Julius Rodenberg
Die Grandidiers
Julius Rodenberg

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Der Oberst macht Visite bei Fräulein Huncks

Mit dem Glockenschlage zwölf trat der Oberst aus der Tür seines Hauses, völlig gerüstet zum Streit und nur noch mit den feinen Knöpfchen seiner Pariser Handschuhe beschäftigt. Die Reitgerte trug er unter dem Arm. »Sie brauchen sie nur zu sehen,« sagte er, »die Finsterlinge, Feiglinge und Feinde der Freiheit, so zittern sie schon!« Dabei nahm er die Gerte unter dem Arm fort, als er mit seinen Handschuhen in Ordnung war, und ließ sie durch die Luft pfeifen, indem er auf die Straße hinausschritt.

Roß, Hund und Bollermann blieben heute daheim; denn der Oberst befand sich sozusagen in vertraulicher Mission, für welche ein Aufzug in vollem Staat nicht geeignet war.

Die Sonne schien in die Friedrichstraße, und der Oberst liebte die Sonne. Er atmete die Empfindung des Frühlings ein, mitten in dieser langen und lärmenden Straße, die 108 übrigens an einem solchen Aprilmorgen etwas Frisches und Belebendes hat. Denn der Frühling übt eine solche Macht mit Farben und mit Tönen, daß auch das steinerne Herz einer Stadt davon leuchtet und klingt. Der Droschkenkutscher hat dann seinen Schafpelz abgelegt und die Droschke die Pracht ihres Innern geöffnet. Die Außenseite des Omnibus ist mit Menschen bedeckt, die fröhlich in das Gewühl hinunterschauen, und dieses selbst sieht bunter und heiterer aus. Die Damen zeigen sich in ihren neuen Frühlingstoiletten, die jungen Männer folgen, wenn auch nicht errötend, ihren Spuren, denn dafür ist man in der Stadt, in Berlin. Die Pflastersteine glänzen von einem feuchten Niederschlag; ein feiner Duft hängt über den Straßenfernen, die hohen Fenster der Magazine rechts und links blitzen und schimmern. Wo noch vor irgendeinem Haus auf dem Trottoir ein Bäumchen stehengeblieben ist, da fängt es an sich grün zu befiedern; vor den Türen der Blumenläden duften Flieder und sogar schon Rosen, die aus dem Treibhaus gekommen, und hoch aus manchem Dachfenster herab schmettert ein Fink, eine Drossel, ein Kanarienvogel, dessen Käfig im Freien hängt.

Der Oberst genoß das alles mit ganzer Seele; und voll von Friedens- und Frühlingsgedanken für die Zukunft, wenn er auch noch, gleich einem anderen in der Wilhelmstraße, als unvermeidlichen Durchgangspunkt den Krieg in der Brust trug, nahte er sich der Rosmarinstraße.

In dieser Straße mit dem poetischen Namen wohnte Fräulein Huncks. Zum Unglück für die Straße jedoch ist ihr Name das einzig Poetische an ihr, denn sie selber ist ein enges, unansehnliches Gäßchen. Es besteht, um die Wahrheit zu sagen, eigentlich nur aus den Hinterhäusern und Hofgebäuden der Linden, welche ihrerseits wieder die Aussicht haben auf die Hinterhäuser und Stallungen der Behrenstraße; was den ehrsamen Professor Bestvater wohl auch veranlaßt haben mochte, als Adresse auf seiner Visitenkarte eine Nummer unter den Linden anzugeben, und um den Schein aufrechtzuerhalten, sich auch manchmal des Eingangs von den Linden her zu bedienen, wenn es nämlich geschehen konnte, ohne daß der Portier es merkte. Denn dieser paßte gewaltig auf.

Der Oberst indessen reflektierte nicht auf die Linden. Er bog, als er so weit gekommen war, in die Rosmarinstraße ein 109 und stand bald vor dem Hause, welches er suchte. Dasselbe zeichnete sich durch ein verwittertes gelbes Ansehen aus, als ob es hier, an dieser besonderen Stelle von Berlin, immer regne. Vielleicht waren aus diesem Grunde sämtliche Fenster desselben mit grauleinenen Wettergardinen versehen, deren Ringe fortwährend klingelten, auch wenn die Luft noch so still war. Neben der grün angestrichenen Tür, an dem Hauspfosten, saß ein kleines weißes Porzellanschild mit der Inschrift: »Aurelie Huncks, Modistin, zweite Etage.« Die Haustür war übrigens nicht geschlossen, und der Oberst konnte daher ohne weiteres eintreten.

Über einen dunklen Flur mit allen möglichen leeren Kisten und Kasten, welche die Bewohner des Vorderhauses hier niederzulegen das Privileg besaßen oder sich anmaßten, gelangte der Oberst zu der Hintertreppe, und nicht ohne beträchtliches Gepolter, nachdem er die Landung derselben erreicht, fand er unter den verschiedenen Karten und Schildern, die hier an den Stubentüren saßen, dasjenige heraus, welches zum zweiten Male den Namen von »Aurelie Huncks, Modistin« zeigte, so daß über ihre Identität absolut kein Zweifel sein konnte. Ein Klingelzug hing daneben, mit einem so schrillen und vorwurfsvollen Stimmchen, daß der Oberst meinte, nachdem er ihn in Bewegung gesetzt, daß er etwas Unrechtes getan. Doch mußte es wohl das rechte gewesen sein, denn alsbald öffnete sich erst eine graue und dann eine weiße Tür, und hinter der weißen Tür stand Fräulein Aurelie Huncks.

Das Fräulein, wenn sie den Obersten erblickte, hatte das unbestimmte Gefühl, als ob Sturm in der Luft sei. Deshalb war ihr der Oberst auch immer willkommen, obwohl sie ihn im Grunde ihres Herzens nicht ausstehen konnte. Schwer zu sagen wäre freilich gewesen, für wen oder für was dieses Herz überhaupt jemals geschlagen hätte; denn eigentlich liebte sie niemand und nichts, außer einem kleinen, gemütlichen Zank, und ihr war nicht wohl auf der Welt, wenn sie nicht irgendeinen kleinen, nichtsnutzigen Plan verfolgen oder irgend jemand eine kleine Bosheit antun konnte.

»Schönen guten Morgen,« rief sie, die weiße Tür vor dem Obersten weit öffnend, »treten Sie näher! Seien Sie willkommen! Sie bringen gewiß die Miete, welche Frau Brandt mir noch vom vorigen Quartale schuldet!«

110 Der Oberst folgte der Einladung. Man kam direkt vom Flur in ein großes, ziemlich »schattiges« Zimmer (denn der Schatten der gegenüberstehenden Häuser fiel herein) mit drei Fenstern Front nach der Rosmarinstraße. Die Fensterbänke waren mit kleinen Holzgestellen bedeckt, an denen niedliche Damenhüte mit langen, breiten Seidenbändern, gelb oder rosa, schwebten. In der Mitte befanden sich Ständer von Mahagoniholz, deren weitausgebogene Messinghaken ganz mit Schleifen und Schleiern, mit allerliebsten Morgenhäubchen und graziösen Garnituren behängt waren. Eine Wand ward von Regalen eingenommen, in deren mannigfaltigen Schachteln sich die schönsten gemachten Blumen befanden; und gegenüber war ein Sofa mit rundem Tisch, auf welchem die neuesten Modezeitungen ausgebreitet lagen. Dieses Zimmer war mit einem Wort das Empfangs- und Anprobierzimmer für die Damen, welche das Putzgeschäft des Fräulein Aurelie Huncks patronisierten; aber es hatte die Unbequemlichkeit, auch zugleich das Durchgangszimmer für den Professor zu sein, der rechts davon seine Chambre garnie innehatte. Nur eine Tür trennte ihn von den Rosahüten des Nachbarzimmers, und es war eine gefährliche, eine verführerische Nachbarschaft für den Mann, auf welchen Fräulein Aurelie Huncks ihre Hoffnungen gesetzt hatte. Das Faktum war, daß es keinen anderen Durchgang für ihn gab als dieses Zimmer, welches, auch wenn keine hübschen Damen darin waren, ihn doch immer an sie erinnerte. Links davon waren die Gemächer von Fräulein Huncks, und in das vorderste derselben führte sie den Obersten.

»Nicht wahr,« rief sie in dem fröhlichen Humor, der ihr so besonders gut stand, »Sie bringen mir den rückständigen Mietsbetrag? Denn das kann ich Sie versichern, wenn diese Brandtschen Eheleute künftighin den Termin nicht innehalten, so lasse ich sie ganz erbarmungslos auf die Straße hinauswerfen. Ja, das tue ich!« bekräftigte sie, nachdem beide in die Stube getreten waren.

Sie dachte nicht daran. Wo in ganz Berlin hätte sie Mieter finden können wie diese? Mieter, die ihr so regelmäßig das Quartalsgeld schuldig geblieben wären und sich doch so geduldig von ihr dafür mißhandeln ließen? Nein, das Vergnügen, diese Leute zu quälen, oder eigentlich nur Frau Brandt, war das Geld wert. Denn Herr Brandt ließ sich 111 nicht quälen. Als der Philosoph, der er war, blieb er in dem Verschlag hinter der Treppe und war darin so vergnügt wie Diogenes in seiner Tonne. Fräulein Huncks hatte auch an Frau Brandt genug. Sie war, wie schon gesagt, in dieser Beziehung keine unbescheidene Natur. Aber Frau Brandt, an der konnte sie ihr Mütchen kühlen! Sie hätte sich's wahrhaftig Geld kosten lassen, um es so bequem zu haben.

»Setzen Sie sich,« sprach sie, indem sie nach dem Sofa hinwies und einen Tisch zurückschob, der vor demselben stand. Der Tisch war von allerlei leichten und seinen Stoffen wie von einer Wolke verhüllt, und die Mitte desselben nahm ein hölzerner Puppenkopf ein, dessen Wangen bleich geworden und dessen Hinterhaupt statt mit Haaren oder auch nur mit der Andeutung von Haaren mit einem Leder überzogen war, welches tief bis in die Stirn reichte. Das Gesicht des Puppenkopfes erhielt dadurch etwas Gedrücktes, Leidendes, was auch wohl zu begreifen war. Denn wenn Fräulein Huncks in übler Laune war, so ließ sie den Puppenkopf büßen, was andere ihr zugefügt, mißhandelte ihn, schlug ihn und ärgerte sich nur darüber, daß er sich alles gefallen ließ und immer dabei lächelte. Wenn er doch nur einmal hätte widersprechen, einmal nur sich hätte wehren wollen! Allein er tat es nicht, er lächelte. Und noch dazu fehlte ihm die Spitze der Nase, was seinem Lächeln etwas unaussprechlich Stupides gab.

Dieser Puppenkopf sah den Obersten beständig an, als letzterer sich auf dem Sofa niedergelassen hatte.

»Nein,« rief er, den knappen Handschuh glättend, »das Geld bringe ich Ihnen nicht; aber was ebenso gut ist, Sicherheit dafür. Solange ich in dem Hause wohne, hafte ich für den Betrag; und während der Zeit, daß ich auf Reisen bin, hat mein Vermögensverwalter Order, für Deckung zu sorgen. Was wollen Sie mehr? Reicht meine Bürgschaft nicht hin?«

»O ja,« sagte Fräulein Huncks, »durchaus. Ich möchte nur wissen, weswegen Sie sich für diese Brandtschen Eheleute so sehr interessieren. Es sind doch eigentlich recht lüderliche Leute, hergelaufene Leute, verkommene Leute – und besonders diese Frau Brandt!«

»Sie haben Unglück gehabt,« erwiderte der Oberst; »wir alle können Unglück haben. Aber das ist doch kein Grund, um ihnen unser Mitleid zu verweigern.

112 »Mitleid!« rief das Fräulein. »Mitleid mit dieser Frau Brandt? Ich habe kein Mitleid mit dieser Frau!«

»Sie tut, was sie kann, ist fleißig, arbeitet von früh bis spät –«

»Und trägt seidene Kleider!« warf Fräulein Huncks ein.

»Warum sollte sie nicht? Sie stehen ihr gut, und sie ist noch immer eine hübsche Frau,« sagte der Oberst.

»Sie scherzen!« rief Fräulein Huncks unwillig, ein paar Schritte zurückweichend in das Licht des Fensters. »Diese schwarzen polnischen Augen und dieser platte polnische Mund! Polnische Wirtschaft – sag' ich Ihnen, polnische Wirtschaft. Und das nennen Sie hübsch?«

»Nun,« versetzte der Oberst, »es gibt auch schöne Polinnen . . .« die Pause benutzend, in welcher Fräulein Huncks Atem schöpfte.

Doch diese war bald wieder so weit.

»Und diese Haltung!« rief sie, »wie diese Frau sich trägt! Alles hängt und bammelt an ihr herum . . .«

Dabei gab Fräulein Huncks sich einen Ruck und richtete sich in die Höhe, als ob sie zeigen wolle, was für eine Figur man haben und wie man sie halten müsse. »So!« rief sie und zog das Jäckchen von braunem Zeug, welches sie trug, ein wenig herunter und die entsprechende Seite des Kleides ein wenig herauf. Ohne dieses Jäckchen ließ das Fräulein sich vor Fremden niemals sehen, obwohl sie jedes andere weibliche Wesen lieber darin gesehen hätte. Denn, wenn der Leser es noch nicht bemerkt haben sollte: Fräulein Huncks war ein bißchen schief; aber wirklich nur ein ganz klein bißchen.

»Ja, ja,« sagte der Oberst mit einer galanten Handbewegung, »nicht alle Damen verstehen es, Toilette zu machen. Das ist eine Kunst wie jede andere; das will studiert sein.«

»Freilich,« erwiderte Fräulein Huncks, indem sie einen Stuhl vor den Tisch schob und dem Puppenkopf ein mit Blumen garniertes Hütchen aufsetzte.

»Und doch,« nahm der Oberst wieder das Wort, »ist es aller Achtung wert, wie diese Frau sich in die veränderte Lage gefunden hat! Sie war eine vornehme Dame zu ihrer Zeit, sie hat ein Gut gehabt . . .«

Jetzt aber war es mit der Geduld und mit der Arbeit des Fräulein Huncks zu Ende. »Was hat sie gehabt?« rief sie, den Puppenkopf auf den Tisch stoßend, daß das Hütchen ihm 113 nur noch schräg auf der einen Seite hing. Es gab ihm einen Ausdruck von Verwegenheit, welchen niemand in den sonst so bescheidenen Zügen gesucht haben würde. »Was ist sie gewesen?« fuhr Fräulein Huncks fort, »eine Dame? Eine schlumpige Person ist sie gewesen, die einen Maurergesellen geheiratet hat, weil sie nichts Besseres haben konnte, und zusammen haben sie dann das Bißchen vertan, was sie besaßen. Das war ihr Gut. Das hat sie gehabt, und das ist sie gewesen.«

Fräulein Huncks war außer sich; sie stemmte die Arme in die Seiten und warf dem Obersten einen Blick zu, welcher jeden anderen aus der Fassung gebracht haben würde. Doch er war nicht der Mann, sich einschüchtern zu lassen. Gegen die Pfeile der Liebe war seine Brust gefeit wie gegen die des Hasses.

»Fräulein Huncks!« rief er.

»Herr . . . Herr . . . Herr Oberst, Herr Scharf,« entgegnete sie; »wenn ich nur wüßte, welchen Namen ich Ihnen geben soll! Aber Sie nehmen es damit nicht so genau,« fügte sie spitz hinzu.

»Nein,« erwiderte der Oberst, welcher, wie gesagt, schußfest war;»durchaus nicht, Sie können es damit halten wie Sie wollen. Was ist ein Name? Klang und Schall! Schall und Klang! Unser Name und unsere Figur – die sind uns gegeben. Die kann man sich nicht machen. Aber was hindert uns, kleine Verbesserungen damit vorzunehmen?«

»Was wollen Sie damit sagen?« rief Fräulein Huncks, mühsam nach Fassung ringend, indem sie die Farbe wechselte.

»Nichts, was Sie nicht schon wüßten, mein Fräulein. Warum wollen Sie mich nicht Oberst nennen? Tun Sie mir doch den Gefallen! Ich habe zwar nicht das Glück, Ihrem Herzen so nahe zu stehen, wie ein gewisser anderer, den Sie Professor nennen . . .«

Fräulein Huncks atmete erleichtert auf. Es war also nur ihr Herz, auf welches der Oberst anspielte!

»Ich weiß,« lenkte sie ein, »daß Sie nicht ohne Vorurteil gegen den Professor sind. Sie mögen ihn nicht. Aber so sind die Männer! Es ist keine Generosität in ihnen; sie haben alle Fehler, und wenige von den Tugenden unseres Geschlechts – sie vermögen einander nicht anzuerkennen!«

»Sie tun mir unrecht, Fräulein Huncks. Ich schätze den Professor. Er ist ein liebenswürdiger, ein scharmanter, wo nicht ein unwiderstehlicher Mann!«

114 Die Augen des Fräuleins leuchteten auf.

»Wenn ich ein Gefühl gegen ihn nicht unterdrücken könnte,« fuhr der Oberst fort, »so würde es höchstens das der edelsten Eifersucht sein!«

Fräulein Huncks strahlte.

»Ja, mein Fräulein,« setzte der Oberst das interessante Thema fort, »er ist ein gefährlicher Mann. Ich wünsche mir keinen solchen Nebenbuhler wie der Professor. Sie hätten ihn gestern abend sehen sollen! Ich traf mit ihm in einer größeren Gesellschaft zusammen. Es waren Damen da, junge Damen, hübsche Damen, reizende Damen . . .«

Ein Schatten des Unmuts flog über des Fräuleins eben noch so heitere Stirn.

Arglos fuhr der Oberst fort: »Ich bin kein neidischer Mensch, Fräulein Huncks, was Sie in diesem Punkte auch über die Männer im allgemeinen denken mögen, aber ich bin ein Mensch. Und Zeuge zu sein, wie dieser Professor mit den Damen zu konversieren weiß – diese Leichtigkeit, diese Grazie, dieser anmutige Scherz, dieser bestechende Zauber –«

»Ach!« seufzte Fräulein Huncks, »ich kenne das!«

»Gegenwärtig sein zu müssen,« sprach der Oberst weiter, »wo dieser Mann seine Triumphe feiert – Fräulein Huncks, es ist beschämend! Wo er sich zeigt, ist er sofort der Mittelpunkt der Damenwelt.«

»Halten Sie ein!« fiel ihm Fräulein Huncks in die Rede.

»Diese halbgeöffneten rosigen Lippen seiner Zuhörerinnen zu sehen, wenn er das Glas erhebt, um in feurigen Versen das Lob der Frauen zu verkünden . . .«

»Ich will nichts mehr hören,« unterbrach ihn das Fräulein aufs neue, indem sie sich die Ohren zuhielt. Doch sie hörte darum nicht weniger gut.

»Oh,« sagte der Oberst, »diese Feste der Jugend, der Schönheit und der Liebe, deren unbestrittener Priester, Sänger und Held der glückliche Professor Bestvater ist!«

»Und mich läßt er zu Hause sitzen,« begann nun die unglückliche Putzmacherin, indem sie wild durch das Zimmer auf und ab schritt. »Mich läßt er allein in diesen nackten vier Wänden, mich läßt er arbeiten bis spät in die Nacht hinein, indessen er draußen schwärmt und zecht! Oh, meine Ahnung, meine Ahnung!«

Sie warf sich in einen Stuhl, dem Tisch gegenüber, und 115 das Gesicht mit beiden Händen bedeckend fing sie vor Zorn an zu weinen.

»Fassen Sie sich,« suchte der Oberst sie zu trösten. »Geben Sie dem treulosen Mann seine Freiheit zurück. Geben Sie Ihrem Geschlecht ein erhabenes Beispiel! Seien Sie groß!«

»Ich will aber nicht!« rief das Fräulein, indem sie aufsprang und dem Puppenkopf einen Schlag mitten ins Gesicht versetzte. »Wart, ich will dich lachen, wenn ich weine,« rief sie und gab ihm einen zweiten Schlag von solcher Heftigkeit, daß er rücklings auf den Tisch stürzte und alles, was an ihm saß, Seidenzeug, Blumen und Bänder, im Fallen zerknitterte. »Kommen Sie!« gebot Sie dann dem Obersten, »ich will Ihnen zeigen, was für ein Leben dieser Mensch führt.

Sie hatte die Tür zu dem Empfangs- und Anprobierzimmer geöffnet und schritt, vom Sporengeklirr des Obersten gefolgt, zwischen den Hut- und Kleiderstöcken hin, welche quer durch dasselbe eine Art von Avenue bildeten. Vor der gegenüberliegenden Tür angekommen, winkte sie dem Oberst, einen Augenblick stillezustehen, während sie das Ohr lauschend neigte. »Ich konnte mir's denken, sagte sie, die Hand auf die Klinke legend. »Er ist nicht zu Hause. Er ist jetzt fast gar nicht mehr zu Hause, außer spät nachts.« Damit gab sie der Tür einen Stoß, und beide waren nun im Zimmer des Professors.

Für den Tempel eines Priesters, Sängers und Helden war es ein wenig dürftig. Auch an den Maler erinnerte nichts mehr als eine gewisse malerische Unordnung, in der alles umherlag und umherstand. Aber ein Spiegel war da, das merkwürdigste Stück, was man in dieser Art sehen konnte, ein großer Ankleidespiegel, von oben bis unten ganz mit Einladungskarten bedeckt.

»Sehen Sie,« sagte Fräulein Huncks, indem sie mit dem Obersten vor diesen Spiegel trat, »das ist das Leben, welches er führt!«

Und nun begann sie einige von den gedruckten Karten zu lesen, welche alle ungefähr dasselbe Format und denselben Inhalt hatten, nur mit dem Unterschied von Dejeuner, Diner, Souper und Ball; alle hatten die Ehre, »ganz ergebenst einzuladen«, alle »baten um Antwort«, und alle konnten sicher sein, daß der Professor »Ja« sagen und zur bestimmten Stunde »gefälligst« da sein werde.

Den Fuß des Spiegels bildete ein blecherner Behälter, 116 in welchem ehemals Blumentöpfe gestanden hatten. Jetzt aber war er ganz angefüllt mit Champagnerkorken, auf deren inneren Seiten, neben dem Firmenstempel des Fabrikanten, der Professor mit Tinte genau verzeichnet hatte, an welchem Tage, in welchem Hause und bei welcher Gelegenheit der betreffende Kork »gesprungen« war.

»Das ist sein ganzes Vermögen,« rief das Fräulein wehklagend; »Champagnerstöpsel und Einladungskarten!« Und dann, nach einer Weile sich halb umwendend, um zu sehen, welchen Eindruck dieser Anblick auf den Obersten gemacht, setzte sie hinzu: »Was sagen Sie nun?«

»Nichts, mein Fräulein, was meine gute Meinung von dem Professor ändern könnte. Man muß nachsichtig sein gegen bevorzugte Naturen. Er ist ein Mann der Welt, ein Lebemann . . .«

»Ja,« rief das Fräulein unwillig, indem sie mit der geballten Rechten in die Linke schlug, »wenn die Welt nur wüßte, auf wessen Kosten er lebt . . . auf wessen Kosten!«

Das war der Punkt, auf welchen es dem Obersten ankam. Das Spiel stand gut. »Dieser Mann übt einen Zauber auf das Frauenherz,« sprach er; »das weibliche Geschlecht huldigt ihm; ich versichere Sie, Fräulein Huncks, die vornehmsten Damen unserer Stadt sind glücklich, wenn sie nur einen Blick von ihm erhaschen können.«

»Und was haben diese vornehmen Damen für ihn getan?« rief das Fräulein bitter. »Hier – hier – das ist alles, was er von ihnen hat –« und sie wies auf eine seltsame Dekoration von Kotillonorden, Sternen aus Flittergold, Etiketten von Knallbonbons und dergleichen, welche, wie mit einer Glorie, den Spiegel nach oben abschloß.

»Sie verkennen den idealen Zug, der darin liegt,« versetzte der Oberst. »Wie! Haben nicht auch unsere Minnesänger und Troubadours eine Schleife, einen Handschuh ihrer Dame bewahrt? Hat nicht ein König das Strumpfband seiner Geliebten aufgehoben? Ah, Fräulein Huncks, Fräulein Huncks – Sie haben mich vorhin einen Widersacher des Professors genannt; aber ich sehe, daß ich ihn gegen Sie verteidigen muß. Wie! Sie wollen einen Fehler finden an diesem Manne, welcher sich von der Poesie nährt wie der Schmetterling von dem Blütenstaub?«

»Poesie?« rief das Fräulein verächtlich, indem sie mit der 117 Hand auf einen Haufen Papiere wies, welchen der Professor in einem ledernen Hutfutteral aufbewahrte. »Nennen Sie das Poesie?«

Der Oberst näherte sich dem bezeichneten Behälter und sagte, nachdem er einen prüfenden Blick hineingeworfen: »Ich nenne das die Schattenseiten des Lebens.«

»Und ich nenne das Rechnungen,« erwiderte das Fräulein, indem sie ein Blatt nach dem anderen zornig auf den Tisch warf, »unbezahlte Rechnungen – Rechnungen vom Schuster, vom Schneider, vom Handschuhmacher, vom Hutmacher, vom Kaufmann, vom Krämer, vom Friseur, vom Barbier, vom Galanteriewarenhändler, von der Waschfrau – von der ganzen Welt.«

»Der arme Mann hat Schulden,« sagte der Oberst mit einem Seufzer.

»So viel,« versetzte die Modistin, »daß er sich nicht mehr auf der Straße blicken lassen darf, ohne von Lehrjungen verfolgt zu werden. Nicht einmal bei der Apfelfrau kann er vorbeigehen, ohn daß sich ein Auflauf bildet. Und wenn es noch das erstemal wäre! Aber schon zweimal – zweimal stand er so dicht wie jetzt vor der Pfändung – und nun sagen Sie mir, wo sind Ihre vornehmen Damen da gewesen? Mit Knallbonbons und Champagnerpfropfen läßt sich der Exekutor nicht abfertigen. Und wenn ich damals nicht . . .«

Sie schwieg. Aber ermunternd rief ihr der Oberst zu: »Sie hätten . . .?«

»Ja,« fuhr sie lebhaft fort, »ich habe! Ich habe seine Schulden bezahlt. Ich habe sie zweimal bezahlt!«

»Edle Seele!« rief der Oberst. »Aber Sie haben es doch gewiß nicht umsonst getan?« setzte er vertraulich hinzu.

Die Modistin errötete. »Nein,« sagte sie mit einigem Zögern, »er hat mir die Ehe versprochen.«

»Schriftlich?« inquirierte der rechtskundige Mann und Referendarius außer Dienst.

»Das gerade nicht,« versetzte Fräulein Huncks mit neuem Erröten; »aber feierlich, indem er die Hand aufs Herz legte . . .«

»Das hat keine Gültigkeit,« versetzte verächtlich der alte Jurist;»von der Hand auf dem Herzen steht nichts weder in den Pandekten noch im preußischen Landrecht. Aber lassen Sie sich's schriftlich von ihm geben, Fräulein Huncks, schriftlich, schwarz auf weiß.«

118 »Wenn er nun aber nicht will?«

»Oh, mein Fräulein, haben Sie nicht die Mittel in den Händen? Er muß!« Und unerbittlich wie die Göttin der Gerechtigkeit selber, der er einstmals in seinen Jugendjahren gehuldigt, deutete er auf das lederne Hutfutteral und die Schattenseiten des Lebens, die sich um dasselbe gruppiert hatten.

»Ja freilich,« sagte Fräulein Huncks seufzend, »der Exekutor läßt sich wieder sehen. Seit ein paar Tagen ist er zu jeder Stunde dagewesen, um ihm die Zahlungsmandate zu behändigen. Aber der schlaue Fuchs hat etwas gemerkt und ist seitdem immer unterwegs!«

»Und wann sind die Zahlungsmandate vollstreckbar?« erkundigte sich der Oberst weiter.

»Ich acht Tagen,« erwiderte das Fräulein, welches mit wunderbarer Gewandtheit von Finanzsachen auf Herzenssachen und von Herzenssachen auf Finanzsachen überzugehen verstand; »es wird zum Vollzug gebracht werden, wenn er innerhalb der acht Tage keine Deckung findet.«

»Und er findet keine?«

»Keine!« versetzte das Fräulein in einem Tone, der so unabänderlich klang wie das Dekret selber.

»Er hat Sie darum angegangen?«

»Er liegt mir unaufhörlich damit in den Ohren!«

»Seien Sie großmütig; erhören Sie ihn ein letztesmal. Aber lassen Sie sich's schriftlich geben, Fräulein Huncks. Und wenn Sie's schriftlich von ihm haben, dann –« und er zog das bewußte rote Notizbuch aus der Tasche, »dann sind Sie schon so gut wie verheiratet.«

»Ist es auch ganz gewiß?« rief das Fräulein und sah zu dem Obersten empor.

»Unumstößlich!« erwiderte der Oberst, nachdem er mit der Bleifeder einige Worte eingetragen. »Jetzt steht es in diesem Buche; und was in diesem Buche steht, das ist unumstößlich.« Worauf er es mit großer Zuversicht wieder in seine Brusttasche steckte.

Das Antlitz der Modistin strahlte vor Glück und vor Bosheit. »Oh, wie gut könnte der Mann es haben!« rief sie. »Er sollte häuslich werden, er sollte keine Schulden mehr machen, er sollte arbeiten lernen;« und sie streckte beide Hände weit von sich, als ob sie sagen wollte: Wenn ich ihn nur erst zwischen diesen zehn Fingern habe!

119 In diesem Augenblicke ließen sich schwere Schritte draußen auf dem Flur vernehmen. Das Fräulein erschrak heftig. »Es ist der Professor!« rief sie, indem sie mit der größten Hast die Rechnungen wieder in das Hutfutteral warf und den Oberst mit sich hinauszog. Ganz außer Atem wollte er im Ankleidezimmer zwischen den hübschen Damenhüten und Häubchen stehenbleiben. Aber das Fräulein gönnte ihm keine Ruhe. »Wenn er Sie hörte!« rief sie ängstlich, indem sie den Obersten durch ihr eigenes Gemach zur entgegengesetzten Türe drängte. »Wenn er eine Ahnung von unserer Unterredung hätte! Es wäre alles verloren!«

»Gut,« sagte der Oberst, »ich gehe. Aber lassen Sie sich's schriftlich geben – lassen Sie sich's schriftlich geben!«

»Sie werden mit mir zufrieden sein, flüsterte das Fräulein, die Türen geräuschlos öffnend, nachdem sie sich überzeugt hatte, daß der Gang frei sei.

Dann winkte sie dem Obersten, der schon draußen stand, er wußte nicht wie, noch ein verständnisvolles Lebewohl zu, und sein letzter Blick, während die Tür sich vorsichtig schloß, fiel auf den Puppenkopf, der wieder hochaufgerichtet in all seiner Stupidität still vor sich hinlächelte.

 


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