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Innsbruck.

Wir hatten noch manche Wallfahrt um eine Heimat unternommen, auch an ein Schloß bei Wien gedacht. Aber nirgends ging so recht das Herz auf, und nirgends war das trockene Klima, das wir brauchten; die viele Sonne, die mein Mann suchte. Selbst Meran und Bozen war zu rauh. Der äußerste Süden Österreichs wurde es endlich, die Grenze dicht am Gardasee, wo uns die dauernde Heimat grüßen sollte. Auf der Reise dorthin, die das entschied, sah ich zum ersten Mal Tirol, Innsbruck. Das schwere Deutsch des »ischt« und »bischt« und »hascht« klang von den Lippen riesiger Menschen mit großen Dürergesichtern an mein Ohr. Gesichter, scheinbar hart und doch voll Schalkhaftigkeit, oft voll Güte; kluge Gesichter des Tirolers, dieses konservativsten aller Menschen; der kaum herausgeht aus seinem Lande, der erst mit vierzig Jahren reif werden soll, und wenn garnicht, dann machts auch nichts.

Eigenartige Stadt, von allzu hohen Bergen überdräut, schöne Stadt mit mittelalterlichem Weben, mit welschen Laubengängen und Loggien, mit urdeutschem Volk; voll Rückständigkeit und Heimatliebe, voll Kaisertreue und starrer, enger Frömmigkeit, mit der Note eines streitbaren Priestertums, unter dem originelle Talente sich zu Führern aufschwangen. Ein deutsches Volkstum, vom nahen Süden herüber immer bedroht, oft Habsburgs Retter und Zuflucht; ein prachtvolles Kämpfervolk. Inmitten allen Handelslebens und Fremdentrubels sich selber treu, das starke Rückgrat wahrend.

So sah ich es. In seinem sonderbaren Adel, der ohne jede Spur von geistiger Regsamkeit oder Eleganz ist und viel mehr welschen Einschlag aus dem Süden hinter Trient hat, als man denken sollte, trat mir selbstverständlich eine große Voreingenommenheit entgegen, gezeitigt in einer Stadt der Koterien, der herrschenden Kapläne, der Klöster, Stifte alten Hochmuts und weiblicher Unfreiheit im geistigen Sinn. Da lernte ich nun eine Enge kennen, gegen die war Graz Aufgeklärtheit höchsten Grads. Trotz Universität, Theater, trotz großer Bürgerschichten und Musikfreude in diesen Kreisen herrschte eine Gedankenfinsternis, oft überaus luftig; es staubte von Originalen. Das Selbstgefühl, hochentwickelt, schwieg nur im Beichtstuhl. Der Aberglauben blühte, der Umgangston war unformell derb, nicht Jedem angenehm, insbesondere weitgehende Witze verrieten alte Zusammenhänge mit der Bauernart, die unbedingt vorhanden sind.

Wie ist jede der Provinzen meines Vaterlandes so ganz eine Eigenart für sich. Die Finsterlinge von Linz glichen in nichts denen von Innsbruck, nur ihren Hochmut besaßen sie gemeinsam.

In dem einen Punkt da fanden sie sich, verstanden sie sich; jeder dieser Adelstypen hielt sich für den Vornehmsten Österreichs.

Maximilians des letzten Ritters kleine Burg liegt dem Saggen gegenüber am grünen Hang, mit einem wunderbaren Blick auf die Berge. Da träumt es sich schön von diesem Träumer, dem Gatten der Maria von Burgund, den Anastasius Grün unsterblich gemacht hat mit seinem Kunz von der Rosen, dem weisen Narren. Da hab ich oft gesessen und mir gedacht, wie gut heute noch dieses Innsbruck ins Mittelalter paßte, dessen Dämmerung friedlich über ihm lagerte. Im Bauerntheater, der später hoch aufblühenden Exlbühne, die damals noch kleiner war und ganz auf das Volk eingestellt, konnte man Stunden verleben, da lachte man sich gesund mit Herz und Seele. Sonntag nachmittags ging man besonders gerne hin. Da war es gerammelt voll von schweren Bauern, Mandern, Weibsen, Gitschen und Buam; Gestalten, die auf die festangelegten Bänke niederdröhnten, aufpaßten wie die Haftlmacher, mächtig schwitzten, brüllend lachten, schmerzerfüllt mitstöhnten. Die Weiblichkeiten mußten »so vül woan«, daß es ganz schrecklich war. Geschundene Märtyrer sahen sie besonders gern. Aber wehe dem Henkersknecht und dem grausamen Ritter in einem der beliebten, an blutrünstigem Gefühl und Schrecken reichen Trauerspiele, wie sie nur dort gegeben werden in ihrer Vollendung. Wehe dem, der als ein solcher unholder Ritterling in einem siebenten Akte sich an einer edlen Gestalt vergriff und auf sie losging! Da erhob sich im Zuschauerraum eine Riesengestalt. Das blau gewürfelte Schneuztuch ließ sie wedeln. »Halt Di' z'samm«, brüllte sie, »tua Di' z'samm halten, Du heuliger Mensch, dös wer ma' glei' haben! I kimm aufa und zoags dem Hundling, dem miserabligen Rittergstöll, daß er seine Boaner nacher z'sammasuachen muß!« Und setzte schon zum Sprung auf die Bühne an, so daß der Ritter reuevoll wurde und voll Schrecken sein Opfer los ließ.

Immer spielte dieses dankbare Publikum mit; liebte, starb, erholte sich wieder mit den Betroffenen, haßte wütend die Darsteller der niederträchtigen Charaktere, die es anpfiff, so oft sie erschienen und schmiß auch mit Gegenständen, wenn die Polizei grad nicht herschaute. Das war sowas!

Unter dem goldenen Dachl der alten Stadt träumte man sich den Herzog in kriegerischen Tagen, auf der Innbrücken sah man Landsknechtsscharen ziehen. Auf dem Berg Isel sang und klang es noch von den Freiheitskämpfen des tapferen Tirols, von eines Volkes großer Not. Der Waldfriedhof deckte Scharen von Toten, unendlich versöhnend; wilde Vögel nisteten auf den Gräbern dieser Ehrenreichen, die violett blühendes Immergrün umschlang; aus seinen Blättern blickten die Walderdbeeren.

Die Denksteine nannten Namen, erzählten Geschichten. Tiroler Adler, warum bist du so rot?



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