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Achtes Buch. Favsingholm

I

Schon Mitte März, einen Monat früher als ursprünglich bestimmt war, kehrten Jytte und Karsten From von ihrer Hochzeitsreise zurück. Der Grund war, daß Enslevs politische Freunde zu einem Wettbewerbe um ein Erinnerungsbild von dem verstorbenen Häuptling eingeladen hatten, und Karsten From hatte sich entschlossen, daran teilzunehmen. Das Gemälde sollte einen monumentalen Charakter tragen, sollte eine Episode aus der Geschichte des Freiheitskampfes verherrlichen, mit Enslev als Mittelfigur. Es war die Absicht, ihm einen bevorzugten Platz in dem neuen Reichstagsgebäude zu schaffen, und außer der Ehre waren da dreißigtausend Kronen zu erkämpfen.

Jytte hätte am liebsten das Reiseleben noch lange fortgesetzt. Sie fühlte sich so glücklich verwirrt während ihres planlosen Umherstreifens von Stadt zu Stadt. Die Eindrücke jagten einander zu Tode, und die Gedanken durften schlafen. Aber sie hatte früher so oft versucht, Karsten From anzuspornen, sich zu einer ernsten künstlerischen Aufgabe zu sammeln, daß sie nicht gut Einspruch erheben konnte. Er selber war außerdem eigentümlich erpicht auf die Sache.

Eine der ersten Bekannten, die ihr nach der Heimkehr begegnete, war eine Dame, die sie am allerwenigsten in Kopenhagen zu treffen erwartet hatte, nämlich Meta. Eines Nachmittags begegneten sie sich an der Haltestelle der Straßenbahn, nur wenige Schritte von ihrer Haustür entfernt.

Es herrschte auf beiden Seiten einige Verlegenheit bei dem Wiedersehen. Diese äußerte sich in bezug auf Jytte in einer etwas übertriebenen Munterkeit. Meta wünschte ihr Glück zu ihrer Verheiratung, und Jytte erwiderte:

»Danke, ja, jetzt habe ich auch meine Schuldigkeit getan!«

Indessen dachten sie beide an ihre letzte Begegnung im Sommer auf Storeholt, wo sie in Unfrieden voneinander geschieden waren, weil Jytte dem Schwager der Freundin nicht die Aufmerksamkeit hatte erweisen wollen, ihn zu heiraten.

»Und jetzt bist du nach Kopenhagen gekommen, um dich ein wenig zu lüften?« sagte Jytte.

»Ich? Nein, wir wohnen hier.«

»Hier in der Stadt! Was soll das heißen? Wie ist das zugegangen?«

»Wir sind vor anderthalb Monaten hierhergezogen.«

Das kam so mutlos heraus, und Jytte entdeckte nun, daß die Freundin – die früher so frische und freimütig lächelnde Matrone – auffallend verändert war. Wie ihre ländliche Winterkleidung sich nicht gut in dem Frühlingslicht sehen lassen konnte, so machte auch sie selbst einen verschossenen und verkommenen Eindruck.

»Was ist nur einmal geschehen?« fragte Jytte, indem sie unwillkürlich die Hand auf ihren Arm legte.

»Ach, das ist eine lange Geschichte! Das kann ich dir hier nicht erzählen.«

Im selben Augenblick wurde die elektrische Bahn an der Straßenbiegung sichtbar. Jytte schob jedoch ihren Arm in den der Freundin und führte sie beiseite.

»Du mußt mir sagen, was los ist. Oder bist du vielleicht noch böse auf mich?«

»Nein, böse bin ich dir nicht, und dazu habe ich auch gar keinen Grund. Aber es ist zu umständlich, um es zu erklären.«

»Weißt du was, jetzt gehen wir zu mir hinauf. Ich wohne hier, gleich um die Ecke. Du mußt doch auch sehen, wie es bei mir aussieht, nicht wahr?«

»Das muß ich für ein andermal zugute haben. Sie erwarten mich daheim. Ich bin in der ganzen Stadt nach einer Waschfrau herumgelaufen.«

»Aber es ist hier gleich um die Ecke, hörst du! Wenn du vor meinem Mann bange bist, so kannst du ganz ruhig sein. Den triffst du nicht. Er ist in seinem Atelier, und das hat er im Innern der Stadt. Du sollst eine Tasse siedendheißen Tee haben. Das wird gut tun bei diesem Hundewetter.«

Meta ließ sich überreden. Sie war unglücklich und empfand das Bedürfnis, sich jemand anzuvertrauen. Nach einer Weile befanden sie sich in Jyttes hübscher Wohnstube, umgeben von dem Überfluß von Blumen, mit dem ihr Mann sie noch immer überschüttete. Vor dem grünen Fayenceofen standen ein paar große Lehnstühle. Nachdem Jytte die Freundin gezwungen hatte, abzulegen, nahmen sie hier in dem Wärmeschein des geöffneten Ofens Platz.

Schon auf dem Wege dahin hatte Meta ihr Herz erleichtert und von der Verfolgung erzählt, die ihren Mann aus Jerve fortgetrieben hatte.

»Paul hatte schließlich keine bezahlenden Patienten mehr, und von dem Gehalt eines Kreisarztes konnten wir nicht leben, so groß wie die Familie jetzt ist! Die Bewohner taten auch alles mögliche, um seine Absetzung zu erreichen. Du ahnst nicht, wie boshaft die Leute waren. Es blieb uns nichts anderes übrig, als fortzuziehen. Das Ganze wurde im Laufe eines Tages beschlossen. Du kennst ja meinen Mann. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, soll es auch sofort ausgeführt werden. Ich hatte kaum eine Woche Zeit, um das Haus zu bestellen und zu packen.«

»Aber ich verstehe nicht!« sagte Jytte. »Was tat denn dein Schwager – der Pfarrer? Er hat ja einen so großen Einfluß auf die Bevölkerung da drüben. Und nun ist er obendrein Reichstagsabgeordneter des Kreises geworden. Der hätte doch etwas ausrichten können!«

Meta sah sie ein wenig beschämt von der Seite an.

»Mein Schwager und mein Mann haben sich erzürnt.«

»Ach so!«

»Mein Schwager ist so verändert, seit Paul damit begonnen hat, seine Ansichten zu veröffentlichen. Er findet, daß es eine Frechheit von ihm ist. Sie haben ja nicht dieselben Ansichten über Religion. Wenigstens meint Paul, daß das der Grund ist. Und ich weiß wirklich auch nicht, was es sonst sein sollte. In der letzten Zeit haben wir uns gar nicht mehr gesehen.«

»Verzeihe, Meta, wenn ich ein wenig triumphiere! Du mußt zugeben, daß du im letzten Sommer sehr empört über mich warst, weil ich meinen Zweifel in bezug auf die Vorurteilslosigkeit deines Schwagers hegte! Entsinnst du dich noch unsers kleinen Scharmützels?«

»Freilich! und du kannst mir glauben, ich habe manches Mal an dich gedacht. Mein Mann sagt auch, daß du schließlich doch die Klügste von uns allen gewesen bist. Es ist natürlich eine große Enttäuschung für uns gewesen, das wirst du begreifen, und wenn ich ehrlich sein soll, so möchte ich am liebsten nicht über meinen Schwager sprechen.«

»Ja, lassen wir ihn nur ruhen!« sagte Jytte. »Sage mir aber doch – wo wohnt ihr jetzt?«

»Wir haben draußen in Nörrebro gemietet. Paul meinte, es könne nichts nützen, wieder eine Landpraxis zu suchen, nach all den Lügengeschichten, die in den Zeitungen da drüben über ihn geschrieben sind. So etwas geht gleich durch alle Provinzblätter. Von dem früheren Ort, wo wir waren, mußten wir ja auch fort, weil die Leute fanden, daß mein Mann ihnen nicht genug Medizin verschrieb.«

Jytte nickte zerstreut. Sie saß vornübergeneigt, die Hände um das Knie gefaltet, und war in Gedanken versunken, während sie die Augen der Freundin ansah. Es wunderte sie, daß sie früher nicht beachtet hatte, wie schön sie waren, sondern immer nur einen Blick für den unschönen Mund gehabt hatte. Es war dieselbe tiefe, edelsteinblaue Farbe, die auch ihres Mannes Augen hatten. Und doch glichen sie Karstens Augen gar nicht, weil der Ausdruck ein anderer war. Und es war wohl mehr der Unterschied als die Ähnlichkeit, was ihre Gedanken beschäftigte.

»Wie sonderbar es doch mit uns beiden ist!« sagte sie schließlich. »Weißt du noch, wie wir uns in Storeholt begegneten? Ich wußte nichts weiter von dir, als daß du in der jütischen Heide säßest und Grillen fingest – und dann tauchtest du plötzlich als Frau des Kreisarztes in Jerve auf! Natürlich habe ich seitdem dich mir immer in deiner hausmütterlichen Majestät drüben in eurem lustigen Hause vorgestellt –, und nun sitzest du Ärmste hier mitten in dem Getriebe, so wie wir andern, und stürzt in der Stadt herum, um eine Waschfrau zu suchen.« »Das habe ich mir selbst auch vor nur drei Monaten nicht träumen lassen, das kannst du mir glauben! Es tut mir fast am meisten leid der Kinder wegen. Vorläufig sind sie ja entzückt über all das Neue, was sie sehen. Sie sitzen den ganzen Tag am Fenster und sehen nach der Straßenbahn aus. Für meinen Mann wird es natürlich nicht leicht werden. Er hat bisher nur ein Dutzend Patienten gehabt, und das bißchen, was er durch seine Artikel in Zeitschriften verdienen kann, verschlägt ja nichts. Aber es wird schon kommen.«

»Und du selbst, Meta? Wie geht es dir? Davon sprichst du gar nicht.«

»Ach, mit mir ist es etwas anderes! Ich habe meine Wirtschaft zu besorgen. Ich wünsche nur, daß wir hier bleiben dürften. Aber wenn Paul keine Praxis bekommt, sind wir ja gezwungen, noch weiter fortzureisen. Dann müssen wir auswandern.«

»Liebe Meta – daran denkt ihr doch nicht?«

»Freilich! Was sollen wir auch tun? Paul hat Verwandte in Australien, und er meint, daß ihm das vielleicht behilflich sein kann, da drüben seinen Weg zu machen. Wir haben auch gehört, daß da Mangel an ordentlichen Ärzten sein soll, und ein gewissenhafter und tüchtiger Arzt ist mein Mann. Es ist schändlich, etwas anderes von ihm zu sagen!«

Jytte war wieder einen Augenblick in ihre eigenen Gedanken versunken.

»Australien! Ach ja ... warum im Grunde auch nicht Neu-Seeland, nicht wahr? Ich bin immer ein wenig verliebt in den Namen gewesen. Ich finde, er klingt so verheißungsvoll. Und dann ist das alles so herrlich weit weg.«

»Ja, ich danke! Ich bleibe doch am liebsten in der Heimat,« begann Meta. Im selben Augenblick aber schreckte sie der Klang einer Uhr auf, die schlug. »Nein, jetzt muß ich nach Hause, Jytte!«

Sie erhielt jedoch keine Erlaubnis zu gehen, ehe sie die Wohnung gesehen hatte. Jytte faßte sie unter den Arm und führte sie in den Zimmern umher bis hinaus in die Küche und die Speisekammer, wo sie sich übrigens selbst fast ebenso fremd fühlte wie die Freundin.

Auf dem Rückwege legte Meta den Arm um Jyttes Taille und sagte: »Dann bist du also wirklich jetzt glücklich?«

»Ja, das bin ich!«

»Dein Mann verzieht dich wohl ordentlich?«

»Warum glaubst du das? – Aber das tut er übrigens, und ich habe auch nichts dagegen. Wir passen überhaupt ausgezeichnet zueinander. Das wundert dich, nicht wahr? Ich kann noch dein entsetztes Gesicht sehen, als du ihn auf Storeholt trafst! Aber ich kann dir anvertrauen, daß ich von deinem Mann auch gerade nicht bis in den Himmel entzückt war, als ich ihn zum erstenmal sah. Das geht dann ja gerade auf!«

Meta wußte hierauf nichts zu erwidern und schwieg deswegen. Es war ihr ganz unbegreiflich, daß sich Jytte mit diesem Narren von Mann glücklich fühlen konnte, und die Versicherung klang auch nicht gerade sehr glaubwürdig in ihren Ohren. Aber Jytte war ein Rätsel, das wohl niemals jemand ergründen würde.

Jytte dachte einen Augenblick daran, eine Vertrauensfrage an die Freundin zu richten, über etwas, worüber mit ihrer Mutter zu sprechen sie sich nicht hatte entschließen können. Neulich morgens, als sie aufstand, hatte sie sich plötzlich elend gefühlt. Und als sie in den Spiegel sah, war sie weiß wie ein Gespenst gewesen. Am Tage darauf wiederholte sich dies, und sie war seither in einer fast unerträglichen Spannung umhergegangen. Als es schließlich soweit war, konnte sie sich doch nicht überwinden, sich Meta anzuvertrauen, weil sie ihrem Mann noch nichts gesagt hatte; Karsten legte keinen Wert auf Kinder. Aus dem Grunde hatte sie nichts sagen wollen, ehe sie ihrer Sache völlig sicher war.

»Das ist wahr!« rief Meta aus, als sie mit ihrem Mantel im Wohnzimmer stand. »Das muß ich dir doch erzählen ... Kennst du einen Gutsbesitzer Ditmer ... oder Dihmer oder wie er sonst heißen mag?«

Jytte wandte sich hastig nach ihr um mit einem spähenden Blick.

»Ja. Warum fragst du danach?«

»Jetzt sollst du einmal hören! Es war einmal diesen Herbst daheim bei uns in Jerve. Da kam ein fremder Herr aus Odense gefahren und wollte mit meinem Mann sprechen. Paul war gerade nach dem Armenhaus hinübergegangen, um nach einem Patienten zu sehen, und ich mußte dann dasitzen und Herrn Dihmer oder Ditmer ... oder wie er nun heißt, unterhalten.«

»Jetzt im letzten Herbst?« fragte Jytte gespannt.

»Nein, warte mal ... es muß im Dezember gewesen sein. Denn ich entsinne mich, es interessierte ihn so sehr, daß ich meinen Pfefferkuchenteig am Ofen stehen hatte. Das habe er nicht gesehen, seit er ein Kind war, sagte er. Er war übrigens so gemütlich. Wir plauderten natürlich über die Gegend da drüben, und er erzählte dann, daß er seinerzeit viel in Storeholt verkehrt habe. Er kannte deine ganze Familie, auch deine Mutter und dich. Und soweit ich verstanden habe, war er auch umhergefahren und hatte sich die alten Stätten angesehen. Er war ein großer Mann mit dunkelblondem Vollbart. Entsinnst du dich seiner dann?«

»Ja, aber du hast dich selbst unterbrochen. Herr Dihmer wollte mit deinem Mann sprechen, sagtest du.«

»Freilich! Ich dachte natürlich, er suche ihn als Arzt auf. Er sah auch ganz darnach aus. Aber dann wollte er Paul nur begrüßen, weil er gelesen hatte, was Paul geschrieben hat. Hinterher saßen sie da und redeten über zwei Stunden miteinander, und ich habe meinen Mann seit Jahren nicht so angeregt gesehen. Aber du kennst ihn also. Was ist er im Grunde für ein Mensch?«

»Ja, er ist Gutsbesitzer, – hat ein Gut irgendwo in Jütland.«

»Favsingholm – ja, das erzählte er. Er war gerade auf dem Wege dahin. Aber warum ist er so in allen Weltteilen umhergestreift? Ein ganzes Jahr war er nicht zu Hause gewesen. Das ist doch sonderbar für einen so kranken Mann.«

»Kranken Mann? ... Herr Dihmer ist einmal krank gewesen, aber nun soll er vollständig gesund sein. Übrigens hat mein Vetter, Professor Hagen, ihn kuriert.«

»Er sah aber wirklich krank aus. Das fand Paul auch. Und es lag so etwas Ernstes und Stilles über ihm, als wenn er selbst wisse, daß er nicht lange mehr leben könne.«

In diesem Augenblick kam das Mädchen mit dem Tee herein, der endlich fertig geworden war. Aber Meta bat inständig, jetzt gehen zu dürfen, und Jytte hielt sie nicht länger zurück.

»Willst du dich nicht auch anziehen?« fragte Meta. »Du warst ja im Begriff, auszugehen.«

»Ach nein, jetzt bleibe ich lieber zu Hause. Es weht ein so kalter Wind. Du mußt bedenken, ich komme direkt aus Neapel.« –

Als die Freundin gegangen war, stand Jytte lange im Erker und sah in Gedanken versunken über die Bäume von Grönningen hinab. Sie mußte an eine Bemerkung in einem der Briefe denken, die die Mutter ihr während der Reise geschrieben hatte. In einer Nachschrift hatten die mystischen Worte gestanden, daß »es leider eine ernste Wendung mit Torben Dihmer zunehmen scheine«. Da sie wußte, daß ihre Ehe noch immer ein Kummer für die Mutter war, so hatte sie sich nicht entschließen können, um nähere Aufschlüsse zu bitten. Aber nun war die Erklärung die, daß er wieder krank geworden war. Asmus' Wunderpillen hatten dem armen, verfolgten Mann auf die Dauer nicht helfen können! ...

Als Karsten nach Hause kam, saß sie wieder in einem der großen Lehnstühle vor dem Ofen. Es hatte zu dunkeln begonnen. Ein wenig fröstelnd, wie sie war und es namentlich in der Dämmerstunde wurde, hatte sie einen Schal über die Schultern geworfen, einen weichen, seegrasgrünen Seidenschal, das letzte Geschenk ihres Mannes.

Sie streckte die Hand nach ihm aus, als er hereinkam.

»Ich habe mich nach dir gesehnt!« sagte sie.

Der galante Ehemann beugte sich über ihre Hand und küßte sie ehrerbietig. Zuvor aber war sein Blick suchend durch die Zimmer geflogen, und er betrachtete sie ein wenig mißtrauisch.

»Die Gnädige hat ihr Versprechen doch vergessen. Ich habe mit Ungeduld auf den feierlich angekündeten Besuch gewartet.«

»Ich war auch auf dem Wege zu dir, mein Freund! Aber ich habe selber Besuch bekommen.«

»Das kam mir ja so vor. – Wer war das glückliche Menschenkind, wenn ich so frei sein darf, zu fragen?«

»Ja, kannst du raten? Eine große Überraschung!«

»Eine Dame oder ein Herr?«

»Eine Dame.«

»Schön?«

»Ja, ich finde sie schön. Aber ich habe es übrigens nicht immer getan. Du hast sie im Sommer in Storeholt getroffen. Es ist meine alte Schulgefährtin Meta ... Frau Gaardbo ... die Frau des Kreisarztes da drüben. Erinnerst du dich ihre, dann?«

»Ja, jetzt, wo du es sagst. Aber was soll das heißen, das du sie schön nennst. Sie war ja eine ganz gewöhnliche Dorfmadame.«

»Dann hast du ihre Augen nicht beachtet. Falls du einmal bei Auftrag erhältst, eine Madonna zu malen, könntest du sie als Modell gebrauchen. Sie hat fünf Kinder geboren und hat doch einen so unschuldigen Blick wie ein zwölfjähriges Mildchen.«

»Das klingt freilich interessant. Fünf unbefleckte Empfängnisse, das ist, weiß Gott, ein Rekord! – Aber um über etwas anderes zu sprechen,« sagte er und ging mit seinen langen, nervösen Schritten durch das Zimmer. »Hast du die Zeitungen heute gelesen?«

»Nein.«

»Dann weißt du also nicht, daß Karl May sich nur auch zum Wettbewerb gemeldet hat. Das wird mit Pauken und Trompeten in allen Blättern verkündet. Von wievielen haben wir jetzt schon gehört? Es können nicht weniger als acht, neun Stück sein. Das wird allmählich ein lebhaftes Rennen.«

»Aber ist denn Karl May Porträtmaler?«

»Er ist alles, Schatz! Du entsinnst dich vielleicht, daß er im vorigen Jahr als genialer Bildhauer auftrat. Es war ein ganz gewöhnliches Stück Töpferarbeit, das jeder nicht ganz tölpelhafte Lehrjunge ihm hätte nachmachen können. Aber seine Freunde in der Presse – ein Schreihals wie der dicke Möller zum Beispiel – bauschten das zu einer Weltbegebenheit auf, und die Leute gingen wie gewöhnlich aufs Glatteis. – Ja, Karl May, der ist klug!«

»Na ja, Karsten, laß ihn jetzt! Sage mir, bist du noch immer zufrieden mit deinem Atelier?«

»Ja – das Licht ist gut. Morgen bin ich mit der Einrichtung fertig, und übermorgen fange ich an.«

»Dann komme ich hin! Ganz bestimmt! Ich will' dich den ersten Pinselstrich tun sehen.«

»Die Gnädige soll Erlaubnis haben, ihn selber zu tun. Mit höchsteigener Hand sollst du die Leinwand einweihen. Und dann wollen wir ausnahmsweise einmal abergläubisch sein und zu den Göttern beten, daß uns das Glück bringen möge.«

»Setz dich ein wenig zu mir, mein Freund! Du gehst so unruhig umher,« bat Jytte.

Während die Dämmerung wuchs, saßen sie Hand in Hand und plauderten beim Licht der glühenden Koksstücke, die einen immer stärkeren Feuerschein über das Zimmer verbreiteten.

Jytte saß auf die Seite gelehnt da, mit halbgeschlossenen Augen, und sah ins Feuer hinab.

»Sage mir doch, Karsten,« sagte sie einmal nach einer längeren Pause. »Glaubst du, daß es heutzutage noch Menschen gibt, die an unglücklicher Liebe sterben? Ich meine nicht, wenn sie sich in einem Anfall von Verzweiflung oder Eifersucht das Leben nehmen, davon liest man ja jeden Tag. Aber glaubst du, daß es Leute geben kann, die von Liebe verzehrt werden wie von einer tödlichen Krankheit?«

»Dafür will ich doch auf alle Fälle ein ärztliches Attest haben. Wie kommst du übrigens auf diesen sonderbaren Gedanken?«

»Ach,« sagte sie, »es ist eine Geschichte, die Meta von da drüben auf Fünen erzählt hat.«

»Der Besuch dieser Dame hat dich offenbar interessiert. Worüber habt ihr gesprochen?«

»Hauptsächlich über ihre eigenen Angelegenheiten. Denke dir, sie wohnt jetzt hier in der Stadt. Ihr Mann konnte da drüben nicht fertig werden. Er ist ein sonderbarer Wirbelkopf, der überall anstößt und der über alles so verschrobene Ansichten hat. Jetzt wohnen sie draußen auf Nörrebro, in der Nörrebrogade selbst. Stelle dir das vor!«

»Ja, beneidenswert ist das gerade nicht. Aber höre jetzt, Jytte. Um von etwas weniger Betrüblichem zu sprechen. Heute abend wird ›Die Sturmschwalbe‹ und ›Napoli‹ gegeben. Das ist ein guter Abend. Ich schlage vor, daß wir da hingehen.«

Jytte drückte ihm die Hand.

»Ein andermal, Karsten. Ich bin heute ein wenig müde.« »Aber wir könnten doch wenigstens hingehen und das Ballett ansehen. Das kann doch nicht anstrengend sein.«

»Weißt du was, ich finde, du solltest allein hingehen. Du hast es nötig, dich ein wenig zu lüften. Dann übe ich inzwischen an meinem Rondo, damit ich bald so weit bin, es dir vorspielen zu können.«

»Ach, Unsinn! Du weißt recht gut, daß ich nicht von dir gehe!« sagte Karsten verstimmt.

Sie waren schon mehrere Tage wieder in der Heimat gewesen und weder ins Theater noch in ein Konzert gegangen, weil Jytte nicht hinauszutreiben war. Er selbst hatte sich während der ganzen Reise ganz besonders auf den Augenblick gefreut, wo er sich zum ersten Male mit ihr im Parkett zeigen würde. Für den Waisenhausjungen, der ihm noch immer anhing, war es noch ein gleichsam märchenhafter Traum, daß er mit Minister Abildgaards Tochter verheiratet war.

Jytte erhob sich jetzt, um hineinzugehen und sich zu Tisch umzukleiden. Sie hatte das Mädchen ins Eßzimmer kommen und mit dem Decken beginnen hören.

Als sie seine unzufriedene Miene sah, legte sie den Arm um seinen Hals und streichelte ihm die Wange.

»Bin ich eine unmögliche Frau für dich? ... Du mußt es dir nicht so sehr zu Herzen nehmen. Es soll schon besser werden.«

Er wurde sofort besänftigt, schwach wie er noch immer ihren Liebkosungen gegenüber war, mit denen sie freilich auch nicht verschwenderisch umging. Nach einer dreimonatlichen Ehe war sie noch gleich scheu in ihrem Liebesverhältnis zu ihm. Beständig mußte er ihre Zärtlichkeit von neuem erobern, und seine eigene Verliebtheit hatte sich infolgedessen zu einer wilden Anbetung gesteigert.

Er sah ihr entzückt in die Augen.

»Du Wunderschöne! ... Wie ich dich liebe!« sagte er, und der affektierte Mann konnte so etwas so merkwürdig natürlich sagen, als fände er erst mit solchen Worten seine richtige Sprache.

Jytte aber mied seinen Blick, während sie stumm und gleichsam mitleidig ihm über das Haar strich.


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