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Erziehung.

Das Jahrhundert des Kindes hat ihm mehr genommen als gegeben, vor allem nimmt es viel zu früh die Unbefangenheit seines Blickes. Das Kind wußte sich Hauptperson, es lernte das zu mißbrauchen. Der Luxus trat in die Schlichtheit der Kinderstube; die Ungezügeltheit des frühen Sports an Stelle des Gehorsams, Bücher jeder Art, alle Schundliteraturen, vor allem alle Zeitungen – und es gibt ekelerregende darunter, – sind, das ist nachgewiesen, dem Großstadtkind erreichbar. In Judenkreisen, wo die Kleinen sommerslang an den Genußstätten der Sommerfrischen, in den üppigen, gemischt besuchten Hotels die Existenz der Erwachsenen teilen, ihre Wahrnehmungen machen, sieht man eine Fülle dieser Kinder, die keine mehr sind. Das im übelsten Sinne aufgeklärte kleine Geschöpf ist heute auch in Kreisen, die sich für sehr kultiviert halten, etwas Gewöhnliches. Denn dieser Zynismus, der in Bezug auf jede wirkliche Moral in israelitischen Geldkreisen gepflegt wird, amüsiert sich an den angekränkelten Knospen, die seine Hand gewalttätig aufbricht. Nicht nur der Märchenglaube ist dahingegangen – viel mehr!

Das alles hat sich in den Jahren vor dem Kriege schon gestaltet und mußte jedem mütterlich empfindenden Herzen zu denken geben, dem nicht bloß an der äußeren Aufmachung seines Lieblings lag. Viel habe ich gesessen und habe nachgedacht über das heutige Kind und sein Werden. Ich sah solche Verzerrungen um mich her, bei diesen Sprossen zur Erziehung gänzlich unbefähigter Verwandter meines Mannes, soviel Torheit, Widersinn, Doppeldeutigkeit, daß mir graute. Doch da war nichts zu wollen. Die Verkehrtheiten gingen ihres Weges, die Konsequenzen lud man auf unser Haus ab.

*

2.

Und wieder trat mit dem Problem dieser Erziehung das Schwere des unzureichend ausgeübten religiösen Bekenntnisses in mein Leben. Es war eine junge Seele zu führen, es war ihr ein Halt zu geben. In mir aber lag erdrückend die Erinnerung an das eigene Irre-werden. Nicht am Glauben als Ganzes, niemals am Gottgedanken; aber an den Auswüchsen, der Zeremonienlast des konfessionellen Treibens, des kirchlichen Zwanges und unerbittlichen Systems. Zugeständnislos will die Kirche weiter durch die ungeheuren Umwälzungen aller anderen Verhältnisse gehen. Nach wie vor wird dieser unbegrenzte, im Unterricht wahrhaft stumpfsinnig machende Heiligenkult verlangt; die Jünger-, Propheten- und Engelswissenschaft, die aus dem Himmel ein von umständlichen Menschen organisiertes Staatswesen macht. Nach wie vor werden zu gewaltige Ansprüche an die menschliche Einfalt gestellt, wird vor allem zu viel gedroht, vergessend, daß es eine Religion der versöhnenden Liebe, der selbstlosen Geduld ist, die der leidende, schwer im Leben ringende Mensch braucht. Die grausame Unerbittlichkeit der unlösbaren Ehegesetze; das Nicht-als-legitim-Anerkennen staatlich anerkannter Kinder aus Ehen zweier Konfessionen; das starre Bestehen auf schrankenlosen Geständnissen in der Beichte, das kein Privatleben dritter Personen respektiert: die politische Atmosphäre der Missionen, die immer der freien Forschung und Wissenschaft droht, entfremden dem ausübenden Glauben ungezählte wertvolle Naturen, starke Geister, reine Herzen. Das ist hart. Es tritt etwas götzenhaft Grausames, Unbewegliches und Empfindungsloses an Stelle Gottes, dessen Vorstellung uns tief bewegt; der Christusgedanke wird zu einem Agitationsmittel. Es kann so nicht gut sein. Der lateinisch gehaltene Gottesdienst kann keine dauernde Andacht verlangen, sie geht über menschliche Nervenkraft. Die gewollte geistige Rückständigkeit der meisten Predigten, besonders auf dem Lande, macht interesselos. Das Kind im Beichtstuhl mit seinen dunklen Fragen aber ist etwas für die Eltern tief Besorgnis-Erregendes.

Den ernsten Menschen erschüttern diese ungelösten Fragen, die sich dem glühendsten Willen, zu glauben, immer wieder entgegentürmen. Sie werden zum dauernden Schmerz und Zwiespalt einer Seele, die sich die Wege nicht weiß, die erlösende Stimme nurmehr in der Natur findet. Das aber ist zu wenig, es einem Kinde mitzugeben.

Wir taten für eine religiöse Erziehung alles. Die Priester kamen und unterrichteten. Hier taten es nicht rührende Legenden, bunte Bilder, Gesang und Gebete, nicht gedankenlose Umzüge; hier wurde von der zeitentsprossenen Seele mehr gefordert. Es mußte kommen, daß der vorgeschriebene geschichts- und naturwissenschaftliche Unterricht in Widerspruch mit dem Katechismus trat, bis das junge Geschöpf zurückzuckte, in der Kirche saß, gedankenlos die Lippen bewegend. Zur Furcht hier war es nicht befähigt; Ehrfurcht, Interesse empfand es nicht. Nicht Zweifel – Müdigkeit und Leere trat in die klaren Augen, die Sehnsucht hinaus aus der Enge nach Weiten. Ich empfand mich selber wieder in diesem ersten Kampfe, der eine Schicksalswende wird für Millionen. Darüber sollten die Priester nachdenken, die als Lehrende alle Gewalt in den Schulen anstreben. Sie müssen sich zu Gebietern des Inneren machen. Befohlen kann niemals werden, was den heiligsten Tiefen entströmen soll. Das glaubenlose Kind ist heute etwas, das man in allen höheren Schulklassen findet; wieder geht es von jüdischem Denken und Erziehen aus, daß dagegen garnicht gerungen wird. Denn auch mit dem frommen Judentum ist es reißend abwärts gegangen. Der hämische Zynismus des anderen Blutes verspottet das arische tiefe Heimweh nach einer wahren Religionsbetätigung.

So war ich bei erster Kommunion und Firmung meines Kindes traurig und hilflos. Eine Fülle von Weltlichkeit überwucherte Alles. Wie sehr ist, nach wie vor, Alles die Form, fast nichts der Inhalt. Für Klostererziehung kam das Sacré Coeur in Trient in Betracht, wo ein Mädchen sehr schwierigen Charakters aus der Verwandtschaft durchaus ohne Erfolg gebändigt werden sollte. Man schuf ein Engelslärvchen, mit mehr als bedenklichen Eigenschaften dahinter. Ich habe mir die Resultate dieser dortigen Erziehung angesehen. Sie war eine Mischung von Französisch, Handarbeiten, schlechtem Klavierspiel, hübschem Gesang, reizenden Manieren, tiefen Verbeugungen, grenzenloser Naschhaftigkeit, äußerer Frömmigkeit und absoluter Unechtheit. Das Prachtexemplar log wie gedruckt und tat später noch anderes. Nein, hier war kein wertvoller Mensch dem wirklichen Leben zu erziehen. Dann ließen wir Sommerslang in Deutschtirol die Kleine einen sehr gerühmten externen Unterricht in einem anderen, weltlicheren Kloster genießen. Die Lehrstunden waren nicht schlecht. Aber haften blieb doch nichts. Und Drolliges trug sich zu, das der Heranwachsenden wieder den Respekt nahm. Ich denke an Religions- oder Geschichtsstunden bei einem Pater in Brixen, wo mein Mann lange im Sanatorium die Kur gebrauchte. Dieser Unterricht wurde privat im Kloster in einem kahlen Prunkgemach erteilt; eine Nonne saß mit Argusaugen dabei. Eines heißen Sommertags komme ich hin, meine Tochter abzuholen; werde eingelassen; die Stunde tobt noch. Ich aber stoße einen Schreckensschrei aus. Ich hielt das Valentinchen für schwer verwundet. Es saß nämlich da, die weiße harmlose Batistbluse, die am Halse etwas offen war und halblange Ärmel hatte, fest zusammengezogen, daß die Nähte krachten, zugesteckt mit Nadeln. Der Hals und die Arme, diese harmlosen braunen Kinderarme, waren von großen Handtüchern fest umwickelt. Die Kleine war damals 12 Jahre alt. Die ehrwürdige Schwester sprach vorwurfsvoll: »Wir mußten es tun; sie kann doch nicht so dem hochwürdigen Pater gegenübersitzen!« Dieser Pater aber trug ein sehr weit ausgeschnittenes Gewand, ganz friedlich und berechtigt, er sah soweit seelenruhig aus. Nur war er mit der Schülerin auf Kriegsfuß; sie fragte über die Reformation zu viel und wußte, was sie nicht zu wissen hatte. –

An dieses kleine Erlebnis hat sich dann mancherlei angeschlossen, das tiefer ging. Ich habe einsehen gelernt, daß religiöse Empfindungen, echter Glaube niemals durch Zwang oder Gewohnheit, niemals von Außen kommen können. Der Gottesgedanke, die Glaubenssehnsucht sind zutiefst in uns; von selber blühen sie empor. Die Form der Ausübung aber ist nicht die Hauptsache. Vor allem Eines: der Mensch hat sich das selige Vorrecht seines Glauben-Könnens zu verdienen.–

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Wie die Religion, habe ich auch die Kunst- und Schönheitsbegriffe, diesen Gottesdienst des Geistes, sobald es nur anging, in meines einzigen Kindes Leben tragen wollen, mich darauf mit Andacht gefreut wie auf ein Fest.

Ich führte es in die ideale Welt, die meine eigene Jugend begeistert, mich über alle Unzulänglichkeiten des realen Daseins hinübergetragen hatte. Schiller, Lessing, Shakespeare, die Fürsten, ihr glänzendes Gefolge an hoher Geisteswelt taten sich auf vor der Seele der Heranwachsenden. Ich wartete, mir die Seligkeit zu gönnen, in diesen Augen dasselbe Leuchten zu sehen, das in den meinen emporgeglommen; das Zittern und Fiebern einer im Innersten gepackten Wesenheit neben mir zu fühlen. Aber seltsam, mich tief erschütternd, es kam da nichts als Verwunderung! Etwas Befremdetes, unendlich Kühles, beinahe Verletztes in seinen eigenen Gedankengängen. Gestörtes las ich da in fremd gebliebenen Blicken. Kühl wehte es mich an, der Hauch der Zeit. Ich fragte: »Ist es nicht schön? Begeisternd?« »Es ist doch nicht wahr! Die Menschen sind doch nicht so,« sagte das Mädchen von vierzehn Jahren. Ich sah den gleichen Ausdruck, den es trug, in vielen anderen jungen Gesichtern. Ich lernte ihn beobachten, so oft ich solche Aufführungen mitmachte, die neben allem Erschütternden, das mir moderne Literatur bot, heute noch immer meine Seele mit warmem Licht zu erfüllen vermochten. Dieses kommende Geschlecht aber, wo es nicht gedankenlos den Vorschriften der Lehrer nachsprach ohne zu denken, war nicht mehr gepackt von vielen unserer Größten. Nur Goethe und Kleist, die wir in unserer Jugend noch nicht erfaßt, die kamen ihnen wunderlich nahe. Wo sie nur konnten, durch die Literaturstunden einer neuen Epoche aufgestachelt, drängten die Jungen in die Dramen und menschlichen Dokumente eines Ibsen, Strindberg, Björnson und ihrer Jünger. Da wachten sie auf, diese, mir neben meiner Jugend arm Erscheinenden. Denn was sie suchten, waren nicht Ideale, sie verlangte es, Wirklichkeiten zu sehen, Spiegelungen alles dessen, was in ihrer eigenen Existenz angedeutet war; Mangelhaftigkeit der Erwachsenen und Ausgereiften, Versuchungen, denen man erlag und dafür statt schuldig interessant wurde, bemerkenswert. Das Heldische, die Sehnsucht nach einem sternenhaften, strahlenden Heldentum erlosch in diesen Friedensjahrzehnten satten Genusses in der Menschenbrust, die Jugend wurde mit ihr nicht mehr erzogen. Diese Sehnsucht aber muß in uns lebendig bleiben, sie ist deutsch, ein unschätzbares, stark machendes, rein erhaltendes deutsches Gut.

So bin ich dieser Jugend nur zu oft ratlos voll einer dunklen Furcht, gegenübergestanden, meinem eigenen Kinde, das ich über alles liebte. Und habe es hinausgehen sehen müssen ins Leben, sehr früh, innerlich allein. Es war da viel an Wegen, auf denen ich nicht Schritt halten konnte. Und manches fehlte, das mir Lebensnotwendigkeit erschienen ist. Ich kann es nicht aufgeben, von einer Kindheit und frühen Jugend zu träumen, in der alles Unmögliche an Schönheit und Träumereien möglich erscheint, in der die Feuer festlich brennen bei inneren Gottesdiensten, Opfer und Wagemut werdenden Menschen zur Seite gehen. Ist es doch das Höchste, was wir besessen haben, dieses so unsäglich Todesfurchtlose und dabei so flammend Lebende, das Leben Liebende, dieser Mut zu leben.

Herr und Gott, schütze die heranwachsenden Geschlechter. An den Lehren der Lebensfeigheit geht die Menschheit zugrunde.



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