Fritz Müller-Partenkirchen
München
Fritz Müller-Partenkirchen

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Der Hunderter

Ich habe einen sonderbaren Hunderter. Der will nicht aus meiner Kasse. So oft ich mich bemühe, ihn zu einem Extrazweck auszugeben, er knistert: Nein. Vielleicht kann ihm jemand helfen? Aber dazu muß ich seine Geschichte erzählen.

Der Hunderter gehörte früher meiner Tante. Und noch früher der Frieda. Und noch früher, das weiß ich nicht. Niemand weiß, woher ein Hunderter kommt, niemand weiß, wohin er geht. Hunderter sind wie Schienenstrangstücke in Untergrundbahnhöfen: Dunkel, kurzes Blitzen, wieder Dunkel. Das Blitzen meines Hunderters trug sich so zu: Die Frieda diente bei meiner Tante. Grundehrlich, stand in ihrem Dienstbuch. Aber das steht in vielen. Was in Dienstbüchern steht, ist nicht so wichtig. Wichtiger ist, was nicht drin steht. Nicht darin stand, daß sie von der stillen Art war. Kein Klappern, kein Geschrei, kaum eine Frage. Und wenn man selber eben fragen wollte: »Frieda, haben Sie . . .« oder»Frieda, ist schon . . .«, so war schon immer alles fertig. Leise schwangen ihre langen Arme an den breiten Hüften: »Und was jetzt?« Mit diesem »Und was jetzt?« ging sie durch das Leben.

Meine Tante wußte, was sie an ihr hatte. Aber einmal fehlte ein Hunderter. Die Tante hatte ihn in die Schreibtischschublade geschoben, als es klingelte. Dabei vergaß sie den Schlüssel 104 umzudrehen. Dann unterschrieb sie auf dem Gang den Einschreibebrief, während die Frieda den Schreibtisch abstaubte. Erst am Abend erinnerte sich meine Tante an den nicht umgedrehten Schlüssel. Der Hunderter war verschwunden.

Drei Tage trug sie's mit sich 'rum. Das ist länger, als es eine Durchschnittshausfrau trägt. Dann ging's nicht mehr. »Frieda, war sonst jemand in dem Zimmer, als Sie staubten?« – »Nein, gnä' Frau.« – »Frieda, aus diesem Kästchen ist ein Hunderter fortgekommen.« –»Jawohl, gnä' Frau,« – Friedas Mund. »Und was jetzt?« Friedas Arme. – »Frieda, haben Sie den Hunderter genommen?« – »Nein, gnä' Frau,« Friedas Mund. »Und was jetzt?« Friedas Arme. – »Frieda, den Hunderter kann niemand anders genommen haben.« »Jawohl, gnä' Frau,«. Friedas Mund. »Und was jetzt?« Friedas Arme. »Nur gut, daß Sie's gestehen, Frieda, geben Sie ihn her.« – »Ich hab ihn nicht, gnä' Frau.« – »Also ist er schon bei einem Helfershelfer?« Friedas Arme hörten auf zu schwingen. Jetzt erst hatte sie begriffen. Sie weinte. »Gut, ich gebe Ihnen vierundzwanzig Stunden Zeit,« sagte Tante.

Dann am nächsten Tage: »Nun, Frieda?« –

»Ich hab' ihn nicht, ich versteh's nicht.« – »Wär mir leid, Frieda, wenn ich nach der Polizei . . .« Die Frieda heulte nicht mehr. Der Hunderter war für sie erledigt. Nur ihre Arme schwangen: »Und was jetzt?« – »Für jetzt will ich's noch mal gut sein lassen, Frieda. Ostern ist nah. Was Sie mir nicht beichten, können Sie dem Pfarrer sagen.«

105 Im Beichtstuhl war die Frieda fertig. »Und sonst?« fragte der Pfarrer. Die Frieda schwieg. »Und der Hunderter, Frieda?« redete der Pfarrer gütlich zu. – »Sehen Sie, Frieda, ich mein's gut mit Ihnen, es kommt sonst kein Friede mehr ins Haus, wenn Sie Ihr Gewissen nicht entlasten.« – »Jawohl, Hochwürden.« – »Nicht drängen darf ich Sie, Sie müssen selber . . .«

Die Frieda war zum zweitenmal im Beichtstuhl fertig und wollte sich erheben. »Wie ist's, Frieda, wollen Sie mir nicht den Auftrag geben, daß es Ihnen Ihre Frau nach und nach vom Lohn abzieht?« Durch das Gitter glaubte er ein Nicken zu erkennen. Aber es waren nur Friedas Arme: »Und was jetzt?« – »Und jetzt gehen Sie ruhig nach Haus. Ich werde mich auch persönlich noch für Sie verwenden, daß Sie nicht entlassen werden.«

Sie wurde nicht entlassen. Jeden Monat zog ihr die Tante zwei Mark am Lohn ab. Und fünfzig Monde sind in vier Jahren glatt vorüber. Vier Jahre aber sind nicht allzulang, wenn man mit schlenkernden Armen dient: »Und was jetzt?«

Dann starb die Tante. Ich war ihr Erbe. Kurz vor ihrem Ende hat sie mir die Geschichte mit Friedas Hunderter anvertraut. Wenn sie's nicht getan hätte, ich glaube, wir hätten Frieda gebeten, bei uns in Dienst zu treten, sie war gar so tüchtig. Aber so . . . So war's schon besser, daß sie die Arme wo anders schlenkerte, wo man es nicht wußte.

Jahre kamen, Jahre gingen. Arme schlenkerten, wurden müd, und neue Arme traten an die Stelle, junge Arme, junge Hände. Solche Hände meines 106 jüngsten Sohnes spielten einmal an meiner Schreibtischschublade. Es ging schwer, er zog und zog . . .

»Jetzt hab ich's endlich, Vater,« kam er angerannt, »schau, das war dazwischen.« Er hielt einen zerknitterten Hunderter in der Hand.

Was bin ich gelaufen, was hab' ich geschrieben – ich habe sie nicht mehr aufgefunden, die Frieda. Vielleicht ist sie tot. Vielleicht schlenkert sie in einem fernen Dienst die langen Arme: »Und was jetzt?«

Jetzt? Ja, jetzt liegt der Hunderter in meiner Kasse. Es ist ein sonderbarer Hunderter. Er will nicht hinaus. So oft ich mich bemühe, ihn zu einem Extrazweck hinauszugeben, und wäre es der beste – mein Hunderter knistert: Nein.

Vielleicht kann ihm jemand helfen? 107

 


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