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Sommertage im alten Tirol.

Ich denke zurück an Tiroler Tage und lange Abende, die in die Nacht hinübergleiten. Die Pflichten des Tages, Frauen und Mutterpflichten sind getan. Noch ein Rundgang durch das Schweizerhaus, grün umrankt, ein Blick in meiner Neffen Gemach, ein besorgtes Lauschen voll Mißtrauen an des Hauslehrers Türe, der uns gar nicht gefällt: seit drei Monaten ist er schon der Fünfte. Stieg der Achtenswerte heute abend wieder zu meiner Neffen Fenster hinaus, um, wie es schon vorgekommen, in größeren Mengen ohne Bezahlung Bier zu trinken, auf unseren Namen; und um mit den Manöversoldaten im Dorf Tarock zu spielen, unter Gebrüll? Es ist schon vorgekommen. Er nahm auch die Buben schon einmal mit, von denen einer auch bereits beim Tarock falsch gespielt hat. Was hilfts, zu wechseln, es ist ja immer dasselbe. Eine stete Sorge! Jungen, die auf dem Gymnasium, bei geregeltem Unterricht, nicht gut tun, und deren häusliche Zucht nun uns anvertraut ist, um eine immer ratlose Mutter zu entlasten. Schnarcht der Ausgezeichnete, der bei Tisch mit dem Messer ißt, mit den Füßen scharrt, schwarze Nägel hat, und mich unentwegt verbissen anklotzt wie etwas Schreckliches in seinem Dasein! Schnarcht er? Oder schnarcht er nicht, der Herr Knüttlinger? Ja, er schnarcht! Gott sei Dank, er ist vorhanden. Aber! Ich lausche abermals, und mein Haar beginnt sich zu sträuben; schnarcht er, tugendreich und korrekt, wie er sein muß, als Jugendformer auch allein? Denn, es ist vorgekommen, daß ... Der Größere der beiden Lausbuben hat mir einmal mitgeteilt: »Tante, ich möcht Dir nur sagen, daß der Herr Knüttlinger mit der Regele in Liebe gefallen ist. Er hat, ja er hat«? Das Regele ist das reichlich wüschte Kuchelmädl, ohne Reinlichkeit. »Was hat er? Wie macht man das, daß man in Liebe fallt, du dummer Bub«?

»Er hat die Lampe ausglöscht«!

Ich gebe dem Jungen eine Tachtl (Ohrfeige) und nehme mir den Former seiner Jugend und Tugend mit Energie vor. Er schwitzt. Er stottert, grinst, weiß von gar nichts. Er ist gar nicht so, sagt er. Na! Ich horche also jetzt, ob es zweifach schnarcht oder einfach. Dann rüttle ich an der nie verschlossenen Tür des Regele. Dieses ist nicht vorhanden, aber eine quakende Stimme aus dem Stall verkündet mir: »Sie ischt mit'n Anastasele in'n Wald aufigang; i hab's gsegn, die Gitsch, die kimmt so bald nit, die nit! Die kenn i do«! Dankbar und erleichtert vernehme ich dieses. –

Ich steige empor und trete in die kühlen Tirolerstuben dieser Sommerfrischen, wie Bruneck, Vahrn, Brixens Umgebung, wie der Brenner sie hat, liebtraute Stuben. Wer sie bewohnt hat, vergißt sie niemehr.

In den schmalen Gängen weht es leicht. An weißen Wänden hängen Kreuz und Gottesmutter, die Kaiserbilder. Der Andreas Hofer ist überall. Breit, gefestet und stark mit dem Gesicht, das im Tode so ruhig blieb. Aus tiefen heißen Augen sieht der Pater Haspinger uns an, ganz Wille, ganz Sohn des Vaterlands, ist dieser geweihte Österreicher, Tiroler ist er. Der Speckbacher mit seinem Buben, der mitten im wilden Schießen die Kugeln auflas und wieder zusammentrug, des Wirtes an der Mahr Heldengestalt blicken von den Wänden. In ihnen bist Du, deutsches Tirol!

Das Mädchen von Spinges kniet da furchtlos und betet. Eines treuen, nie verzweifelnden Landes Geschichte ist immer lebendig wie das gesprochene Wort. Die junge Mutter singt sie ihrem Knaben, der Vater spricht sie aus, der Ahn erzählt sie. Ich trete in die Stuben mit dem sparsamen Hausrat, den blühenden Fensterblumen. Der Nußbaum gegenüber zeichnet schattenhaft seine Blätter an die Wand, jedes Blatt ist Leben, ein leiser Levkojen- und Alpenblumenduft geht durch den Raum. Hier erfüllten sich Generationen deutscher Geschlechter. Hier spinnt und webt das blutwarme Leben von Tirol. Draußen die stille Straße, ein verklingendes Lied, ein junges Lachen; hie und da ein schwerer Männerschritt. Das Brunnenrauschen unter dem Nußbaum. – Im weißleuchtenden Bettchen schläft seinen tiefen Kinderschlaf mein kleines Mädchen.

Ich sitze neben ihm und sehe es an, im Mondenschein. Den Kinderfrieden seines reinen Gesichtchens, das ruhige Atmen der Müdegespielten. Du deutsches Kind, du reiches Kind, mein Kind! – Ich lege meine Lippen auf das Köpfchen. Ein Bangen zittert durch mein Glück. –

Dann geh ich hinab in den Garten, hinter dem der Bach fließt. In der Laube, beim flackernden Licht, sitzt mit seinen Freunden mein Mann. Karten und Schriften decken den Tisch, das Gespräch ist voll schwerem Ernste. Vergebens lockt der Sommerabend mit all seiner Köstlichkeit. Die da sitzen sind weit von Freude und Licht des Lebens, sie halten als Männer Gericht. Ich sehe meines Mannes blasses, wie erstarrtes Gesicht, die unsägliche Güte scheint darin erloschen; es ist wie aus Stein. Da fürchte ich mich. Ich wandere hinaus, den Waldweg entlang, an Feldern hin. Geisblattgeruch strömt aus Vorgärten, dann duftet der Wald, steigt an Schalders zu, wild steht im Farnkraut der Boden, ein Erdbeerhauch hebt sich aus warmer Erde. Ein Vogel zuckt auf im Schlaf. Die Nachtstimmen des großen Waldes haben überall ihr Raunen, es huscht und fliegt auf. Faules Holz leuchtet irgendwo. Blutrote Alpenrosen liegen am Wege. Ich hebe sie auf. Ich sehe hin über Tiroler Land, mit seinen Heimstätten der Arbeit und Friedsamkeit. Wieder drängt mich's, zu beten für Dich, du heiliges deutsches Land Tirol. –

Vorbei! –



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