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152

Fünfzehnter Theil
Zehnte Rede

Sinnesgewalt

Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei KajaṈgalā, An der südöstlichen Gränze von Nepāl, vielleicht im Gebiete von Khajauli, unfern Janakapur, dem alten Mithilā. im Hain der Glockenbäume.

Da begab sich denn Uttaro, ein junger Brāhmane, der Schüler Pārāsariyos, zum Erhabenen hin, wechselte höflichen Gruß und freundliche, denkwürdige Worte mit dem Erhabenen und setzte sich seitwärts nieder. An Uttaro den jungen Brāhmanen, den Schüler Pārāsariyos, der da zur Seite saß, wandte sich nun der Erhabene also:

»Lehrt, Uttaro, Pārāsariyo der Priester den Jüngern die Sinne in der Gewalt haben?«

»Es lehrt, o Gotamo, Pārāsariyo der Priester den Jüngern die Sinne in der Gewalt haben.«

»Auf welche Weise, Uttaro, lehrt wohl Pārāsariyo der Priester den Jüngern die Sinne in der Gewalt haben?«

»Da sieht man, o Gotamo, mit dem Auge keine Form und hört mit dem Ohre keinen Ton: also lehrt, o Gotamo, Pārāsariyo der Priester den Jüngern die Sinne in der Gewalt haben.« Nach dem Bṛhadāraṇyakam I, 5,8: manasā hyeva paśyati, manasā śṛṇoti; wo auch II & IV i. f. Pārāśaryas als Altmeister überliefert ist.
Zu S. 605, Z. 1 u. 2 v. u.: Auch Geister und Götter sind bekanntlich dem Entstehn und Vergehn unterworfen. Vergl. Anm. 96 und S. 357. Dieser Begriff der nur lange, nicht ewig bestehenden Götter, wie er in Indien gang und gäbe und unvermuthet wieder bei Empedokles erscheint, ist mir recht merkwürdig einmal auch bei uns begegnet. Eine muntere Schrättin sagte einst im Gespräch, es war an einem Karfreitage, sehr klug zu mir: »Wie kann Eins denn immer noch an Christus glauben? In so langer Zeit muss er ja längst anders worden sein und aufgelöst.« – »Freilich doch nur was den Leib angeht«, warf ich ein, »aber sein Geist?« – »Auch der, mein' ich«, sagte sie, »mag nimmer der selbe geblieben und verschwunden sein.« Einem solchen Zeugnisse wohlgesättigten Mutterwitzes ließen sich gelegentlich mancherlei tiefere Stimmen gesellen, wie etwa Anm. 152 von anderen Ripien berichtet ist, deren finale Gestalt uns Vernaleken aufbewahrt hat. Es sind gewissermaaßen chladnische Klangfiguren; oder historisch betrachtet, versprengte Reste ārischen Glimmers im semitischen Kalke, die heute nur mehr in labyrinthisch verborgen rieselnden Quellen altüberkommener Weissagung, allmälig fast ununterscheidbar zerschliffen, immer weiter zersetzt, hinweggetragen und verschwemmt, kaum reinlich wiedergewinnbar sein werden: und ihnen glücklich nachspüren kann selten gelingen. Noch seltener freilich durch Schlamm und Gerölle, Mergel, Kies und Quarz bis zum Urgehirge vordringen und Edelkrystalle finden und schätzen lernen: »denn die wahren Heiligen sind«, nach des Matthias Claudius einsichtiger Kleinodienkunde, »die Diamanten gegen die ungeheure Menge Feldsteine.« Am seltensten aber erst Kant ergründen und Kopf und Herz buddhistischer Mönche abwägen, dann Gleichmuth in entlegenen Wäldern vollbringen und endlich wortlos in ägyptischer Einöde sich verlieren: wie es Robert L'Orange gethan.

»Ist es also, Uttaro, dann mag ein Blinder Gewalt über die Sinne haben, und mag ein Tauber Gewalt über die Sinne haben, dem Worte des Priesters Pārāsariyo gemäß: denn ein Blinder, Uttaro, sieht mit dem Auge keine Form, und ein Tauber hört mit dem Ohre keinen Ton.«

Also beschieden blieb Uttaro, der junge Brāhmane, der Schüler Pārāsariyos, verstummt und verstört, die Schultern gebeugt, den Kopf gesenkt, sprachlos vor sich hinstarrend sitzen. Und der Erhabene sah wie Uttaro also dasaß und wandte sich an den ehrwürdigen Ānando:

»Auf andere Weise, Ānando, lehrt eben Pārāsariyo der Priester den Jüngern die Sinne in der Gewalt haben, und auf andere Weise wieder hat man im Orden des Heiligen die Sinne in höchster Gewalt.«

»Da ist es, Erhabener, Zeit, da ist es, Willkommener, Zeit, dass der Erhabene zeige, wie man im Orden des Heiligen die Sinne in höchster Gewalt hat: des Erhabenen Worte werden die Mönche bewahren.«

»Wohlan denn, Ānando, so höre und achte wohl auf meine Rede.«

»Gewiss, o Herr!« sagte da aufmerksam der ehrwürdige Ānando zum Erhabenen. Der Erhabene sprach also:

»Wie also hat man, Ānando, im Orden des Heiligen die Sinne in höchster Gewalt? Da hat, Ānando, ein Mönch mit dem Auge eine Form gesehn und wird angenehm bewegt, wird unangenehm bewegt, wird angenehm und unangenehm bewegt. Und er erkennt: ›Bewegt worden bin ich da angenehm, bewegt worden unangenehm, bewegt worden angenehm und unangenehm: das aber ist zusammengesetzt, ist grob geartet, bedingt entstanden; es giebt eine Ruhe, es giebt ein Ziel, und zwar den Gleichmuth.‹ Und das angenehm bewegt sein, unangenehm bewegt sein, angenehm und unangenehm bewegt sein hört bei ihm auf, der Gleichmuth hält an. Gleichwie etwa, Ānando, ein scharfsehender Mann blicks die Augen aufschlagen und schließen, blicks die Augen schließen und aufschlagen kann: ebenso nun auch, Ānando, kann wer da also rasch, also eilig, also mühelos das angenehm bewegt sein, unangenehm bewegt sein, angenehm und unangenehm bewegt sein bei sich aufhören lässt den Gleichmuth anhalten lassen. Das heißt man, Ānando, im Orden des Heiligen die Sinne in höchster Gewalt haben, bei den durch das Gesicht ins Bewusstsein tretenden Formen.

»Weiter sodann, Ānando, hat ein Mönch mit dem Ohre einen Ton gehört und wird angenehm bewegt, wird unangenehm bewegt, wird angenehm und unangenehm bewegt. Und er erkennt: ›Bewegt worden bin ich da angenehm, bewegt worden unangenehm, bewegt worden angenehm und unangenehm: das aber ist zusammengesetzt, ist grob geartet, bedingt entstanden; es giebt eine Ruhe, es giebt ein Ziel, und zwar den Gleichmuth.‹ Und das angenehm bewegt sein, unangenehm bewegt sein, angenehm und unangenehm bewegt sein hört bei ihm auf, der Gleichmuth hält an. Gleichwie etwa, Ānando, ein kräftiger Mann gar leicht einen Schnalzer schlagen kann: ebenso nun auch, Ānando, kann wer da also rasch, also eilig, also mühelos das angenehm bewegt sein, unangenehm bewegt sein, angenehm und unangenehm bewegt sein bei sich aufhören lässt den Gleichmuth anhalten lassen. Das heißt man, Ānando, im Orden des Heiligen die Sinne in höchster Gewalt haben, bei den durch das Gehör ins Bewusstsein tretenden Tönen.

»Weiter sodann, Ānando, hat ein Mönch mit der Nase einen Duft gerochen und wird angenehm bewegt, wird unangenehm bewegt, wird angenehm und unangenehm bewegt. Und er erkennt: ›Bewegt worden bin ich da angenehm, bewegt worden unangenehm, bewegt worden angenehm und unangenehm: das aber ist zusammengesetzt, ist grob geartet, bedingt entstanden; es giebt eine Ruhe, es giebt ein Ziel, und zwar den Gleichmuth.‹ Und das angenehm bewegt sein, unangenehm bewegt sein, angenehm und unangenehm bewegt sein hört bei ihm auf, der Gleichmuth hält an. Gleichwie etwa, Ānando, auf einem leicht geneigten Lotusblatte Wassertropfen herabgleiten, keinen Halt finden: ebenso nun auch, Ānando, kann wer da also rasch, also eilig, also mühelos das angenehm bewegt sein, unangenehm bewegt sein, angenehm und unangenehm bewegt sein bei sich aufhören lässt den Gleichmuth anhalten lassen. Das heißt man, Ānando, im Orden des Heiligen die Sinne in höchster Gewalt haben, bei den durch den Geruch ins Bewusstsein tretenden Düften.

»Weiter sodann, Ānando, hat ein Mönch mit der Zunge einen Saft geschmeckt und wird angenehm bewegt, wird unangenehm bewegt, wird angenehm und unangenehm bewegt. Und er erkennt: ›Bewegt worden bin ich da angenehm, bewegt worden unangenehm, bewegt worden angenehm und unangenehm: das aber ist zusammengesetzt, ist grob geartet, bedingt entstanden; es giebt eine Ruhe, es giebt ein Ziel, und zwar den Gleichmuth.‹ Und das angenehm bewegt sein, unangenehm bewegt sein, angenehm und unangenehm bewegt sein hört bei ihm auf, der Gleichmuth hält an. Gleichwie etwa, Ānando, ein kräftiger Mann an der Spitze der Zunge einen Speichelball ansammeln und ohne Mühe ausspeien kann: ebenso nun auch, Ānando, kann wer da also rasch, also eilig, also mühelos das angenehm bewegt sein, unangenehm bewegt sein, angenehm und unangenehm bewegt sein bei sich aufhören lässt den Gleichmuth anhalten lassen. Das heißt man, Ānando, im Orden des Heiligen die Sinne in höchster Gewalt haben, bei den durch den Geschmack ins Bewusstsein tretenden Säften.

»Weiter sodann, Ānando, hat ein Mönch mit dem Leibe eine Tastung getastet und wird angenehm bewegt, wird unangenehm bewegt, wird angenehm und unangenehm bewegt. Und er erkennt: ›Bewegt worden bin ich da angenehm, bewegt worden unangenehm, bewegt worden angenehm und unangenehm: das aber ist zusammengesetzt, ist grob geartet, bedingt entstanden; es giebt eine Ruhe, es giebt ein Ziel, und zwar den Gleichmuth.‹ Und das angenehm bewegt sein, unangenehm bewegt sein, angenehm und unangenehm bewegt sein hört bei ihm auf, der Gleichmuth hält an. Gleichwie etwa, Ānando, ein kräftiger Mann seinen eingezogenen Arm ausstrecken oder seinen ausgestreckten Arm einziehen kann: ebenso nun auch, Ānando, kann wer da also rasch, also eilig, also mühelos das angenehm bewegt sein, unangenehm bewegt sein, angenehm und unangenehm bewegt sein bei sich aufhören lässt den Gleichmuth anhalten lassen. Das heißt man, Ānando, im Orden des Heiligen die Sinne in höchster Gewalt haben, bei den durch das Getast ins Bewusstsein tretenden Tastungen.

»Weiter sodann, Ānando, hat ein Mönch mit dem Geiste ein Ding gedacht und wird angenehm bewegt, wird unangenehm bewegt, wird angenehm und unangenehm bewegt. Und er erkennt: ›Bewegt worden bin ich da angenehm, bewegt worden unangenehm, bewegt worden angenehm und unangenehm: das aber ist zusammengesetzt, ist grob geartet, bedingt entstanden; es giebt eine Ruhe, es giebt ein Ziel, und zwar den Gleichmuth.‹ Und das angenehm bewegt sein, unangenehm bewegt sein, angenehm und unangenehm bewegt sein hört bei ihm auf, der Gleichmuth hält an. Gleichwie etwa, Ānando, wenn ein Mann auf eine tagüber am Feuer glühende eiserne Pfanne zwei oder drei Wassertropfen herabträufeln ließe – langsam, Ānando, wäre der Fall der Tropfen, aber gar eilig würden sie aufgelöst und verschwunden sein –: ebenso nun auch, Ānando, kann wer da also rasch, also eilig, also mühelos das angenehm bewegt sein, unangenehm bewegt sein, angenehm und unangenehm bewegt sein bei sich aufhören lässt den Gleichmuth anhalten lassen. Das heißt man, Ānando, im Orden des Heiligen die Sinne in höchster Gewalt haben, bei den durch das Gedenken ins Bewusstsein tretenden Dingen. – So aber hat man, Ānando, im Orden des Heiligen die Sinne in höchster Gewalt.

 

»Wie aber ist man, Ānando, als Kämpfer vorgeschritten? Da hat, Ānando, ein Mönch mit dem Auge eine Form gesehn und wird angenehm bewegt, wird unangenehm bewegt, wird angenehm und unangenehm bewegt. Und vor diesem angenehm bewegt sein, unangenehm bewegt sein, angenehm und unangenehm bewegt sein kommt ihn ein Grauen an, Entsetzen an, Abscheu an. Er hat mit dem Ohre einen Ton gehört, mit der Nase einen Duft gerochen, mit der Zunge einen Saft geschmeckt, mit dem Leibe eine Tastung getastet, mit dem Geiste ein Ding gedacht und wird angenehm bewegt, wird unangenehm bewegt, wird angenehm und unangenehm bewegt. Und vor diesem angenehm bewegt sein, unangenehm bewegt sein, angenehm und unangenehm bewegt sein kommt ihn ein Grauen an, Entsetzen an, Abscheu an. So aber ist man, Ānando, als Kämpfer vorgeschritten.

»Wie aber ist man, Ānando, als Heiliger sinnesgewaltig? Da hat, Ānando, ein Mönch mit dem Auge eine Form gesehn und wird angenehm bewegt, wird unangenehm bewegt, wird angenehm und unangenehm bewegt. Und wenn er sich wünscht: ›Bei Widerwärtigem will ich unwiderwärtig gewahrbleiben‹, so bleibt er dabei unwiderwärtig gewahr; wenn er sich wünscht: ›Bei Unwiderwärtigem will ich widerwärtig gewahrbleiben‹, so bleibt er dabei widerwärtig gewahr; wenn er sich wünscht: ›Bei Widerwärtigem und Unwiderwärtigem will ich unwiderwärtig gewahr bleiben‹, so bleibt er dabei unwiderwärtig gewahr; wenn er sich wünscht: ›Bei Unwiderwärtigem und Widerwärtigem will ich widerwärtig gewahrbleiben‹, so bleibt er dabei widerwärtig gewahr; wenn er sich wünscht: ›Widerwärtiges und Unwiderwärtiges, beides will ich von mir weisen und gleichmüthig bleiben, besonnen, klar bewusst‹, so bleibt er dabei gleichmüthig, besonnen, klar bewusst. Weiter sodann, Ānando, hat ein Mönch mit dem Ohre einen Ton gehört, mit der Nase einen Duft gerochen, mit der Zunge einen Saft geschmeckt, mit dem Leibe eine Tastung getastet, mit dem Geiste ein Ding gedacht und wird angenehm bewegt, wird unangenehm bewegt, wird angenehm und unangenehm bewegt. Und wenn er sich wünscht: ›Bei Widerwärtigem will ich unwiderwärtig gewahrbleiben‹, so bleibt er dabei unwiderwärtig gewahr; wenn er sich wünscht: ›Bei Unwiderwärtigem will ich widerwärtig gewahrbleiben‹, so bleibt er dabei widerwärtig gewahr; wenn er sich wünscht: ›Bei Widerwärtigem und Unwiderwärtigem will ich unwiderwärtig gewahrbleiben‹, so bleibt er dabei unwiderwärtig gewahr; wenn er sich wünscht: ›Bei Unwiderwärtigem und Widerwärtigem will ich widerwärtig gewahrbleiben‹, so bleibt er dabei widerwärtig gewahr; wenn er sich wünscht: ›Widerwärtiges und Unwiderwärtiges, beides will ich von mir weisen und gleichmüthig bleiben, besonnen, klar bewusst‹, so bleibt er dabei gleichmüthig, besonnen, klar bewusst. So aber ist man, Ānando, als Heiliger sinnesgewaltig.

»Und so hab' ich, Ānando, gezeigt wie man im Orden des Heiligen die Sinne in höchster Gewalt hat, gezeigt wie man als Kämpfer vorgeschritten ist, gezeigt wie man als Heiliger sinnesgewaltig ist. Was ein Meister, Ānando, den Jüngern aus Liebe und Theilnahme, von Mitleid bewogen, schuldet, das habt ihr von mir empfangen. Da laden, Ānando, Bäume ein, und dort leere Klausen. Wirket Schauung, Ānando, auf dass ihr nicht lässig werdet, später nicht Reue empfindet: das haltet als unser Gebot.«

 

Also sprach der Erhabene. Zufrieden freute sich der ehrwürdige Ānando über das Wort des Erhabenen.


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