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Elfter Theil
Zehnte Rede

Vollmond

II

Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Sāvatthī, im Osthaine, auf Mutter Migāros Terrasse. Um diese Zeit nun hatte der Erhabene – es war ein Feiertag, im halben Monat, in der voll aufgegangenen Mondnacht – inmitten der Mönchgemeinde unter freiem Himmel Platz genommen. Und der Erhabene blickte über die lautlose, stille Schaar der Mönche hin und wandte sich also an sie:

»Kann wohl, ihr Mönche, ein schlechter Mensch einen schlechten Menschen erkennen: ›Das ist ein schlechter Mensch‹?«

»Wohl nicht, o Herr!«

»Recht so, ihr Mönche. Unmöglich ist es, ihr Mönche, es kann nicht sein, dass ein schlechter Mensch einen schlechten Menschen erkenne: ›Das ist ein schlechter Mensch.‹ Kann aber, ihr Mönche, ein schlechter Mensch einen guten Menschen erkennen: ›Das ist ein guter Mensch‹?«

»Wohl nicht, o Herr!«

»Recht so, ihr Mönche. Auch das ist, ihr Mönche, unmöglich, es kann nicht sein, dass ein schlechter Mensch einen guten Menschen erkenne: ›Das ist ein guter Mensch.‹ Ein schlechter Mensch, ihr Mönche, folgt einer schlechten Weise nach, hat zu schlechten Menschen Neigung, denkt mit schlechten Menschen, beräth sich mit schlechten Menschen, bespricht sich mit schlechten Menschen, verkehrt mit schlechten Menschen, liebt die Ansichten schlechter Menschen, giebt die Gabe schlechter Menschen.

»Wie aber folgt, ihr Mönche, ein schlechter Mensch einer schlechten Weise nach? Da hat, ihr Mönche, ein schlechter Mensch kein Zutrauen, er ist schaamlos und unbescheiden, er weiß wenig, es kümmert ihn wenig, trübe sieht er, und er versteht nichts. Also folgt, ihr Mönche, ein schlechter Mensch einer schlechten Weise nach.

»Wie aber hat, ihr Mönche, ein schlechter Mensch zu schlechten Menschen Neigung? Da hat, ihr Mönche, ein schlechter Mensch jene Asketen und Priester, die da ohne Zutrauen, schaamlos und unbescheiden sind, die wenig wissen, die wenig kümmert, die trübe sehn und nichts verstehn, die hat er zu Freunden, hat sie zu Genossen. Also hat, ihr Mönche, ein schlechter Mensch zu schlechten Menschen Neigung.

»Wie aber denkt, ihr Mönche, ein schlechter Mensch mit schlechten Menschen? Da denkt, ihr Mönche, ein schlechter Mensch zu eigener Beschwer, und er denkt zu fremder Beschwer, und er denkt zu beider Beschwer. Also, ihr Mönche, denkt ein schlechter Mensch mit schlechten Menschen.

»Wie aber beräth sich, ihr Mönche, ein schlechter Mensch mit schlechten Menschen? Da beräth sich, ihr Mönche, ein schlechter Mensch zu eigener Beschwer, und er beräth sich zu fremder Beschwer, und er beräth sich zu beider Beschwer. Also, ihr Mönche, beräth sich ein schlechter Mensch mit schlechten Menschen.

»Wie aber bespricht sich, ihr Mönche, ein schlechter Mensch mit schlechten Menschen? Da spricht, ihr Mönche, ein schlechter Mensch Lügen, er verleumdet, führt barsche Rede, treibt geschwätzige Rede. Also, ihr Mönche, bespricht sich ein schlechter Mensch mit schlechten Menschen.

»Wie aber verkehrt, ihr Mönche, ein schlechter Mensch mit schlechten Menschen? Da bringt, ihr Mönche, ein schlechter Mensch Lebendiges um, er nimmt Nichtgegebenes, er begeht Ausschweifung. Also, ihr Mönche, verkehrt ein schlechter Mensch mit schlechten Menschen.

»Wie aber liebt, ihr Mönche, ein schlechter Mensch die Ansichten schlechter Menschen? Da bekennt sich, ihr Mönche, ein schlechter Mensch zu dieser Ansicht: ›Almosengeben, Verzichtleisten, Spenden – es ist alles eitel; es giebt keine Saat und Ernte guter und böser Werke; Diesseits und Jenseits sind leere Worte; Vater und Mutter und auch geistige Geburt sind hohle Namen; die Welt hat keine Asketen und Priester, die vollkommen und vollendet sind, die sich den Sinn dieser und jener Welt begreiflich machen, anschaulich vorstellen und erklären können.‹ Also, ihr Mönche, liebt ein schlechter Mensch die Ansichten schlechter Menschen.

»Wie aber giebt, ihr Mönche, ein schlechter Mensch die Gabe schlechter Menschen? Da theilt, ihr Mönche, ein schlechter Mensch Gaben aus ohne zu würdigen, nicht eigenhändig, unbedacht, wirft sie weg, er glaubt an kein hülfreiches Wirken. Also, ihr Mönche, giebt ein schlechter Mensch die Gabe schlechter Menschen.

»So ein schlechter Mensch nun, ihr Mönche, der also einer schlechten Weise nachgefolgt, also schlechten Menschen zugeneigt war, also mit schlechten Menschen gedacht, also mit schlechten Menschen sich berathen, also mit schlechten Menschen sich besprochen, also mit schlechten Menschen verkehrt, also die Ansichten schlechter Menschen geliebt, also die Gabe schlechter Menschen gegeben hatte, wird bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, zur Fährte schlechter Menschen hingerathen. Was ist aber, ihr Mönche, die Fährte schlechter Menschen? Hölle oder Thierheit.

 

»Kann wohl, ihr Mönche, ein guter Mensch einen guten Menschen erkennen: ›Das ist ein guter Mensch‹?«

»Freilich, o Herr!«

»Recht so, ihr Mönche. Es mag schon sein, ihr Mönche, dass ein guter Mensch einen guten Menschen erkenne: ›Das ist ein guter Mensch.‹ Kann aber, ihr Mönche, ein guter Mensch einen schlechten Menschen erkennen: ›Das ist ein schlechter Mensch‹?«

»Freilich, o Herr!«

»Recht so, ihr Mönche. Auch das, ihr Mönche, mag schon sein, dass ein guter Mensch einen schlechten Menschen erkenne: ›Das ist ein schlechter Mensch.‹ Ein guter Mensch, ihr Mönche, folgt einer guten Weise nach, hat zu guten Menschen Neigung, denkt mit guten Menschen, beräth sich mit guten Menschen, bespricht sich mit guten Menschen, verkehrt mit guten Menschen, liebt die Ansichten guter Menschen, giebt die Gabe guter Menschen.

»Wie aber folgt, ihr Mönche, ein guter Mensch einer guten Weise nach? Da hat, ihr Mönche, ein guter Mensch Zutrauen, er ist schaamhaft, bescheiden, er weiß viel, tapfer harrt er aus, klar bewusst, witzig erfahren. Also folgt, ihr Mönche, ein guter Mensch einer guten Weise nach.

»Wie aber hat, ihr Mönche, ein guter Mensch zu guten Menschen Neigung? Da hat, ihr Mönche, ein guter Mensch jene Asketen und Priester, die da Zutrauen hegen, schaamhaft, bescheiden sind, die viel wissen, tapfer ausharren, klar bewusst, witzig erfahren, die hat er zu Freunden, hat sie zu Genossen. Also hat, ihr Mönche, ein guter Mensch zu guten Menschen Neigung.

»Wie aber denkt, ihr Mönche, ein guter Mensch mit guten Menschen? Da denkt, ihr Mönche, ein guter Mensch weder zu eigener Beschwer, noch denkt er zu fremder Beschwer, noch denkt er zu beider Beschwer. Also, ihr Mönche, denkt ein guter Mensch mit guten Menschen.

»Wie aber beräth sich, ihr Mönche, ein guter Mensch mit guten Menschen? Da beräth sich, ihr Mönche, ein guter Mensch weder zu eigener Beschwer, noch beräth er sich zu fremder Beschwer, noch beräth er sich zu beider Beschwer. Also, ihr Mönche, beräth sich ein guter Mensch mit guten Menschen.

»Wie aber bespricht sich, ihr Mönche, ein guter Mensch mit guten Menschen? Da hält sich, ihr Mönche, ein guter Mensch vom Lügen zurück, vom Verleumden zurück, er führt keine barsche Rede, treibt keine geschwätzige Rede. Also, ihr Mönche, bespricht sich ein guter Mensch mit guten Menschen.

»Wie aber verkehrt, ihr Mönche, ein guter Mensch mit guten Menschen? Da hält sich, ihr Mönche, ein guter Mensch von Todtschlag zurück, von Diebstahl zurück, von Ausschweifung zurück. Also, ihr Mönche, verkehrt ein guter Mensch mit guten Menschen.

»Wie aber liebt, ihr Mönche, ein guter Mensch die Ansichten guter Menschen? Da bekennt sich, ihr Mönche, ein guter Mensch zu dieser Ansicht: ›Almosengeben, Verzichtleisten, Spenden ist kein Unsinn; es giebt eine Saat und Ernte guter und böser Werke; das Diesseits ist vorhanden und das Jenseits ist vorhanden; Eltern giebt es und geistige Geburt giebt es; Cf. Manus II, 147 f; opapātiko: utpādayati yasmiṃ saḥ. Vergl. bes. noch Vasiṣṭhas II, 5. die Welt hat Asketen und Priester, die vollkommen und vollendet sind, die sich den Sinn dieser und jener Welt begreiflich machen, anschaulich vorstellen und erklären können.‹ Also, ihr Mönche, liebt ein guter Mensch die Ansichten guter Menschen.

»Wie aber giebt, ihr Mönche, ein guter Mensch die Gabe guter Menschen? Da theilt, ihr Mönche, ein guter Mensch Gaben aus indem er würdigt, mit eigener Hand, mit Bedacht, in lauterer Absicht, er glaubt an hülfreiches Wirken. Also, ihr Mönche, giebt ein guter Mensch die Gabe guter Menschen.

»So ein guter Mensch nun, ihr Mönche, der also einer guten Weise nachgefolgt, also guten Menschen zugeneigt war, also mit guten Menschen gedacht, also mit guten Menschen sich berathen, also mit guten Menschen sich besprochen, also mit guten Menschen verkehrt, also die Ansichten guter Menschen geliebt, also die Gabe guter Menschen gegeben hatte, wird bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, zur Fährte guter Menschen hingerathen. Was ist aber, ihr Mönche, die Fährte guter Menschen? Göttermacht oder Menschenmacht.«

 

Also sprach der Erhabene. Zufrieden freuten sich jene Mönche über das Wort des Erhabenen. Zum ādiśrautam von der Saat und Ernte cf. die 135. Rede nebst Anm. 176. Bekanntlich in die synoptischen Evangelien aufgenommen; bei uns am schönsten von Gottfried im Tristan ausgesprochen, ed. pr. v. 12 239f.:

Wir muezen snîden unde mæjen
Daz selbe, daz wir dar gesæjen.

Die Bemerkung, dass Gute gleich und ungleich, Schlechte auch nicht gleich und gleich zu erkennen vermögen – ähnlich wie Korinth. I, 2, 14, 15 eine Vertiefung des antiken Axioms vom Gleichen für Gleiches, das z.B. bei uns im ersten Theile der 105. Rede, S. 69-73, ausgeführt ist – wird von den beiden Asketen gegen Ende des vierten Aktes der Śakuntalā bestätigt, vanaukaso ‘pi santo laukikajñā, vayam, und na khalu dhīmatāṃ kaścid aviṣayo nāma; bei uns vom ehrwürdigen Illuministen Merswin, im Buche von den Neun Felsen p. 115: »dis sint menschen, die der welte unbekant sint, abber die welt ist diesen menschen gar wol bekant.«
Das Hauptergebniss, ‘Den Guten gesellt sein’, eine Erinnerung, die in unseren Texten immer wiederkehrt, ist am Ende der 75. Rede mit lakonischer Meisterschaft entwickelt. Es ist der selbe Satz, den Aristophanes in den Sphekes 1238 citiert, τους αγαθους φιλει, und den der Chor 1457/61 ausführt.


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