Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das

Leben

ist kurz oder lang, wie man's nehmen mag. Kurz, weil es schnell vergeht, schneller oft, als sich einer besinnt; lang, weil es immer hinreicht, sich die Ewigkeit zu bereiten. Es ist kurz, wenn es ausgefüllt ist mit Ergebnissen, eines dem anderen folgend in Leid und Freud; es ist lang, wenn der Mensch es nicht anzuwenden weiß; denn da kann 's sogar langweilig werden. Was haben wir für Ansprüche an das Leben? Keine, denn es ist ein freies Geschenk Gottes und was mit in die Gabe kömmt, darüber haben wir nicht Rechenschaft zu verlangen, wohl aber zu geben, wie wir es verwendet haben.

Das Leben besteht aus inneren und äußeren Gütern; die letzteren sind nur ein Gewand, das zerfällt und mit dem Leibe im Grabe vermodert. Die inneren aber sind unvergänglich und unsterblich. Habt acht, wie ihr diesen Schatz pflegt und ausbildet! »Armes Leben!« heißt's oft. Wer ist denn arm? Der Bettelmann? O nein, er kann reich sein in sich, an Liebe zu Gott, an Glückseligkeit in der Demut und Ergebung, wenn er gleich Hunger leidet. Wer ist reich? Wohl der viel Geld hat, der spazieren fahrt und sich vollauf den Genüssen des Leibes hingibt? Gewiß nicht; denn er kann ein armseliges Herz haben, dennoch bloß von aller eigentlichen Freudigkeit! Lesen wir die Geschichte der vielen Heiligen; das waren wohl zumeist arme Leute, aber wie reich sind sie gewesen! Betrachten wir das Leben so mancher vornehmen, mit Gütern begabten Menschen! Wie arm waren sie oft! Nach all den Herrlichkeiten: was blieb ihnen? Daß man sie hinaustrug, wie alle andern eingesperrt zwischen vier Brettlein, und in die Erde versenkte, wo all der Reichtum vermodert! Wenn's euch also schlecht geh'n mag auf Erden, so denkt: wie kurz ist das Leben! und seid ihr an zeitlichen Gütern gesegnet, so bedenkt, wie ihr diese in dem kurzen Leben auf ewige Interessen anlegen möget, damit euer Kapital nicht verloren gehe. Es ist ein Ort, wo ein großes Hypothekenbuch aufliegt. Steht eines jeden Namen darin und werden Kapital und Zinsen wohl berechnet. Da ist schwer löschen und tilgen und ist nit selten die Gant unvermeidlich!

Nun betrachten wir aber einmal zusammen, welch ein herrlich Geschenk der liebe Gott uns mit dem Leben verehrt hat; dann fallen wir auf die Knie und danken dem Geber aus vollstem Herzen! Einen Leib, fähig zu allem Edlen und Schönen! Einen Geist, der sich an Gottes Herrlichkeiten freuen kann! Augen, Ohren, Mund, Hände und Füße! Fünf Sinne! Dazu den ganzen Schatz der Schöpfung, der uns zu Gebote steht! Ein Herz, Gutes zu empfinden und sich darin zu erfreuen! – Was wollt ihr mehr? Hätt' euch wohl unser lieber Herrgott gleich eine Bärenhaut dazu schenken sollen, daß ihr darauf liegen könnt, wie die rechten faulen Bärenhäuter? Da stürb' wohl ein jeder im ersten Jahre schon aus Langeweile! Er gab euch Lust und Fröhlichkeit zur Arbeit; er gab euch Kraft und Saft in Mark und Bein und einen edlen Stolz dazu, euch euer Brot zu erwerben!

Ihr sät die Körnlein aus und siehe da: Leben keimt in ihnen und es sproßt und wächst und nach wenigen Monaten steht das goldene Feld vor euch da mit den vollen Aehren! O wunderbares, reiches Leben! Ihr nehmt ein Weib: In wenigen Jahren ist die Stube voll von Kindern (und wenn sie nicht geraten, ist's wohl meist eure eigne Schuld!); o wunderbares, reiches Leben! Haltet's heilig und verkauft's nicht an den Teufel um schnöden Sold! Aber das ist eben das Uebel, daß so viele des kurzen Lebens Wert nicht würdigen! »Das Leben ist kurz, ich will's genießen«, hört man nicht selten. Aber die Ewigkeit ist lang, ruft euch eine innere Stimme zu, wenn ihr sie hören wollt und euch nicht taub stellt, wie's bei den lieben Bauern oft der Brauch ist!

Eh' wir wissen, was das Leben sei,
Ist es mehr denn halb vorbei.

Also sagt ein altes Sprichwort und nicht mit Unrecht. Bis der Mensch das Leben kennt, hat er wohl mehr als eine Dummheit gemacht; und wenn er es kennt, bleiben die Dummheiten dennoch nie aus; denn der Mensch hat nie ausgelernt. – Man teilt das menschliche Leben in vier Teile: die Kindheit, Jugend, das Mannes- und Greisen-Alter, was keine neue Erfindung ist; denn so lange es Menschen gibt, ist diese Einteilung üblich. In der Jugend geht's langsam vorwärts und können's die Jungen kaum erwarten, Männer zu werden; dann aber geht's auf einmal bergab, wie ein Wagen ohne Radschuh, allzuschnell, und nützt kein Rufen: »Halt, Halt, oder Zeit lassen!« Wie mancher möchte da die früheren Jahre zurückrufen, um es gescheiter zu machen, als er's getan; aber vergebens! Einmal gelebt und 's ist aus!

 

»Wer aber gut lebt, der lebt lange!«

 

Hat einmal ein Mann, der in den Vierzigern stund, mit dem bösen Feind einen Pakt gemacht und ihm allwöchentlich seine Seele nur auf einen Tag verschrieben, wenn er ihn wieder von vorne anfangen ließe, insoferne er es bewirken könnte. Versprach's auch der Teufel, so immer ein Lügengeist ist, und der andere war so dumm, es zu glauben. Ist demnach der Satanas schon die erste Woche in ihn gefahren, und dann war's aus. Das hätt' er zuvor bedenken sollen. – Also geht's vielen, die sich denken: Ich kann's noch einbringen, bevor ich sterbe. So leben sie dann dahin und verschieben's von einem Tag zum andern, der Ewigkeit zu gedenken; aber unvermutet bricht der Lebensfaden entzwei. Da soll nun die liebe Barmherzigkeit Gottes helfen; allein die göttliche Gerechtigkeit tritt ihr in den Weg, nimmt den freien menschlichen Willen beim Arm und sagt ihm: Du hast's nit anders gewollt, so geh' also den Weg, den du dir selbst gewählt hast! Nur einen Weg gibt es, der uns durch das Leben ins eigentliche Leben führt, nämlich den, wenn wir Dem folgen, der gesagt hat: »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben!«

Einen Weg aber muß man immer gehen, den rechts oder den links, und wer links wandelt, kann nicht rechts kommen und umgekehrt. Ein Schritt – und er führt weiter und immer weiter, bis zum dunklen Abgrund oder bis zu den lichten Höhen! Wählt also beizeiten – an Wegweisern fehlt's nicht, und hütet euch, etwa gar das Wörtlein Leben von rückwärts zu lesen und zu handhaben, wo es dann nichts anderes heißt als Nebel. Solchen ist's aber fürwahr nur ein Nebel, in dem sie herumtappen und nicht wissen, wo aus – solchen, die das Ueberirdische ob des Sinnlichen ganz vergessen.

Wollen wir auch stets des alten Sprichwortes fleißig gedenken, so da sagt:

 

»Leben und leben lassen!«

 

das heißt: Leb' nit, als wenn du allein auf der Welt wärst; halte zu deinen Nebenmenschen; teil' ihnen von deiner Habe mit, geistig oder leiblich; laß den Neid fahren und die Mißgunst; sei nicht hart mit denen, welchen du zu befehlen hast; freu' dich, wenn es andern gut geht; urteile nicht streng über andere und überlasse das Urteil dem ewigen Richter und dergleichen mehr. Dies ist das »Leben und leben lassen!«

Herr, ich weiß es, die Sekunden
Meines Laufs hast du gezählt,
Meiner letzten Jahre Stunden
Und den Hauch, der mich entseelt.
Tage, die mir dunkel blieben,
Sind in Deinem Buch geschrieben
Und da steht mein Leben und mein Tod
Herr, mein Gott!


 << zurück weiter >>