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Nan.

Vier Uhr früh ist's und noch finster. Hinter der Mauer des Dorffriedhofs, da, wo der Boden nicht mehr geweiht ist, begraben sie Jemanden. Nur ein paar Leute, die das geschäftsmäßig, auffallend schnell abmachen. Sie (man könnte sagen) schmeißen diesen rohen Sarg ohne Schmuck und Blume in das hastig geschaufelte Loch, Erde hinein – Erde darüber. Es wird kein Gebet gesprochen, kein Leidtragender ist vorhanden. Rundum atmet, im Augustmorgen erwachend, schönes österreichisches Land, nahe der großen Stadt, die Türme eines Schlosses schimmern herüber. Die Leute gehen eilig auseinander, keiner spricht ein Wort. Die ganze Sache hat etwas Femehaftes und erinnert an das Gedicht von Strachwitz, in dem der Verurteilte, in einen Sack genäht, in's Meer hinausgerudert und versenkt wird.

»Dann aber war's, als ob ein Schrei im Wellenschlag verklänge.« Es ist hier kein Schrei erklungen. Keine Inschrift wird hinter der Mauer zu lesen sein.

Was war es, das hier seinen Abschluß gefunden?

Zügelloses Sich-Ausleben-wollen endet gewöhnlich in gewaltsamem Sterben, das ist ein altes, drohendes Naturgesetz.

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In einer englisch gehaltenen Nursery schlafen Kinder, mehrere Kinder, traumlos, tief. Es sind die Sprossen zweier alter Rassen, Aristokraten und Judentum.

Und Beides spiegelt sich in den kleinen, spitzen Gesichtern, die altklug sind, hochmütig. Unerbittlich sind hier die Spuren von Rasse und Klasse, ohne Lebensfrische. Kinder, widerwillig geboren in einer Ehe, die ein Geschäft war. Der reichgewordene Herr Rathan von Siebert kaufte sich die blaublütige Anna Gräfin Stierna, die schöne, kecke, hellblonde Nan, ein Komtessen-Paradestück. Sie ist zu dieser Vermählung mit dem Kerl, wie sie ihn unweigerlich nannte, nach einem ausgelassenen Sektabend im Ballettschritt gegangen, ihr Kleid war kurz, ihr Schleier lang, der Myrtenkranz sehr schmal, und die Solitaire in den Ohren waren von unerhörter Reinheit. Ihr Heirats-Kontrakt sicherte ihr 24 000 Gulden Toilettengeld, die Bezahlung der fürstlichen Staffierung und verschiedener Schulden ihres Vaters, und so weiter. Auch Freiheiten – in der Stille! Aber benehmen mußte sie sich nach außen.

Sie war schön und begabt, diese Nan, frei im Wesen; sie hatte sich immer viel erlaubt. Eine gewisse, adelige Kühnheit in ihr versöhnte mit ihren Frechheiten. Sie probierte zu gern, was einer oder eine aushält, verträgt, vertragen muß, was man Jemanden Alles bieten kann. Am Rande des schlechten Rufes der Unmöglichkeiten war sie sicher dahin geschlüpft, die Freude der goldenen jungen Herrenwelt, die man liebt, aber nicht heiratet. Sie ist zu reizend dazu und zu insolvent. Sie intriguierte, beleidigte, versöhnte wieder, lachte, sang und spielte. Sie war impertinent und wieder sehr lieb. In der Fasten bereute sie effektvoll ihre Sünden, klagte sich selber an und tat dann einmal da und dort etwas wirklich Gutes. Ihre »Bandlereien« waren zahllos und meistens sehr gewagt. Die Krachs mit dem langen, albernen bürokratenhaften Vater in seinem hohen Beamtentum, das er verheerend unrichtig betätigte, nahmen kein Ende. Er war seiner Nandl nicht gewachsen und diese siegte immer. Da gelang es dem nervösen Herrn, der seine Beamten schuhriegelte, aber daheim vor Weib und Kind schlotterte, dieses fürstlich reich gewordenen israelitischen Freiherrn gewahr zu werden, an dem Alles neu war: das Geld, die Manieren, der Titel, die Aufnahme in die erlesenen Kreise. Er schob den Rathan, der ihn verehrungsvoll anhimmelte, seinen Töchtern hin, und dessen Blick blieb mit Staunen, nicht ohne Grauen, auf der blonden Nan haften, die ihn, wie es ihre Verehrerschar ausdrückte, unsinnig foppte.

Aber wenn ein Sohn Israels heute etwas wirklich haben will, dann erwirbt er es. Diese Beiden heirateten.

Die schöne Nan veränderte sich äußerlich gar nicht. Sie machte ihre Kinder ab, wie sie es ausdrückte, widersprach dem Kerl unbedingt in Allem, und hatte die gesellschaftliche Führung. Was sie innen erlebte, erfuhr Keiner. So war sie nicht.

In ihrem Gesicht störte eine neue Härte, die manchmal flüchtig wie ein elender Schmerz wirkte. Aber sie war immer sehr lustig, ausgelassen, verschwenderisch. Ihre Eheurlaube mehrten sich.

Siebenstein wurde nicht leer von Gästen, die Anbeter gingen da aus und ein, das Leben war laut. Einzelne blieben lange, länger; schließlich blieb Einer ganz. Im Hause waren nun zwei Herren. Rathan und sein intimer Freund, ein Ausländer, ein junger Fürst.

Das kostete viel Geld. Das brachte allmählich eine neue Atmosphäre, Stürme, Gerüchte, Schwankungen.

Noch eine Saison lang war Rathans Nan der Stern aller Feste, und hinter ihr, immer als ihr Schatten, ein fremder Mensch von ungewöhnlicher Vornehmheit und Schönheit, von slavischem Reiz. Dabei herabgekommen, mit den skrupellosen, heißen, fordernden Augen seines Volkes.

Es hieß, das Ehepaar Siebert werde geschieden. Der sonst so undurchdringliche Rathan hatte in diesen Tagen etwas wechselvoll Unsicheres. Heute liegt er, schwer verwundet, in seinem historischen Bett in Siebenstein, die ersten Ärzte betreuen seine Wunde.

Die Wunde verdankt er seiner Frau. Sie hat, unermüdlich in immer wieder kehrendem, raunenden Drängen und Treiben, den Fremden schließlich dazu gebracht, meuchlings auf der Jagd auf den Gatten zu schießen.

Der lebt – der Mörder ist tot. – Nan selbst liegt in der Grube hinter der Kirche. Als die Polizei in Siebenstein erschien, da fand sie Eine, die hatte sich selber gerichtet.

Es heißt, ihre Kinder werden von ihr nie mehr reden hören, kein Bild von ihr wird an den Wänden des Schlosses hängen. Ihre Familie streicht ihre Existenz ein für allemal.

Es wird in der Gesellschaft über Nan vollkommen geschwiegen werden, – Rathans Frau; und er wird bald eine andere Komtesse heiraten. –

Es gibt Welten, in denen darf man sündigen, viel und empörend. Aber niemals in großen Zügen, nie mit Katastrophen.

Die Sünde muß einen leise, ganz leise gleitenden Schritt haben, wohlerzogen. Wenn sie sich ihr Naturrecht nehmen will, zupacken stark und heiß, mit der Urfaust der Menschheit, dann hat sich eine Existenz unmöglich gemacht. –

Oder? Vielleicht geschieht auch gerade das Gegenteil, man kann es bei dieser Art von Leuten nie wissen. Die Wunde heilt; tot bleibt tot; wer richtig abgeht, ist taktvoll, also gesellschaftsfähig auch weiter in der Erinnerung. Vielleicht wird die Sache nach einer Spanne Zeit dann anders erzählt werden, damit es gar nichts Dunkles, Zweifelhaftes in dem freiherrlichen Hause gibt. Vielleicht war die Geschichte, wie das Wort dann ausgegeben wird, ganz anders, aus der Sünderin wird ein Opfer, eine Heilige. Ein Prunkgrab, in dem sie gar nicht liegt, ist plötzlich da; eine große Feier, ein wunderbares Denkmal von schöpferischer Künstlerhand kommt auf dieses Grab, aus dem keine Blume lebendig emporwächst, denn es ist steinbedeckt, und wird nur geschmückt mit Treibhausware. Im Schlosse hängt dann wohl auch das verjüngte Bild Nans von Künstlerhand, in glänzender Toilette, mit dem fabelhaften Schmuck. Sehr schön!

Die Kinder müssen davor an bestimmten Tagen weinen und beten. Sie ging so früh an einem plötzlichen Leiden dahin!

Ihre Familie läßt andauernd Messen für sie lesen. Sie ist die arme, liebe, unvergeßliche Nan. Vielleicht? Ich weiß es nicht. Man muß unbedingt solidarisch zusammenhalten. Hat man im ersten Schrecken daneben gehaut, man macht es wieder gut. Es entsteht sogar auch eine Annakapelle dem Andenken der Toten.

Wie es auch sei, Du Sünderin. Unter Deinem Häuflein Erde, das den Holzsarg deckt, in dem Du wirklich liegst, bist Du mir lieber. Bleib' liegen, wo Du bist. Ein paar wilde Feldblumen kommen jährlich auf Deinem Hügel wieder.



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