Herz bereits. Falten- und winkelreich, war es reich an Einfällen. Um den Signore Pietro (er ging durch unser ganzes Archeser Dasein) gleich zu erledigen, muß ich sagen, die menschliche Phantasie, besonders die eines Deutschen (der Deutsche leidet ja bekanntlich an moralischen Hemmungen in sich selber, er kann sich nicht leicht zu jeder Skrupellosigkeit aufschwingen), um also dieses, durchaus lebensechte Bild so vollendet wiederzugeben, als es in seiner Art gewesen ist, entwickle und belichte ich es noch mit ein paar Episoden.

Die Empfindung eines gemeinsamen Eigentumsbegriffs (unsere Sachen – seine Sachen) konnte der Cavalliere niemals überwinden; er hatte sie eben. Unser Gartenwerkzeug war das seine. Er langte sich, was er brauchte; nahm aus der starken Auswahl seiner Leibessprossen den Geschmeidigsten heraus, hieß ihn in stiller Stunde, wo unser unangenehmes deutsches Auge nicht lauerte, durchkriechen; (da und dort hatte er im Schutz des Laubes nette Durchschlüpfe fleißig angefertigt) der Carissimo Bimbo, un angiolino proprio, schubbste dem Babbo hierauf aus unserer wohlgeordneten Garage und Werkzeugkammer, aus der Utensilienkiste hinüber, was der brauchte. Solches kam selten wieder, es sind eben kostspielige Sachen. Und wenn man sie endlich einmal hat! Übrigens, geschont oder besonders gehütet wurden sie nicht. In gänzlich verrostetem verbogenem Zustand, flogen sie manchmal über den Stacheldraht, den so reizvoll die wilden Rosen zudeckten, wieder zurück, nachdem sie in der nassen Vigne wochenlang irgendwo gelegen hatten.

Als wir das Haus mit schwerem Gelde richtig gestellt, auch in allem, was nicht nur äußerlichen Glanz, sondern innerlichen Komfort betraf, geschah es plötzlich, daß wir zu gewissen Zeiten, wo die Campagna gerade starke Bewässerung brauchte, gänzlich ohne Wasser waren; in dieser dürren Gegend eine verheerende Sache, in einem großen Haushalt auch hygienisch. Ecco! niente aqua di nuovo! sagte unser alter Gärtner Borroi mit einem ingrimmigen Wisserlächeln und warf einen schiefen Blick in die blühenden, reichlich überplätscherten Fluren des caro Pietro. Also wieder einmal kein Wasser! Dreifach hatten wir uns um ein Riesengeld mit Wassermöglichkeiten versorgt, und dies alles versagte wieder und wieder. Was war das wohl? Schließlich befragten wir höflich, aber bestimmt, den caro Pietrino, der uns zuerst leer aus seinen kalten schwarzen Beerenaugen anblickte, dann den Kopf schüttelte. Der Unfug ging weiter. Es war nicht zu ertragen. Es wurde Krach geschlagen, in der Campagna hingen alle Pflanzen welk am Stengel. Der Boden verdarb. Und es kam heraus; der Cavaliere erschien liebenswürdig und weltgewandt, irgendwo saß der eiergelbe gesellschaftlich nuancierende Handschuh.

Er bedauerte uns, daß es mit unserem Landstück so übel stehe. Unsere Spina nämlich, so bezeichnete er den von uns gekauften, der Campagna gewidmeten Wasserstrahl, unsere Spina – wir müßten dies ja übrigens aus dem Kontrakt wissen, – gehöre eben nicht uns allein, nicht allein zu unserer Casa, ma no, Signori! Sie zu benutzen, auch für sich sprudeln zu machen auf weiten Gründen, war noch das Recht erstens von ihm selber, certo certo! zweitens eines gewissen Gillotti Bamfini hinter Varignano, eines sehr rabiaten Menschen, der dieses Wasser absolut zur Befruchtung seines Bodens und zur Abkühlung seines Temperamentes forderte. Man mußte da Acht geben! Man konnte da nichts machen! Es war eben so. Wir, die Besitzer der Spina, die reichlich bezahlt hatten, kamen erst nach den Nutznießern. So also war es. Kein Wort davon war früher verlautet. Nie wären wir auf so etwas eingegangen. Und nun blieben der Kampf um diese Spina, die mit ihr getriebene Erpressung, die von Zeit zu Zeit immer wieder kehrte; die Wasserlosigkeit; der Krawall mit den Advokaten, zu denen man wutschnaubend lief; blieben bis ans Ende, bis zur Katastrophe des Krieges, die dann überhaupt alles ausräuberte, was Deutsche besaßen. Die Spina (sie floß übrigens reichlich dünn, und die Geheimnisse ihrer Handhabung haben wir nie bemeistert, weil sie uns niemand mitteilte), diese Spina, der Wasserstrahl geht durch mein ganzes Hausbesitzerdasein, wie so vieles andere, das man nur da unten erleben kann.

Ich konnte es sinnend betrachten, wie sie bei uns kaum tröpfelte, und ein Stück weiter mit losbrechender Kraft sogar die Stradina überschwemmte, – ein junges, sprühend tatenfreudiges Fohlen, das sich bei uns sofort in einen alten Karrengaul verwandelte. Ich schied von Südtirol mit dem ungelösten Geheimnis dieses Wasserls und der ungelösten Streitfrage, in der ich noch lange Rechnungen bekam. Es war reizend und so echt.

So die Spina – unser alter Borroi aus Straforio, der ehrlichste und treueste Welsche, den ich je erlebt habe, schwieg sich tiefsinnig aus über sie und andere Sachen. Er war zweimal im Ausland als Arbeiter gewesen, weil ihn Südtirol und viele seiner Kinder nicht ernähren konnte. Er hatte sich angewöhnt, lautlos zu leben; er ist der einzige Italiener geblieben, der es wirklich verstand zu schweigen. Verkrümmt wie ein alter Feigenbaum, wie ein solcher sich langsam wieder der Erde zuneigend, die ihn geboren, war er mit ihr ganz verwachsen, das fühlte man. Selbst sehr häßlich, besaß er eine häßliche und zahlreiche Familie, deren Mitglieder teilweise bei uns dienten; anspruchslos, anständig, wenn auch ohne Intelligenz. Vögel fing er auch und verspeiste sie leidenschaftlich gern. Sonst aber: Ehre seinem Andenken.

Aber der Pietrino! Der ist so sehr geeignet, sich am Kaminfeuer von ihm zu unterhalten. Seine Eigenart, die da unten gar nicht hervorstechend war, schreit danach. Er war oft verschwunden, dieser Löbliche. Dann saß er im Schuldgefängnis. Es war der zerzausten Gattin beste Zeit, was sie niemals verbarg. Kam er wieder, tat er großpratschig, er sah dann ausgeruht aus, besser genährt, etwas geflickt. Er machte eine Fülle von Geschäften, nach unseren Begriffen unerklärliche Geschäfte. Ab und zu hieß es auch, es hätte ihn einer, dem an seiner moralischen Erziehung zu liegen schien, ein Menschenfreund, durchgehaut. Das trug er leicht. Seine sonderbaren Verhältnisse wurden immer schlechter. Gab es gerade nichts zu betrügen, bettelte er. Auch bei uns! –

Und – ja – man gab ihm was. Er kam herüber auf gedankenvolle Konversation, mit Schnaps oder einem Café nero. Ordinär war er niemals. Er aß und trank sogar ganz hübsch. Er konnte zur Mandoline singen. Und tanzen! –



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