Fritz Müller-Partenkirchen
München
Fritz Müller-Partenkirchen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Würste und Häute

Eine soziale Frage

Wir waren damals noch Studenten und hatten eine Seminararbeit zu machen. Ist der Luxus volkswirtschaftlich gutzuheißen?

Die Vordebatten gingen scharf hinüber und herüber. »Luxus, ein Krebsgeschwür am Wirtschaftskörper!« hieß es. »Nein, ein Segen für die Allgemeinheit!« schallte es entgegen.

Müdgefochten, blickte man auf den Professor.

Der aber zuckte nur die Schultern: »Sie haben ja die ganzen Ferien, um darüber nachzudenken – nein, nachzuschauen ist noch besser. Augen auf fürs offne Leben, meine Herren!«

Damit entließ er uns.

Wir debattierten weiter durch die Ferien, wälzten Bücher, schrieben ganze Hefte voll. Nur der Köglmaier schrieb nicht eine Zeile. Er verlasse sich auf seine Augen, sagte er.

Diese kreuzvergnügten Augen ließ er durch die Ferien kugeln. Noch am letzten Tage vor Semesteranfang lotste er mich auf den Münchnerkindlkeller.

»Wie weit bist du, Köglmaier,« sagte ich, »mit deiner Arbeit?«

»Red' nicht, – trinke, schaue, horche.«

»Damit wirst du kaum den Vogel schießen, Köglmaier.«

»Red' nicht, – trinke, schaue, horche.«

182 »Im Trinken, Schauen, Horchen werden wir, so viel ich weiß, nicht geprüft.«

Er gab keine Antwort. Er trank, er ließ die Augen kugeln, spitzte wie ein Luchs die Ohren, was an den Nachbartischen gesprochen wurde, wo die alten Münchner, hoch und nieder, durcheinander mit und ohne Hunde, bei den vielgeliebten Weißwürsten saßen.

Auf einmal schlug er auf den Tisch und lachte. Lachte, daß es dröhnte: »Ich hab es!«

»Was?«

»Die Lösung.«

»Welche Lösung?«

»Die vom Luxus – an dem Tisch dort drüben wurde sie –«

»Gefunden?«

»I wo – erlebt!«

»Erzähle«

»Das wäre heute – Luxus,« lachte er, »demnächst im Seminar, Verehrter.«


Der Professor gab die Arbeiten zurück, es waren dicke Wälzer darunter. »Einige nicht übel,« sagte er, »eine glatte Lösung aber, knapp und schlagend, hat nicht einer –«

»Ich,« rief eine Stimme.

Der Professor schielte über seine Brille: »Sie, Köglmaier? Sie sind ja der einzige, der überhaupt keine Arbeit eingeliefert hat.«

»Ich möchte sie mündlich vortragen.«

Der Professor schaute auf die Uhr: »Wir haben bis zum Klingelzeichen nur noch fünf Minuten –«

»Drei genügen.«

»Hm, was meinen Ihre Kollegen?«

183 »Wir meinen,« sagte unser Bester, der die dickste Arbeit eingeliefert hatte, »daß drei Minuten schon genügen, um sich zu blamieren.«

Schmunzeln im ganzen Saal.

Aber unbeirrt begann der Köglmaier: »Neben einem dicken Herrn saß ein magrer Hund. Der Herr aß Weißwürste. Eine nach der andern. Die Haut schnappte jedesmal der Hund. Gedankenvoll sah ihm ein alter Münchner zu. Nach der elften und zwölften Weißwurst sagte dieser anerkennend zu einem andern Münchner: ›A guater Herr, a nobler Herr, a feiner Herr – aber, aber, aber.‹ – ›Was aber?‹ – ›Ja mei', so viele Weißwürst kann der guate, noble, feine Herr halt aa net essen, daß der Hund von de Häut satt werdn kunnt.‹«

Beklommenes Schweigen im Seminar.

»Und?« sagte der Professor.

»Das ist alles,« sagte Köglmaier.

Einen langen Atemzug tat das ganze Seminar, um zu einem ungeheurem Prusten auszuholen.

»Halt,« hob der Professor seine Hand. »Herr Köglmaier, ich gratuliere Ihnen: Sie haben die knappste, klarste und erschöpfendste Lösung dieses Teilstückes der sozialen Frage eingeliefert.« 184

 


 << zurück weiter >>