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Prozeß!

Bei dem Wörtlein sollte einem jeden Bauernherzen die Haut schaudern. Kann denn einer wirklich sein Recht nit anders behaupten und hat er alles versucht, einen leidigen Handel zu vermeiden – nun, so mag er in den Gallapfel beißen und zum Advokaten gehn! Wer aber einmal einen Prozeß angefangen hat, der darf sich gefaßt machen auf alle Instanzen und seinen vollen Geldbeutel auftun, um ihn leer wieder zuzubinden. Disputieren ein paar Nachbarn über eine Grenze, macht der ganze Unterschied vielleicht einen halben Schuh aus auf dem Felde oder im Holz ein paar dürre Fichten, betrifft's einen Weg oder irgendeine streitige sogenannte Servitut – nun findet euch in Gottes Namen miteinander ab, lasse jeder ein Teil nach – immer besser als ein Prozeß, wobei oft einer halb und der andere ganz zugrunde gerichtet wird. Wie geht's aber oft? Jeder will recht haben, im Wirtshaus fehlt's nit an Hetzern; hat einer gerad' ein paar Taler im Kasten, denkt er sich: Ich laß mich's den Streit kosten. So wandert er denn zum Advokaten in die Stadt; ja wär's nur einmal! aber da wird Zeit und Geld verplempelt nur mit dem Nachfragen, wie's mit der Sache steht. Die Herren Advokaten haben auch meist einträglichere Geschäfte, als einen Bauernprozeß zu führen; der lauft so nebenher und ist nur ein Exerzitium für die jungen Konzipisten; steckt der Herr Doktor bisweilen auch die Nase im Durchgehn durch die Kanzlei hinein. Die Kommissionen macht er freilich selbst. Nun geht's schon beim Landgericht oder beim Stadtgericht einige Monat'ln her mit Termin und wieder Termin. Jetzt gilt's Vorschuß auf Schreiber- und Taxgebühren. Ein Jahr oder zwei, erste Instanz. Verloren! Jetzt heißt's appellieren, wenn's möglich ist. Anders will's der liebe Bauernstolz nicht und dem Advokaten ist's auch recht. Also geht's wieder von vorn' an, nur eine Stufe höher und bleibt etwas länger liegen. Endlich kömmt der Spruch in der zweiten Instanz: Verloren! Nun da ist die Sache hin und die Prozeßkosten kommen auch dazu! Gewonnen! – und man hat den Nachbarn zum ewigen Feind und mag sich daran ergötzen, wenn ihm etwa durch den Prozeß der letzte Treffer gegeben worden; auch keine große Freude, wenn einer ein etwas christliches Herz hat! Kurz, am besten wäre wohl Frieden halten; 's ist freilich nicht immer möglich, denn allenthalben gibt's solche »Streithanseln« und »Prozeßkrämer«, mit denen ein für allemal nicht auszukommen ist. Wollen wir dem ehrsamen Advokatenstande ja nicht zu nahe treten; aber ohne daß er's will und bei aller Rechtlichkeit kommt's denn doch bei vielen Bauernprozessen (wo sich's oft nur um eine Kleinigkeit handelt) also heraus: daß die Prozeßkosten sechsmal mehr ausmachen, als der ganze Plunder wert ist, und daß die heilige Justitia, zu deutsch: die liebe Gerechtigkeit, das Fett von der Suppe abschöpft und die Parteien mit leeren Taschen heimgeschickt werden. Dies wäre von dem Landvolke beiläufig zu bedenken, bevor es von den Anwälten einen »Versuch zum Vergleiche oder zur Sühne« vor Gericht probieren läßt; denn solch ein Vergleichsexperiment kostet immer einige Diäten, einiges Protokoll und ist meistens die feierliche Erklärung und höfliche Bekomplimentierung der beiden Herren Rechtskundigen, daß nun der Streit über das strittige, fragliche Recht beginnen soll, aber freilich mit lateinischen Brocken gespickt, damit's noch ein bißl teurer wird, weil das römische Recht die Sache recht deutlich macht und dann gewiß keiner der streitenden Parteien ein Unrecht geschieht. – Ein altes Sprüchlein sagt: »Wenn Zwei streiten, hat der Dritte den Profit davon.« Es haben nämlich einmal ein paar miteinander gestritten und dabei ausgemacht, wer den andern zu Boden werfe, der solle recht haben. Zum Zweck dieser ehrsamen Balgerei wurden denn beiderseitig die Röcke ausgezogen und beiseite gelegt, denn in Hemdärmeln läßt sich so etwas besser abmachen. Nun haben denn die Zwei gerungen; während der Zeit ist ein Dritter herbeigesprungen und mit den Röcken davongelaufen. Wer hat also bei diesem Handel den eigentlichen Profit gehabt? Gewiß nicht die, welchen die Röcke gestohlen wurden. Ohne weitere Anspielung ließe sich diese Geschichte, die aber nicht bei uns geschehen ist, sondern mitten in Portugal, auf so manchen Prozeß anwenden. Macht also – wenn's immer möglich ist – euere Angelegenheiten im Frieden aus, zieht ein paar brave, unparteiische Nachbarn zu Rat, seid nachgiebig und nachsichtig. Frau Justitia – die Gerechtigkeit – wurde von den Alten abgebildet mit der Wage in einer Hand, das Schwert in der anderen und mit verbundenen Augen, wobei gefragt werden kann: »will sie nicht sehen oder darf sie nicht sehen? wär's denn nicht besser, wenn sie die Augen offen hätte?« – das sind aber subtile Sachen, in die wir uns weiters nit einlassen wollen. Eins bleibt richtig und wahr: wohl dem, der keinen Prozeß hat!


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