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Départs und Arrivées im Schweizer Sinne.

Die falsche Betonung der Akzente ist hier die Hauptsache. Départ und Arrivée, das ist der Schweizer Begriff von jedem Menschen, der nicht seines Landes ist. Ein solcher steht verzeichnet in seinem Buche, als eine Ankunft und als eine Abreise. Kommt dann noch dazu eine, ohne Murren bezahlte Rechnung, dann hinterlässest Du, o Reisender, den Geruch einer personne très-comme il faut, einer sehr verehrten Person. Denn wenn der Schweizer nicht in seinem Dytsch denkt, dann denkt er französisch. Das ist einmal so. Er selbst ist meistens ein Hotelier oder etwas, das mit einem Hotel zusammenhängt. Sein Dasein setzt sich nicht aus Jahren, sondern aus Saisons zusammen; in den Zwischenpausen dieser Saisons löscht er aus; das heißt, er läßt sich gehen, er wird wieder Bestandteil einer undurchdringlichen Menschenart, der man niemals nahe kommt – als Österreicher sicher nicht – es ist da alles so hart; Handkuß und Titulage gibt's nicht. Es ist da alles so nüchtern. Was hinter dieser geschäftskundigen Nüchternheit vorhanden sein mag, die große Heimatliebe, der republikanische Stolz, das Unabhängigkeitsbewußtsein, das vielleicht, wenn man es endlich erfaßt hat, nach innen schöne und reiche Familienleben – das alles ergründet der Nicht-Schwyzer niemals. Einheimisches schweizer Wesen schließt sich ab, ist nicht zu gewinnen. Das starre Mißtrauen eines Bauernvolkes bleibt unbesiegbar. Die Départs und Arrivées samt ihren Hotelwirten dürfen wohl die Schönheiten des Landes genießen und ausschrotten. Das geschieht. Ich habe nirgendsmehr so etwas von landschaftlicher Schönheits-Verwertung zu Höchstpreisen gesehen, so viel gänzlich entweihte Natur, in Portionen berechnetes Alpenglühen, Schneegebirge, Gletschergepränge, immer mit allem Komfort, mit dem neuesten Komfort. Überall diese Bahnen, die die Majestät der Berge entweihen, sich an ihnen unwahrscheinlich emporschlängeln, wie Hinrichtungskarren mit Opfern überladen. Überall dieser unangenehmste aller Begriffe, der Massenaufzug, das sogenannte internationale Publikum. Überall ein vorbereitetes déjeuner (Schweizer Französisch betont die erste Silbe) ein Diner, ein Goûter (Gabelfrühstück, Mittag, Vesper) überall das dressierte Alpenhorn, die Schnitzereien und Stickereien, man kann sie gar nicht mehr sehen! Sehr bald wird es unerträglich. Um wild und schön, um wirklich zu wandern in heilig gebliebene Bergwelt muß man sich sehr anstrengen und gut Bescheid wissen. Auch da droht immer das Schablonenhafte chalet als Hotel, der maschinelle Betrieb, der die gesamte Menschheit als Gegenstand behandelt. Den Montblanc, die stolze Jungfrau ohne Zeugenschaft zu sehen, war schwierig. Zürich war nicht Zürich, Luzern nicht Luzern; überflutet von Verfremdung. Da war vor allem schreckliches England, rücksichtslos und hochfahrend, dabei zumeist schäbig; gekommen, um zu sparen. Noch entsinne ich mich des fetten Reverenden im Hôtel des Alpes, der von sechs nicht mehr jungen Weiblichkeiten seines Hauses umgeben, unabänderlich im bequemsten Lehnstuhl der Halle, am angenehmsten Platze thronte, um sich herum diesen Kranz entsagungsvoll stimmender, dürrer, arroganter Reizlosigkeiten mit ihren Ansprüchen und Vordringlichkeiten als erste Nation der Welt, mit ihren Raffzähnen und riesigen Füßen in schlechtem Schuhwerk. – Er pflegte sein Familienleben in der Halle abzumachen, besonders gern las er da an Samstagen seine Rechnung laut vor, jedes seiner Frauenzimmer interpellierend: »Oao, hast Du das wirklich gehabt, Jane? Hast Du zwei Eier auf einmal gehabt, Bessy, Freitag Morgens? Zwei Eier, sage ich, sie stehen hier. Wer hat Mittwoch eine Scheibe Schinken gegessen? Cecilly, sind zwei Paar Schuhe von Dir auf einmal geputzt worden, ich muß Dich fragen? O, es ist so befremdend. Man rufe den Kellner, den Hausknecht, man rufe den Wirt. Es stimmt das nicht. Sieben Rundfahrtkarten auf einmal; Ihr seid doch nur Sechs!« Als er endlich erfaßte, daß er als Siebenter auch dabei gewesen, gab er trotzdem das tadelnde Kopfschütteln nicht auf. Es war die Familie, auf deren Tisch das Pain à Discrétion (Brot nach Belieben) für den Wirt verheerend wurde und für den Bäcker fördernd. Es war die Familie, mit der es täglich etwas gab, die beständig drohte: Oh, wir werden die Leute daheim warnen vor der Ausbeutung hier, wir werden dear Lord und Lady Grumbleton warnen! Aber sie gingen nicht. Sie blieben. Der gute Reverend, dieser Tyrann im Kleinsten, wurde unendlich bewacht. Seine Tugend stand unter beständiger Spinster-(alte-Jungfern-)Aufsicht. Es muß unerträglich gewesen sein! Wollte er mal herumschweifen, – und man muß sagen, er wollte das, wir sahen ihn oft, heimlich schleichend zu einem Sprung um die Ecke ins Freie hinaus bereit – dann erschien immer im letzten Moment, der uns schon sehr aufregte, eine der Schwägerinnen, Tanten oder so was. » Oao, dearest! I am coming with you for a nice little walk,« sagte sie. Seine innerlichen Flüche, die sich nicht emporwagten, müssen fürchterlich gewesen sein, er war oft ganz bläulich vor Zorn. Er hätte mir trotz allem leid getan, wäre er nicht ein so arroganter Flegel gewesen, der sein Engländertum wie ein Verdienst auffaßte, die ganze Umgebung verachtend. Es gab Briten um ihn her, die gar nichts dabei fanden, sahen sie einen schon besetzten Tisch, der ihnen paßte, von diesem herunterzustreichen, was darauf lag, und zu dem momentanen Inhaber der Plätze zu sagen: » Oao, you have had your tea, I see; make room.« (Sie haben Ihren Tee gehabt, sehe ich; machen Sie Platz.) An einer zielbewußt sich durchsetzenden, ruhigen Flegelei solcher Art scheiterte jede andere Nationaleigentümlichkeit. Einmal war Variété im Salon, ein schmuckes und keckes Sängerpaar, stark pariserisch, trat auf. Die reverendliche Familie hatte entrüstet jedes Billet dazu abgelehnt, blieb aber sitzen und mußte schließlich ersucht werden, Platz zu machen für das zahlende Publikum; was sie unter erneuter Entrüstung ihrerseits sehr langsam tat. Also die Reverends verschwanden.

Die Valse bleue erklang oder so etwas, der schönheitstrunkene Apachentanz einer Kultur, die Deutschland voraus war, begann zu toben. Da sehe ich, eine Stunde später etwa, hinter einem der Türvorhänge, ein feistes und öliges Antlitz hervorlugen mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Lüsternheit, von Lebensgier, von brennendem Durst nach dem Unerlaubten. Der Reverend war's! Seinen Spinsters ausgerissen auf den nicht schönen, aber natürlichen Wegen unterdrückter Begierden. Den Blick, mit dem er das ziemlich hüllenlose Apachenmädchen anglotzte, ja fraß, behielt ich noch lange in mir lebendig. Ich starrte ihn an, bis er das empfand und entsetzlich erschrocken in den Falten der Portiere verschwand. Am nächsten Morgen saß er, besonders streng zwischen den Knöchernen und tadelte eine Aurora (nicht verwandt mit der Morgenröte), weil sie eine halsfreie Bluse trug. Da hatte er übrigens bei dem, was sie enthüllte, ganz recht.

Die muntere Harmlosigkeit des Germanen auf der Wandertour, seine Anspruchslosigkeit und große Naturliebe erscheint den Ausländern zumeist grotesk. Ein praktisch gekleideter Mensch, der keinen Abendanzug mitführt, vor den sogenannten ladies keinen Kotau macht; der nicht petits chevaux spielt oder sich eine Reisebekanntschaft fürs Herz sucht; ein Mensch der auf kaum begangenen Wegen tief in die Berge hinein wandert, gebräunt zurückkommt, Edelweiß am Hut, erscheint den feinen Herrchen, die zur gesellschaftlichen Unterhaltung reisen, unkultiviert. Aber dieser Wanderer ist der Erde nah gewesen, wo sie am herrlichsten blüht, er nimmt Eindrücke mit für sein Leben. Er hat das beste Teil erwählt!

Von meinen Landsleuten auf Reisen muß ich sagen, daß sie meistens schlecht aufgelegt sind und sehr gerne nörgeln. Nichts imponiert dem Österreicher, schon aus Prinzip gar nichts! Denn er hat ja zuhause Alles sehr viel schöner und besser; die Seen, die Berge, die Galerien, in denen er nie zu finden ist, außer wenn von auswärts gebildeter Besuch kommt, der ihm dann die Kunstschätze seiner eigenen Heimat erklärt. Mißtrauisch blickt der daheim so leichtzugängliche Wiener in der Fremde um sich: Hat vielleicht einer an uns was auszusetzen, he? Bei den meisten Sehenswürdigkeiten bemerkt er trocken: Daß ich net lach! das soll auch was sein! Lassens Ihnen heimgeigen!

Fürchterlich wird der Österreicher mit seinem Geschimpfe über die landesüblichen Verpflegungen, den Hotelfraß und so weiter. Er kann stundenlang über das Essen reden, gründlich und sachverständig. Er erklärt, wie Alles gemacht sein müßte, aber nicht gemacht ist. »Dieser Pantsch also, dieser Fraß dahier, dös Gschlader!« Angesichts des Dent du Midi, hoch oben auf dem Aiger, wo die Adler im Nebel kreisen, vernahm ich von einem Herrn das fachgemäß geschilderte Recept von richtigen Rahmdalkerln, wie sie sein sollen, und von einem Esterhazy-Roßbraten mit Wasserspatzeln und Erdäpfelnudeln. Ja, es war ein Herr, der dieses mitteilte! Auf dem Gipfel des Pilatus, der in blumiges Juniland schneeweiß herunterleuchtete, wurde eingehend ein Scheiterhaufen mit Zibeben und Weinbeerln besprochen, sowie das richtiggehende Marillensoufflé, das ins Rennen kommt, wenn man es anhaucht, so leicht ist es. Und so weiter. Dabei leuchteten angesichts unendlicher Schönheit, die sie nicht wahrnahmen, das Heimweh und die Magensehnsucht aus den netten, zuwider blickenden Gesichtern der Bundesbrüder, 's ist eben doch eine andere Psyche, eine andere Welt: ohne kaltes Abendbrot mit Aufschnitt und Bemmchen! Warmes Souper muß sein! Prinzipiell! Was habe ich meine Österreicher sich erbittert herumstreiten sehen auf den Bahnhöfen, in den Hotels, besonders wenn sie die Linie des Beamten, des pensionierten Offiziers, des mäßig vornehmen, mäßig begüterten » Ritter von«, des österreichischen Militär- und Beamtenadels hatten, und den dazu gehörigen Größenwahn. Auf Reisen, wo der wirklich vornehme Mensch gerne diskret verblaßt, wirkten die Mitglieder dieser Kreise, wie sie zuhause nicht zu wirken wagten. Da wurde der »Edle und Ritter von« sofort Baron, die Titellosigkeit in der Schweiz empörte ihn. Ein bißchen renommieren mit der Position daheim, Leut' einladen, von denen man sicher hofft, daß sie um Gotteswillen ja nicht kommen. Nichts bewundern. Alles kritisieren und weit mehr darauf achten, wie man wirkt, als was man sieht, das ist der Zweck der Reise. Nur ja was vorstellen, imponieren! Und sich von den Ausländler aber schon gar nix gefallen lassen! Gar nix! Daher läßt man auf den Bahnhöfen Züge wegfahren, weil man mit dem Gepäckträger brüllen muß, der zu viel verlangt hat; und diesen Kerl oder jenen Kerl anzeigen oder was in die Zeitung geben muß, über Zuständ wie sie hier sind und damit niemand mehr herfahren tut; es is ja eine Frechheit! Und solchene Berg haben wir bei Ischl noch lang. –

Das ist ein Ausschnitt aus der Reisepsyche meines temperamentvollen Heimatlandes, das sich nie a Blattl vorn Mund nimmt: Ich sag's, wie's is'. –

Freilich hat auch Österreich genug dieser stillen Wandergesellen, der wahren Naturfreunde, welche von dem Schweizer Hotelgemüt so unendlich verachtet werden. Sie haben als Gepäck einen Rucksack, in den Augen aber den Schönheitstraum, den seligen Glauben an Gottes Erde. Sie sind imstande, auf Heuböden zu nächtigen; die Wirte schieben sie auf Dachböden ab; sie verdienen nicht einmal den Namen Arrivées und Départs, dazu stehen sie viel zu tief. Ihre sogenannte Rechnung schmeißst ihnen der Hausknecht hin, weil sie ein wahrer Hohn ist, und da jedes genialste Aufschreibetalent notgedrungen versagen muß. Schräge Blicke streifen ihr Jägerhemd, den zweiten frischen Anknöpfkragen, die Landkarte und das Bändchen Goethe oder Kleist. Das sind nicht einmal mehr voyageurs, des touristes. Oh non, es sind einfach des Allemands, Deutsche sind es. O, Schweizer Hotelseele, wie hast du Recht – das sind sie auch nur, Deutsche. Uns genügen sie. Wir verstehen sie.



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