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Redl.

Wir hatten ihn vielfach gesehen; als er Major geworden, fungierte er als Sachverständiger in den Wiener Spionageprozessen. Als wir ihn bei der Mutter des Feldmarschall-Leutnants Stanchovich, der zänkischesten, alten Excellenz, die ich je erlebt, kennen lernten, besaß er schon den sadistischen Nimbus eines Gemütsrohlings, der niemals einen Funken Mitleid kannte. Er konnte stundenlang vollkommen schweigend im Salon dasitzen, das brutale Kinn vorgeschoben, etwas Lauerndes in den kalten Augen, sein Lächeln, das langsam kam und rasch wieder ging, war das denkbar unangenehmste. Er hatte für Frauen etwas Abstoßendes, die Herren fürchteten ihn. Als Leiter der Kundschafterstelle unter seinem Vorgänger, dem General von Giesl, schuf er sich später eine Machtstellung.

Grausame Züge aus seinem Dienstleben wurden fortgesetzt von Redl erzählt. Er hatte ein kleines Kind, mit dem er scheinbar liebevoll spielte, dazu gebracht, ihm zu zeigen, wo sein Vater, der Bezirks-Kommandant von Lemberg, vielleicht aus Spaß, Briefe verstecke. Er ließ einen Festungszeichner Jonash, der beschuldigt war, dem Ausland gefälschte Pläne österreichischer Festungen verkauft zu haben, in einer endlosen Untersuchungshaft sitzen. Redl war im neuen Generalstab gefürchtet als ein Mensch mit unterirdischen Verbindungen, der den Übergriffen des Hofes, hoher Persönlichkeiten durchaus diente. In Prag, wo er als Oberst und Generalstabschef später lebte, war heißer Boden. Hier arbeitete das Böhmische Staatsrecht, gegen den Wiener Zentralismus gerichtet, mit Tausenden von fanatischen Anhängern; glühende Antimilitaristen standen gegen die Armee. Der Verkehr tschechischer Panslavisten mit Russen, Bulgaren, Serben war bekannt. Die tschechischen Zeitungen mußten fortgesetzt beschlagnahmt werden; sie brachten bittere Wahrheiten über die Habgier der Großen, die schlechte Behandlung des Personals auf erzherzöglichen Gütern. Der Spitzeldienst Redls nahm ungeheure Dimensionen an, bald wurden ungesetzlich Tausende österreichischer Briefe geöffnet. Das schwarze Kabinett überwachte die Privatkorrespondenzen. – Jahrelang hat Redl Spionagedienst für Rußland betrieben, gegen große Summen, für lasterhafte Zwecke die Geheimnisse seines Vaterlandes verkauft. Dabei viele Opfer als verdächtig ausgeliefert, viele grausam bestraft, ganz mitleidslos. In der Truppe gährte ein siedender Haß gegen ihn, wie überhaupt dieser neue Generalstab mit all seinen Bureaus und Maßnahmen, den Gewalttätigkeiten ohne Zahl überaus verhaßt und verachtet war. Er galt als eine Stätte perfidesten Strebertums. Wir an der Grenze bekamen davon genug zu hören. – Der Fall Redl war für uns Österreicher entsetzlich. Er warf auch neue grelle Streiflichter auf die Sorglosigkeit und Gewissenlosigkeit, mit der man Männer, die allein durch ihre Luxusausgaben und ihren Lebenswandel verdächtig sein mußten, nicht kontrollierte; nie an maßgebender Stelle danach fragte, woher die enormen Summen kämen, die ein stets bescheiden gestellter Offizier der Monarchie zur Befriedigung seiner unnatürlichen Leidenschaften ausgab.

Redl hatte zwei geschmacklos und weibisch, aber kostbar eingerichtete, große Wohnungen, zwei Autos. Er war Begierden verfallen, für die ihm sehr große Summen abgepreßt wurden. Diese erhielt er aus Rußland. Das Treiben ging jahrelang. Bestätigungen von erhaltenen Geldsendungen, Rubelquittungen fand man, photographische Platten in Menge. –

Befehle über Armierung, Verpflegung, Transporte, Truppenverschiebungen hatte er für den künftigen Feind photographiert; ferner Befehle des Thronfolgers, des Kriegsministers Krobatin und des Generalstabschefs Conrad. Zehn Jahre betrieb er ungestört seinen großen Aufwand, lieferte die Photographien reservater Dienstbücher aus, Mobilisierungs-Instruktionen. Er kaufte sich ein Gut, hielt Reitpferde, gab Sektfeste. Eine besondere Tragödie, deren grausamer Urheber er geworden, ist zu erwähnen, die Geschichte des Prozesses Hekailo.

Zu Beginn des Jahrhunderts stand in Wien der Oberst-Auditor Hekailo, Justizreferent der 43. Landwehr-Division in Lemberg, vor Gericht; ein phantastischer Mensch, der aus Brasilien auf Drängen Österreichs zurückspediert worden war, und sich sowohl für private Vergehen als wegen der Beschuldigung zu verantworten hatte, er hätte Rußland verräterisch Instruktionen und anderes für die Alarmierung der Lemberger Garnison geliefert. Der Mann war belastet und gab das offen zu; eine verkommene Existenz, die aber nicht bestraft werden konnte auf Grund des Auslieferungsgesetzes und des bestehenden Staatsvertrages mit Brasilien, wohin er sich seinerzeit geflüchtet hatte. Das Verfahren gegen ihn schleppte sich hin, er hatte wenig zu fürchten. Da kam eine neue Note hinein mit dem plötzlichen Antreten des Sachverständigen Redl. Dieser wollte von dem Auditor auch das Bekenntnis erzwingen, er habe den österreichischen Aufmarschplan den Russen verkauft.

Er drang hitzig in den Angeklagten, das zuzugeben, bis dieser, ihn ruhig ansehend, schließlich sagte: Nur jemand aus dem Generalstabsbureau selber kann den Aufmarschplan den Russen verkauft haben, das liegt völlig klar. Und so war es auch. –

Es folgte dieser Verhandlung die Verhaftung des Stanislauer Ergänzungsbezirks-Kommandanten Major von Wienckowski durch die Überrumpelung des ganz kleinen Töchterchens, welche Redl besorgte. Er selbst forderte dann triumphierend, angesichts des gefundenen Belastungsmaterials, nach Rußland geschickt zu werden, um Erhebungen zu machen und wurde sehr verstimmt, als man ihm das abschlug. –

Er setzte sich nun mit einem Mal für die Unschuld des Majors stark ein und erweckte damit schließlich das Befremden einwandfreier Offiziere, die seine Ablösung als Sachverständigen verlangten. Dieser wurde nicht Folge gegeben. Redl hat zweifellos den Aufmarschplan selbst verkauft an die Russen. Zugleich ihnen gesagt, er brauche nun unbedingt einen Spionageerfolg für Österreich. Die Russen lieferten ihm Hekailo aus. Die Warschauer Stelle war wachsam und bedrohte Redl, als österreichische Offiziere, die ihr von Wert waren, in Untersuchung kamen. Um Redl zog sich damals bedenklich ein Netz zusammen. Er hatte die Russen von seiner Loyalität zu überzeugen und Wien zu beruhigen. Er lieferte nun einfach den russischen Generalstabsoffizier aus, der in Warschau für Österreich arbeitete, stellte diesem eine Falle und brachte ihn aufs Schaffot. Hekailo und Wienckowski erhielten acht und zwölf Jahre Kerker. Redl hat auch einen russischen Oberst Petrowitsch, der dem österreichischen Spion Müller den russischen Aufmarschplan verkaufte, an Rußland verraten und zum Selbstmord gebracht. Er beging solche Taten wiederholt. Durch sein Verschulden erfuhr Österreich die russischen Geheimnisse nicht, wohl aber erfuhr Rußland die unseren. Vor Kriegsausbruch blieb, als Folge solcher Machinationen, Österreich und Deutschland das Vorhandensein von 75 Divisionen unbekannt. Eine Russenzahl, größer als Österreichs ganze Armee. Die österreichischen Generäle wußten nichts.

Diese Gestalt in der österreichischen Armee wird immer unvergessen bleiben; in ihr konzentrierte sich angeborenes Verbrechertum mit den Folgen eines zersetzenden Geistes. Der Kameradenmörder Hofrichter ist eine zweite böse Erscheinung der Vorkriegsperiode. Die eigene Karriere, die eigene Person über Alles! Über Leichen! Das Vaterland nur Mittel zum Zweck. Mein Ich die Hauptsache. Und dafür später Tausende und Tausende braver Soldaten, Scharen heldenhafter Offiziere die Opfer des verhängnisvollen Systems, der Fäulnis. Schon im Beginn des Jahrhunderts kam dieses System auf.



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