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IV

Am folgenden Tage wurden Jytte und Karsten darüber einig, ihre Verlobung zu veröffentlichen, sobald Jytte mit ihrer Mutter gesprochen hatte. Aber noch am Nachmittag hatte sie keinen Mut zu dem Geständnis gefaßt. Sie saß in der Dämmerung in ihrem eigenen Zimmer und ließ den Kopf schwer auf der Hand ruhen. Unten von der Straße her tönte das Geklingel der Straßenbahnen, und der Widerschein der Lichter da draußen flackerte unruhig an der Decke und den Wänden hin wie Irrlichter.

Der Tag war voller Glück gewesen. Trotz des Regens waren sie und Karsten anderthalb Stunde auf den gewohnten Wegen spazieren gegangen. Karsten hatte den Regenschirm über sie gehalten, und sie waren Arm in Arm gegangen, während sie wie andre Brautpaare bald scherzten und lachten, bald vernünftig über die gemeinsame Zukunft sprachen.

Und doch gab sie sich keinen Illusionen hin. Die Überzeugung, die seit ihrem siebzehnten Jahre in ihr Wurzel gefaßt hatte, daß, wenn sie sich der Liebe hingab, sie sich auch dem Unglück und dem Tode weihte – die war sie nicht losgeworden. Wieder und wieder sagte sie sich selbst, daß es töricht wäre, an ein ewigwährendes Glück zu glauben. Früher oder später würde es auch ihr beschieden sein, als zerzaustes Huhn dazusitzen und ihre Schande unter wohlerzogenen Mienen zu verbergen, oder sich zu Tode zu trauern im Schutz eines trotzigen Lachens, wie die arme Kitty. Aber sie tröstete sich damit, daß es nicht anders geworden sein würde, wenn sie sich in einen andern Mann als Karsten From verliebt hätte. Nicht einmal, wenn es Torben Dihmer gewesen wäre. In dem Fall würde nur sie selbst diejenige gewesen sein, die das Unglück durch ihren unmöglichen Sinn über sie beide herabgerufen hätte. Jetzt führte sie wenigstens keinen andern ins Verderben.

Ach, Torben Dihmer! Unter den Männern, von denen sie sich durch ein Mißverständnis auf dem Wege ihrem Schicksal entgegen hatte aufhalten lassen, war er der einzige, an den sie nicht ohne einen schmerzenden Stich im Herzen denken konnte, und doch wußte sie jetzt klarer denn je, daß sie ihn niemals geliebt hatte. In ihrer frühesten Jugend hatte sie für seine männliche Gestalt geschwärmt. Die Sicherheit, die stets in seiner Nähe über sie kam, die Aufrichtigkeit seines Händedruckes und die Wärme seiner Stimme hatten sie zur Verzweiflung darüber getrieben, daß sie ihn doch nicht so liebte, wie sie es gern wollte. Nie hatte sie sich an seiner Seite willenlos umspannt gefühlt von dem dunklen, wilden Zauber, der die Liebe war.

Aber trotz aller trüben Gedanken, die gleich Aasgeiern über ihrem Glück kreisten, mußte sie oft lächeln, wenn sie daran dachte, wie sie sich zuweilen hatte davor fürchten können, daß der blinde Trieb der Selbsthingebung, der das Glück oder das Unglück andrer Frauen schuf, in ihr schon verblüht sei, Samen geschossen hatte wie eine armselige, schwüle Neugier gegenüber dem großen Mysterium des Lebens. Vor nichts hatte sie sich mehr geängstigt, als daß sie ihre Tage als heiratstolle alte Jungfer enden könne, die gleich den Eunuchen, von denen man las, von einem Liebeshunger verzehrt wurde, der nie befriedigt werden konnte. Sie war in der Beziehung jetzt beruhigt. Jetzt wußte sie auch, was für eine Empfindung es war, in einem Kuß zu vergehen! ...

Plötzlich erhob sie den Kopf. Sie hörte die Mutter ins Wohnzimmer kommen und die Lampe anzünden.

»Arme kleine Mutter, die noch nichts weiß!«

Nach einer Weile erhob sie sich und ging hinein. Nur die rote Schirmlampe war angezündet. Die Mutter saß auf dem Sofa hinter dem Tisch. Gegen ihre Gewohnheit saß sie mit müßigen Händen, fast als ob sie dagesessen und auf die Unglücksbotschaft gewartet habe.

Als Jytte neben ihr niederglitt, wandte die Mutter das Gesicht nach ihr um mit einem fragenden Ausdruck, der ihren Herzschlag stocken machte.

»Mutter!« sagte sie und ergriff ihre Hand. »Ich habe dir etwas zu sagen. Ich weiß, es wird dich betrüben, aber es läßt sich nichts dabei machen. Ich habe mich mit Karsten From verlobt.«

Frau Berta starrte sie unverwandt mit ihrem eigentümlich erloschenen Blick an, ohne etwas zu sagen.

»Nimm es nur nicht so schwer, liebe Mutter! Du siehst ja, daß ich selbst froh bin. So küß mich doch und wünsche mir Glück!«

»Dann ist es also wahr?«

»Ja.«

»Willst du dich denn selbst ins Unglück stürzen, Kind? ... Aber es kann nicht wahr sein! Ein Mensch wie Karsten From –«

Jytte schloß den Mund der Mutter mit ihrer Hand.

»Ich weiß alles, was du sagen willst. Du kannst ihn nicht leiden, das hast du mir oft genug gesagt. Aber du kennst ihn nicht. Er ist ganz anders, wie du und alle glauben. Übrigens hast du früher einmal gesagt, du würdest mit jedem Schwiegersohn zufrieden sein, mit dem ich käme, wenn ich nur selbst glücklich wäre.«

»Wie lange, glaubst du, daß dies Glück währen wird?«

»Wie kann man das sagen? Wußtest du das so sicher, als du dich mit Vater verlobtest?«

»Ja.«

Jytte wandte sich ab und schwieg.

Frau Berta zog nun einen Brief aus der Tasche und glättete ihn.

»Lies das da! ... Ich erhielt es heute morgen.«

Der Brief, der mit verstellter Handschrift geschrieben war, duftete nach Verveine. Da stand:

Liebe Frau Geheimrat!

Ob Sie wohl wissen, worüber alle Welt redet, daß Ihre Tochter Karsten Froms Geliebte geworden ist? Ich gratuliere!

Eine Freundin.

Jytte war sich sofort klar darüber, daß der Brief von Frau Merck stammte, deren Parfüm sie außerdem wiedererkannte. Sie las den Brief mit heimlicher Wonne wie eine Siegesnachricht. Sie sagte sich selbst, daß diese Rache ihr erster Triumph über Karsten Froms Verderber war.

»Ich habe dir den Brief nicht zu lesen gegeben, weil ich dir mißtraue,« sagte die Mutter. »Aber ich fand, du solltest wissen, wie man über dich redet.«

»Ich habe dir schon früher gesagt, Mutter – ich kann mich nicht daran kehren, was die Leute sagen. Die Wahrheit ist es doch nie.«

Statt zu antworten, begann Frau Berta von Torben Dihmer zu reden. Sie fragte Jytte, ob sie wisse, daß er jeden Tag zurückerwartet werden könne.

»Aus welchem Grunde frägst du mich danach? Falls du dir Hoffnungen machst, Mutter, will ich dir doch sagen, daß sie völlig zwecklos sind.«

»Ach nein, – das sind sie wohl leider. Aber du sollst doch wissen, wie ich darüber denke. Ich glaube, daß du dich damals auf deine krankhafte Weise aus deiner Liebe zu einem guten und ehrlichen Manne, der dich liebte, herausgegrübelt hast, so wie du dich jetzt in dies Verhältnis zu einem ... einem Menschen hineinphantasiert hast, der dich nur mißbrauchen wird.«

»Mutter, jetzt, glaube ich, hören wir lieber auf! Ich sage dir, du kennst Karsten nicht, und deswegen beurteilst du ihn so, wie du es tust.«

»Nein, ich kenne ihn nicht, und ich sage dir, mein Kind, ich werde niemals Herrn From als meinen Schwiegersohn anerkennen.«

Jytte erhob sich.

»Ja, dann mußt du es sein lassen, Mutter!«

Sie trat ans Fenster, wo sie stehen blieb und in das Getriebe der jetzt ganz abendlichen Straßen hinabsah. Und es wurde totenstill in dem alten Zimmer mit den schweren Mahagonimöbeln, in denen sich das dunkelrote Lampenlicht trübselig spiegelte.

Endlich sagte Frau Berta:

»Einstmals hatte ich drei Kinder, Jytte! Wo Helge seine letzte Ruhestätte fand, weiß niemand von uns.

Aber Ebbe liegt mit Schande in seinem Grabe.«

Jytte wandte sich entsetzt ab.

»Mutter!«

»Ja, hier soll nichts ungesagt bleiben! Aber auch das sollst du wissen, daß ich mich selbst am meisten anklage, weil ich dir und deinen Brüdern eine schwache und schlechte Mutter gewesen bin ... Meine alte Großtante Christine hat recht bekommen. Ich wollte nicht mit Tränen säen. Nun ernte ich meine Strafe.«

Sie erhob sich mit Mühe und ging in ihr Zimmer. Jytte sah ihr mit einem schwermütigen Blick nach.


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