Fritz Müller-Partenkirchen
München
Fritz Müller-Partenkirchen

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Die Engländerin

Ich hatte sie abgeholt auf der Bahn. Und nun saßen wir in der Straßenbahn. Es war eine Engländerin mit einer lauten Stimme. Und sie konnte ein wenig deutsch. Und irgend jemand hatte sie an mich empfohlen. Ich sei ein netter Mensch und würde ihr gerne die Stadt zeigen.

Und nun begann sie zu fragen. Gleich in der Straßenbahn, um keine Zeit zu verlieren. Und so laut, daß ich mir vorkam wie ein Held auf der Bühne, auf den die Heldin vor soundsoviel Ohren und Opernguckern immerzu einredet.

»Oo, sagen Sie, wie heißt die Fluß hier?« fragte sie.

»Der Fluß hier heißt –« begann ich.

»Oo, man sagt der Fluß, nicht die Fluß?«

»Ja, Fluß ist männlichen Geschlechts.«

»Oo ja, männlichen, was, bitte?«

»Geschlechts.«

»Oo ja, Geschlechts, aber sagen Sie, was ist Geschlecht?«

»Geschlecht ist – Geschlecht ist –«

Ich fühlte eine dringend gewordene Aufmerksamkeit des ganzen Trambahnwagens an meinen Lippen hängen.

»Was wird der Mensch jetzt sagen?« dachte der ganze Trambahnwagen. Und ich sagte ein wenig unsicher und zögernd:

218 »Geschlecht? Geschlecht ist eben – Geschlecht, verstehen Sie?«

»Oo ja, ich verstehe, und sagen Sie, uiviel Geschlecht gibt es in deutsch, bitte?«

»Wir haben drei Geschlechter.«

»Oo ja, drei Geschlecht, aber sagen Sie, uarum haben Sie drei Geschlecht?«

Hier bemerkte ich, daß mehrere Leute, die sonst immer an dieser Haltestelle ausgestiegen waren, voll Interesse weiter sitzen blieben. Ich biß die Zähne zusammen und sagte:

»Wir haben drei Geschlechter aus grammatisch historischen Ursachen.«

»Oo ja, Ursachen, serr gut, Ursachen, aber sagen Sie, uas hat zu tun Ursachen mit Geschlecht?«

Ich starrte verständnislos. Teilnehmend sah mich der ganze Wagen an. Ein Todfeind von mir, der mir gegenübersaß, fing an, mich mit tiefem Mitleid zu betrachten.

»Ich meine,« begann die Engländerin wieder, »ich habe gemeint, Ursachen sein Sachen von Uhren, nicht von Geschlecht.«

Ich sah hilflos den Schaffner an. Und richtig, dieser wundervolle Mensch griff ein. Ich hatte ihm nicht umsonst so oft ein Fünferl gegeben. Jetzt lohnte sich's.

»A solchene Rederei, a solchene damische ist überhaupt verboten in der Straßenbahn,« sagte er.

Aufmerksam sah die Engländerin jetzt den Schaffner an. Dann wandte sie sich wieder zu mir:

»Oo, sagen Sie, uas meint mit Rederei dieser Mann?«

219 »Rederei heißt sprechen,« schnaufte ich.

»Oo ja, und uas sein mit sprechen, bitte?«

»Verboten ist es!« brüllte ich mit dem letzten Aufgebot meiner Stimme.

»Oo ja, aber uarum sein verboten sprechen in deutsch Tramway, bitte?«

»Weil's einem sonst schlecht wird!« rief ich verzweifelt, sprang auf von der Bank und ab vom Wagen. Und noch im Abspringen hörte ich ihre harte Stimme sich an ein neues Opfer richten:

»Oo, sagen Sie, uarum ist geworden dieser Mann so komisch, plötzlich?« 220

 


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