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IV

An einem sonnigen Tage Anfang Januar fuhren Jytte und ihr Verlobter nach dem Rathaus. Als sie eine halbe Stunde später wieder herauskamen, waren sie vermählt. In dem schönen Wetter fuhren sie nach dem Frederiksberger Garten hinaus, wo sie frühstückten. Am nächsten Tage wollten sie nach Italien reisen und bis auf weiteres in Gargnano, einer kleinen Stadt am Gardasee, wohnen, in die sich Jytte auf ihrer ersten Reise nach Italien verliebt, und die sie sich schon damals zum Liebesversteck für ihre Flitterwochen ausersehen hatte.

Im übrigen hatten sie eine Wohnung in Grönningen gemietet. Da sie aber den ganzen Winter fortbleiben wollten, hatten sie noch keinen Haushalt eingerichtet.

Sie waren beide gleich ungeduldig gewesen, alles für die Hochzeit zu ordnen. Für Jyttes Person hatte dies seinen Grund namentlich in ihrem Verhältnis zu der Mutter gehabt, das ihr jeden Tag daheim zur Qual machte. Aber auch die mehr oder weniger zudringliche Empörung oder das lächelnde Mitleid, das ihr von den meisten ihrer Bekannten erwiesen wurde, hatte ihr das Leben in der Stadt unerträglich gemacht. Und dann war da außerdem dies ganze politische Treiben, an dem sowohl sie als auch Karsten keinen Anteil nahmen, diese unfaßliche Erregung, die sie das ganze Leben hindurch verfolgte und ihr schon in der Kindheit ein Gefühl der Verlassenheit gegeben hatte.

Noch einen andern Grund hatte sie, sich fortzusehnen, einen Grund, den sie niemand anvertraute, auch Karsten nicht. Obwohl sie mit Bestimmtheit wußte, daß Torben Dihmer abgereist war, erblickte sie ihn überall, und wenn sie sich auch schnell von ihrem Irrtum überzeugte, so versetzte sie dies doch in schlechte Laune.

In dem Verhältnis zu der Mutter war übrigens gerade in der letzten Zeit eine Veränderung eingetreten. Am Weihnachtsabend war Karsten bei ihnen gewesen, und die Mutter hatte bei der Gelegenheit zum erstenmal richtig mit ihm gesprochen. Als er gegangen war, wanderte sie eine kleine Weile schweigend im Zimmer auf und nieder, darauf legte sie die Hände auf Jyttes Kopf und küßte sie. Nun hatten sie und Karsten sich ihrerseits den Wünschen der Mutter, die nächsten Freunde der Familie zu einer Mittagsgesellschaft zu versammeln, gefügt. Es war sonst ihre Absicht gewesen, die Hochzeit ohne alle Festlichkeiten zu begehen und gleich nach der Trauung abzureisen. Aber solche heimliche Hochzeit war Frau Bertas altmodischen Gefühlen zuwider.

Nach dem Frühstück machten sie einen Spaziergang in Söndermarken, und als die Dämmerung hereinbrach, fuhren sie nach der Dronningens Tvärgade zurück, wo Frau Berta sie zum Nachmittagstee erwartete. Hier trennte sich das junge Paar zum letztenmal mit einem stillen Händedruck.

Um sieben Uhr kamen die Hochzeitsgäste, und ungefähr um dieselbe Zeit hielt eine Droschke vor dem Hause in Grönningen, in dem sich die Wohnung der Neuvermählten befand. Eine große Dame in kostbarem Pelzwerk stieg aus. Von der Straße gelangte man gleich auf den Treppengang. Ohne von jemand gesehen zu werden, ging sie ins Haus hinauf. Als sie das dritte Stockwerk erreichte, machte sie vor einer Tür ohne Namensschild halt.

»Hier muß es sein,« dachte sie und schellte. Im selben Augenblick hörte sie jemand die Treppe von den Mansardenwohnungen herunterschleichen. Schnell zog sie ihren dichten Schleier vor das Gesicht und blieb stehen. Es war eine ältere, einfach gekleidete Frau, die vielleicht da oben auf der Lauer gestanden hatte.

»Wollen Sie mit jemand sprechen?« fragte sie oben vom Treppenabsatz herunter.

»Sie wissen wohl nicht, ob hier ein Herr From wohnt?«

»Ja, der wohnt hier, aber Herr From ist nich zu Hause. Er hat heut Hochzeit.«

»Ist denn aber kein Mädchen da? Warum wird nicht geöffnet?«

Die Frau kam interessiert einige Stufen weiter herunter.

»Da is kein Mädchen. Ich hab die Aufsicht über die Wohnung. Die Herrschaft reist morgen ins Ausland. – Gnä' Frau wolln am Ende ein Geschenk bringen?«

»Freilich. Kann ich hineinkommen?«

»Ja, das geht am Ende an,« sagte die Frau und zog einen Schlüssel aus der Tasche unter der Schürze.

Von den Zimmern waren nur die Wohnstube und die Schlafstube ganz in Ordnung. Im Eßzimmer waren die Wände noch leer. Gemälde und eingerahmte Skizzen standen in mehreren Reihen am Paneel entlang auf dem Fußboden. Aber der Anblick des Wohnzimmers mit seiner Blumenfülle war festlich.

Die fremde Dame sah sich flüchtig um und ging durch die ganze Wohnung, ohne ein Wort zu sagen.

Die Frau folgte verständnislos.

»Entschuldigen Sie, daß ich frage,« sagte sie, als sie auf den Flur zurückgekommen waren, »haben gnä' Frau aber nich vergessen, das Geschenk dazulassen?«

Frau Merck – denn sie war es – zog ein Perlmutterportemonnaie aus der innern Tasche ihres Pelzmantels und gab der Frau zwei Kronen.

»Das ist für Sie, und dann brauchen Sie ja nicht zu erzählen, daß jemand hier gewesen ist.«

»Ach so! Ich bedank mich auch vielmals, gnä' Frau. Hier sind übrigens auch mehrere gewesen, die auch bloß aus Neugier gekommen sind. Meistens Leute hier aus dem Hause, natürlich.«

»Wann erwarten Sie Ihre Herrschaft heute abend?«

»Ich soll Schlag halb elf unten in der Haustür sein, sagte der Herr, und gnä' Frau ihr Handgepäck rauftragen.«

Frau Merck, die nun alle die Aufklärungen erlangt hatte, die für ihre Rache erforderlich waren, verabschiedete sich.

 

Fünf Minuten nach halb elf hielt das junge Paar in einem eleganten Wagen vor der Tür. Eine gewöhnliche Droschke mit Jyttes Koffern folgte. Die Frau stand bereit, sie zu empfangen, und als alles hinaufgetragen war, blieben die Neuvermählten allein.

Jytte war in weißer Seide und sah wunderschön aus. Ihr Mann folgte ihr, wo sie ging und stand, mit dem Ausdruck eines göttlich Besessenen. Als sich Jytte in einem der niedrigen Lehnstühle im Wohnzimmer niederließ, setzte er sich auf eine der Stuhllehnen und beugte sich über sie. Sie saß halb abgewandt da, die Ellbogen auf ein Kissen gestützt. Der Abschied von der Mutter und dem alten Heim hatte sie stärker bewegt, als sie erwartet hatte. Und Karsten wurde ihr plötzlich so fremd hier in diesem fremden Zimmer mit dem schweren, betäubenden Blumenduft.

»Bist du traurig über irgend etwas?« fragte er.

Sie schüttelte den Kopf, veränderte aber ihre Stellung nicht.

Er begriff, daß er störte, und ging von ihr. Als sie aber seine Enttäuschung bemerkte, streckte sie die Hand nach ihm aus.

»Warum gehst du?« fragte sie.

Er kam sofort zurück und glitt auf das Wolfsfell zu ihren Füßen nieder.

»Darf ich hier sitzen?«

»Ja.«

»Und meinen Kopf in deinen Schoß legen?«

Sie nickte.

»Jetzt bin ich dein Page, Königin Jytte. Befiehl über mich! Wenn du sagst: ›Geh!‹ – so verschwinde ich in der Luft wie eine Wolke. Und wenn du sagst: ›Komm!‹ dann bin ich im selben Augenblick bei dir als dein demütiger und verliebter Hofnarr.«

Sie beugte sich über ihn und strich ihm über das Haar.

»Dann bist du jetzt glücklich?«

»Unendlich! Unsagbar! ... Und du?«

Sie nickte. –

Eine halbe Stunde später kam ein Mann durch die stille Straße geradelt und machte halt vor dem Hause. Mit einer Taschenlaterne untersuchte er die verschiedenen Reihen von Glockenknöpfen neben der Tür, und als er den gefunden hatte, der zu der Wohnung der Neuvermählten gehörte, drückte er darauf.

Erst als er mehrmals geklingelt hatte, wurde in den Zimmern da oben Licht sichtbar.

Karsten From, in einen chinesischen seidenen Schlafrock gehüllt, öffnete ein Fenster und beugte sich hinaus.

»Was ist da los? Wer ist da?«

»Sind Sie Herr From?«

»Ja.«

»Hier ist ein Eiltelegramm.«

Ein Eiltelegramm! – dachte er. Das muß ja etwas Ernstes sein. Welch ein Unglück! Aber in dem Nachtgewand konnte er nicht herunterkommen und die Tür aufschließen. Da kam ihm der Einfall, dem Mann den Haustürschlüssel hinunterzuwerfen, und nachdem er im Schlafzimmer gewesen war, um Jytte zu beruhigen, stand er nun mit dem Telegramm in der Hand da und beförderte den Boten schleunigst zur Tür hinaus.

Und dann war es nichts weiter als ein Glückwunschtelegramm. »Herzlichen Glückwunsch von vielen Freunden.« Er zerknüllte das Papier voller Wut.

Aber kaum eine Viertelstunde darauf kam wieder ein Mann durch die Straße geradelt, machte vor dem Hause halt und untersuchte die Glockenknöpfe an der Tür. Er mußte noch mehrmals klingeln und ließ endlich den Knopf nicht wieder los. Endlich wurde ein Fenster im dritten Stockwerk aufgerissen, und Karsten From brüllte hinab: »Was ist da los? Wer ist da?«

»Sind Sie Herr From?«

»Ja.«

»Ein Eiltelegramm.«

»Scheren Sie sich zum Teufel mit Ihrem Telegramm!«

Das Fenster wurde zugeschlagen.

In der folgenden Stunde wiederholte sich diese Alarmierung mit einem Zwischenraum von je zehn Minuten, und da nicht geöffnet wurde, versammelte sich allmählich ein kleiner Auflauf vor der Haustür. Die andern Bewohner des Hauses wurden schließlich von dem Spektakel geweckt und guckten hinaus, um zu sehen, was da los war.

Bei der Abreise des Brautpaares am nächsten Vormittag wurden sie von vielen lustig lächelnden Gesichtern aus den Fenstern und von den Altanen herab begleitet, Karsten From war beschämt und verwirrt. Jytte war tief verschleiert. Mehr als je sehnte sie sich danach, fortzukommen, – weit fort von ihres Mannes und ihrer eigenen Vergangenheit.


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