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Jours.

Ich sehe die kleine nudeldicke Kommandeuse aus Riva mit der langen Schleppe und der großen Brosche. Auf ihrer Schleppe zieht sie ein dickes Kind von noch nicht zwei Jahren; es ist der erste, offizielle Besuch, den diese Hochmögende mir abstattet. Sie muß das Kind nämlich überall mit hinnehmen, »weil's Mädl immer davon lauft«, wenn sie fortgeht, das Kindermädl. Und das dicke Kind brüllt dann. Also macht es die Besuche mit einem Lutschpropfen im Mäulchen mit. Sie kommt herein, die Kommandeuse, macht ein Courkompliment, das ich schleunigst erwidere, und ihr Mann, der verbissen dreinschaut, flucht leise, weil ihm gerade der linke Handschuh platzt.

Die Gnädige sagt: »Werd'n schon entschuldigen, Frau Baronin, daß ich den Binkl mitbring, mein' Balg; aber er is schon ganz zimmerrein. Er tut gar nix, lassen's ihm einfach sitzen.« A Bischgotten? – »O ja, das mag er schon! Gelt Buberl, das magst?« Dazwischen brüllt er und ist nicht zimmerrein. Das ist menschlich. Das Valentinchen wird geholt, um ihn zu beschäftigen. Er will aber nicht mit ihr hinauf in ihr Zimmer, durchaus nicht. Er will auf der Schleppe sitzen bleiben und den jour mitmachen, was er auch tut. Die lila Schleppe kriegt dann einen nassen Fleck, der auf den Teppich durchschlagt, und die Gnädige sagt: »Entschuldigen schon, von mir hat er das nicht. Ich schick' ein Fleckwasser morgen.« Sie kann es, sie hat es dazu; sie ist eine Bierbrauerstochter aus Tschechisch-Behmen und hat die Beetonung davon und das Aplömperl dieser auserwählten Nation. Ja, diese Gnädige! Ich denke an den Grafen Metternich, der keiner war und an der Pumpkrankheit laborierte; an einen Monsieur Irgendwas, sehr elegant, den dann die Polizei suchte, der aber überaus gefallen hatte, er wirkte so weiblich!

Ich denke an die Frau Hauptmann Biberisch, der ein Hauptmann nie seinen offiziellen Rang verliehen. An die mir anvertraute Jungfrau aus guten Kreisen, für die ich dann, da der Vater, der sie abgeladen, nichts mehr hören ließ, sechs Monate Pension und die Reise zahlte. Und so weiter, denk ich. An das fette Protzenpaar, das zum Diner in großer Pracht kam, sie mit goldenem Kettengerassel, mit einer Coiffüre in Marabouts, die ihrer Nachbarn Nasen kitzelten, und in einem kanariengelben Damastgewand, das mit Möbelstoffen schwerster Qualität verwandt war und von selber stand, sich überhaupt von alleine zu benehmen wußte. Und das war gut; denn diese vergoldete »Edle von« wußte es noch nicht und wird es vielleicht nie kapiert haben. Sie besah sich alles staunend, die gedeckte Tafel, die Tischetikette, das allgemeine Betragen, aß dann den Fisch mit Messer und Gabel samt Fingernachschub, lutschte, wie man in Österreich so schön sagt, die Fischgräten aus und kiefelte die Hühnerbeiner ab mit peinlicher Genauigkeit. Dabei sprach sie nichts; es war ihr auch lästig, wenn der Nachbar Konversation machte,

Als die Prunkschüssel südlichen Kompottes erschien, gab sie mit einer flinken Ladnerinnenbewegung dem servierenden Lakai einen so hanebüchenen Puff, daß eine gute Ladung gesulzte Ananas und Pfirsiche auf ihr Kanariengelbes abgeladen wurde. Da blickte sie den Diener vernichtend an und sprach, als er anbot: »Ich hab' ja schon.« Hierauf aß sie die Kompötter vom Kleid weg und putzte den Rest des Abendflecks, wie sie es ausdrückte, mit Ausfällen auf sogenannte herrschaftliche Diensttrampeln. Auch raunte sie dem Gatten hörbar zu: Trinkgeld gibt's keines, das ging mir grad no ab!

Und noch zum Schluß die beiden dekorativen Erscheinungen einer rassigen Gräfin, einer Reisegräfin, deren Gatte wohl vorhanden war, nachweisbar, aber nicht gezeigt wurde; und der lieber die Südsee samt Insulanern durchforschte, als in kultivierten Ländern neben der Gattin wirkte. Diese schlanke Gräfin, am Hofe des Vatikans wohl angeschrieben, mit der Geste einer fanatischen Katholikin und einer Pariser Mondäne, hatte eine sehr hübsche Tochter, die ihr durchaus nachgeriet. Das junge Gewächs war bereits der Auftakt zu dem jetzigen Typ des jungenhaften, kaum mehr bekleideten Girls, mit rosa Waden, papierdünnen Schuhen, keinem Untergewand und frechem Bubikopf, samt Schminkschachtel zur öffentlichen Benutzung und Puderknopf. Sie ahnte die kommende Zeit voraus, diese im Kloster erzogene Komtesse, die mich ehrlich entsetzte, als sie unseren Salon zum Schauplatz ihrer Betriebsamkeit wählte, als sie, ihre Spezialität, verheiratete Herren mit eifersüchtigen Gattinnen verrückt machte, Nebeltänze im Dämmern aufführte, ohnmächtig in Arme sank und dann davonraste, um sich in einem Bußanfall zu geißeln, was sie tatsächlich tat, ebenso wie die Mutter. Beide besaßen Stachelgürtel, und in ihren intimen Gemächern fromme Altäre mit den blutenden Bildern der Märtyrer. Beide durchtobten die Nächte, beunruhigten den Gardasee durch nächtliche Bootfahrten mit Leutnants und machten die ganze Garnison Rivas verrückt und dienstunfähig, unser armes Haus zum Mittelpunkt wählend. Sie kamen zu jeder Stunde ungeniert und blieben. Der Tochter klagendes: Mama, Du genierst mich, war immer zu hören. Als mein Mann sie fragte, wie sie sich nur mit dem ärmsten und bescheidensten Leutnant hier verloben könne, den sie ja doch nie heiraten werde, sprach sie mit einem Augenaufschlag: Man verlobt sich um einander nahe zu kommen. Holdes Wesen! Es hat seitdem so manchen Mann geheiratet, sich gegeiselt und Vieles erledigt.

Dann noch das feudale Paar aus uralter Familie mit den dringend anzubringenden Töchtern; unsagbar schäbig, hungrig, klettenhaft, überall Besuche machend, auch immer irgendwo in Haus oder Garten vorhanden. Zudringlich mit naiver Schamlosigkeit.

Wozu all dieser Verkehr, wozu?

Ich fragte es mich längst. Aber es schien zum ungeschriebenen Gesetz geworden, daß unser Haus herhalten mußte.

Bei Ullstein erschienen die kleinen Bücher »Das Haus an der Grenze,« »Deutsche Frauen in Welschland,« später »Doppelhochzeit.«

Ich arbeitete nun an »Dynasten und Stände,« dem österreich-ungarischen Romanzyklus. Erntete die reichen Erfolge der Bücher, nicht begreifend, daß Alles so glatt ging. Ich kannte die Untiefen der österreichischen Psyche doch nicht.

Direkte Vergeltungen, direkte Rache hat man bei uns im vielsprachigen, vielsinnigen Lande selten geübt.

Unser Verhältnis zu den Welschen war nach wie vor ein ungetrübtes, nach wie vor sah uns Reichsitalien oft: wir hatten da Beziehungen zu Venedigs alten Palästen des Adels, zu Gelehrten, zu liebenswürdigen Menschen und Familien. Ich kannte gut die Torlonias und Borgheses in Rom und manche andere, die vornehm abgeschlossenen, aber anziehenden Kreise von Lucca, der alten, aristokratischen Stadt unweit von Viareggio, das wir oft besuchten.

Viareggio, ein Fischerdorf, das sich zum Modebad entwickelte, dehnte sich stetig aus. Neben der wüstesten Lebewelt von Florenz, die in Hochsommerzeiten die Nächte zum Tage machte, kamen vornehme Leute und bewohnten die kleinen charakteristischen casettas; das reinste Toskanisch erklang. Der Adel Luccas mit alten Generälen, die nicht ahnten, daß sie es mit den Verwandten Benedeks, gegen den sie gekämpft, zu tun hatten, kam uns, die wir aus dem Trentin waren, italienisch sprachen, eine welsche Bonne hatten und ein Kind, das welsch wie deutsch redete, bald sehr herzlich entgegen, ein angenehmer Verkehr entwickelte sich, dem Einladungen nach Lucca folgten. In dieser schönen, stillen, kleinen Stadt der Paläste war eine verträumte Welt bester italienischer Art. Junge Ehen, kinderreich; junge Ehemänner, die sich resigniert, ohne Widerstand der Enge fügten; kindergesegnete Mütter, hochverehrtes Alter von edlem Reiz, würdige Priester. Ja, eine Welt wegabseits, mit rauschenden Fontänen, duftenden Blumen, wild-lieblichen Gärten. Adelstradition! Eine ausgesprochene Reinheit des Lebens. Mir ist's, als atmete ich noch den Irisduft und hörte das Kinderlachen in den Irisfeldern.

Hier in der Nähe von Florenz sah ich d'Anunzio zum ersten Mal, von Weibern umgeben; eine menschgewordene Groteske der Eitelkeit bis zum Irrsinn, der Selbstvergötterung. Er lebte mit der Duse und schrieb in einem bestimmten, armseligen Milieu, darin sie wie eine Magd arbeitete, um die Stimmung festzuhalten. Er behandelte diese Frau, die große Tragödin mit der hoffnungslos traurigen Seele, roh bis auf's Äußerste, ruinierte sie. Sie aber ist ihm immer treu geblieben, ging wohl an ihm zugrunde. – Während er die Nächte durchtobte in lockerem Kreis der Spieler und Dirnen, sah man ihre tiefeinsame Gestalt manchmal auf dem Altan des verfallenen Baues stehen, in dem sie wohnte. Scharf wie ein Bild aus Dantes Zeit, seinen und Petrarcas Frauengestalten an edler Körperlosigkeit und Hoheit vergleichbar, zeichnete sie sich ab und verharrte reglos. Versteinertes Leid einer durch Höhensehnsucht auf Erden rettungslos heimatlosen Seele. –

In der Nähe Viareggios lagen viele Landsitze, unter ihnen Pianore, das dem kinderreichen Herzog von Parma, dem Vater der späteren österreichischen Kaiserin Zita gehörte, ein welsches Haus, pinienumstanden. Da gab es aus zwei Ehen einundzwanzig Kinder wirklich vollbeschäftigter Frauen, unter ihnen mancherlei Minderwertiges in jeder Hinsicht, und auch wieder Reizendes. Fast täglich fuhren zwei größere Wagonetten, angefüllt mit Lockenköpfchen und Kinderfrauen, in bunter Tracht am Bagno Felice in Viareggio vor, denen es entwimmelte in allen Altersstufen; weiß, blau, rot, rosa, mit dunklen Augen, von 20 abwärts bis zu zwei Jahren. Zita war auch darunter, eigenartig hübsch und recht schlimm. Vor Allem stützig. Unser kleines Mädchen, das so munter und furchtlos, italienisch plappernd, der Brandung entgegenlief, und das Meer zärtlich liebte, wie ein lebendes Geschöpf, hat oft mit diesen winzigen Fürstlichkeiten gespielt, von denen sich später verschiedene schwer zum Unsegen Österreichs entwickelten. Wir genossen das Meer tief und andachtsvoll. In kleinen Wagen fuhren mein Mann und ich dieses ganze Land ab, das mustergiltig bebaute, fruchtbare Toscana, ein Garten. Wir sahen die Reisfelder mit ihrem besonderen schweren Dienst, der Tragödie des Menschenverbrauches durch die Feuchtigkeit, der unerläßlich nötigen Überschwemmungen. Milchigweiß, in Schwaden schwamm Abends der Brodem über den Flächen, matt brannten die Feuer. Die Fiebergefahr war nicht abzuwenden, sie nahm jährlich viele Opfer. Von weit her um des hohen Lohnes Willen kamen die Arbeiter, die singenden starken Burschen, die sich das Geld für den Brautschmuck ihres Mädchens verdienen wollten. Schattenhaft wankten viele heim, kamen nicht wieder. Es war Schicksal, Fatalità.

Wir lernten die ganzen Apenninen kennen, das wirkliche Land und Volkstum, die Armut und die Bedürfnislosigkeit, die Anmut dieses weltfremden Volkes. Wir fuhren weit übers Meer, die Kleine unten wohlversorgt im Schiffe, nach Livorno, wo der denkbar albernste österreichische Konsul uns einlud und mich beschwor, meine Ohrringe abzulegen: diese Stadt sei aus einer Bevölkerung von Mördern zusammengesetzt. Er habe mit Mühe einmal die österreichische Kaiserin hier gerettet.

Dieser wimmernde Vertreter Österreichs imponierte uns nicht. Mag auch das wunderschöne Livorno aus einer Verbrecherkolonie in der Zeit der Borgias, wo ja Verbrechertum höchster Chick und ein kleiner Mord gar nichts war, entstanden sein, die köstliche reinigende Meerluft wird die Generationen doch wohl desinfiziert haben. Uns geschah nichts. Wir fuhren bis nach Korsika, dessen unbeschreiblich typischer, süßester Pflanzenduft uns schmeichelnd entgegenwehte. Des Korsen geheimnisvolles Stück Heimatboden. Das Rätsel der Machien. Die Blutrache als höchste Kulturtat eines Volkes. Es kommt alles darauf an, wie etwas betrachtet und aufgefaßt wird. Ja, viele Stunden auf dem Meere im Sonnenglanz und im silbernen Flirren des Mondes. Seliges Schweigen dreier glücklicher, gleichgearteter Menschen; behüteter Kinderschlaf auf den Wellen. Shelleys Grab, der hier auf dem Meere von seinem Schiffer, der zu viel Geld bei ihm sah, ermordet wurde. Mein Mann erzählte es unserem Bootslenker und zeigte dabei seine leeren Taschen mit dieser Fröhlichkeit, die ich nur in Italien an ihm gesehen. Aber die guten navigatori Viarreggios, die die Fremden ausfahren, wollen diese Geschichte mit dem englischen Dichter nicht wahr haben. Sie schadet doch etwas dem welschen Nimbus!

Räubertum betreffend hatte ich in Florenz ein böses Erlebnis. Wir fanden einmal im Mai, als die Lilien der Maria überall blühten, die Stadt überfüllt und mußten in einem alten Herrschaftspalast der Via Torna Buoni mitten in der Stadt absteigen. Da hielt eine typisch welsche, alternde Signora eine große Pension. Wir bekamen drei Säle zu bewohnen, die schwach, aber antik möbliert waren und nicht zusammenhingen. Der Palast war unheimlich, zu kleinen Verschwörungen, Morden, Familientragödien wie geschaffen. Lange dunkle Gänge, Treppchen, Winkel, Ecken überall, man ahnte Falltüren, Dublietten. Unsere Signorina, die das Valentinchen betreute, schlotterte vor Angst mehr als wir. Die Schlamperei war groß, das Essen sehr schlecht, die Terrasse mit den Rosen prächtig. Aus den zerrissenen Leintüchern fand der Fuß kaum mehr heraus. Mein Mann erkrankte an Gallenschmerzen, es gab zu pflegen. Ich mußte allein umhergehen, was mir damals schlecht bekam. Bei Tisch, inmitten eines wunderlich zusammengewürfelten, nicht deutschen Publikums, präsidierte die zerraufte Signora mit den nicht zugemachten Knöpfen. Neben ihr saß ein imponierender Mann, wie aus einem Gemälde herabgestiegen; der Abkomme eines der großen, alten Florentiner Geschlechter, der Conte Galetti, dessen Familie auch der Pallazzo des unglücklichen Galilei gehört hatte. Dieser Sproß war ganz verarmt, er besaß nurmehr das verwahrloste, verschuldete Palais, das er an die arme Signora, vermutlich eine verwelkte Liebe seines Lenzes, gegen vollen Unterhalt und Pflege seiner hohen Persönlichkeit vermietete. Er besaß ein klassisches Antlitz, nebst edelstem Anstand, Bildung, Suada. Seine Kleider waren schadhaft, aber vom ersten Schneider.

Ich trug unklugerweise eine sehr wertvolle Brillantnadel und saß ihm gegenüber. Er wickelte mich ein in blendende Kavaliersliebenswürdigkeit. Mein Mann lag im Bett. Ich fand nun sofort den Conte auf allen meinen Pfaden. Alles drehte sich um mich, mir wurde schwül. Wir hatten keine Schlüssel an den Türen und sehnten uns heftig fort. Der Kranke aber durfte nicht aufgeregt werden. Eines Abends spät ging ich mit einer Tasse Tee über den langen Gang zu dem Zimmer meines Mannes, in halber Dämmerung. Da tat sich plötzlich eine Tür auf, ein Arm griff heraus, wollte mich fassen, hinein in ein Zimmer ziehen, der Arm des Galetti! Ich schrie auf, schlug ihm entsetzt die Tasse ins Gesicht und raste zurück zur Signorina. Wir verbarrikadierten uns, wachten die ganze Nacht. Wir packten.

Als am nächsten Morgen die Cameria mit dem Café Nero erschien, ein welsches Landmädchen, stämmig und ehrlich, sah sie mich seltsam an, machte sich zu schaffen. »Reisen Sie ab, Signora!« sagte sie plötzlich leise. »Reisen Sie gleich ab, Sie gehören hier nicht her.«

Und so geschah's, trotz aller Mühsal. Es war eine schlimme Nacht gewesen, deren Erinnerung mir blieb. Schönes Florenz! Florenz der Lilien und Iris, etwas von Deinem alten Geist ist doch noch immer da. Das Brigantentum in Dir, Italien!



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