Julius Rodenberg
Die Grandidiers
Julius Rodenberg

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Herr Professor Bestvater in seinen Werken

Der Leser wird nun, ich schmeichle mir, die Bekanntschaft des Herrn George Grandidier insoweit gemacht haben, um zu begreifen, daß er ein vernünftiger und ein guter Mann war, solange man ihm nämlich seinen Willen tat; daß er aber, wenn ihm etwas gegen den Strich ging, wie die Hutmacher sagen, gewaltig zornig werden und dann Dinge zusammenbringen konnte, die für gewöhnlich nichts miteinander zu tun haben.

In diesem Sinne bitte ich auch seine letzte Äußerung zu nehmen, und auf keinen Fall daraus zu folgern, daß zwischen dem würdigen Professor Bestvater und der ehrbaren Frau Luise Dorothea Grandidier, geborenen Schnockel, ein unerlaubtes Verhältnis bestanden habe. Nein, »kein Engel war so rein«; der würde es mit Herrn Grandidier zu tun bekommen haben, der auch nur den leisesten Verdacht in bezug auf ihre Tugend gehegt hätte; ebensowenig als er dem Professor einen anderen Vorwurf machte als den, ein Maler zu sein. Aber die Nachsicht der Mutter, die für den Sohn immer Partei genommen und durch ihre Schwäche die Resultate seiner Erziehung vereitelt hatte, zusammen mit dem bösen Beispiel des Professors: die hatten ihn verdorben. Das stand nun fest, und das war die Bedeutung seiner Worte.

43 Der Professor war ein Maler, das litt keinen Zweifel. Wer ihn aber zum Professor gemacht, war weniger klar. Die Berliner Akademie der Künste gewiß nicht. Aber dennoch war der Titel für ihn mehr wert als alle seine Gemälde; denn von diesem Titel und der Kunst, freie Vorträge bei Tisch in gebundener oder ungebundener Rede zu halten, lebte der Mann. Er war seit Jahren schon eine gesuchte Person in gewissen Kreisen von Berlin, in denjenigen Häusern, welche reich geworden waren und Gastereien gaben, bei denen ein Mann mit einem Titel und der Gabe der Beredsamkeit geschmückt für unentbehrlich gehalten wurde. Man muß hierbei nicht an die Gründerperiode denken: die lag noch ungeboren in der Zeiten Schoße. Was an Reichtum damals in Berlin vorhanden, das war in solider Arbeit erworben und verdient, und die Spießbürger hielten es auch wacker fest. Die Schmäuse, welche sie zu bestimmten Zeiten einander gaben, hatten etwas Steifes und Zeremonielles; fingen, sowohl des Tags als Abends, zu guten Stunden an, hörten zu guten Stunden auf und wurden obendrein noch, wie gesagt, durch allerlei Kunstübungen verschönt, sei es durch Vorträge von Gedichten oder Liedern und Gesängen. Jeder dieser Kreise nannte demgemäß einen Künstler sein, und in dem des Herrn Grandidier glänzte »der Professor«.

Professor Bestvater wußte denn auch seine Bedeutung wohl zu schätzen; er tyrannisierte diese emporgekommenen Gewerbetreibenden, in deren mächtigen Gesellschafts- und noch mächtigeren Speisezimmern er die gebildete Welt, die Kunst und den Rang der höheren Stände vertrat. Er konnte sich daher auch manches erlauben, was, wenn es eine minder bevorzugte Persönlichkeit getan, den allgemeinen Unwillen erregt haben würde. Nicht nur griff er herzhaft zu, und besonders wenn die seltensten Leckerbissen umhergereicht wurden, sondern er nahm auch noch mit nach Hause. »Der Professor lädt ein!« sagte man dann; denn er machte kein Hehl mehr daraus, seitdem sein Publikum sich einmal daran gewöhnt hatte, und halbe Torten, Düten von Konfekt und Trauben verschwanden in den Taschen seines Frackes, welche dadurch eine vollständig beutelartige Form angenommen hatten. Er führte zu diesem Zweck auch immer einige Bogen Papier bei sich, die regelmäßig mit dem Dessert zum Vorschein kamen. Aber wenn er dann, an sein Champagnerglas 44 – welches immer leer war – klingelnd, sich erhob und mit jenem Lächeln um die aufgeworfenen Lippen begann: »Meine Damen und Herren! . . .« so war alles wieder gut. Man bewunderte in diesen anspruchslosen Kreisen seine gelungenen Bilder und Vergleiche, wenn es sich etwa darum handelte, ein junges Brautpaar zu fetieren oder die Ankunft eines neuen Weltbürgers zu begrüßen; niemals, unter keinen Umständen, vergaß er, der Hausfrau dabei zu gedenken, auch wenn sie direkt mit der Sache gar nichts zu tun hatte, indem er zum Beispiel, das Glas gegen Frau Grandidier neigend, in einem geheimnisvollen Flüstertone sprach:

»Der Perle holder Weiblichkeit,
Um die wir hier am Tisch gereiht,
Und deren Stirn so rein, so zart
Die Myrte mit dem Ölzweig paart.«

Oder wenn es dem anderen frohen Ereignis galt:

»Die lieblich wie der volle Mond
Am Sternenzelt der Liebe thront,
Und, ohne je sich zu vermindern,
Von ihrer Fülle schenkt den Kindern.«

Kein Wunder daher, daß eines dieser ansehnlichen Häuser das andere um den Besitz des Herrn Professor Bestvater beneidete, und Herr George Grandidier war nicht der Mann, sich ohne weiteres mit einer solchen Zierde der Gesellschaft zu überwerfen. Denn nicht nur hatte er sich so sehr an ihn gewöhnt, daß er ihn für unentbehrlich hielt, er fühlte sich ihm auch in gewisser Weise dafür verpflichtet, daß dieser, zu seiner Zeit, die Heirat zwischen Charlotte und dem Herrn Kanzleirat gestiftet hatte. Diesen zur Familie zu zählen, einen Mann, der so hoch in der Beamtenhierarchie des preußischen Staates stand und noch höher steigen konnte, schmeichelte dem Ehrgeiz und der Loyalität des Herrn Grandidier nicht wenig. Die Ehe hatte sich als eine glückliche erwiesen, war mit drei Knaben gesegnet worden, und wenn der Großpapa sich einen Hauptspaß machen wollte, so fragte er diese, was sie werden wollten. Worauf sie sich in eine Reihe stellten und sagten: »Auch Kanzleirat!«

Trotzdem hatte Herr Grandidier niemals eine besonders hohe Meinung von dem Professor Bestvater gehabt – weder von seiner Person, noch von seiner Kunst, noch von den Künstlern überhaupt. Ein Künstler war nach seinem 45 Begriff und seiner Erfahrung ein Mann, welcher niemals Geld und immer Schulden hat; ein Mann ohne sichtbaren Beruf und bürgerliche Nahrung – gut genug, um anderen ehrbaren Leuten, welche hart arbeiten müssen und es bezahlen können, in ihren Mußestunden und bei Tische Späße vorzumachen – sonst aber zu nichts weiter. Und ein solcher Mensch sollte sein Eduard werden, sein einziger Sohn – Grandidier junior! Das Blut stieg ihm zu Kopfe, wenn er nur daran dachte; und zu der Geringschätzung, welche er bisher für das Metier des Herrn Professors gehegt, gesellte sich eine Art gelinden Hasses, seitdem er sich gestehen mußte, daß das Beispiel dieses Mannes schuld an der Verirrung des Sohnes sei.

Und eigentlich, um die Wahrheit zu sagen, schmeichelte dieser Vorwurf dem Professor. Denn eine Zeit war gewesen, wo er nicht nur seinen Künstlerstolz – den, wie die Leser bemerkt haben werden, hatte er sich bewahrt – sondern auch seinen Künstlerehrgeiz gehabt; eine Zeit, wo er mit der ganzen Glut und Leidenschaft seines Herzens Bilder malte, besonders Schneelandschaften mit Mondbeleuchtung und Wasserfälle mit Abendrot, die er das Stück – je nach der Breite und Höhe des Goldrahmens – zu sechs, zu zehn, und wenn er – nämlich der Goldrahmen – drei Fuß hoch und vier Fuß breit war, zu zwanzig Talern verkaufte. Doch die Jugendideale fingen an mit den Jahren zu verblassen; man kann nicht ewig für sechs, zehn und zwanzig Taler die Natur in ihren höchsten Momenten darstellen und den Goldrahmen noch dazugeben. Bestvaters künstlerische Leistungen und Talente traten in den Hintergrund, um seinen sozialen mehr und mehr den Vorrang einzuräumen; aber ein Werk seines Pinsels, ein Gletscher mit Alpenglühen, hatte lange den Speisesaal in Herrn Grandidiers Hause geschmückt, und dieser Wasserfall war für den jüngsten Sprößling desselben verhängnisvoll geworden. Dies war wenigstens Herrn Grandidiers unumstößlich feste Meinung. In der Tat, oft in seinen jungen Jahren hatte der Knabe staunend vor diesem Gemälde gestanden, welches ihm, noch bevor er die Entdeckung des alten und des neuen Museums gemacht, die erste Idee von der bildenden Kunst gegeben und den brennenden Wunsch nach einem Tuschkasten eingeflößt hatte. Wehe jedoch der Mutter, als sie diesen unschuldigen Wunsch des Sohnes erfüllt; und o! – über den schlimmen Tag, als der 46 Vater den ganzen Zusammenhang durchschaut hatte! – Der Tuschkasten ward in die Spree geworfen, der Goldrahmen des Gletschers verbrannt und der Gletscher selber in die Rumpelkammer gebracht und dort unter einer Last schwerbepackter Kisten vergraben.

Aber das Unglück war einmal im Hause! Selbst unter den Kisten hatte der Junge das verwünschte Bild gefunden. Denn es war Herrn Grandidier klar, daß nur dieser Grund und kein anderer ihn heimlich auf den Boden gelockt, in seinem Trotz bestärkt und das unerhörte Wort: »Ich will ein Maler werden!« zur Folge gehabt hatte. An das andere Bild zu denken, an das kleine, liebliche Frauenbild, welches, wenn es jemals in seiner Erinnerung gewesen, längst daraus geschwunden war, fiel ihm nicht ein.

»Ich hätte diesen Chimborasso,« rief er in seinem Zorn –

»Bitte, bitte,« unterbrach ihn der anwesende Professor, »es war der Montblanc –«

»Meinetwegen auch; ich hätte ihn damals gleich aus der Welt schaffen sollen, wenn ich nur gewußt, wohin mit einem solchen Ding, das im Wasser obenauf schwimmt und für welches kein Feuerherd groß genug ist.«

Es war ein bitteres Wort für den Professor, allein er hatte sich schon andere Worte gefallen lassen müssen in diesem Hause.

»Was meinen Jungen betrifft,« fuhr Herr Grandidier fort, »mit dem werde ich kurzen Prozeß machen. Er ist einmal ein Gewaltskopf, dem man wieder mit Gewalt kommen muß.«

»Bei dem wirst du mit deinem kurzen Prozeß nicht viel ausrichten,« erwiderte die Frau. »Der ist von der französischen Kolonie!«

»Luise Dorothea,« rief Herr George Grandidier, »besinne dich, was du sprichst! Ich hoffe, du sagst nichts gegen die Kolonie!«

»Davor soll mich Gott bewahren,« erwiderte die Frau; »aber das wirst du doch nicht leugnen, daß ihr von der Kolonie alle zusammen etwas Besonderes an euch habt. Und so ist auch der Junge. Was der will, das will er, und das wird er auch erreichen. Wenn ich an deiner Stelle wäre, so würde ich ihn werden lassen, wozu er Lust hat. Es gibt ein Unglück – ich sag' es dir voraus, es gibt ein Unglück, wenn du ihn 47 zwingst, etwas anderes zu werden. Er ist stiller als du, aber das krause Haar hat er von dir.«

»Mein krauses Haar hat er?« rief ihr zürnender Gemahl, »so, mein krauses Haar? Das ist hübsch. Und was hat er denn von dir? Das Militärmaß und die blauen Augen – aber malen kannst du doch auch nicht!«

»Malen kann ich freilich nicht,« versetzte Frau Luise Dorothea, außerordentlich pikiert, daß ihr Gemahl jetzt so geringschätzig über gewisse persönliche Eigenschaften sprach, die er vor Jahren doch recht hübsch gefunden hatte, »das ist wahr, aber so 'nen Starrkopf wie du hab' ich auch nicht. Darauf kannst du dir was einbilden.«

Der kleine Mann ward ganz still und stumm, als er seine Gattin so tapfer Widerstand leisten sah; und der Professor glaubte den Augenblick gekommen, um auch ein Wort zu sagen.

»Das Malergeschäft ist so gut ein Geschäft wie jedes andere,« sprach er; »es nährt seinen Mann, wenn man es nur versteht!«

»Das kann man an Ihnen wohl sehen,« versetzte der wieder zu Worte Kommende höhnisch. »Sie sind ein lebendiges Beispiel dafür!«

»Herr!« rief der Professor gekränkt, »werden Sie nicht anzüglich!«

»Wem das Kleid paßt, der zieht es an,« warf Herr George Grandidier verächtlich hin.

»Ihre Frau hat aber recht,« suchte der Professor einzulenken, denn er fürchtete, schon zu weit gegangen zu sein. »Sie sollten sich freuen und Gott danken, eine so gescheite Frau zu haben!«

»So!« sagte der kleine Mann, welchem der Zorn das Gesicht noch röter färbte, als es für gewöhnlich schon war; »ich soll wohl vor dir niederknien und liebe Luise Dorothea sagen und feierlich Abbitte tun!«

»Nein!« erwiderte sie, »du sollst nur vernünftig sein und mit dem Kopf nicht durch die Wand rennen wollen. Unser Eduard ist ein Junge von sehr vielem Talent. Wenn du das gehörig ausbilden läßt, so wirst du und die Welt Freude davon haben. Ich halte gewiß viel von unserem Geschäft, denn ich bin darin groß geworden und habe mir nichts Besseres gewünscht, als daß unser Sohn es einst übernommen hätte. Aber mit Gewalt kann man doch keinen Menschen zwingen, Hüte zu machen.«

48 Jetzt aber richtete sich Herr George Grandidier zu der ganzen Höhe empor, die Gott ihm gegeben, und »Luise Dorothea!« rief er, indem er auf den Boden stampfte, »solange der Professor redet, bin ich stumm – stumm wie ein Fisch, denn er ist ein Mann, der von der Sache nichts versteht –«

»Bitte, noch einmal!« remonstrierte sanft der Professor.

»Wollen Sie mich wohl ausreden lassen?« schnitt Herr George Grandidier ihm das Wort ab. »Ob der was sagt oder nicht, ist mir gleichviel. Wenn du aber Unsinn schwatzest, dann wird es mir zu bunt. Denn du bist in der Profession aufgewachsen und kennst mich. Du weißt, daß ich mir nichts bieten lasse, am wenigsten von meinem Sohn; zum Hutmacher ist er bestimmt, und ein Hutmacher soll er werden.«

»Ich sage dir aber, wie ich meinen Sohn kenne, er wird kein Hutmacher, und wenn du so fortfährst, zu toben und zu wüten –«

»Du willst mir wohl das Wort verbieten, hier, in meinem eigenen Hause? So weit sind wir noch nicht – Madame, und ich sage dir, er wird ein Hutmacher, oder – sacre nom de Dieu!«

Wenn der alte Hugenott das Wort gebrauchte, so wußte Frau Luise Dorothea, was es zu bedeuten habe. »Grandidier!« beschwor sie ihn; und als das noch nicht verfing, schmeichelte sie: »Schorse!« Denn in solchen äußersten Momenten hörte er nicht mehr darauf, wenn sie Deutsch sprach; und sie glaubte dann, Französisch sprechen zu müssen.

Aber auch dieser Beweis der Zärtlichkeit war heute an ihm verschwendet.

»Ich heiße nicht Schorse!« rief er, »ich heiße George! George Grandidier, und was der will, das will er, und was der sagt, das tut er auch!«

Mit dieser Schlußbemerkung schlug er die Türe hinter sich zu, die beiden, die er als die Schuldigen an dem ganzen Unheil ansah, hinter sich zurücklassend, während er seinem Sohn, der im anstoßenden Zimmer gesessen hatte, als ob ihn die Angelegenheit wenig bekümmere, zurief: »Allons! Jetzt geht's in die Fabrik!«

Und in die Fabrik ging denn nun auch Eduard Grandidier wirklich, wie damals, als sein Vater ihn an den Ohren hineingezogen hatte, nur mit dem Unterschiede, daß er jetzt nicht 49 so bald wieder herauskam. Er tat seine Arbeit, diente sein Freiwilligenjahr, als die Zeit gekommen war, und erfüllte seine Pflicht in jeder Beziehung; aber zugleich ward er stiller, immer stiller, eine tiefe Melancholie bemächtigte sich seiner. Der Mutter brach fast das Herz, wenn sie ihn ansah, dem Vater war er eine Ursache immerwährenden Verdrusses, in den Familien seiner Schwestern fand er kein Verständnis. Eine Wolke von Mißstimmung lagerte sich über dem Hause Grandidier.

 


 << zurück weiter >>