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Fahrten im deutschen Lande.

Der Rhein.

Daß er die Österreicher, die ihn zum ersten Male sehen, regelmäßig zu enttäuschen pflegt, ist eine alte Sache. Auch meinen wohl zu hoch gespannten Erwartungen ging es so. Augen, schon gesättigt von der Donauufer wundersamer Schönheit, die so ehrfurchterweckend, dann wieder so innig und vor Allem so unberührt ist, ganz getaucht in den Stimmungstraum der Traditionen unserer sagenreichen Geschichte, unserer vielfarbigen Menschheit, die noch oft etwas Rührendes hat von Völkerkindheit, solche Augen, denen der Reichtum einer herrlichen Welt Alltäglichkeit war, nicht Sonntag, blicken weit kühler auf das, was der nüchtern gewohnte Norddeutsche als den Inbegriff aller Naturschönheiten und Stimmungen betrachtet. Mein Herz blieb lang fremd beim Anblick des Rheins. Was ihn mir verdarb, das war die industrielle Note, das Geschäftsleben, das Unwesen der Fabriken neben fast jedem uralten geschichtlichen Burgweben. Die rauchenden Schlote, der Unterton rauher Arbeit, genießenden Reichtums, drängenden Ausnützens und Erwerbens, das Alles wehte mich kalt an, hart und reizlos. Ich war anfangs von Enttäuschung ganz benommen. Das ist der Rhein! Der sagenumflossene, heilige, der deutsche geschichtliche Rhein, von dem wir lernten und träumten. Um den Lied und Gedicht die blühenden Ranken ziehen; bei dessen Namen das deutsche Herz erbebt in seinen tiefsten Schauern. Das fröhlich genießerische, poesievolle Volk sind diese Wirte, Geschäftsleute, diese Arbeitermassen mit den herben Gesichtern, dieser Lärm ist der hehre Kultus eines Volkes für sein Heiligtum.

Vor mir stieg die Donaufahrt von Passau nach Wien auf; dann von Budapest in das märchenhafte Land jenseits des eisernen Tores. Ich hörte die Sprache der unendlich schweigenden Einsamkeiten; auf jungfräulichem Boden arbeitete ein, von der Fremde unberührtes Volk, das noch wirklich Volk war, nicht Zeitenmenschheit. Was sah ich hier? Die an ihren schönsten Stellen verstümmelten Ufer mit den Fabriken, Schloten, Wirtschaften, den grellen Reklamen! Alles ausgenutzt, ausgeschrottet; Alles hörig gemacht – dem Gelde – der Fremden zumeist, die Deutschland verachten. Das Treiben auf den Dampfern war für einen feinsinnigen Menschen vollends greulich, nicht einmal die reizvolle Note des Studententums erfreute mehr; es wurde gar zu viel getrunken und gar zu wüst gegröhlt, gelärmt. Massen unausstehlicher Vereine, – diese germanische Krankheit, man kann sie schon Seuche nennen, – Verbrüderungen, Musikbanden, Liederkränze überfluteten die Schiffe und tranken – tranken. Darauf war alles eingestellt. Eine überernährte, überputzte, eine allzu reich werdende Generation fetter und brutal egoistischer Emporkömmlinge, die Kinder des verhängnisvollen neuen Reichtums der Überproduktion, auf Kosten des Landbaues entsprossen, machte sich rücksichtslos breit, und die reisenden Engländer mindester Sorte mit ihren Baedekern verekelten einem die historischen Erinnerungen. Armer Rhein! Anwidernd ging es oft auf den Dampfern zu. Krakehl, Zügellosigkeit des Vergnügens und wildes Gebecher übertönten den Ewigkeitsklang in den Tiefen. Schwer war es, sich zu konzentrieren, der Nibelungentragödie zu gedenken, der ewigen Bedrohung, der immer wieder aufstrahlenden Siege des deutschen Volksschicksals, das hier so ganz verankert liegt und behütet werden sollte, wie man Tempel behütet. Wo waren dieses Tempels berufene Wächter? Schwer war es, sich diese Städte und Burgen zu denken, bedroht, ausgehend in Flammen da und dort. Das Ziehen deutscher, heldischer Soldaten, Gestalten wie Blücher, die Alles daran gesetzt zur Befreiung des Vaterlandes. Warum ein falsches Bild von sich selber geben? Die eigene Verzerrung? Unsterblich sind hier die Bilder einer großen und schweren Volksgeschichte; sind die Stimmungen des Rheins, insbesondere zur Zeit der Blüte, wenn die Ufer im Lenzschmuck stehen und im Herbst. Im kleinen Nachen, früh am Morgen oder in klarer Mondnacht mußte man allein hinausfahren auf den deutschen Strom, um sich seiner Bedeutung bewußt zu werden. Dann raunten seine Wellen die Ewigkeitsworte, dann stand groß und ernst die Vergangenheit eines Volkes auf, das immer machtvoller gewirkt hat in seinen Prüfungstagen als in den Zeiten seiner Erfolge. Dem Germanen steht das Glück nicht gut zu Gesicht, er erträgt es nicht immer in erfreulicher Weise. Das Leid aber adelt ihn. Dann wird er ganz er selbst. So war der Rhein nur schön und reich in stillen Stunden. Der grelle Tag, der paßte nicht zu ihm. Wenn Mainz im Mondschein dalag, königlich still und stolz, wenn von den Ufern der Atemzug der bräutlich jungen Erde herüberwehte, der Ruderschlag leise aufklang, die Wasser zu leben schienen, dann war er da, der Nibelungentraum. Dann ging das Ahnen der Gefahren und ihrer Befreiungen durch die andächtige Seele. Dann verstand auch der Österreicher den heiligen Strom der Deutschen.

*

Frankfurt.

Man bleibt immer länger in dieser Stadt als man vorhat. Irgend etwas hält einen darin fest, das mehr sein muß als seine Schönheit und Alles, was es bietet. Ist es der Goethetraum, der Unvergängliche, den kein Wechsel der Zeit auslöschen kann, der sich erneut mit jeder Generation von Jugend? Der wie die Menschheitssehnsucht und ihre Fragen eine Ewigkeit ist im Vergänglichen? Aus einfachem Bürgerhaus weht er sachte herüber den Duft einer köstlichen Zeit, in der trotz Kampf und Not die Seele stärker als der Leib war. Versunken steht man an der Geburtsstätte dieses Menschen aller Menschen. Durchwandelt die Räume, in denen er reifte, die Gassen, in denen man ihn überall sieht. Starrt auf die Leute, deren Vorfahren ihn gekannt. Nach ihnen schuf er sich das Bild des Geschöpfes. Ich konnte von den Goethestätten nicht mehr fortfinden; wie Kirchen waren sie mir, in denen eine ewige Lampe brannte.

Aber noch mehr ist Frankfurt. Hier hat auch Österreichs wechselvolle Geschichte gesponnen, hier ging es heiß und trotzig her, hier erdröhnten die Weltfragen. Die geschichtliche Entwicklung Europas entfaltete sich vielfach hier. Der alte Rathaussaal erzählt finstere Geschichten. Glanz und Gefahr flackern auf. Feindlicher Schritt hallt schwer in den Straßen. Stolzes Ratsherrn- und Bürgertum wird aus seiner Enge aufgerissen. Farbe muß bekannt werden von zögernden Menschen. Das reinigt immer die schwere, verbrauchte Luft einer Generation.

Noch etwas Anders aber ist Frankfurt. Die Wiege des Handels, das Zentrum eines besitzenden Judentums, von dem eine Fülle von Fäden hinüberspinnt in's internationale Arbeitsleben, nach Amerika, England; nach den Ländern, die deutsche Arbeit ausnützen lernten. Frankfurt ist ein Stück dieser neuen Weltherrschaft Juda's. Seltsame und furchtbare Ironie der menschlichen Entwicklungen. Aus zwei Wohnstätten der Stadt am Main wuchs es gigantisch empor: Zweierlei Macht. Hier erblühte Goethe, und hier begann auch der Aufstieg der Dynastie Rothschild, in einem elenden Kramladen, verborgen in alten Gassen. Zwei Arten von Unsterblichkeit – Gewalt! Das Weltbürgertum des Genies umleuchtet die Gestalt des unsterblichen Dichters, der seiner Vaterstadt die adlige Prägung gab. Die weltüberschattende Gestalt des Hebräers wächst spukhaft aus ihren Winkeln empor neben ihm. Sie beherrscht heute die Gier, die Besitzertriebe der Erde. Ein Seher, Verkünder und ein Diktator. Wer ist der Stärkere, wer wird es bleiben, der führende Dichter, in dem die Seele überwiegt, auf reine Wege empor weisend zu Idealen, oder der besitzen-wollende, wühlende Sohn einer heimatlosen Rasse mit nur zwei großen Triebfedern: Rache und Gier? Zweierlei Blut kämpft hier: Germanisches und Asiatisches. Zweierlei Ziele werden verfochten: Adelung einer ganzen Menschheit, die Bändigung niedriger Triebe; daneben die Vernichtung einer hellen, das Sich-durchsetzen einer dunklen fremden östlichen Art zur Weltherrschaft. Wie sollen sie nebeneinander fortbestehen? Vermischung ist Ruin, ist Vernichtung aller reinen gesunden Triebe, ist deutschen Gedankens Götterdämmerung. Die Tempel der Menschenopfer erstehen wieder. Goethe und Rothschild! Unsinniger Gedanke: eine Stadt gab ihnen Obdach, Heimat, schützte Beiden ihr Werden. Goethe und Rothschild? Nein. – Es ist ein arges Spiel der Kulturgeschichte. Wohl ist der Dichter noch Führer und Seher seines Volkes, aber man muß zu ihm kommen. Der Hebräer kommt ungerufen über Einen. Wo man von einem Goethe gar nichts weiß, schleicht Rothschilds Name überall, unter seiner und seiner Gefolgschaft Rasse, die zu gleichem Rechte kam in einem Lande, wie der sittlich und christlich Geborene, gehen heute Krieg und Frieden, zittern Könige. Millionen christlicher Schicksale, überall bestimmt die Gewalt des Juden. Rothschild ist die lebendige Tat und Untat, die über uns hereinbricht; auf dem ganzen Christentum liegt ihre Faust, auf allem geistigen Leben. Seine Art ist urfeindlich zu jener Goethes, zu der tief germanischen Wesenheit, sie kann nichts anderes sein.

Ich wandre durch diese Viertel jüdischer Paläste und Banken, ich sehe in Theater und Konzerten, in der Zeitungsfülle, in der Literatur der Buchhandlungen semitische Vorherrschaft, ihren Raubgriff, der Alles an sich reißt. Hinter scheinbarer Hilfsbereitschaft für den geistigen Menschen bergen sie ihren Zynismus, ihre unerbittlich dingfest machende Härte des Sklavenbändigers. Hier in Frankfurt kommt mir zum ersten Male zum Bewußtsein, wie stark und wie furchtbar gefährlich die fremde Rasse in deutschem Lande schon ist. Wir hatten in Österreich nicht diese Hochfinanz mit der Weltmacht, nicht diese Riesenindustrien. Dort dämmert die Ahnung eines sieghaften Judentums in der Welt überhaupt erst ganz langsam auf. Die Provinz kennt ein solches Judentum kaum; in Offizierskreisen ist dafür eine kühl wegwerfende Verachtung, ein schlechter Witz da. Wohl mischt sich in den Hochadel, der mehr depraviert ist als jeder andere Stand, schon stark orientalisches Blut in Wien und Budapest; aber diese Kaste glaubt stärker zu sein, in ihrer Hochgezüchtetheit des fremden Blutes Herr zu werden. In ihren Kindern und Enkeln wird sie seltsame Merkmale wiederfinden, das Vaterland vernichtende Zersetzungen. Das Alles ist erst Beginn eines unheimlichen Wandels. In Österreich lacht man noch über den Juden. Hier nicht mehr.

Das wird mir klar. Wo der Reichtum ist und die Skrupellosigkeit hemmungsloser Naturen, da ist auch die Weltmacht. Deutschland, wen ließest Du herein in Schillers und Goethes Hallen?!

Kann es heute noch möglich sein, wo soviel des Schrecklichen sich schon erfüllt hat, das ich damals dunkel ahnte – wo die Verseuchung und Erdrosselung überall ist und der größte Kulturkampf aller Tage bevorsteht – kann es heute noch möglich werden, daß ein totkrankes Volkstum sich national und in dem Heiligtum seines Blutes wieder befreie? Ist das noch möglich? Oder wird statt vor des unsterblichen Dichters Gestalt eine befleckte verschacherte deutsch gewesene Menschheit um die Bundeslade tanzen, sich endgültig beugen vor dem goldenen Kalb?

Deutschland, was bringt Dein morgen?

*

Weimar.

Es lag nicht am Wege, aber daß man dahin mußte, das war wohl zweifellos. Alle Außenwelt, alles Moderne dieser Jahrhundertwende, einer neuen, zugleich materialistischen und zergrübelten Epoche versank.

Siebzig und achtzig Jahre, bis in Napoleons Zeit ging der Lebenstraum zurück, man schaute, was gewesen. Goethe hier war stärker mit seiner geistigen Schar als Napoleon mit seinen Grenadieren. –

Weimar! Grün und still, ein wunderlich lautlos gewordenes deutsches Städtchen im herben Lande dämmerst du heran. Ich sehe dieses Parkhafte, blaßgefärbte, gleichsam Verhaltene deiner Landschaft. Sie ist ohne jeden Überschwang, aber innerlich von Reiz ganz erfüllt. Und drüben Jena, so voll großer Erinnerungen geistigen Lebens. Das Herz deutschen Landes, das Alles. Das schlagende, scheue, tiefe Herz. Denn Deutschland, weltfremd eigentlich, ist ein Dichter, ist das in der Weltgeschichte immer gewesen. War es in seinen größten Führern und Königen, wenn auch das Schwert kaum aus deren Hand gekommen. Hinter dem Schwerte erklang die Leyer der Sehnsucht; dieser Flötenton, der sich hinklagt durch eines Friedrich des Großen Tage. Worte fand er nicht, doch er fand Klänge. Sie verzitterten unbegriffen in ihm. Wer die Geschichte der großen Feldherren des Reiches studiert, der wird überall geradezu erschütternd dieses Unausgesprochene finden, das nie erfüllte Sehnsucht war nach Schönheit, Wissen, Kunst, veredelter Daseinsfreude. Es ist so typisch deutsch, daß es wie Geisterhauch emporzittert aus eines Gneisenaus, Scharnhorsts, Moltkes, Roons, Yorks, auch aus eines Bismarcks schweigsamer Seele. Der Schlüssel bleibt es zu wirklich echter deutscher Art. Weimar! Nur Vergangenheit, keine Gegenwart mehr. Ein Hof ohne Reiz und Eleganz. Militär; neuer Reichtum satter Kreise; sporenklirrende Offiziere, die lieber zu den feinen Diners dieser Kreise als zu Hofe gingen; die adeligen Salons rückständig, verblaßt; die geistlichen sehr künstlich. Komische, uralte Dämchen mit den Gesten, die Bettina, das Kind, vielleicht aufgebracht haben mag, mit persönlichen, nicht immer glaubhaften Familienerinnerungen an den Dichterfürsten. Lächerliche Selbstüberhebungen, Ausschrottungen der Tradition. Wo nicht überall soll er geliebt haben, der ärmste Wolfgang, noch in alten Tagen? Dann gab es die Hochgebildeten, die Freigeistigen, die ausgesprochenen Nietzsche-Salons, wo der Ton in sogenannten Gipfelgesprächen ganz überlegen genommen wurde. Man schwieg da am Besten, war man ein natürlicher Mensch, und starrte in die Teetasse. Nietzsche, der große Unglückliche, der Märtyrer seines überragenden Hirnes, schwebte hier über Allem; jeder, der ihn nicht begriff, erklärte ihn dennoch wortreich. Von seiner Schwester gebieterischer aber unendlich treuer Wesenskraft ging aus, was ihn unentwegt lebendig erhielt, man kann sagen, sie tyrannisierte mit ihm Weimar. Es war eine starke Frau, erschütternd in ihrer gläubigen Treue. In den Kirchen wurde oft gegen ihren Bruder gepredigt; die frommen Kreise sprachen ihm den Fluch. Mein Mann stellte ihn ganz hoch! Nietzsche soll nicht gelesen – er muß erlebt werden im eigensten Ich, soweit das reicht.

Ich fühlte mich als Herr in meinem Weimar. Nur Goethe selbst wollte ich, wie er in mir lebte, der Begriff fröhlicher Göttlichkeit. Keine Literatur über Weimar, nur das nicht! Keine Helene Böhlau, keine Abhandlungen – nichts! Ehrfurcht und Sehnsucht in der Seele. – Weit offene Pforten, zur Aufnahme bereit. Wir wohnten im Erbprinzen ziemlich schauderhaft. Ich erinnere mich an, nach unseren Begriffen, sehr schlechtes Essen, Mäuse, die mich weiter nicht störten, knackende alte Möbelstücke und viel Staub. Wenn man klingelte, kam niemand. Daran gewöhnt man sich. Ich packte aus. O Gott! Mein Milieu, das ich in Koffern mit mir schleppte, diese Photographien und Nippes und Kissen und so weiter! Die vielen lächerlich unnötigen Sachen des Reisedilettanten, sagen wir Reisetrottels, der ich war. Das sehr schöne Kleid war bereits den Weg der Schäbigkeit gegangen, naß geworden, verstaubt. Davon war ich also geheilt. Die vielen mitgeschleppten feinen Blusen, (damals blühte die elegante Wienerbluse in allen Variationen), die zarten Negligés hatten alle gelitten. Und mühsam war es, sie immer wieder aus- und einzupacken. Heimlich war ich soweit, die ganze mitgenommene Atmosphäre zu verfluchen. Mein Mann sah mir mit mildem Ausdruck zu, wenn ich herumkroch, ob nichts vergessen sei, laut stöhnte, wenn wieder ein schlecht gepacktes, ewiges Andenken kaput ging. Er trug mir nach, was liegen blieb und fragte nur bei jeder Abreise: Hast du alles von deinem Milieu? So verbrachte ich kostbare Stunden mit Kramen und Suchen, saß auf den Koffern, damit sie wieder zugingen und bat meinen Mann, sich daran zu beteiligen, was er auch tat. Manchmal mußte auch der Hausknecht noch daraufsitzen. – Wir hockten zu dritt und viert mit Schwergewicht auf der Bagage. Einmal und nie wieder! Weiser Germane mit Rucksack und Jägerhemde! Nun aber wurde ich meines Mannes Führer, hier durfte ich es sein. Eines ganzen jungen Lebens Idealismus und Glaube, ein Kennen des Dichters, der hier als König geherrscht, gab mir Rechte, ließ mich Worte finden. Hier hatte ich zu geben, in Jahren zu-eigen-Gemachtes, mir andächtig Erworbenes. Die ganze Welt vom achtzehnten ins neunzehnte Jahrhundert ward uns lebendig. Alles sahen wir. Abseits blödsinniger Massenführungen, Backfisch-Belehrungen, schnüffelndem Ausländertums gewannen wir uns rasch das Verständnis der alten erprobten Diener und Kustoden, jener Menschen, deren Väter in Goethes und Karl Augusts Dunstkreis ihr Leben verbracht hatten, die Alles hier liebten wie ihr eigenstes Gut. Abendwanderungen im Park, wenn über der Ilm die Nebelstreifen huschten; schweigsam tiefe Stunden an und in Goethes Haus. Das lose Walten im Weltenbild verblaßter Gestalten, zart liebender, romantischer Frauen, feiner Damen, höfisch durchhaucht, rein geistiger Menschen, stolzer Fürsten, doch nicht zu stolz, sich vor der Herrschaft des Gedankens zu beugen. Ich sehe Goethe reiten über winterliches Land. Vor ihm marschieren gewaltsam ausgehobene Soldaten. Als hoher Beamter muß er tun, was er haßt als Mensch. Am Wegrand liegen Hütten, die Niedergehaltenheit eines Volkes in Armut und Dunkelheit. Soziales Ahnen, geisterhaft, wie ein schemengleiches schweres Grauen, vorüberstreifend an diesem Hellen, Großen des Lebens, Goethe!

*

Goethe reitet.

§§§ Er sprach Gericht und fand es ungerecht;
Er zwang, und seine freie Seele stöhnte.
Er nahm, wo schrankenlos zu geben Recht
Und Pflicht, die eines Dichters Wollen krönte.

Der Lenz in ihm vom Winter scheu sich kehrt,
Der eisig rauh um Ettersburg sich breitet.
Er reitet hin, vom Leben tief belehrt
Und von Gewissensqualen dumpf begleitet.

Soldaten traben schweren Schritts vor ihm,
Söhne von Müttern, zwangsweis' ausgehoben.
Verzweiflung zieht mit ihnen, Not und Grimm,
Im Liede müssen sie den Herzog loben!

Und sein Minister? In sich fühlt er tief
Die Schwerste aller Menschheitswunden brennen!
Nie hören die, was ich als Dichter rief!
Nie werden sie den wahren Goethe kennen!

*

Die Reichslande.

Bei Zabern im Elsaß liegt das Schloß Hochfelden. Mein Mann dachte daran, den alten Sitz seines Geschlechtes wieder zu erwerben. Das war begreiflich genug.

So nahm uns das Reichsland auf. Weichlicher wehte die Luft, eintönig grün und schnackenreich erschien mir diese Welt, merkwürdig fremd. Es war doch deutsches Land. Elsaß-Lothringen, dem Reiche fest verankert. Vor allem durch starken militärischen Zwang, der überall fühlbar wurde. Wohlstand und Arbeit großer aufblühender Industrien, ausgenutzte Bodenschätze sah man, doch keine Volksart, bei der das Herz aufging. Das Bauerntum des Elsaß und sein verfremdeter Arbeiterstand wirkten wenig anziehend. Der echte Elsässer haßt gleichmäßig Deutsche wie Franzosen; dabei ist er selbst eigentlich von schwerer, fleißiger, sparsamer Art, die viel Germanisches in den Eigenschaften aufweist. Man konnte beklagen, daß es nicht möglich schien, ihm näher zu treten; denn gewiß lag da, unter rauher Schale, manch Wertvolles verborgen. Hetzereien und Vorurteile verlegten als starre Felsblöcke die Wege. Die Verantwortungen der deutschen Regierungskreise waren hier sehr ernst; ebenso wurde von den Offizieren viel Takt und Zurückhaltung gefordert. Man lebte wie im Glashause. Das Aufblühen des Landes unter der Preußenherrschaft lösten keine Dankbarkeit bei der Bevölkerung aus, deren Wohlstand zunahm. Da waren innere Grenzen, die überschritt keiner – im schwülen Lothringen ganz besonders nicht. Von Nancy wehte es immer dumpf herüber wie schwälende Glut, aus der Funken sprangen. Ewig schürte von drüben der Haß, der schon pathologisch wirkte: ein scheinbar in sich erstarrtes, passiv wirkendes, vorsichtig gemessenes Volk, eingepanzert in eine vollkommene Zurückhaltung. Die sah über das deutsche Militär hinweg. Die trotzte nicht auf nach außen. Eine Meisterschaft der Selbstbeherrschung machte sie undurchdringlich, und die Gewalt ihres passiven Widerstandes kannten nur eingeweihte Kreise. Reinlichkeit, Schulzucht und Zwang, Volkshygiene, das Alles wurde mit Erbitterung empfunden, aber direkter Widerstand erfolgte nicht. Dreisprachig war der Laut, breit und häßlich, Mittelalterlich dunkel, dabei vielfach zynisch der Gedankengang. Innerlich wurde hier nichts errungen. Mein Mann hatte eine Zeitlang in Straßburg studiert und als Student seine Erfahrungen gemacht im Deutschenhasse. Aber er liebte trotzdem diese so deutsch wirkende Stadt mit ihren Schätzen ihrer Vergangenheit, ihren Leiden und Kämpfen. Auch mir machte sie einen tiefen Eindruck. Aber in verlorenen Winkeln voll poetischer Schönheit hatte es mich angeweht; wie unvergessene französische Art klangen französische Namen da und dort. Blickten dunkle Augen mit einem heißen Leuchten an dem Einheimischen vorbei. Es war da etwas geblieben, aus vielen Einquartierungen und Kriegen. Hier hingegen offenbarte es sich frei. Es flammte uns an aus funkelnden Frauenblicken, es drückte sich an uns vorbei, unversöhnlich, drohend. Zum ersten Male in meinem Leben widerfuhr mir solches. Später habe ich es in Prag in gefährlicherer Form auch erlebt.

Mir wurde oft, als müßte aus dem Straßentreiben gemischter Art ich mich in das Münster flüchten, in das deutsche Gotteshaus, durchweht von großen Erinnerungen. Das hab' ich viel getan. Auch in schweigender Mondnacht. Auch hier wieder deutlich fühlbar, groß und einfach in seinem Tiefsten, das unerschütterliche deutsche Werden inmitten der Brandung lauernder Konflikte und Gefahren. Hier erwachte der junge Goethe zum starken Bewußtsein seiner Nationalität. Hier huschen die Stimmungen eines Faust und Götz von Berlichingen, die weltlich kühle Zweiflerseele erschauert, sie blickt zurück. Die Religion des unbedingten Zusammengehörigkeitsgefühls mit seinem Volk und Vaterland wird hier zur Offenbarung verirrter Seelen. Denn das Straßburger Münster ist Deutschland – mag hundertmal der gallische Hahn auf den Mauern der Stadt mit den Flügeln schlagen. Hoch oben in den Lüften kreist ein Aar.

Das Leben und Treiben der Stadt gefiel mir nicht. Hier war viel welsches Genießertum, ein fremder Geist neben preußischer Strenge. Mütter nahm ich wahr, Französinnen und deutsche Offiziersfrauen. Welchem Schicksal wuchsen beider Söhne entgegen? Eine Tragik las ich fast in jedem französischem Frauengesicht. Und einen Haß. Leere Häuser starrten mit geschlossenen Fenstern; Wartende! Ersticktes Franzosentum, das unter der Asche glomm. Dann sah ich das Land, einförmig still, wie eingelullt. Sah Zabern mit militärischen Zwistigkeiten einer unbotmäßigen Bevölkerung. Saß oben in Hochfelden mit einem friedsam wirkenden alten Priester. Und sagte mir: Nein! Nie will ich hier in diesem Grenzland leben; mag hier kein Kind erziehen, mir die Fremde nicht so nahe wissen.

Die Deutschen gebieten hier, aber die Herren sind sie doch nicht. Es fehlt ein großes Führertalent, eine staatsmännische Hand, ein feiner Takt. Militärgewalt ist nicht aufbauende Regierung.

Dann kam Lothringen. Dann sah ich Metz. Üppig und schwül war es, unsauber, dabei reizvoll; es schien, als lauerten hier unter Blumen und Früchten böse Seuchen, züngelnde Gefahren. Eine gemessene Bevölkerung in der man heimlich die Bestie ahnte, die gebändigt, aber nicht erschlagen auf Lauer lag. Demokratische Wesenheit. Estaminets, in denen gehetzt wurde. Innere Zerrissenheiten. Priesterherrschaft in politischen Dingen. Ein solcher Priester hatte meinem Manne einst Gastfreundschaft erwiesen. Er führte uns nun herum. Wir fuhren in furchtbaren Chaisen auf elenden Straßen voll Staub und Lehm, an mauerumschlossenen Gärten vorbei, in denen Schlößchen träumten, an Klöstern, befestigten Kirchen. An Elend, schmutzigen, verwahrlosten Weilern vorbei. Ein immer kriegerisches Land. Kalte Prosa, sparsame Nüchternheit. Manchmal ein feines Bildchen dazwischen, in alten Fermen, in stilreichen Stuben voll Vergangenheit, zwischen behäbigen, zeitfremden Menschen. Ich höre die Sieben Geischenuhr ticken, eilig und doch beruhigend Auf dem schöngeschnitzten, alten Tisch liegt das Heldengedicht der Lorraine, der Geste Lorraine, Blumenbüsche stehen auf dem Kamin, Bürgerenge und Beschaulichkeit ist da. Sparsamer Fleiß. Hier lernten Naturen Geduld. Hier webt die Lothringer Seele zäh verschlossen. Eine harte poesielose Seele. Das Land so nüchtern. Und dieses Metz, das so sündhaft war! Mit adeligem, wüstem Prunk, mit Spiel, Tanz, Komödie, französischen Bräuchen und Anschauungen, mit wildem Treiben. Da ist noch die elegante Gestalt des Herzogs von Suffolk lebendig, der ärgsten Unfug trieb unter dem Lachen des Volks. Ein zierlich loses Gedicht über ihn habe ich mir abgeschrieben aus der Chronik einer ehrsamen Madam in einer Ferme:

Quand à confesse le duc se rend
C'est la voix de la Bien-aimée seule qu'il entend,
Affaisé devant son Dieu et Seigneur
Ce sont cheveux blonds et cheveux noirs qu'il effleure.
Et quand il va prier à Notre-Dâme,
Offrant à Dieu sa vie et son âme,
Joli Duc avec ardeur se penche. –
Que voit-il? Dites! – Une poitrine si blanche!
Ou fremit doucement une blanche dentelle.
Toutes les deux qu'elles sont belles – sont belles
.

Wenn sich der Herzog zum Beichtiger beugt
Seine Seele sich zu der Liebsten neigt. –
Kniet er in Andacht vor dem Altar
Spielt er im goldnen und Rabenhaar. –
Liegt er bereuend in Notre-Dâme,
Wenn, wieder ein Sünder, des Wegs er kam,
Der schmucke Herzog voll Liebeslust,
Dann sieht er betend, halb unbewußt
Spitzen schimmern auf weißer Brust
Beide sind schön und locken.

Er brennt heute in der Hölle, der schöne Herzog, so sagen von ihm die commères in den getollten, weißen Hauben, die Männer in den blauen Blusen mit den breiten Nebelspaltern; die Jugend kichert.

Das Franzosentum, leicht frivol, zynisch, spukt in ihren Reihen. Aber fromm sind sie, kirchengläubig, kirchenstreng. Darin liegt für das Frankreich ohne Kirche etwas schwer zu Überwindendes.

Nie wird dieses Land dauernd in einer Hand sein. Mit dieser Überzeugung verlasse ich es. Es ist zwiespältig geworden durch und durch. Ist die Achillesferse Deutschlands, jener Punkt, wo das Reich sterblich bleibt.



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