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146

Fünfzehnter Theil
Vierte Rede

Nandako

Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Sāvatthī, im Siegerwalde, im Garten Anāthapiṇḍikos.

Da nun begab sich Mahāpajāpatī die Gotamidin, gefolgt von einer Schaar von fünfhundert Nonnen, zum Erhabenen hin, bot ehrerbietigen Gruß dar und stellte sich seitwärts. Seitwärts stehend sprach nun Mahāpajāpatī die Gotamidin zum Erhabenen also:

»Belehren möge, o Herr, der Erhabene die Nonnen, unterrichten möge, o Herr, der Erhabene die Nonnen, spenden möge, o Herr, der Erhabene den Nonnen ein lehrreiches Gespräch!«

Damals nun lag es den Ordensälteren, der Reihe nach, ob, den Nonnen Vortrag zu halten. Als aber die Reihe an den ehrwürdigen Nandako gekommen war, mochte dieser den Nonnen keinen Vortrag halten.

Und der Erhabene wandte sich an den ehrwürdigen Ānando:

»An wem ist doch, Ānando, heute die Reihe, den Nonnen Vortrag zu halten?«

»Wir alle, o Herr, haben schon der Reihe nach den Nonnen Vortrag gehalten. Der ehrwürdige Nandako hier, o Herr, der mag den Nonnen keinen Vortrag halten.«

Und der Erhabene wandte sich an den ehrwürdigen Nandako:

»Belehre, Nandako, die Nonnen, unterrichte, Nandako, die Nonnen, spende du, Heiliger, den Nonnen ein lehrreiches Gespräch.«

»Wohl, o Herr!« sagte da der ehrwürdige Nandako, dem Erhabenen gehorchend. Und er rüstete sich beizeiten, nahm Mantel und Schaale und ging nach Sāvatthī um Almosenspeise. Als er dort, von Haus zu Hause tretend, Almosen erhalten, kehrte er zurück, nahm das Mahl ein und begab sich dann selbander nach dem Königsgarten.

Es sahn aber jene Nonnen den ehrwürdigen Nandako von ferne herankommen, und als sie ihn gesehn, stellten sie einen Stuhl zurecht und Wasser für die Füße. Es setzte sich der ehrwürdige Nandako auf den angebotenen Sitz, und als er saß spülte er sich die Füße ab. Jene Nonnen boten nun dem ehrwürdigen Nandako ehrerbietigen Gruß dar und setzten sich seitwärts hin. Zu jenen Nonnen, die da seitwärts saßen, sprach der ehrwürdige Nandako also:

»Ein Gespräch, ihr Schwestern, mit Frage und Antwort mag stattfinden. Da habt ihr, versteht ihr es, ›Wir verstehn es‹ zu sagen; versteht ihr es nicht, ›Wir verstehn es nicht‹ zu sagen. Hat aber eine etwa einen Zweifel oder ein Bedenken, so bin ich eben da um gefragt zu werden: ›Wie ist das, o Herr, was ist der Sinn davon?‹«

»Wir wissen es, o Herr, dem ehrenreichen Nandako gar froh zu Danke, dass uns der ehrenreiche Nandako dies gestattet.«

»Was meint ihr wohl, Schwestern: ist das Auge unvergänglich oder vergänglich?«

»Vergänglich, o Herr!«

»Was aber vergänglich, ist das weh' oder wohl?«

»Weh', o Herr!«

»Was aber vergänglich, wehe, wandelbar ist, kann man etwa davon behaupten: ›Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst‹?«

»Gewiss nicht, o Herr!«

»Was meint ihr wohl, Schwestern: ist das Ohr, die Nase, die Zunge, der Leib, der Geist unvergänglich oder vergänglich?«

»Vergänglich, o Herr!«

»Was aber vergänglich, ist das weh' oder wohl?«

»Weh', o Herr!«

»Was aber vergänglich, wehe, wandelbar ist, kann man etwa davon behaupten: ›Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst‹?«

»Gewiss nicht, o Herr!«

»Und warum nicht?«

»Wir haben es ja schon vormals, o Herr, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit klar gesehn: ›So und so sind bei mir die sechs inneren Gebiete vergänglich.‹«

»Recht so, recht so, ihr Schwestern. Also, freilich, ihr Schwestern, sieht es der heilige Jünger der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit an. Was meint ihr wohl, Schwestern: sind die Formen unvergänglich oder vergänglich?«

»Vergänglich, o Herr!«

»Was aber vergänglich, ist das weh' oder wohl?«

»Weh', o Herr!«

»Was aber vergänglich, wehe, wandelbar ist, kann man etwa davon behaupten: ›Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst‹?«

»Gewiss nicht, o Herr!«

»Was meint ihr wohl, Schwestern: sind die Töne, die Düfte, die Säfte, die Tastungen, die Gedanken unvergänglich oder vergänglich?«

»Vergänglich, o Herr!«

»Was aber vergänglich, ist das weh' oder wohl?«

»Weh', o Herr!«

»Was aber vergänglich, wehe, wandelbar ist, kann man etwa davon behaupten: ›Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst‹?«

»Gewiss nicht, o Herr!«

»Und warum nicht?«

»Wir haben es ja schon vormals, o Herr, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit klar gesehn: ›So und so sind bei mir die sechs äußeren Gebiete vergänglich.‹«

»Recht so, recht so, ihr Schwestern. Also, freilich, ihr Schwestern, sieht es der heilige Jünger der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit an. Was meint ihr wohl, Schwestern: ist das Sehbewusstsein unvergänglich oder vergänglich?«

»Vergänglich, o Herr!«

»Was aber vergänglich, ist das weh' oder wohl?«

»Weh', o Herr!«

»Was aber vergänglich, wehe, wandelbar ist, kann man etwa davon behaupten: ›Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst‹?«

»Gewiss nicht, o Herr!«

»Was meint ihr wohl, Schwestern: ist das Hörbewusstsein, das Riechbewusstsein, das Schmeckbewusstsein, das Tastbewusstsem, das Denkbewusstsein unvergänglich oder vergänglich?«

»Vergänglich, o Herr!«

»Was aber vergänglich, ist das weh' oder wohl?«

»Weh', o Herr!«

»Was aber vergänglich, wehe, wandelbar ist, kann man etwa davon behaupten: ›Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst‹?«

»Gewiss nicht, o Herr!«

»Und warum nicht?«

»Wir haben es ja schon vormals, o Herr, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit klar gesehn: ›So und so sind bei mir die sechs bewusstsamen Reiche vergänglich.‹«

»Recht so, recht so, ihr Schwestern. Also, freilich, ihr Schwestern, sieht es der heilige Jünger der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit an. Gleichwie etwa, ihr Schwestern, bei einer brennenden Öllampe das Öl vergänglich, wandelbar ist, der Docht vergänglich, wandelbar ist, die Flamme vergänglich, wandelbar ist, der Schein vergänglich, wandelbar ist; wer da nun, ihr Schwestern, etwa sagte: ›Bei dieser brennenden Öllampe ist zwar Öl und Docht und Flamme vergänglich, wandelbar, aber ihr Schein, der ist unvergänglich, beharrend, ewig, unwandelbar‹: würde der wohl, ihr Schwestern, solches mit Recht sagen?«

»Gewiss nicht, o Herr!«

»Und warum nicht?«

»Bei dieser brennenden Öllampe, o Herr, ist ja Öl und Docht und Flamme vergänglich, wandelbar: wie erst ihr Schein!«

»Ebenso nun auch, ihr Schwestern, wenn einer etwa sagte: ›Die sechs inneren Gebiete sind bei mir vergänglich, wandelbar: was mich aber da auf Grund der inneren Gebiete Wohl und Weh oder weder Weh noch Wohl empfinden lässt, das ist unvergänglich, beharrend, ewig, unwandelbar‹: würde der etwa, ihr Schwestern, solches mit Recht sagen?«

»Gewiss nicht, o Herr!«

»Und warum nicht?«

»Durch eine also und also bedingte Ursache, o Herr, kommt eine also und also bedingte Empfindung zustande: durch einer also und also bedingten Ursache Auflösung wird eine also und also bedingte Empfindung aufgelöst.«

»Recht so, recht so, ihr Schwestern. Also, freilich, ihr Schwestern, sieht es der heilige Jünger der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit an. Gleichwie etwa, ihr Schwestern, bei einem großen, kernig dastehenden Baume die Wurzel vergänglich, wandelbar ist, der Stamm vergänglich, wandelbar ist, Ast- und Laubwerk vergänglich, wandelbar ist, der Schatten vergänglich, wandelbar ist; wer da nun, ihr Schwestern, etwa sagte: ›Bei diesem großen, kernig dastehenden Baume ist zwar Wurzel und Stamm, Ast- und Laubwerk vergänglich, wandelbar, aber sein Schatten, der ist unvergänglich, beharrend, ewig, unwandelbar‹: würde der wohl, ihr Schwestern, solches mit Recht sagen?« Vergl. Dhyānabindūpaniṣat v. 8: vṛkṣaṃ tu sakalaṃ vidyācchāyā tasyaiva niṣkalā. – Den selben Gedankengang, oder vielmehr die selbe Anschauung haben alle die großen Griechen mit den Indern gemein: und der welterfahrene, reiflich gewitzigte Aristophanes hat ihr sogar, wie mir scheint, den beredtesten Ausdruck verliehen, Orn. 685/87

»Gewiss nicht, o Herr!«

»Und warum nicht?«

»Bei diesem großen, kernig dastehenden Baume, o Herr, ist ja Wurzel und Stamm, Ast- und Laubwerk vergänglich, wandelbar: wie erst sein Schatten!«

»Ebenso nun auch, ihr Schwestern, wenn einer etwa sagte: ›Die sechs äußeren Gebiete sind bei mir vergänglich, wandelbar: was mich aber da auf Grund der äußeren Gebiete Wohl und Weh oder weder Weh noch Wohl empfinden lässt, das ist unvergänglich, beharrend, ewig, unwandelbar‹: würde der etwa, ihr Schwestern, solches mit Recht sagen?«

»Gewiss nicht, o Herr!«

»Und warum nicht?«

»Durch eine also und also bedingte Ursache, o Herr, kommt eine also und also bedingte Empfindung zustande: durch einer also und also bedingten Ursache Auflösung wird eine also und also bedingte Empfindung aufgelöst.«

»Recht so, recht so, ihr Schwestern. Also, freilich, ihr Schwestern, sieht es der heilige Jünger der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit an. Gleichwie etwa, ihr Schwestern, wenn ein geschickter Schlächter oder Schlächtergeselle eine Kuh schlachtete und mit scharf geschliffenem Messer die Kuh zerlegte, ohne die inneren Fleischtheile zu zerreißen, ohne das äußere Fell zu zerreißen; und was innen an Muskeln, innen an Flechsen, innen an Sehnen da ist, eben das mit dem scharf geschliffenen Messer abtrennte, abschnitte, rings herabschnitte; und nachdem er es abgetrennt, abgeschnitten, rings herabgeschnitten, das äußere Fell losgelöst hätte, mit eben diesem Felle die Kuh wieder bedeckte und nun sagte: ›Ganz wiederverbunden ist hier die Kuh mit ihrem Felle‹: würde der wohl, ihr Schwestern, solches mit Recht sagen?«

»Gewiss nicht, o Herr!«

»Und warum nicht?«

»Mag auch, o Herr, ein geschickter Schlächter oder Schlächtergeselle eine Kuh schlachten und mit scharf geschliffenem Messer die Kuh zerlegen, ohne die inneren Fleischtheile zu zerreißen, ohne das äußere Fell zu zerreißen; und was innen an Muskeln, innen an Flechsen, innen an Sehnen da ist, eben das mit dem scharf geschliffenen Messer abtrennen, abschneiden, rings herabschneiden; und nachdem er es abgetrennt, abgeschnitten, rings herabgeschnitten, das äußere Fell losgelöst hätte, mit eben diesem Felle die Kuh wieder bedecken, und mag er nun gleich sagen: ›Ganz wiederverbunden ist hier die Kuh mit ihrem Felle‹: so ist da die Kuh eben nicht mehr verbunden mit ihrem Felle.«

»Ein Gleichniss habe ich da, ihr Schwestern, gegeben, um den Sinn zu erklären. Das aber ist nun der Sinn. Die inneren Fleischtheile: das ist, ihr Schwestern, eine Bezeichnung der sechs inneren Gebiete. Das äußere Fell: das ist, ihr Schwestern, eine Bezeichnung der sechs äußeren Gebiete. Innen die Muskeln, innen die Flechsen, innen die Sehnen: das ist, ihr Schwestern, eine Bezeichnung der Lustbegier. Das scharf geschliffene Messer: das ist, ihr Schwestern, eine Bezeichnung der heiligen Weisheit, jener heiligen Weisheit, die was innen an Klammern, innen an Fesseln, innen an Sehnen ist abtrennt, abschneidet, rings herabschneidet.« Das öfter gegebene Gleichniss von der geschlachteten Kuh ist insbesondere in der Atharvasaṃhitā nicht selten anzutreffen. Es spricht für das hohe Alter und die gute Überlieferung unserer Texte. Denn spätere Generationen, etwa seit Asokos ersten Felsen-, bez. fünften Säulenedikten vom praktischen Buddhismus bereits mächtig beeinflusst, hätten es, als anachronistisch, nicht mehr anwenden können. Daher galten denn auch der Smṛti die gavāśanās als antyajās, e. g. Vyāsīyadharmaśāstre I, 12. – Vergl. noch Anm. 62; und die unpatriarchalische, tief asketenthümliche Art wie der greise, naive Hilarion in seiner Unterredung mit dem Judenchristen und kyprischen Bischofe Epiphanios, der ihm zu Ehren ein Fleischgericht hatte vorsetzen lassen, der Speiseregel der Mönche unserer 55. Rede wohl entsprechend geantwortet hat: »Ignosce mihi, pater, quia ex quo accepi habitum istum, non manducavi quidquam occisum«, nach den AASS Oct. tom. IX fol. 29 No. 57 i. f.9

»Sieben Erweckungen sind es, ihr Schwestern, durch deren Übung und Ausbildung ein Mönch den Wahn versiegen und die wahnlose Gemütherlösung, Weisheiterlösung noch bei Lebzeiten sich offenbar machen, verwirklichen und erringen kann: und welche sieben? Da übt, ihr Schwestern, ein Mönch der Einsicht Erweckung, die abgeschieden gezeugte, abgelöst gezeugte, ausgerodet gezeugte, die in Endsal übergeht; übt des Tiefsinns Erweckung, die abgeschieden gezeugte, abgelöst gezeugte, ausgerodet gezeugte, die in Endsal übergeht; übt der Kraft Erweckung, die abgeschieden gezeugte, abgelöst gezeugte, ausgerodet gezeugte, die in Endsal übergeht; übt der Heiterkeit Erweckung, die abgeschieden gezeugte, abgelöst gezeugte, ausgerodet gezeugte, die in Endsal übergeht; übt der Lindheit Erweckung, die abgeschieden gezeugte, abgelöst gezeugte, ausgerodet gezeugte, die in Endsal übergeht; übt der Innigkeit Erweckung, die abgeschieden gezeugte, abgelöst gezeugte, ausgerodet gezeugte, die in Endsal übergeht; übt des Gleichmuths Erweckung, die abgeschieden gezeugte, abgelöst gezeugte, ausgerodet gezeugte, die in Endsal übergeht. Das sind, ihr Schwestern, die sieben Erweckungen, durch deren Übung und Ausbildung ein Mönch den Wahn versiegen und die wahnlose Gemütherlösung, Weisheiterlösung noch bei Lebzeiten sich offenbar machen, verwirklichen und erringen kann.«

Nachdem nun der ehrwürdige Nandako jene Nonnen also aufgeklärt hatte, ermahnte er sie:

»Geht nun, ihr Schwestern, es ist an der Zeit.«

Da waren denn jene Nonnen durch des ehrwürdigen Nandako Rede erfreut und befriedigt; und sie standen von ihren Sitzen auf, boten dem ehrwürdigen Nandako ehrerbietigen Gruß dar, schritten rechts herum und begaben sich dorthin wo der Erhabene weilte. Dort angelangt boten sie dem Erhabenen ehrerbietigen Gruß dar und stellten sich seitwärts hin. Zu jenen Nonnen, die da seitwärts standen, sprach der Erhabene also:

»Geht nun, ihr Nonnen, es ist an der Zeit.«

Und jene Nonnen boten dem Erhabenen ehrerbietigen Gruß dar, schritten rechts herum und entfernten sich.

Da wandte sich denn der Erhabene, bald nachdem jene Nonnen fortgegangen, an die Mönche:

»Gleichwie etwa, ihr Mönche, am Feiertage, in der Nacht vor dem Vollmonde, gar manche Leute in Zweifel und Bedenken gerathen, ›Nimmt der Mond noch zu, oder ist er schon voll geworden?‹, aber es nimmt eben der Mond noch zu: ebenso nun auch, ihr Mönche, sind jene Nonnen durch Nandakos Darlegung der Lehre zwar erfreut worden, doch nicht vollkommen zufriedengestellt.« Und der Erhabene wandte sich an den ehrwürdigen Nandako: »Darum magst du nur auch morgen, Nandako, ebendieselbe Aufklärung den Nonnen angedeihen lassen.«

»Wohl, o Herr!« sagte da der ehrwürdige Nandako, dem Erhabenen gehorchend. Und der ehrwürdige Nandako rüstete sich am nächsten Tage beizeiten, nahm Mantel und Schaale und ging nach Sāvatthī um Almosenspeise. Als er dort, von Haus zu Hause tretend, Almosen erhalten, kehrte er zurück, nahm das Mahl ein und begab sich dann selbander nach dem Königsgarten.

Es sahn aber jene Nonnen den ehrwürdigen Nandako von ferne herankommen, und als sie ihn gesehn stellten sie einen Stuhl zurecht und Wasser für die Füße. Es setzte sich der ehrwürdige Nandako auf den angebotenen Sitz, und als er saß spülte er sich die Füße ab. Jene Nonnen boten nun dem ehrwürdigen Nandako ehrerbietigen Gruß dar und setzten sich seitwärts hin. Und der ehrwürdige Nandako ließ jenen Nonnen, die da seitwärts saßen, Wort um Wort ebendieselbe Aufklärung angedeihen wie am Tage vorher. Nachdem nun der ehrwürdige Nandako jene Nonnen aufgeklärt hatte, ermahnte er sie:

»Geht nun, ihr Schwestern, es ist an der Zeit.«

Da waren denn jene Nonnen durch des ehrwürdigen Nandako Rede erfreut und befriedigt; und sie standen von ihren Sitzen auf, boten dem ehrwürdigen Nandako ehrerbietigen Gruß dar, schritten rechts herum und begaben sich dorthin wo der Erhabene weilte. Dort angelangt boten sie dem Erhabenen ehrerbietigen Gruß dar und stellten sich seitwärts hin. Zu jenen Nonnen, die da seitwärts standen, sprach der Erhabene also:

»Geht nun, ihr Nonnen, es ist an der Zeit.«

Und jene Nonnen boten dem Erhabenen ehrerbietigen Gruß dar, schritten rechts herum und entfernten sich.

Da wandte sich denn der Erhabene, bald nachdem jene Nonnen fortgegangen, an die Mönche:

»Gleichwie etwa, ihr Mönche, am Feiertage, in der vollen Mondnacht, gar manche Leute nicht mehr in Zweifel und Bedenken gerathen, ›Nimmt der Mond noch zu, oder ist er schon voll geworden?‹, sondern es ist eben der Mond schon voll geworden: ebenso nun auch, ihr Mönche, sind jene Nonnen durch Nandakos Darlegung der Lehre erfreut worden und vollkommen zufriedengestellt. Wer da, ihr Mönche, jener fünfhundert Nonnen geringste Nonne ist, ist zur Hörerschaft gelangt, dem Verderben entronnen, eilt zielbewusst der vollen Erwachung entgegen.«

 

Also sprach der Erhabene. Zufrieden freuten sich jene Mönche über das Wort des Erhabenen. Der Anschauung gemäß betrachtet der Inder die noch zunehmende, bez. eben erst voll gewordene Mondnacht als Kulmination: während wir, ohne Rücksicht auf die Anschauung, die astronomische Tageszeit berechnen; daher fällt in Indien die Feier des Vollmondes in der Regel auf den Vorabend. – Ein anderes Mondgleichniss im 2. Bande S. 796, Lieder der Mönche S. 234: ebenso doppelartig bedeutsam in dem Bilde eines Fra Mariano da Volterra » San Francesco è simile alla luna piena per la activa et contemplativa vita«, bei Sabatier, Bartholi Tractatus etc. p. 149.
Ein schönes, ob auch tiefer stehendes Gegenstück zum obigen Berichte von Nandako und den Nonnen darf man bei uns wohl in Meister Eckharts Gesprächen mit Schwester Katrei erkennen: so wenn diese Heilige, nicht unähnlich wie es oben von der geringsten der Nonnen ausgesagt ist, von sich den Bescheid giebt, »daz ich nie hinder mich gesach, sît ich ûf den wec gewiset wart zuo miner ewigen sêlioheit, unde daz ich keiner crêatûre rât nie gevolgete, wan daz ich allez für mich gienc in eime rehten ernste«, p. 468; oder p. 474 das Wort von der Übung bis an den Tod; u. a. m.


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