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XIV

Am selben Tage gegen Abend ging eine kleine Schar Männer und Frauen von Favsingholm nach dem Waldhäuschen hinauf, um Torben Dihmer in den Sarg zu legen. In der kleinen Schlafstube, die nach den freien Feldern im Westen hinauslag, stand das Bett längs der innern Wand, so daß er während des Krankenlagers den Zug der Wolken am Himmel und das Hinabsinken der Abendsonne hatte verfolgen können.

Eines Tages hatte er zu Paul Gaardbo gesägt: »Solange der Wind im Westen steht, sterbe ich nicht. Von der Seite her ist mir stets Lebenserneuerung gebracht worden. Der Südost soll mir das Licht ausblasen. Das habe ich schon viele Jahre gefühlt.«

Am Tage vor seinem Tode hatte er von den ältesten Leuten des Gutes Abschied genommen und ihnen für ihre Treue gegen Favsingholm gedankt. Paul Gaardbo hatte er zuvor seine letzten Bestimmungen mitgeteilt, unter andern auch, daß seine Tagebücher – »meine rudolfinischen Tafeln«, wie er sie halbwegs spöttelnd nannte – in dem feuerfesten Gewölbe des Schlosses aufbewahrt werden sollten, in der Hoffnung, daß unter den künftigen Besitzern Favsingholms sich ein Kepler finden würde, dem sie zunutze kommen könnten.

Auch Meta hatte er Lebewohl gesagt, aber damals war er schon so schwach, daß er kaum sprechen konnte.

Im Todesaugenblick war nur Barbara bei ihm gewesen. So hatte er selbst es gewünscht. Die alte Person, bei der nichts von der Unruhe und dem Geräusch des Lebens zurückgeblieben, war schließlich die einzige, die er um sich haben wollte. Geräuschlos wie ein Geist saß sie an seinem Bett, als er nach einem kurzen Todeskampf hinüberschlief.

Nun hatte ihn die Alte auch eingekleidet. Er lag mit gebeugtem Kopf da, wie jemand, der sehr müde gewesen ist. Paul Gaardbo hielt eine kurze Rede, ehe die Leiche in den Sarg gebettet wurde. Meta legte eine Blume auf seine Brust, und dann wurde der Deckel zugeschraubt.

Gleich darauf fuhr man den Sarg nach Favsingholm hinab, wo die übrigen Bewohner des Gutes warteten, um ihm nach dem Favsinger Kirchhof das Geleite zu geben. Auf dem Fahrwege zog der Leichenzug durch den Wald. Es war ein dunkler Abend mit Regenschauern aus Südost. Voran ritten vier Knechte mit brennenden Fackeln. Nur ein schwarzes Tuch bedeckte den Sarg.

Zwei Tage später wurde der Zugang zu dem unterirdischen Gewölbe des Familienerbbegräbnisses verschlossen und die Öffnung wieder mit Erde zugeschüttet.

In diesen Tagen erhielt Meta ein paar sonderbare Briefe von Jytte, die ihr ihre Scheidung mitteilte und sie gleichzeitig um genaue Nachrichten über Dihmers letzte Lebenszeit, seinen Tod und sein Begräbnis bat. Über sich selbst schrieb sie, daß sie in ihr altes Heim zurückgezogen sei, wo sie von nun an ausschließlich für ihr Kind leben »und versuchen wolle, es liebzugewinnen«.

»Ich will mich bemühen, Dihmers Rat an dich zu befolgen, und den Kummer zu meinem Freund und Vertrauten machen. Vielleicht wird es mir gelingen. Vorläufig freue ich mich über die Stille hier in ›der alten Stube‹, wie Dihmer sie immer nannte. Ich nehme keinen Besuch an und lebe am liebsten in der Erinnerung an all das, was nicht mehr ist.«

Meta machte sich ihre eigenen Gedanken bei diesem Brief. Sie fing an, zu buchstabieren und zusammenzulegen und wurde schließlich ganz bange vor ihren eigenen Gedanken. In beiden Briefen hatte die Freundin geschrieben, daß, wenn alles gut ginge, sie zum Frühling hinüberkommen und sie auf Favsingholm besuchen wolle, und Meta gelobte sich selbst, daß sie dann offen fragen wolle, ob nicht einstmals ein vertraulicheres Freundschaftsverhältnis zwischen ihr und Dihmer bestanden habe, als sie beide hatten zugeben wollen.

Sie sollte jedoch keine Gelegenheit haben, diese Frage an Jytte zu stellen. Ein paar Monate später wurde sie durch ein Telegramm an ihr Sterbebett gerufen. Jytte hatte einem Sohn das Leben gegeben, und man glaubte, daß alles gut überstanden sei, als eine bösartige Nierenentzündung im Laufe von wenigen Tagen ihre Kräfte untergrub. Mit einer letzten Anstrengung bat sie die Freundin, sich ihres Kindes anzunehmen, um es zusammen mit den ihren zu erziehen, »damit ein richtiger Mensch aus ihm wird«. Als Meta das versprochen hatte, kam ein wenig Ruhe über sie, aber während der ganzen Zeit wollte sie ihre Hand in der ihren halten.

»Ja, nun sterbe ich, Meta!« flüsterte sie einmal. »Und dabei habe ich doch niemals gelebt.«

Die letzte Nacht phantasierte sie und nannte mehrmals Dihmer. Hauptsächlich aber sprach sie von »ihrer kleinen Mutter«, die sie tausendmal mehr geliebt hatte, als sie es verdiente. Das waren ungefähr ihre letzten Worte.


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