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Barmherzigkeit.

Auf das A kommt das B und nit weit von der Armut sollte gleich die Barmherzigkeit stehen; aber damit steht's oft nicht am besten aus, denn wenn gleich unser Herr und Heiland gar deutlich gesagt hat: »Seid barmherzig, wie auch euer Vater (im Himmel) barmherzig ist,« – so denken doch die meisten zuerst an sich und lang hernach erst an die andern oder auch gar nicht. Die Barmherzigkeit ist wie ein gar großer, weiter Acker, auf dem ihr viel Körnlein, groß und klein, dick und dünn aussäen könnt und geh'n die Engel auf solchen Feldern auf und nieder, pflegen den Samen, den ihr ausgestreut, gar wohl, damit die Pflanzen hoch aufwachsen und mit ihren glänzenden Blumenkronen süßduftend bis in den Himmel hinaufreichen. Sollte man doch meinen, daß jedes menschliche Gemüt der Barmherzigkeit geneigt sei; aber es ist leider dem nit so und die Habsucht und die Selbstsucht treten oft mit dem Erzfeinde, dem Neid, in Kompagnie, bis das ganze Menschenherz an den Satanas verschachert ist! Allwo noch auf dem Land der schöne Brauch nach altem Herkommen gang und geb' ist, daß kein Armer von der Haustüre ohne einen Pfennig oder ein Stück Brot weggeht, da hat's wohl noch gute Wege; denn der geringe Pfennig wird dort oben gleich auf Interesse gelegt, und wenn ihr einmal hinauf kommt, werdet ihr staunen, was für ein unvergänglicher, herrlicher Schatz euch bereitet wurde, um auf der Wage der Gerechtigkeit ein Gewicht für euer Seelenheil abzugeben. So ein »Vergelt's Gott«, das euch ein Armer zum Dank sagt, wiegt gar schwer in den Augen Gottes. O laßt doch nicht leicht einen unbeschenkt von euch weggeh'n, »und wer euch bittet, dem gebt«. Fällt mir bei dieser Gelegenheit ein Geschichtlein bei, das ich hierhersetzen will, beiläufig wie es vor ein paar hundert Jahren niedergeschrieben worden:

»Barmherzigkeit ist ein kostbar Kleinod, so einer bei sich tragen mag all Weg und Steg. Ritt einmal ein edler Ritter von seiner Burg herab, willens, einen lieben Nachbar heimzusuchen und mit selbem jagens zu geh'n. Allwie er durch den Wald reitet, wo er sich gar sehr an dem hellen Schein der Waldblümlein erfreut und an dem fröhlichen Sang der Vöglein, so in großer Anzahl auf den Zweigen ruhen oder ihm über dem Haupte schweben, sitzt ein alter Mann, am Leibe schier nackend, unter einer Linde und hebt also an: Vieledler Ritter, seht mich hungrig und bloß dasitzen, bitt' euch um euer Mäntelein, damit ich mich zudecken kann; worauf ihm der Ritter gern das Mäntelein schenkte; fahrt aber der Arme weiter fort und spricht: Ach, edler Herr, das Tuch deckt mich nur halb zu, schenkt mir auch euer Wams und Hosen. Kann sich der Ritter der Barmherzigkeit nit erwehren und reicht ihm auch das mildtätig hin, worauf der Alte sagt: dank' euch darum, möcht' aber auch um Gotteslieb euer Barett verlangen, dieweil mein Haupt des Haars entbehrt und mich die Sonnenstrahlen brennen. Auch das gewährt der Ritter und immer mehr und mehr auf Andringen des Bettlers, bis er selbsten im Linnenhemdlein und barfuß auf dem Roß sitzt, sein gutes Schwert an der Seiten; muß schier selbsten über sein' Figura lachen und denkt sich: werd' weiter nit zum Gespött in die Burg meines Freundes einziehen, will's aber dem Herrn opfern; glaubt nun fürbaß reiten zu können; da will aber der Bettelmann gar noch das Linnenhemdlein begehren, worüber der Ritter baß unwirsch wird und ihn mit harten Worten von sich weist und seines Weges weiter reitet. Fehlt auch nit, daß auf der Burg dann viel Gelächters und Kurzweil getrieben wird, da der edle Herr hoch zu Roß im Hemdlein einreitet: tut aber selbsten mit und legt sich alles nach dem Abendtrunk vergnügt zu Bett. Wie aber der Ritter eingeschlafen, hat er ein wunderbar Traumgesicht gehabt, allwo ihm unser Herr und Heiland in großem Himmelsglanze erschienen ist, selband angetan mit all Gewand und Hab, so der Ritter im Wald dem Bettler geschenkt, und ließ sich des Herrn Stimme also vernehmen: was du dem Armen getan, das hast du mir getan und dein Lieb und Barmherzigkeit wird dir an mir vergolten sein! Darob denn der Ritter gar schnell erwacht und auf die Knie hinfällt und spricht: O mein Herr und Heiland wie gereuet mich, daß ich dir nit auch das Linnenhemdlein gegeben hab'! – Und ward von nun an des Ritters Barmherzigkeit noch größer, als vordem, obgleich er allweil den Armen viel Guts erwiesen hatte. Er konnt' aber des Gebens nit satt werden und ist ihm dabei der Segen an Hab und Gut nie ausgangen bis er endlich sanft und freudig im Herrn entschlafen ist.« –

Aber nicht gegen unsere Nebenmenschen allein, sondern auch gegen die Tiere sollen wir barmherzig sein. Es ist wohl eine Schande für die Menschheit, die doch im Christentums aufgewachsen und erzogen ist, daß man der sogenannten »Vereine gegen Tierquälerei« zu bedürfen scheint, damit der Grausamkeit Einhalt getan werde, die man gegen die armen Geschöpfe verübt, welche der Schöpfer uns zu Dienst und Nahrung bestimmt hat. Sollte man doch meinen, ein jeder Christ wisse es hinlänglich, daß die Tierquälerei eine grobe Sünde sei gegen den Schöpfer selbst, wie oft Pferde oder andere Zugtiere aufs grausamste mißhandelt werden, wenn sie nicht sogar das leisten, was sie nicht zu leisten vermögen, das kann man leider nicht selten auf allen Landstraßen sehen oder auch auf Feldern und in Wäldern. So ein Seufzer oder Schrei eines gequälten Tieres ist aber ein Ruf, der bis zu dem lieben Gott im Himmel hinaufhallt und weh' denen, die dergleichen veranlaßt haben! Ja sogar die armen Tiere werden bisweilen noch gequält, die kurz darauf ihr Lieben lassen müssen, damit wir uns ein Gutes tun! Dergleichen kann man den Leuten nicht oft genug vorhalten, wer aber mit den Tieren unbarmherzig umgeht, dessen Herz ist wohl noch mehr der Barmherzigkeit gegen die Menschen verschlossen und wie's um solche aussteht, das wißt ihr schon selbst und die Erfahrung zeigt es uns im Leben nur zu oft!

Barmherzigkeit, Barmherzigkeit
Sei deines Wandels stet' Geleit;
Tu auf dein Herz,
Tröst' andrer Schmerz,
Damit die Milde Gottes sich
Auch dir erweise gnädiglich.


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