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Ein Kind des Kaisers.

Die persönliche Verantwortungslosigkeit, an der besonders die Bevorzugtesten der Erde immer gekrankt haben, zeitigt schwere Erlebnisse, finstere Bilder. Ich habe deren gesehen, sie sind mir haften geblieben. Ich zeichne hier in knappen Zügen ein Schicksal. Seine Trägerin lebt heute in der Steiermark im Armenhaus gänzlich verlassen, der härtesten Not preis gegeben. In ihren Adern fließt habsburgisches Blut und das Blut des österreichischen Volkes. Die Tragik ihres Geborenwerdens und vergeblichen Ringens um ein kleines Kind und Menschenrecht ist kein Geheimnis.

*

Therese Stiegmaier.

Ein Kind wird gefunden in kalter Mainacht bei dem Kloster, das in lichter Schönheit am Fuße herrlicher Berge liegt. Hier werden die Hofjagden jährlich abgehalten. Ein neugeborenes Kind von der Mutter weggelegt. Tagelang liegt es im Gemeindehaus, oberflächlich von einem trinksüchtigen und wenig gut beleumundeten, alten Weibe bewacht, das in der Ortschaft Hebamme ist, Leichenwäscherin und so weiter. Damit das kleine Geschöpf schweigt und sie wiederholt sich fortstehlen kann, stopft die schreckliche Alte ihm den landesüblichen Mohnbeutel in den Mund, der die Kinder dickkopfat macht, die Zahl der sogenannten Teppen im Steirerland reichlich vermehrte, wenigstens früher. Die Gemeinde fragt herum: Wer nimmt dieses Kind an? Leute kommen, sehen es sich an – Weiber. Es liegt auf dem harten Tisch dürftig und mager, des Notstands Verkörperung, häßlich durch eine auffallende hängende Lippe. Von seinem armen Gesichtchen gehen die Blicke unwillkürlich empor zu dem einzigen grellen Farbendruckbild, das neben dem Kreuz an der Wand hängt. Dem Bilde des Kaisers. Der ist stattlich, aber diese Lippe hat er auch. Charakteristisch für sein ganzes Haus ward sie durch Jahrhunderte. Bei dieser Neugeborenen ist sie unheimlich ausgeprägt.

Die Leute verstummen. Einige grinsende Blicke gehen hin und her. Dann ist das Geschöpf wieder allein. Es weht kalt herein zum offenen Fenster. Der Bürgermeister kommt und flucht: Wird ma denn das Bankert gar nit los? Wo bleibt die Christlichkeit? Und wieder kommen Leute und mit ihnen die alte brave Dorfnäherin mit ihrer welken Tochter, der Toni, der Handarbeitslehrerin. Die beschuldigen das Leichenweib, es ließe das Kind verkommen. Ein wüstes Geschrei entsteht. Da tut sich die Türe auf, eintritt der greise Prior vom Hochstift, der Pater De Angelis, der respektiert und gefürchtet wird. Er sieht das Kind auf dem harten Tisch an, er hört die Anklage, hört die Weiber keifen, ihn ekelt nicht vor Verwahrlosung, er faßt das Kleine sanft an, nimmt ihm den verfluchten Lutschbeutel aus dem wunden Mund, seine milden Augen funkeln: Wer ist dahier ein Christ? Wer darfs wagen, daß er sich so nennt, sagt er und sieht sich um unter den Keifenden. Der Bürgermeister duckt sich, das Kloster hat große Macht.

Einer von Euch muß dieses ärmste Kind aufnehmen! Es sind da Wohlhabende genug. Ich rufe eine christliche Frau und Mutter auf. Ich klopf an der Weiber Herz für ein Verlassenes.

Wo hör ich Antwort?

Es sind auf einmal recht Wenige mehr im Zimmer. Aber die alte Näherin steht da, die Ärmste in der Gemeinde.

In Gottes Nam', ich nehm das Kind, sagt sie leise. Verkommen solls net. In Gottes Nam! Der Bürgermeister hat ein hämisches Grinsen. Der Prior legt ihr das Kleine in den Arm. Und das Kloster wird was dafür tun, sagt er einfach. Er macht ein Segenszeichen über sie Beide.

Der alte Prior hat das Kind dann getauft, ihm seine Namen gegeben, Marie Therese. Patinnen waren die Pflegerinnen. Die Gemeinde hat nichts gegeben. Der Prior wohl, aber viel hats nicht sein können. Ein großer Brand hat Stift, Kirche und 20 Häuser arg geschädigt, furchtbare Not war überall, auch in dem neuen Heim der Marieresl. Die ganze Härte des Lebens in diesen Bergen, die im Sommer voll fremder Gäste, Glanz und Pracht, im Winter trostlos sind. Hunger und Frost sind um dieses Kind gewesen. Und doch hat die Gemeinde immer ein aufmerksames Auge darauf gehabt, eine Beihilfe versprochen, aber nie was gegeben. Wiederholt sind aus Wien vornehme Herren gekommen, haben den Findling besichtigt. Die Fremden stutzen später bei seinem Anblick, schaun sich um, flüstern.

Das Gesicht – jeder kennts – und staunt.

Einmal wird eine kleine Summe gegeben für das Mädchen. Seine Hüterinnen sehen keinen Pfennig davon. Aber es heißt, auf diese kleine Person soll gut geschaut werden, wenn sie ein Talent zeigt, wird man es ausbilden lassen. Sehr bald, in der unbekümmerten Roheit des Volkslebens, des hochmutgesättigten, selbstüberheblichen Kleinbürgertums, erfährt Marieresl, wer sie ist, mit Hohn und Verachtung: ›leicht machst mit deiner hängenden Goschen dein Glück, mir wärs gnua, weg von meine Kinder – du!‹

Nur der greise Prior, dessen Tage schon gezählt sind, aus dessen Händen die Macht gleitet, beschäftigt sich andauernd mit Marieresl. Er beobachtet ihr seltsames, unausgeglichenes Wesen, ihre Einfälle und Ruhelosigkeit, sie ist nicht vom schweren Schlag der Dorfkinder. Es ist das Blut, sie kommt aus einer anderen Welt, gezeichnet ist dieses ärmste Kind, sagt er trüb. Er schützt und unterrichtet sie – in der Schule ist sie bald die Erste. Voll Eifer und Talent. Da bekommt nach der Prüfung von Eltern anderer Schüler der Lehrer Verdruß, er sieht sie nicht mehr an. Die erste wirklich große Grausamkeit tritt in dieses Leben. Ihre Möglichkeiten müssen verkümmern.

Seltsames Kind! Wild, lustig und keck, tieftraurig, voll hilflosem Suchen, krank an Sehnsucht nach allem Schönen und Großen, hochfahrend, herrisch, voll Lebensungeduld. Hohe, lichte Räume, Bilder und Bücher, Klosterstille und Weihe beseligen dieses Gemüt, das alles Niedrige, alle Enge knirschend abwehrt. Seiner ersten Jahre Seligkeit wird der Klostergarten, werden die Stunden zu Füßen des Priors, der es unterrichtet, ihm zuspricht, es vorbereiten möchte auf sein Leben. Kind des Makels und der Höhe. Geht meine Mutter an mir vorbei – streift mich und ich kenne sie nicht? Geht mein Vater in Gold und Brokat, hat für mich kein warmes Mäntlein übrig? Mein Herrgott!

Den Prior trifft ein leichter Schlag – das Klosterscepter entsinkt seinen Händen. Als sein Nachfolger, jetzt noch sein Vertreter, wird ein junger schroffer Mann eingesetzt, ein Fanatiker, wie ungebildetes Volk ihn gerne sieht, halb mit Grausen, halb angelockt.

Ein Stadtmensch, nur von Theorien erzogen, menschenfremd der Pater Ottmar. Vorsteher, der Bundesjungfern Katechet, Musiklehrer. Jetzt schon Herr mit kaltem, leicht erregtem Zorn, in compromißlose Tugend eingepanzert. Ein Gerechter!? –

Und nun beginnts. Die Marieresl flüstert: »Er kann mich nicht leiden. In der Schul' hab' ich zu schweigen ein für alle mal. Abseits sitz ich, gefragt werd ich nimmer. Ich soll nichts lernen. Ich beschmutz' die ehrsame Klass'. Ich bin – die Sünd'. Der Pater überschattet mein Leben, er macht es tot und leer, eiskalt. Wenn ich mich einmal wieder zum De Angelis schleichen kann, paßt er mir auf. Wenn ihn der vermahnt, haßt er mich noch mehr. Nach dem Schuljahr beim Dankamt hab ich, der er seit Monaten 's Singen verboten hat, für eine Andere einspringen sollen, weil meine Stimm' so gut ist. Meine Stimm' ist eine Lebenshoffnung. Aber ich hab' zu singen kein Recht. Wehklagen nur soll ich und beten, nie dürft ich sogar eine rechte Nonn' werden, wollt' ich ins Kloster, bloß Laienschwester für niedrigste Arbeit kann ich sein. Nichts in mir darf hochkommen, was Glück und eine Aussicht sein könnt. Nach dem Gesang hat er mir einen Stoß geben aus der Kirchen hinaus. Dann bin ich lang gelegen und hab' fremde Anfäll' gehabt, Krämpfe, sagt der Gemeindedoktor. Wieso? Sie kommt doch nicht aus einem alten, degenerierten Geschlecht, oder doch? und lacht. Da hab ich mich gefürchtet vor mir selber. Der alte Prior verwarnt den Pater Ottmar und sagt ihm ernst: »Das ist ein Kind, dadrauf muß man besonderst schaun. Ihm helfen, ihm den Weg hinaus ebnen ins Leben. Das ist nicht nur Christenpflicht, daß seit Ihr dem Blut schuldig, das auch fließt in diesem Kind.« Da ist der Ottmar ganz verbissen vor Wut worden. Ich fürcht ihn so. Ich träum von ihm jede Nacht.«

Viel uneheliche Kinder gab es in der Gegend, für die bezahlten die jungen Väter, Bauernknechte und Hofsöhne. Für die Marieresl bezahlte niemand. Nicht Behörde, nicht Kirche noch Schule, nicht allgemeine Menschlichkeit sind für sie eingetreten. Ich sage es, wie es ist, ein wildes Kraut am Weg war sie. Und wieder kommt der Hof in diese Gegend. Da ziehen die vaterlosen ausgelassenen Dirndeln, die bei Empfang und Fest nicht mittun dürfen, der Marieresl die Tracht an und sie lauern mit ihr im Hochwald der kaiserlichen Equipage auf. Dann springen sie den Wagen an, stoßen sie vor, die einen Buschen Edelweiß und Almrosen trägt, auf das Trittbrett hart vor den Kaiser. Der sieht das kleine Mädchen entsetzt an, er sieht sein eigenes Gesicht, die historischen Merkzeichen seines Geschlechtes. Die Kavaliere sind einen Augenblick fassungslos. Dann stoßen sie den Balg hinunter, auch die Blumen fallen nieder. Der hohe Jäger zuckt zusammen – streckt die Hand aus, läßt sie wieder fallen. Sieht zweimal zurück, sein Fuß zertritt die Almrosen. Nicht absichtlich. Im dichtesten Busch liegt hingeschlagen die Kleine und zerbricht fast vor Weinen.

Marieresl schreibt auf.

Der Atem vergeht mir. Ich muß es aufschreiben. Seit ich aus der Schul' bin und nähen, – nähen, immer in der Stub' nähen muß, war alles in mir wie tot. Die Gödin liegt gelähmt, die Not bei uns ist schrecklich, die Toni ist auch immer siech. Und ich – ich näh. Da kommt eine Botschaft vom Stift: Es sind ein paar hundert Gulden von Wien gekommen für ein vierzehnjähriges, besonders armes und begabtes Kind. Dem soll sein Talent in einer guten Schul' in der Stadt fachmäßig ausgebildet werden. Singen oder so was. Der Prior, der dahinsterbende – der hat wohl gschrieben! In die Welt soll ich hinaus – wo keiner von dem Makel weiß – fort von der Höll hier – fort! Ich! O mein Gott. Tauf- und Schulzeugnis her – aufs Amt. Ich mit der Toni hin. Und dann ins Stift. – Da war der Pater Ottmar nicht da, verreist. Es ist alles glatt und schnell gangen. Mein Kofferl steht fertig gepackt in der Stuben. Ich bin ganz außer mir, ich darf was lernen und frei werden, in eine richtige Schul', mein Herz klopft Sturm, morgen, morgen gehts fort: Schlafen gibts net, spät in der Nacht sitz ich am Fenster. Morgen nachmittag gehts fort. – Drüben liegt das Stift. Hat der alte Herr es gewagt, hat er meinen Herrn Vater gemahnt, daß der sich erinnert und ein Leben errettet. – Im Stift gehen Lichter auf. Ein Wagen fährt bei uns vorbei, hinauf zum Kloster – ein Wagen von der Bahn. – Da – ist – einer – zurückkommen. – Mich friert auf einmal so. – Am nächsten Tag ganz früh steckt die Welber Lois ihrn Kopf zu unserer Tür herein: Daß ichs nur sag, die Marieresl därf sich nix einbilden – sie ist Abstrichen aus der Listen für die Grazer Schul'. Die Cilli vom Kranawett' kommt hin.

Ab fährt sie wieder. – Wir schauen uns an alle drei. – Dann sagt die arme Alt' in ihrem Bett. Ein saudumms Reden ist das. Dich habens doch g'meint – wenn sie's auch'n Kloster überlassen, 's letzte Wort, weil das so Brauch ist, aber's Kloster weiß'.

Wir verfallen in ein Schweigen. Ich hör mein Herz klopfen, ein Zittern wirft mich – ich gspürs, einer ist nah, einer kommt! Und da geht die Tür schon auf. Ja, da steht er, der Pater Ottmar, der mich gestrichen hat.

Er sagt sein »Gelobt sei Jesus Christus«. Zu antworten ist keins von uns imstande. Er kommt herein, steht vor mir, schaut mich an, ganz mild, schier traurig. Es hat sein müssen wie es ist, sagt er, die Marieresl muß hier bleiben im Volk. Muß in Armut, Demut und Niedrigkeit ihr Leben erfüllen. Nur Handarbeit machen darf sie in der Still. Es gilt die Rettung ihrer Seel'. Die ist schwer versucht, in ihrem Blut lauern Versuchungen und Sünden. Die wandelnde Sünde ist dieses arme Kind. Büßen muß es für seine Existenz in Tiefen und Enge. Wir sind ihm das schuldig, es dazu zu zwingen ist unsere heilige Pflicht. Die Marieres bleibt hier. Er nickt mir zu. Ich spür seinen Blick an mir hingehen, wie einen Biß. Er genießt meine Verzweiflung. Ich versteh's. Es ist für ihn ein großer Augenblick, auf den hat er gewartet, das Herrische in mir, das hat er immer gehaßt. Ich schlag die Augen auf, schau ihm in die Seinigen, bis er fahl wird, sie niederschlägt – sich umdreht – geht. – Dann schlag ich hin. Mein Leben ist aus.

Das andere Mädl ist fort in die Freiheit. Der Pater Ottmar ist durch eine große Predigt über mich berühmt geworden. Von weit her sind die Leut kommen, kommen wieder, ihn zu hören, wenn er voll Herz und Gemüt von dem ärmsten Kind redet in der Gemeinde, das er retten muß gegen seinen Wunsch und Willen, das er als Hirt und Führer liebend retten muß für eine selige Ewigkeit. Erniedrigen muß er mich, damit ich erhöhet werde! Es ist eine schwere Priesterpflicht, aber er führt sie durch. Er nimmt mir die Gelegenheit, den Fallstricken der Welt zu erliegen, er zwingt mir die Demut auf, die meine Pflicht und Schuldigkeit ist. Sein Herz blutet dabei. Betet mit mir für die Ärmste! Seine Stimme bricht, in der ganzen Kirche geht ein Weinen um. Diese wunderbare Predigt wird dann abgedruckt und verteilt. Ja, das wird ein rechter Prior, der bringt das Schwert! Er züchtiget, wen er lieb hat.

In hitzigem Fieber bin ich gelegen. Das ist jetzt lange her, Jahrzehnte. Aber damals war schon mein Leben aus und ich hab das auch gewußt. Die Tür ist zugfallen für immer. Der Weg nach oben war versperrt für alle Zeit.

Und da hab ich gelitten, was ein Mensch nur leidet. Und leid es immer wieder, werd es leiden bis zu meiner letzten Stund. Denn ich war heiß und voll Talent und herrenblütig, meine Gaben hätten mir ersetzt, was das Menschenrecht nicht gegeben hat. Blutrot gesehen hab ich Himmel und Erden. Umbringen wollen den Ottmar. Vielleicht hat eine Zeit der Wahnsinn in mir gespukt.

Da hab ich die Näherei hingeworfen, eines Tages bin ich fort, Bahnarbeiterin 'worden, ganz schwer, bis die Gödin mich wieder braucht hat. Da hab ich dann die Toni gepflegt und eingraben.

*

Bilder.

Eingegraben – ja. – Das Land war überschwemmt durch Wolkenbrüche am Bergrand in einer verfallenen Holzhütte, drinn keiner mehr wohnen wollte, lag diese Tote – die Arbeitslehrerin aus dem ärmsten Volk. Sie lag, lang ausgestreckt in ihrem schwarzen Sonntagskleid auf einem Holzschemel, einen Tannenzweig in der Hand, den die Marieresl mit Lebensgefahr aus den gurgelnden Fluten geholt und ein Kreuz auf der Brust. Das unbeugsame Kreuz in dessen Zeichen sie gelebt hatte. Sie war nicht alt, wie sie auch nie jung gewesen – zeitlos war sie – menschliches Leid dem nicht geholfen wird. Dessen Gebete nicht in die Höhen dringen. Erdenverdammt – eine von sehr Vielen für die niemand spricht. –

Und jetzt ist kein Sarg da, sie zu begraben – nichts. Kein Heller Geld! Wartend, starr unerbittlich, liegt sie da, sie harrt ihres letzten Rechtes, dieses ehrenwerten und anständig Begraben-Werdens, das einer der Gipfelpunkte solcher Existenzen ratlosen Dämmerns ist. –

Draußen Schritte. Leicht angetrunken wandert der Tischler vorbei, dessen Häuschen gesichert höher oben liegt. Er patscht durch das Wasser fluchend, brummend. Dann glotzt er zum Fenster herein.

Na? He! ist's alsdann endli' hin, der alte Schragn? Wirst froh sei'. Auf wann ist denn d' Leich? Da werds an Aufwand geben! Oder leicht net? Er lacht roh.

Die Marieresl kommt heran, sie faltet flehend die Hände: »Marhuber geh noch amal runter, i bitt Di', sags an, in der Pfarr und – Marhuber! Dir gehts ordentlich – sei a Christ, Du?

Mach ihr den Sarg, a ganz an einfachen Sarg. Sie hat sich mit Deine Dirndln recht plagt. Stift ihr den Sarg der Armen, hab a Mitleid! Und ruf'n Pfarrer!«

Der Marhuber glotzt sie weinselig an. Er schlägt sich klatschend auf den Bauch, dann brüllt er vor Lachen. Aber es liegt in diesem Gelächter ein böser Zorn.

»He? Was redst da daher? Sonst hast keine Schmerzen? Bin i Dei Fatsch?

Bist scho ganz verruckt Du, Urschn, Du kaiserliche? Du hangerte Goschn, Du! I werd Dir'n Bummerl machen – i! Zan Pfarrer renna! Da tua, i eahm an Gefallen. Da wollen d' Leut immer sterben,« sagt er nachher, »und nix bezahl'n!

Und a Sarg soll i Dir spendieren! – Du hast halt an kaiserlichen Größenwahn, den'st net los werdst. Du kannst so bleiben!«

Die Marieresl bricht in Tränen aus.

»Flennen? A was! Sei net a so blöd. Jetzt kimmts Wasser aufer. Na packst die Leich z'samm, tuasts in a Kisten aus Bretter und laßt es treiben, 's Wasser nimmts scho mit. Das koscht nix – und das is halt a so keman. Woaßt, Kaiserliche, ma muaß si helfen könna. Hilf D'r wiast kannst!«

Das rohe Gelächter verhallt.

Mit eigenen blutenden Händen nagelt dann die Verlassene den Sarg zusammen, bestattet die Tote. Sprengt Weihwasser auf das wilde Grab.

Wie sie einst als Kind unter den Mißhandlungen und Stößen sich dumpf gefragt: Warum passiert grad mir nix, daß es aus wird mit mir? Warum hab i an Schutzengel, i – die sich ihn nie verlangt hat? So steht sie jetzt, jener Fragen voll, die das Leben nie beantwortet, in ihrer Verlassenheit. Und die Wasser steigen um sie. – Sie hört sie gurgeln. Wär' sie nicht doch so gottesgläubig – sie spränge hinein und rettete sich endlich in ihnen vor den Menschen.

*

Ausklang.

Was dann noch? Schwere Brotarbeit für die Gemeinde. Unsägliche Arbeit und Einsamkeit, Hunger, Schläge, Verachtung, ein rasendes Aufbäumen gepeitscher Natur in der gefährlichen Anlage brauten neben des Volkes Wesenheit. Ein Ringen ohne Gleichen in seiner Enge, ein Rasen vor Sehnsucht, nach den Höhen, nach Schönheit, Güte, Licht. Und immer um sie diese herbe, nüchterne Roheit des Volkslebens, die nichts verschweigt, nichts erspart. Schließlich aus marterndem Liebessuchen eine Ehe im Volk, die Schlechteste nicht. Wie sie eben sein kann, hart verbrauchend, nur Reales fordernd, aber nichts Seelisches, das in dieser Natur gefangen lag und nach Erlösung schrie.

Es blieb ihr von fünf Kindern, die sie nicht aufzuziehen vermochte, ein heißgeliebter Sohn, ihrer eigenen Kindheit Bild. Wissensdurstig, strebsam, mit der Sehnsucht nach den Höhen. Sie sparte sich soviel vom Munde ab, trotz Spott und Drohung ihres Mannes, daß sie den Buben in eine Anstalt tun konnte. Eine jener Anstalten für das Volk, eine sogenannte Wohlfahrt, wo man viel verspricht, aber wenig hält und eigentlich nur schwerarbeitende junge Dienstboten sucht in der Maske von Schülern. Der Knabe wurde bald nunmehr zu den niedrigsten Arbeiten verwendet und endete im Hochgebirge als Ziegenhirt in Wetternacht. Er stürzte ab, als er den Weg verloren, angstvoll eines seiner Tiere suchend. Sein Schicksal war ein ungeheurer, staatlich gleichgültig hingekommener mitangesehener Betrug an einer armen Mutter, war Raub und Frevel an einer Begabung. Sie kam – suchte ihn – fand ihn zerschmettert, hungersblaß und hager, – Freun's Ihnen, jetzt ist er ein schöner Engel, – sprach salbungsvoll der Vorsteher. Er erschrak dann vor den Augen der Frau – drehte ihr den Rücken – ging. – Spuckte aus.

In jener Stunde starb in ihr das Letzte. Selbst ihrem Manne tat sie leid. Aber er wußte es nicht zu zeigen. Und ihre Verzweiflung blieb allein.

Es wäre noch Manches von Marieres zu erzählen, die ein besonderes Geschöpf aus gefährlichem Herrenblut gewesen ist, einer heißen Stunde entsprossen, mehr eines Vaters als einer Mutter Kind, kaiserliches Blut in Volkestiefen. Ein paar ganz besondere Züge weist dieses Leben überall auf. Kraft, immer aufs Neue quellende Liebe, Vornehmheit, die Irdisches, nicht, aber Geistiges verzehrend entbehrte, einen natürlichen Adel des Wesens. Alles was sie erlebte, verkehrte sich in Leid. Still möchte ich ein leises Wort noch sagen: Ich lege dieses Schicksal an das Herz der Welt. Vielleicht das ein oder das andere warme Menschenherz den Weg zu diesem armen Leben findet, das heute hindämmert, gänzlich preisgegeben, arbeitsunfähig geworden und allein, in sehr großer Not. Ich weiß den Weg zu Marieres zu weisen.



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