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Die Nähmaschine.
La machina da cugire

Ich muß noch die Geschichte von meiner Nähmaschine erzählen. Sie klingt sehr unwahrscheinlich, aber sie ist wahr. Diese Maschine war ausgezeichnet, neuestes System mit allen Schikanen und es wurde streng verboten, daß irgend eine, außer der berufenen Hand sie berühre. Sobald ich aber den Rücken drehte, nähte darauf jedermann, ganz Chiarano, unser geliebtes Dorf, nähte auf Stippvisitten bei der Köchin. Eines Tages stand das Wunderwerk still; um es zu reparieren, mußte es nach Bozen verschickt werden. Es gab naturgemäß einen großen Hauskrach und ich schrieb den Brief nach Bozen, damit man das Opfer abhole. Da teilte mir eines Morgens die Köchin Rubabene lieblich lächelnd mit, ein Fachmann ersten Ranges sei heute da gewesen und sie habe ihm die machina, queste bestia complicata gleich mitgegeben. Er werde sie repariert, ja verbessert zurückbringen. Um sieben Uhr früh habe er sie bereits auf dem Wägelchen, das seine Wohnung vorstellte und die sechs Kinder – mutterlose Kinder, wahre Amouretten dieses Zweiundzwanzigjährigen, – beherbergte, fortgefahren. Wohin? schrie ich, wer war er? Ich kenne ihn doch, er hatte hier im Hause schon Verschiedenes geleistet. Das Läutwerk repariert als Elektriker – angestrichen – auch jetzt war er wieder Anstreicher; elektrische Drähte nahm er auch noch immer gern mit, Schnüre, Handwerkszeug. Doch kam es auch vor, daß er erschien als Grünzeughändler fahrender Sorte. Wiederholt hatte ich ihn so erlebt und ihm Sachen abgekauft, die immer etwas verwelkt, etwas beschädigt, aber frisch angespritzt und künstlerisch dekorativ waren. Sein Wagen – ein Bild, ein Stilleben; sogar die Zwiebeln und Gurken, die Kürbisse auf ihm wirkten poetisch. – Den Spinat, die Kartoffeln, den Blumenkohl garnierten diese reizenden Kinderchen, deren Mütter sich verkrümelt hatten. Sie pflegten sich an die Lockenköpfe holzige Kohlrabis zu schmeißen, in die sie dann wieder bissen mit den blanksten und festesten Zähnchen – eine gesunde Rasse. Kinder der Liebe, herzige Fratzen und gänzliche Wilde. Mir graute. »Was«, ächzte ich, »der Hyeronimo, diese Wanderpflanze ohne gesicherten Erdenfleck, hat die Maschine weggeschleppt. Wohin?« »Beruhigen Sie sich, Signora. In den Schuppen seines Bruders – eine Werkstatt ersten Ranges.« »Wo? In welcher Gasse.« »Gar keine Gasse. Weit draußen.« »Wo?« Das konnte man so nicht sagen; draußen eben. Man mußte das sehen – man mußte es finden. Es lag – ja, es lag abseits, wie alle wertvollen Dinge. »Her mit dem Hyeronimo; sofort!« Dieses »sofort«, das zu bestellen beflügelte Boten ausgesandt wurden, die sich gleich einen freien Tag machten, bedeutete dann, daß der Hyeronimo um sechs Uhr früh am dritten Tag kam und wieder fortging, weil ein Gentiluomo, der er war, eine Dame nie stört. –

Schließlich erblühte er Sonntags pickfein, malerisch mit drei seiner älteren Amouretten, die einfach bestrickend guckten und die ich sofort fütterte. Der Hyeronimo erwartete für seine maschinellen Absichten meinen Dank, was er gleich feststellte. Er hatte in Trient in einer Maschinenfiliale gearbeitet, er verstand die Sache durchaus. Da war sein Zeugnis. Ich konnte es nicht lesen, weil Katastrophen mit Nahrungsmitteln (hoffentlich nichts anderes) darüber hingegangen. Er las es mir vor, und es war überzeugend. Ja, wenn sich die Sache so verhielt. »In vier Wochen, Madame«, sagte er schlicht (ich hätte mich nicht gewundert, wenn er Madonna gesagt hätte im Stil der Sonette Petrarcas) »in vier Wochen haben Sie die Maschine zurück tadellos – besser. Ich sage es Ihnen. Mein Wort darauf. Ich habe eines. Jeder Italiener hat eines. – Und nicht teuer. Ich bin ein Mitmensch. – Bohre nicht in der Nase, Bianchetta! – Sie entschuldigen, Exzellenza.«

Reichbeschenkt zog er ab mit seinen Kleinigkeiten, dieser Mitmensch. Dann sah ich ihn lange nicht; man vernahm auch nichts. Ich schickte hin, und wieder hin – es war Alles zugesperrt, verrammelt, wohl wegen der kostbaren Maschine. Ja, so handelte er, der Gewissenhafte. Ich schrieb ins Blaue, weil es keine Adresse gab. Der Brief fand keinen Widerhall. Eines Tages gewahrte ich den Hyeronimo auf einem Dache, er besserte da was aus – ich schrie hinauf – er hörte mich nicht. Ich kletterte, kurz entschlossen wie ich bin, die Leiter empor, ein Ziemliches, und tauchte in seiner Nähe auf. Er war um mein kostbares Leben schreckensbleich. Was wollte ich? Sterben? Wie es der Maschine ginge. Ach so, der Maschine. Der ginge es ausgezeichnet. Sie sei bereits so beweglich. Sie fuhr nämlich im ganzen Land herum an Stelle der Amouretten, die daheim bleiben mußten, und nähte Aussteuern gegen Entgelt bei den Bauern – das erfuhr ich später. Etwas Behandlung brauche sie noch – man müsse das ihm überlassen. Er würde sie schon bringen, wenn es soweit war. Dann half er mir galant und unglaublich gewandt von meiner Höhe herab. Wieder vergingen Monde, er war ganz verschwunden. Ganz. Schließlich verklagten wir ihn. Aber er besaß garnichts. Sein Wagen, sein Bett, seine Leiter gehörten dem Bruder; der hatte ihm die Maschine weggepfändet – ja. – Nur die Amouretten waren sein Eigen, die bot er an. Sie waren allerliebst, aber kein Ersatz für eine Maschine. Der Prozeß ging sehr lange. Wir gewannen ihn. Wir erhielten auch eine Maschine wieder; es war aber eine andere, uralten Systems und miserabel. Die Gerichtskosten trugen wir, weil sonst keiner sie bezahlen konnte. So war es bei den Prozessen hier ja immer. O meine herrliche Maschine. Der Hyeronimo war uns gar nicht böse. Es sind eben Deutsche. Krank an ihrer Gründlichkeit, sagte er – sie wissen nicht zu leben.

Wir hatten einen Diener mit Namen Fridolin Bimperle, der zwar deutschen Ursprungs, aber welscher Art sehr zugänglich war und von dem Mitmenschen Hyeronimo, dessen Freund er wurde, viel starke Beeinflussung erlitt. Er hatte sich im Süden blendend eingelebt, er liebte das rabenschwärzeste und ungekämmteste der Küchenmädchen. Sehr auf sich haltend, das heißt Sonntags, besaß er einen Zylinder, strohgelbe Handschuhe und wandelte mit einer neuen Bügelfalte zur Kirche. Er strebte die Linie der preußischen Offiziere an, die er beim Tee bediente. Ich erinnere mich, daß mich auf der Straße gemessen, mit korrektem Armschwung ein außerordentlich feiner, junger Herr grüßte, der an mir vorbei schritt, sein Gesicht sah ich nicht recht. Ich hatte nur das Gefühl, den kenne ich doch, hat der bei uns Besuch gemacht? Dann sah ich ihn in unseren Garten treten, ins Haus; er kam nicht wieder zurück. Doch erschien er, während ich die Rosen betrachtete, am Fenster des Dienerzimmers in Hemdärmeln, einen zu putzenden Stiefel über die Hand gestülpt, heftig auf das Leder spuckend, wobei er mir milde zulächelte. Ich hatte ihm so schön gedankt.

Dieser liebenswürdige junge Mann liebte keinerlei Aufregung; er putzte schön Parkett und Silber, war menschenfreundlich und sehr feig. Eines Tages, im großen Gartensalon beschäftigt, begann er um Hilfe zu schreien in den höchsten Tönen und als wir heranstürzten, stand er hoch oben auf einem eingelegten Tisch, das Staubtuch schwingend, wie die weiße Fahne der Bedrängten und wies zähnklappernd auf eine entzückende Eidechse, die vor ihm auf dem Teppich behaglich in der Sonne lag. Er brüllte. »Um Gotteswillen, a Viech, a Rabenviech, eine Bestie! Hiiiilfe«.

»Und er blieb dabei, dieses heute noch kleine Ungetüm könne schon morgen a Drach sein, oder gar, wie er sagte, ein Krokodilium. Man wisse das nie voraus, aber er habe es gelernt in der Schule. Über Tische und Sesseln hüpfte er zitternd aus dem Gemach. Er war ein Feind jeder Übertreibung, und als er mit dem Kaffeeservice hinflog auf der Küchenstiege, faßte er sich rasch. Zerschunden, vielen Scherben gegenüber hockend, empfing er mich lächelnd: »Jetzt wär aber bald beinah was passiert.«

Als er von uns schied, von den heißen Tränen des weiblichen Personals umflossen, um zweiter Bedienter beim Grafen Törring, dem Schwiegersohn des Herzogs Karl Theodor, in München zu werden, zeigte er eine ergreifende Aufrichtigkeit, die mich tief erschütterte; weniger in Bezug auf ihn als auf meine Sachen. Er bedankte sich, daß ich ihn schafsgeduldig so wohl abgerichtet und führte mich zum Abschied in seine Stube an sein Bett. Darin lag hochangeschwollen, was wir das Plumeau nennen – die Tuchend – jenes große Ding, das man auf die Füße legt. Er öffnete dessen Knöpfe und sprach schlicht: »Das d' Frau Baronin net erschrecken tut. Das wär mein Blimoes, da is was drinnen.«

Das Blimoes, alias Federbett, war angefüllt zum Bersten mit den Scherben kostbarster Sachen, bei deren Anblick mein Herz einen Hüpfer des Entsetzens machte, das muß ich schon sagen. Alles was recht ist. »Ich muß alsdann melden, das hab ich in meiner Laufbahn allgemach zertuscht in diesem hochherrschaftlichen Hause ohne Absicht, nur einmal mit Wut, weil die Rubabene aso a Rabenaas is, daß ma ihrer was an Schädl schmeißen muß. Da hab ich diesen Nibbes (Nippessachen) auf ihra gschmissen und er hat es net ausghalten, der Nibbes. Aber ansinsten hat sich Alles von selber zerschmissen in meine Händ. Das kommt so bei einem ewigen Umgang mit solchene Sachen. Solchene Sachen soll man net haben.«

Ich mußte mich setzen, mir war schwach geworden. »Aber Sie Unglücksmensch, wann man sowas zerbricht, meldet man's doch sofort.« Da sah er mich tiefsinnig an, objektiv und freundlich: »Sie giften Ihnen eh gnua 'n ganzen Tag, Frau Baronin, und a Jeds kimmt,« sagte er. »Ich hab die Frau Baronin net so hoch hinaufregen wollen, ich net. Ich bin ein Christ!« Das hatte er von dem Hyeronimo. – »Und jetzt tut es ja auch schon wieder lange vorbei sein.« Er machte eine abschließende Handbewegung, die diese Sache erledigte.

In dem herzoglichen Haus ist er, wie er schrieb, dann nicht lange geblieben. Weil man dort Zertöppertes ersetzen mußte und – überhaupt.



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