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Fünftes Buch. Die elfte Stunde

I

Früh am Morgen war der König von seinen Jagden auf Fünen nach Kopenhagen gekommen, und schon einige Stunden später konnte man auf den Anschlagzetteln in den Fenstern der Zeitungsbüros zwischen den Mitteilungen von einem Dachbrand auf Nörrebro und einem Juwelendiebstahl in der Svärtegade lesen, daß das Land einen neuen Kultusminister bekommen hatte.

Die Ernennung machte keinen weiteren Eindruck auf die Leute. Man blieb einen Augenblick stehen und merkte sich die Neuigkeit, so wie ein Kopenhagener im Laufe des Tages so viele gleichgültige Nachrichten aufschnappt und sie in der Rumpelkammer seines Gehirns aufspeichert. Propst Brobergs Name war den wenigsten bekannt, und noch weniger hatten irgendwelches Verständnis für die Bedeutung der Ernennung. Die Interessiertesten begnügten sich damit, ein wenig ärgerlich festzustellen, daß wieder einmal ein Mann aus der Provinz unter Tyrstrups Schutz in den Vordergrund geführt war.

Der Ministerpräsident war überhaupt nicht populär in der Hauptstadt. An seinem guten Willen zweifelte freilich niemand, aber man fand ihn langweilig. Vor dem Kopenhagener Bewußtsein stand er da als der klassische Vertreter der Sachkundschaft in ihrer abschreckendsten Gestalt. Wo er sich öffentlich zeigte, auf einer Rednertribüne, bei einer politischen Festtafel oder auch nur im Theater, erregte seine schwerfällige Gestalt und sein sorgenvoller Ausdruck Verlegenheit bei denen, die sich der früheren Führer der Partei, und namentlich Enslevs in den Tagen seiner Macht, erinnerten. Trotz Enslevs Kleinheit und seines kranken Fußes hatte sein Auftreten immer wie eine Fanfare gewirkt. Selbst seine gleichgültigsten Tischreden waren mit einer Bravour, einer Verschwendung an Witz und Kraft und Kunst gehalten, die die Zuhörer mit fortrissen. Auch Tyrstrups Privatleben war nicht der Art, daß es irgendwelches Aufsehen um seine Person schuf. Er lebte zurückgezogen in einer regelrechten Ehe, die, wie man sagte, sogar glücklich sein sollte. Auf alle Fälle hatte er dem Stadtklatsch nie auch nur eine einzige vergnügliche Stunde geschenkt.

Jägermeister Hagen, der gegen zwölf Uhr durch die innere Stadt geschlendert kam, frisch rasiert, rotwangig und munter, blieb ebenso wie die andern auf dem Bürgersteig stehen, um die Anschlagzettel in den Fenstern eines Zeitungsbüros zu studieren. Als er von der Ministerernennung las, nickte er wie zur offiziellen Bestätigung; im übrigen hatte er ebensowenig Verständnis davon, was sie bedeutete, wie die gaffende Menge. Er gehörte noch nicht zu den Eingeweihten. Sein Sitz im Folkething verlieh ihm vorläufig nur das Recht, vor den Zuschauern in den Logen und auf der Galerie aufzutreten. Höchstens erhielt er das Wort, wenn eine Sache ausdebattiert war und die Mitglieder im Schnapsthing saßen.

Er ging nun weiter, seinen Stock mit dem silbernen Knopf auf und dem Rücken, und genoß das schöne Wetter. Die Sonne schien, in den Bäumen vor der Heiligengeistkirche machten die Spatzen einen Spektakel, als sei von neuem Frühling geworden.

Auf dem Amagertorv begegnete ihm Generalkonsul Kolding, der, den Hut in der Hand, daherkam und seinen mit der Maschine geschorenen Simsonkopf von der Sonne bescheinen ließ. Der Generalkonsul blieb stehen und begleitete ihn eine Strecke, um Gelegenheit zu haben, ihm zu erzählen, daß die Broschüre seiner Frau »Die Wohlfahrt der Völker« jetzt ins Russische und Polnische übersetzt worden sei und kolossales Aufsehen in allen slawischen Ländern gemacht habe. Mitten in dem Gewimmel der Spaziergänger hielt er einen erläuternden Vortrag über Frau Nathaliens Bruch mit dem Wellerschen System, der wirklich in diesem Augenblick das Ereignis war, das das größte Aufsehen erregt hatte.

»Die Wellerschen Grundsätze mit ihrer Überanstrengung des Muskelgewebes und des Blutgefäßsystems haben unermeßlichen Schaden angerichtet. Das hat meine Frau unwiderruflich nachgewiesen. Wir geben ja jetzt unser eigenes Blatt heraus. ›Licht und Luft‹ haben wir als Motto darüber gesetzt, und damit ist im Grunde alles gesagt. Eine Rückkehr zu den Elementen. Nur auf dem Wege wird das große Wohlfahrtsproblem gelöst: Kraft, Gesundheit, Lebensfreude und Harmonie für die ganze Menschheit durch die einfachsten und natürlichsten Mittel.«

Da der Generalkonsul zufällig einige Probenummern des Blattes bei sich hatte, bat er den Jägermeister, sie zur Verteilung unter seine Freunde mitzunehmen. Der Name des Blattes war »Die Morgenröte«, und die vordere Seite war mit einem großen Bilde der prophetischen Dame geschmückt; sie war in griechischem Gewand in einer mystischen Beleuchtung dargestellt, die gleich einem himmlischen Verkündigungsschimmer über ihre ernsten Züge und die entblößten Schultern fiel.

»Ich weiß ja aus Erfahrung, wo der Schuh drückt,« fuhr der Generalkonsul fort. »Ehe ich meine Frau kennen lernte und in eine natürliche Lebensweise eingeführt wurde, war ich ein jammervolles Wrack. Ich fühlte mich immer krank und war so niedergeschlagen, daß ich buchstäblich eine Plage für meine Umgebung war. Und nun erwache ich jeden Morgan so frisch wie ein Vogel im grünen Wald.«

Der Jägermeister, der sich des Generalkonsuls aus seinen Jugendtagen als eines Riesenkörpers erinnerte, der immer von Gesundheit und Freude strahlte, zeigte sich als Diplomat und sagte nichts. Außerdem war er in diesem Augenblick von einer hübschen, brünetten Dame in Anspruch genommen, die in einem flotten Privatauto vorüberfuhr und selbst sehr kostbar ausgestattet war. Das Gesicht kam ihm merkwürdig bekannt vor. Es wollte ihm auch scheinen, als ob die Dame ihn im Vorüberfahren mit einem leichten Stutzen betrachtete. Da er sich aber nicht darauf besinnen konnte, wer sie war, vergaß er sie schnell über die vielen andern Gesichter der Straße.

»Ich will Ihnen aufrichtig empfehlen, einen Versuch zu machen, Herr Jägermeister. Es ist ja kein großes Opfer. Des Morgens und des Abends ein vier Minuten kaltes Fußbad. Einigemal im Laufe des Tages die Nathalie-Koldingschen Atemübungen mit nachfolgenden Bein- und Armstreckungen. Weiter ist es im Grunde nichts. Aber die Wirkung!... Ich wollte, Sie könnten mein seelisches und körperliches Wohlsein nur eine einzige Stunde empfinden, dann würden Sie sofort morgen früh beginnen. Der Pulsschlag wird voll und kräftig wie bei einem Zwanzigjährigen. Schlaf, Appetit, Verdauung und Stoffwechsel vollkommen normal. Sie sollten nur die Abführung sehen!«

In seinem Eifer rief der Generalkonsul das letzte Wort so laut, daß sich die Leute erschreckt umdrehten und starrten. Aber nun hatte der Jägermeister auch genug von ihm und verabschiedete sich hastig.

Er befand sich auf dem Wege zu seiner Tante in der Dronningens Tvärgade, um Jytte zu holen. Er traf die Tante allein im Wohnzimmer, worüber er gerade nicht sehr erbaut war. Sie ihrerseits äußerte auch keine übertriebene Freude bei seinem Anblick.

Sie saß auf dem Sofa mit ihrem Strickzeug, das mehr und mehr die Zeitungen abgelöst hatte, mit denen man sie früher zu sehen gewohnt war. Sie konnte ihrem Neffen den Verkauf von Storeholt nicht verzeihen. Seit das alte Gut ihrer Familie in fremden Besitz gelangt war, hatte sie ein Gefühl, als seien ihre liebsten Gedanken und glücklichsten Erinnerungen hier in der Welt obdachlos geworden.

Der Jägermeister begann von seiner Begegnung mit dem Generalkonsul und der traurigen Geistesverfassung zu reden, in der er ihn angetroffen hatte.

»Obwohl ich ihm versicherte, daß ich mich ohne irgendwelches regulierendes System für meine Lebensführung außerordentlich wohlfühle, entging ich einer längeren Predigt nicht. Ich höre, daß er jetzt obendrein sein Geschäft verkauft hat, um sich ganz den Ideen seiner Frau zu widmen. Das ist zum Lachen und zum Weinen. Ein altes, angesehenes Handelshaus aufzugeben, um Straßenmissionar für solchen Blödsinn zu werden! Wie kann ein gebildeter Mann sich nur so lächerlich machen!«

»Bleibst du zum Frühstück hier?« unterbrach ihn Frau Berta, um sich nicht zu einer scharfen Entgegnung hinreißen zu lassen.

»Ja, hat Jytte das nicht gesagt? Es war doch eine Verabredung.«

»Habt ihr denn etwas vor?«

»Dann weißt du das wohl auch nicht! Ja, ich machte ihr den Vorschlag, mit mir zu Karsten From zu gehen. Er malt nämlich mein Bild und hat ein paar Entwürfe gemacht. Nun will mir Jytte helfen, eine Entscheidung zu treffen.«

Frau Berta hatte ihre Stricknadeln angehalten.

»Das kann Jytte nicht gesagt haben. Du mußt dich irren, John!«

Im selben Augenblick kam Jytte aus ihrem Zimmer nebenan herein. Sie hatte den Vetter sehr wohl kommen hören, aber sie war damals mitten beim Umkleiden gewesen. Jetzt sah sie auf den ersten Blick, daß John schon aus der Schule geplaudert hatte.

»Was habt ihr nur?... Ihr seht so feierlich aus.«

»Sage mir doch,« begann die Mutter, »es kann doch nicht möglich sein, was mir John hier erzählt, daß du daran denkst, Herrn From einen Besuch zu machen? John muß dich mißverstanden haben, nicht wahr?«

Jytte hatte sich in Wirklichkeit den Gedanken ganz aus dem Kopf geschlagen, aber der Ton der Mutter kränkte sie.

»Warum nur, wenn ich John einen Gefallen damit tun kann?«

»Ja, was hast du eigentlich gegen From?« fragte der Jägermeister. »Ich habe es schon früher bemerkt, Tante Berta, daß du ihn nicht magst. Er hat ja sicher seine Schrullen, aber ein genialer Künstler kann nun einmal kein Normalmensch sein. Ich finde sogar, daß From weit mehr Auftreten und Bildung besitzt als die meisten von dieser Art Leuten. Hättest du ihn gestern abend gesehen, so wärest du ganz von ihm bezaubert gewesen, Tante Berta, so fein und gedämpft und taktvoll kann er wirklich sein.«

Frau Berta, die kein Auge von Jytte gewandt hatte, sagte nun: »Also Herr From war gestern abend mit euch zusammen! Davon hast du auch kein Wort gesagt.«

»Dann habe ich es vergessen. Oder ich habe wohl gedacht, daß es dich nicht interessieren könnte,« antwortete Jytte und trat an das Fenster, wo sie stehen blieb und hinaussah. »Aber um von etwas anderem zu reden... Wollen wir nicht bald essen, ich bin schrecklich hungrig.«

Der Jägermeister erhob sich. Höflich, zugeknöpft, streng formell. Er erklärte, daß er nicht stören wolle. Wenn sie ihn nicht erwartet hätten, finde er es am richtigsten, daß er wie gewöhnlich sein Frühstück im Reichstag einnehme, wo er außerdem gerne einen Parteigenossen treffen wolle.

Frau Berta machte keinen Versuch, ihn zu überreden. Sie wünschte im Gegenteil, mit ihrer Tochter allein zu sein.

»Wie du willst, John!« sagte sie nur.

»Dann komme ich in einer Stunde zurück und hole dich, Jytte. Einverstanden?«

Jytte antwortete ja, weil sie fühlte, daß eine Ablehnung den Verdacht der Mutter nur steigern würde. Aber ihr Ton war gleichgültig.

Nachdem der Jägermeister gegangen war, herrschte ein kurzes Schweigen zwischen Mutter und Tochter.

»Weißt du, Jytte, daß der Mann, den du jetzt also besuchen willst, in dem Rufe steht, einer der schlimmsten Schürzenjäger Kopenhagens zu sein?«

»Ich glaube, es gehört zu haben,« sagte Jytte vom Fenster her. »Aber weswegen erzählst du mir das eigentlich? Daß ich zusammen mit meinem Vetter zu einem Maler gehe, um ein Bild zu sehen, – was hat das mit den Frauenzimmergeschichten des Mannes zu tun?«

»Ach ja – ein wenig doch wohl! Aber hast du ganz vergessen, was du einmal seinen Banditenüberfall auf offener Straße nanntest?«

»Darüber haben wir ja schon früher gesprochen, Mutter!« antwortete Jytte ungeduldig. »Ich habe dir gesagt, daß ich seine Absicht wohl mißverstanden habe. Das Ganze war nicht so ernst zu nehmen. Wenn ich dahin gehe, so geschieht es lediglich, um John einen Gefallen zu tun. Was Hinz und Kunz darüber zu denken belieben, ist mir wirklich völlig gleichgültig.«

»Warum erregst du dich denn so? ... Es ist dir gleichgültig, was die Leute sagen. Aber vielleicht wirst du doch ein wenig auf das Rücksicht nehmen, was deine Mutter denkt. Und ich bitte dich, von diesem Besuch Abstand zu nehmen. Du bist gestern abend spät ins Bett gekommen und hast den ganzen Vormittag Besorgungen gemacht. Jetzt bedarfst du sicher ein wenig der Ruhe.«

»Wie wunderlich du bist, Mutter! Früher ließest du mich immer hören, ich sei sonderbar, weil ich mein Klavier meinen Freundinnen vorzog, und nun wirfst du mir vor, daß ich vergnügungssüchtig geworden bin und mich immer unterwegs befinde. Im Sommer, in Skagen, warst du auch unzufrieden mit mir. Es ist wirklich nicht leicht, es dir recht zu machen.«

»Das ist Unsinn, Jytte! Ich werfe dir ja nicht vor, daß du Gesellschaft suchst, aber diese ausgelassenen Schauspieler und Künstler, mit denen du dich in Skagen einließest, oder die Leute, mit denen John dich jetzt zusammenführt – sage mir doch, findest du wirklich, daß das eine passende Gesellschaft für dich ist?«

Jytte zuckte die Achseln.

»Das sind Leute, die das Leben nicht feierlicher nehmen, als es das verdient. Darum gefallen sie mir.«

Es entstand wieder eine Pause.

Frau Berta wollte antworten, gab es aber auf. Jedesmal, wenn sie in der letzten Zeit versuchte, ernsthaft mit Jytte zu reden, war sie entsetzt über sie gewesen. Es war dieselbe unheimliche Fassung, mit der ihr Bruder Ebbe seinem Untergang entgegengegangen war. Es war dieselbe unglaubliche Lebensgleichgültigkeit, dasselbe schamlose Selbstaufgeben! Ebenso wie Ebbe, amüsierte sie sich gern, kam sie aber aus dem Theater oder von Sportplätzen nach Hause, so fand sie alles so dumm. Sie, die einstmals so lesebegierig gewesen war, öffnete jetzt niemals ein Buch, guckte höchstens in einen Revolverroman schlimmster Sorte, um einen Abend totzuschlagen. Es war fast nicht zu verstehen, daß dies dieselbe Jytte war, die schon als Backfisch große wissenschaftliche Werke aus den Bibliotheken nach Hause geschleppt und mit den Fingern in den Ohren dagesessen und Sören Kierkegaard gelesen hatte. – Was während des Besuches in Storeholt diesen Sommer zwischen ihr und Pastor Gaardbo vorgegangen sein mochte, hatte sie nicht erfahren, aber gerade weil Jytte ihn nie erwähnte und überhaupt niemals von diesem Besuch sprach, wurde sie immer mehr in ihrer Überzeugung bestärkt, daß sie etwas zu verbergen hatte.

Jytte wandte sich jetzt vom Fenster ab und fragte wieder, ob sie denn nicht essen könnten. Aber Frau Berta hatte noch nicht das letzte Wort gesagt.

»Du hast ja gehört, daß ich dich bat, von diesem Besuch zu Hause zu bleiben, aber ich habe keine Antwort erhalten. Jetzt verlange ich, daß du nicht dorthin gehst. Ja, du siehst mich an, aber es ist meine Meinung. Ich verbiete dir, zu Karsten From zu gehen. Jetzt soll es endlich ein Ende haben mit diesem unverantwortlichen Spielen mit dir selbst – und anderen.«

Jytte konnte nicht antworten. Das Mädchen öffnete im selben Augenblick die Tür zum Eßzimmer und meldete, daß angerichtet sei.

Während der Mahlzeit sprachen sie nur so viel zusammen, wie aus Rücksicht auf die Anwesenheit des Mädchens erforderlich war. Und als sie gegessen hatten, ging Jytte sofort in ihr Zimmer.

Sie setzte sich in ihren großen Stuhl und nahm ein Buch mit koloriertem Umschlag, »Angelika mit den Tigeraugen«, um ihre Gedanken loszuwerden. Aber sie legte es gleich wieder hin und lehnte den Kopf mit halbgeschlossenen Augen zurück. Daß nun auch ihre eigene Mutter dasaß und sie bewachte wie ein Polizeispion, ihre Gedanken belauerte und anfing, ein Verhör abzuhalten! Und was war ihr Verbrechen? Daß sie nicht das Glück gehabt hatte, den »Zwillingsbruder« der Seele zu finden, von dem ihr Vater damals an ihrem sechzehnten Geburtstag zu ihr geredet hatte. Sie fühlte sich so herzlich müde von dem allem, hatte nur den einzigen Wunsch, sich von dem ganzen Dasein wegschlafen zu können ...

Es schellte, und gleich darauf hörte sie die Stimme des Vetters im Wohnzimmer. Sie erhob sich jedoch nicht sofort, sondern blieb mit zurückgelehntem Kopf sitzen und dachte, daß die Mutter auf alle Fälle erreicht habe, daß sie nun selbst jede Lust zu diesem Atelierbesuch verloren hatte.

»Wenn Mutter nicht mit diesem kränkenden Verbot gekommen wäre, hätte ich mich ihr so gut fügen und zu Hause bleiben können. Aber nun hat sie es selbst unmöglich gemacht. Mutter muß doch endlich einmal verstehen, daß ich mich nicht unmündig machen lassen will. Und was Herrn From betrifft, will ich schon dafür sorgen, daß er den Besuch nicht mißversteht.«

Der Jägermeister stand im Wohnzimmer mit Überrock, spiegelblanken Augen und glühender Röte auf den Wangen nach einem gediegenen Frühstück. Er unterhielt Frau Berta über die Ministerernennung, die in den Wandelgängen des Reichstags lebhaft beredet worden war, überbrachte einen Gruß von Direktor Zaun, der ihm zweimal auf der Straße und einmal auf der Treppe des Reichstags begegnet war, und sprach sich endlich über das Wetter aus.

Immer höflich, zugeknöpft, streng formell.

Jetzt kam Jytte vollständig angekleidet in Hut und Jacke herein. Sie vermied es, die Mutter anzusehen, sagte nur, indem sie schnell durch das Zimmer ging:

»Dann gehen wir also, John!«

Frau Berta folgte ihr mit den Augen. Sie wollte nicht glauben, daß es Ernst sei. Als sich die Tür hinter ihnen schloß, ließ sie ratlos die Hände in den Schoß sinken.


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